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Kon­flikt – ewi­ger Fluch oder Chan­ce im Job?

März 2021 | Manage­ment

Kon­flikt – ewi­ger Fluch oder Chan­ce im Job?

Ein Gast­bei­trag von Judit Tei­chert

Unru­he und Kon­flik­te in Teams und Orga­ni­sa­tio­nen sind läs­tig und ärger­lich und ner­vig und so wahn­sin­nig unpro­duk­tiv. Streit ist doch eigent­lich immer über­flüs­sig und kräf­te­zeh­rend. Wie schön wäre die Welt ohne Kon­flik­te?


Wirk­lich? Ja, irgend­wie schon. Natür­lich wäre es toll, wenn alles immer nur har­mo­nisch wäre. Wir ver­wen­den ent­spre­chend auch sehr viel Zeit, Ener­gie und Geld dar­auf, Kon­flik­te mög­lichst gar nicht erst ent­ste­hen zu las­sen oder zumin­dest so schnell wie mög­lich aus dem Weg zu räu­men. Die Füh­rungs­kräf­te, die ich beglei­te, berich­ten oft davon, wie­viel „Druck von oben“ sie nicht an ihr Team wei­ter­ge­ben, um kei­nen Kon­flikt auf­kom­men zu las­sen.


Aber wenn ich ehr­lich bin, habe ich immer dann am meis­ten gelernt, wenn ich mich einem Kon­flikt gestellt habe und ihm so rich­tig auf den Grund gegan­gen bin. Ich möch­te dich ein­la­den, eine neue Per­spek­ti­ve auf Kon­flik­te im Arbeits­um­feld ein­zu­neh­men: Kon­flik­te sind – fast immer – pro­duk­tiv und bie­ten eine Chan­ce, das Ler­nen und Fort­schritt statt­fin­det. Das alles ist natür­lich ein­fa­cher gesagt als getan. Des­we­gen stel­le ich eini­ge Ideen vor, wie du erkennst, ob ein Kon­flikt pro­duk­tiv ist, wie du ihn in pro­duk­ti­ve Bah­nen len­ken kannst und wie du dei­ne eige­ne Kon­flikt­to­le­ranz auf­bau­en kannst.


Die eige­ne Kon­flikt­to­le­ranz ent­wi­ckeln

Für Men­schen ist es unter­schied­lich leicht, Kon­flik­te aus­zu­hal­ten. Mir fällt es beruf­lich als Trai­ne­rin und Bera­te­rin recht leicht, weil ich dort von außen beob­ach­te und Impul­se gebe. Pri­vat tue ich mich schwe­rer. Hier bin ich selbst Teil des Sys­tems und ver­tre­te eige­ne Inter­es­sen. Ob jemand Kon­flik­te gut tole­riert hängt also nicht nur von der Per­sön­lich­keit ab, son­dern vari­iert auch je nach Situa­ti­on.


Vie­le Men­schen reagie­ren inner­lich panisch, wenn es kon­flikt­haft wird und ver­su­chen dann Har­mo­nie her­zu­stel­len: Lösun­gen anbie­ten oder durch­set­zen, beru­hi­gen und

besänf­ti­gen, den Kon­flikt ver­mei­den oder es „schön“ machen. Dadurch wird es schwer, den Kon­flikt als Lern­mo­ment zu nut­zen.


Kon­flik­te aus­zu­hal­ten und in pro­duk­ti­ve Bah­nen zu len­ken kann man ler­nen. Ähn­lich wie

Schwim­men. So wie man schwim­men nicht im offe­nen Atlan­tik lernt, son­dern im Nicht­schwim­mer­be­cken, so geht es im ers­ten Schritt dar­um, den Kon­flikt zu beob­ach­ten und bes­ser zu ver­ste­hen.

Kon­flik­te als Lern­mo­men­te

Wenn du das nächs­te Mal mit einem Kon­flikt kon­fron­tiert bist – mit einem Kol­le­gen oder einer Kol­le­gin, im Team oder in dei­ner Orga­ni­sa­ti­on –­ dann hal­te inne und sage dir: Was für eine groß­ar­ti­ge Gele­gen­heit! Was mag mir die­ser Kon­flikt auf­zei­gen? (Schon okay, wenn dir das zunächst nur schwer über die Lip­pen kommt).


Hier zwei typi­sche Bei­spie­le, die mir in der Arbeit mit Sozi­al­or­ga­ni­sa­tio­nen häu­fig begeg­nen:


1.     In einer Jugend­hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on ran­gel­ten Abtei­lun­gen mit wirt­schaft­li­chem Hin­ter­grund (Con­trol­ling, Per­so­nal­bü­ro, betriebs­wirt­schaft­li­ches Manage­ment) mit den päd­ago­gi­schen Abtei­lun­gen dar­um, wer wich­ti­ger für das Fort­kom­men der Orga­ni­sa­ti­on ist. Nicht so direkt natür­lich, aber immer wie­der schwan­gen in Sit­zun­gen Sti­che­lei­en mit, dass die einen „nur auf die Zah­len ach­ten“ wäh­rend die ande­ren „kein Gespür dafür haben,

dass es finan­zi­el­le Gren­zen gibt“. Es gab wenig Aus­tausch zwi­schen den ver­schie­de­nen Lagern, die Päd­ago­gen fühl­ten sich zu wenig als wert­schöp­fen­de Kraft wert­ge­schätzt und die admi­nis­tra­ti­ven Abtei­lun­gen fühl­ten sich zu wenig in ihrer Arbeit unter­stützt und in ihrer Wich­tig­keit eben­falls nicht aner­kannt.

2.     In einer ande­ren Orga­ni­sa­ti­on fand ein Gene­ra­tio­nen­wech­sel statt. Vie­le lang­jäh­ri­ge Mit­ar­bei­ten­de soll­ten nun mit eini­gen neu­en, deut­lich jün­ge­ren Kolleg:innen zusam­men­ar­bei­ten, die ande­re Vor­stel­lun­gen von Zusam­men­ar­beit hat­ten und sehr moti­viert Ver­än­de­run­gen dies­be­züg­lich ansto­ßen woll­ten. Auch hier war die Atmo­sphä­re in Team­termi­nen ange­spannt, immer wie­der ent­stan­den Rei­bun­gen dar­um, wie Pro­zes­se bis­her

gestal­tet waren, wie drin­gend Ver­än­de­run­gen ange­gan­gen wer­den soll­ten und was gut lief, so wie es war.


Kon­flik­te sind zunächst ein span­nen­der Indi­ka­tor dafür, dass es sich lohnt, genau hin­zu­schau­en und hin­zu­hö­ren. Denn Kon­flik­te zei­gen auf:

  • wo Ver­än­de­rungs­ar­beit statt­fin­den muss.
  • wo Dis­sens in einem Team vor­herrscht und ernst genom­men wer­den muss.
  • wo Brü­cken zwi­schen ver­schie­de­nen Tei­len eines Teams oder eines Unter­neh­mens gebaut wer­den soll­ten.
  • wo Lei­tung und ande­re Team­mit­glie­der neu­gie­rig nach­fra­gen kön­nen: Du scheinst das anders als ich

zu sehen. Kannst du mir bit­te mehr erzäh­len?

Die Pro­duk­ti­vi­tät von Kon­flik­ten ein­schät­zen

Natür­lich sind nicht alle Kon­flik­te pro­duk­tiv. Nur: Wor­an mer­ke ich, dass ein Kon­flikt scha­det und nicht nützt? Eine Mög­lich­keit ist sich vor­zu­stel­len, dass bei einem Kon­flikt „Hit­ze“ oder auch „Unru­he“ ent­steht. Das Aus­maß der Hit­ze kann jedoch schwan­ken:

1 Gerin­ge Hit­ze = Kom­fort­zo­ne: Hier fin­det wenig pro­duk­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung statt. Oft ist das der Zustand, in dem Men­schen einen Kon­flikt unter den Tep­pich keh­ren.

2 Sehr hohe Hit­ze = Panik­zo­ne: Hier fin­det auch wenig pro­duk­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung statt, denn die Men­schen füh­len sich durch den Kon­flikt über­for­dert.

3 Zwi­schen die­sen bei­den Zonen = Lern­zo­ne: Der Bereich, in dem Ler­nen und nach­hal­ti­ge Ver­än­de­rung statt­fin­det, in dem die Men­schen sich betei­li­gen und Fort­schrit­te erzie­len.

Kon­flik­te sind also immer dann pro­duk­tiv, wenn die Hit­ze ange­mes­sen dosiert ist: Es muss drin­gend und heiß genug sein, dass sich die betrof­fe­nen Per­so­nen aus ihrer Kom­fort­zo­ne her­aus­be­we­gen und dass Ler­nen und Aus­ein­an­der­set­zung mög­lich sind. Gleich­zei­tig darf die Tole­ranz­schwel­le der Per­so­nen für Hit­ze nicht über­schrit­ten wer­den – es darf nicht zu heiß wer­den. Es lohnt sich, gut ein­zu­ord­nen, ob das, was man beob­ach­tet, Anzei­chen

für Ler­nen, für Panik oder für Kom­fort ist.


Mög­li­che Indi­ka­to­ren für Ler­nen sind:

  • Es wird inhalt­lich und authen­tisch dis­ku­tiert.
  • Es wer­den offen kon­tro­ver­se Stand­punk­te ange­spro­chen.

Eini­ge Indi­ka­to­ren für Panik (und Ach­tung! Panik bedeu­tet nicht nur „wüten­des oder ängst­li­ches Aus­agie­ren“ son­dern kann alle For­men von Kämp­fen, Flüch­ten und Erstar­ren anneh­men), z.B.:

  • men­ta­les Raus­bea­men
  • tat­säch­li­ches Ver­las­sen des Rau­mes
  • Atta­ckie­ren, Bloß­stel­len, schwar­ze Peter zuschie­ben
  • Dis­kus­sio­nen über die Art der Tref­fen, die Art der Mode­ra­ti­on, …
  • Fest­hal­ten an tech­ni­schen Aspek­ten des Pro­blems

Eini­ge Indi­ka­to­ren für Kom­fort kön­nen sein:

  • pas­si­ve Teil­nah­mek­ei­ne oder nur ver­ein­zel­te Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me
  • wenig Betei­li­gung (expli­zit ver­bal oder auch wenig Mit­den­ken)

Pro­duk­ti­ve Kon­flik­te regu­lie­ren und Ler­nen beför­dern


Im ers­ten Schritt lohnt es sich, bes­ser dar­in zu wer­den, Kon­flik­te, die Hit­ze, die dadurch ent­steht und den Umgang damit gelas­se­ner zu beob­ach­ten. Anschlie­ßend stel­len sich natür­lich die Fra­gen: Wie kann ich die Tem­pe­ra­tur regu­lie­ren? Wann und wie grei­fe ich in Kon­flik­te ein, damit Ler­nen statt­fin­det?


Um die Tem­pe­ra­tur zu erhö­hen eig­nen sich fol­gen­de Stra­te­gien:


1.    schwie­ri­ge und zen­tra­le Fra­gen fokus­sie­ren

2.    den Betei­lig­ten mehr Ver­ant­wor­tung geben als das Maß, mit dem sie sich wohl füh­len (wohl dosier­te (Über-)Forderung)

3.    Kon­flik­te spür­bar und expli­zit wer­den las­sen

4.    pro­vo­ka­ti­ve Kom­men­ta­re tole­rie­ren

5.    die Grup­pen­dy­na­mik im Hier-und-Jetzt benen­nen und als Spie­gel zen­tra­ler Her­aus­for­de­run­gen der Grup­pe nutz­bar machen (z.B. die Ver­ant­wor­tung kom­plett an die Auto­ri­tät abge­ben bei einer Orga­ni­sa­ti­on, die mit stei­ler Hier­ar­chie hadert; jemand ein­zel­nen als schwar­zen Peter brand­mar­ken und alle Ver­ant­wor­tung bei die­ser Per­son sehen bei einer Orga­ni­sa­ti­on, die sich mit der Mar­gi­na­li­sie­rung von Min­der­hei­ten beschäf­tigt)

Wenn es zu heiß wird, wird Ler­nen unmög­lich. Die­se Stra­te­gien redu­zie­ren Hit­ze:


1.     die­je­ni­gen Aspek­te mit den offen­sicht­lichs­ten Lösun­gen adres­sie­ren, eben­so wie sol­che, die

durch Exper­ti­se oder Auto­ri­tät ent­schie­den wer­den kön­nen

2.     Struk­tur geben, indem (a) das Pro­blem in Tei­le auf­ge­bro­chen wird, (b) ein zeit­li­cher Hori­zont vor­ge­ge­ben wird oder © Regeln für Ent­schei­dun­gen und Auf­ga­ben für

ver­schie­de­ne Rol­len auf­ge­stellt wer­den

3.     kurz­zei­tig die Ver­ant­wor­tung für schwie­ri­ge Pro­ble­me über­neh­men (aber nicht ver­ges­sen, die Men­schen wie­der zu betei­li­gen bei kol­lek­ti­ven Her­aus­for­de­run­gen!)

4.     Ver­mei­dungs­me­cha­nis­men nut­zen (eine Pau­se neh­men, eine Geschich­te oder einen Witz erzäh­len, eine Übung machen, …)

5.     den Pro­zess ent­schleu­ni­gen: Nor­men und Erwar­tun­gen weni­ger rasant oder weni­ger auf ein­mal hin­ter­fra­gen

Ins­be­son­de­re Füh­rungs­kräf­te regu­lie­ren die Hit­ze oft all­zu schnell her­un­ter, um für Har­mo­nie zu sor­gen. Im obi­gen Bei­spiel der Jugend­hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on war die Ver­su­chung für den Geschäfts­füh­rer groß, die ver­schie­de­nen

Lager (Pädagog:innen, admi­nis­tra­ti­ve Abtei­lun­gen) immer wie­der zu besänf­ti­gen und sich an den hohen Erwar­tun­gen bei­der Sei­ten auf­zu­rei­ben anstatt den Kon­flikt direkt zu benen­nen und einen pro­duk­ti­ven Aus­tausch der betei­lig­ten Per­so­nen zu för­dern. Die­ses Ver­hal­ten einer Füh­rungs­kraft ist sehr ver­ständ­lich. Sie möch­te damit eine Eska­la­ti­on ver­mei­den, nicht an ange­spann­ter Atmo­sphä­re schul­dig sein und für gute Stim­mung sor­gen. Doch oft­mals ist genau das kon­tra­pro­duk­tiv und ver­hin­dert Ler­nen. Ins­be­son­de­re Füh­rungs­kräf­te soll­ten des­halb ihre

Fähig­keit, Kon­flik­te aus­zu­hal­ten, zu regu­lie­ren und gar zu orches­trie­ren bewusst ent­wi­ckeln.

Quel­len und Wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur


Hei­fetz, R. A., Gra­show, A., & Lin­sky, M. (2009). The prac­ti­ce of adap­ti­ve lea­der­ship: Tools and tac­tics

for chan­ging your orga­niza­ti­on and the world. Bos­ton, MA: Har­vard Busi­ness Press.


O’Bri­en, T. (2019, June 18). When Your Job Is Your Iden­ti­ty, Pro­fes­sio­nal Fail­ure Hurts More [Web log post]. Retrie­ved from https://hbr.org/2019/06/how-we-confuse-our-roles-with-our-self


Foto: © Lupo // Cor­de­ro

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