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GEBe – Eine Arbeits­wei­se, um gesell­schaft­li­che Teil­ha­be von jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung zu för­dern

Mai 2023 | Orga­ni­sa­ti­on & Ent­wick­lung

GEBe – Eine Arbeitsweise, um gesellschaftliche Teilhabe von jungen Menschen mit Behinderung zu fördern


In die­sem Fach­bei­trag erläu­tert Ste­fan Wil­lich Schrit­te zur Umset­zung der soge­nann­ten infor­mel­len Betei­li­gung und Teil­ha­be für jun­ge Men­schen mit Behin­de­rung in der ambu­lan­ten Ein­glie­de­rungs­hil­fe.

Die Par­ti­zi­pa­ti­on jun­ger Men­schen mit Behin­de­rung in der ambu­lan­ten Ein­glie­de­rungs­hil­fe (EGH) ist nicht nur erwünscht, son­dern auch recht­lich fest­ge­legt*. Doch damit sich Struk­tu­ren ver­än­dern kön­nen, braucht es kon­kre­te Hand­lungs­an­wei­sun­gen zur Umset­zung. Hier­bei scheint ins­be­son­de­re die unmit­tel­ba­re Arbeit mit den Leis­tungs­be­rech­tig­ten der EGH ein geeig­ne­ter Aus­gangs­punkt zu sein, denn die all­täg­li­che Lebens­si­tua­ti­on von jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung, ihre Teil­nah­me und Teil­ha­be an Gesell­schaft ste­hen im Fokus des Auf­tra­ges der EGH.

Das all­täg­li­che Han­deln von jun­gen Men­schen (mit Behin­de­run­gen) sowie ihre Par­ti­zi­pa­ti­on sind eben­falls Schwer­punkt der GEBe (Gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment von Benach­tei­lig­ten för­dern) Arbeits­wei­se, wel­che für die Offe­nen Kin­der und Jugend­ar­beit (OKJA) ent­wi­ckelt wurde.[1]

Dabei han­delt es sich weni­ger um eine Lis­te von Arbeits­schrit­ten, wel­che abzu­ar­bei­ten ist, son­dern viel­mehr um einen sich auf­bau­en­den Kreis­lauf.

Die Inter­ak­tio­nen von jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung und Fach­kräf­ten inner­halb des Hilf­e­set­tings sind ein

geeig­ne­ter Aus­gangs­punkt für gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment und Demo­kra­tie­bil­dung, da rele­van­te The­men der Adressat:innen stets in alle ihre Aus­sa­gen und Hand­lun­gen inklu­diert sind.[2]


Schritt 1: Dokumentation – Welche Themen haben Menschen mit Behinderung?

Die GEBe Arbeits­wei­se umfasst in einem ers­ten Schritt das schrift­li­che Doku­men­tie­ren von Beob­ach­tun­gen als Grund­la­ge für die Ent­de­ckung von The­men der Adressat:innen, also der jun­gen Men­schen. In Form einer kol­le­gia­len Aus­wer­tung der Beob­ach­tung wer­den The­men erkannt und durch Rück­mel­dun­gen an die jun­gen Men­schen erwei­tert und prä­zi­siert. Die Umset­zung und Ver­öf­fent­li­chung von klei­nen the­ma­ti­schen Pro­jek­ten erfolgt im Hilf­e­set­ting und ermög­licht in Form wei­te­rer Beob­ach­tun­gen ein erneu­tes Durch­lau­fen des somit umschrie­be­nen GEBe-Kreis­lau­fes.


Schritt 2: Reflexion – Ressourcen und Potenziale entdecken


Um die gesell­schaft­li­chen The­men der jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung zu ent­de­cken, erscheint eine ver­schrift­li­che Beob­ach­tung ziel­füh­rend, da die schrift­li­che Doku­men­ta­ti­on es den Fach­kräf­ten ermög­licht, in einem zwei­ten Schritt kol­le­gi­al, bei­spiel­wei­se in Team­sit­zun­gen, ihre Wahr­neh­mung zu reflek­tie­ren, ihr Han­deln zu begrün­den und mög­li­che The­men der Adressat:innen auszuwerten.[3]

Hier­bei steht die Ermög­li­chung von Umdeu­tun­gen im Vor­der­grund, bei­spiels­wei­se wer­den als stö­rend und her­aus­for­dernd wahr­ge­nom­me­ne Hand­lun­gen als Erpro­bungs- und Bewäl­ti­gungs­ver­su­che erkenn­bar, in wel­chen Res­sour­cen und Poten­zia­le ent­deckt wer­den können.[4]

Die hier­mit ver­bun­de­ne Aner­ken­nung von selbst­be­stimm­ten Hand­lun­gen von jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung sind für Mar­tin Hahn die Basis für die Teil­nah­me an Gesell­schaft und ein Wesens­merk­mal des Menschen.[5]


Schritt 3: Dialog – Austausch auf Augenhöhe


Aus­ge­hend von der Fra­ge: „Wel­che gesell­schaft­li­chen rele­van­te Themen/welche Inter­es­sen an Teil­ha­be las­sen sich aus den Beob­ach­tun­gen ablei­ten?“ eröff­net Schritt drei einen Dia­log zwi­schen jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung und Fach­kraft. Die­se dia­lo­gi­sche Rück­mel­dung der Fach­kraft dient zum einen der Vali­die­rung des The­mas (Habe ich dich rich­tig ver­stan­den?) und zeigt zum ande­ren dem jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung, dass sei­ne Äuße­run­gen rele­vant für die Gestal­tung der Hil­fe sind. Im fol­gen­den Pro­zess, der rezi­pro­ken Aus­ge­stal­tung der Hil­fe, wer­den die Hand­lun­gen des jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung nicht dia­gnos­ti­ziert und bewer­tet, son­dern Inhalt einer gemein­sa­men Aus­hand­lung dar­über, was, wie und wozu getan wer­den soll.[6]


Schritt 4: Implementierung und Weiterentwicklung


The­men kön­nen bei­spiels­wei­se der Besuch eines Muse­ums oder der Ver­kauf von Spiel­zeug auf einem Floh­markt sein, die nun umge­setzt wer­den kön­nen. Sie sind wie­der­um Aus­gangs­punkt für wei­te­re Beob­ach­tun­gen und dia­lo­gi­sche Klä­run­gen. Zugleich bie­ten die vali­dier­ten The­men auch die Mög­lich­keit, sich mit ande­ren Adressat:innen zu die­sen The­men zu tref­fen, um Gemein­sa­mes zu erle­ben und eine öffent­li­chen Stim­me zu ent­wi­ckeln.

Die im Teil­hab­einstru­ment Ber­lin for­mu­lier­te Ziel­di­men­sio­nen: Par­ti­zi­pa­ti­on, Empower­ment, Sozi­al­raum­ori­en­tie­rung und Willenszentrierung[7] der Ein­glie­de­rungs­hil­fe lässt es zudem sinn­voll erschei­nen, die von den jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung ein­ge­brach­ten The­men in das Zen­trum der Orga­ni­sa­ti­on zu rücken. Es erge­ben sich bei­spiels­wei­se die Fra­ge­stel­lung:

  • Wie kann sich das Team/die Orga­ni­sa­ti­on wei­ter­ent­wi­ckeln, um auf die gefun­de­nen The­men und Bedürf­nis­sen zu reagie­ren?
  • Wie kön­nen Struk­tu­ren geschaf­fen wer­den, die ein Mehr an direk­ter Teil­ha­be ermög­li­chen?


Zudem weist die Ziel­di­men­si­on der Sozi­al­raum­ori­en­tie­rung über die Orga­ni­sa­ti­on hin­aus. Die vali­dier­ten The­men bie­ten die Mög­lich­keit eines Abglei­ches mit den vor­han­de­nen Ange­bo­ten im Sozi­al­raum. Hier­bei erscheint ins­be­son­de­re die Offe­ne Kin­der- und Jugend­ar­beit, mit ihrem inklu­si­ven Auf­trag, ein viel­ver­spre­chen­der Koope­ra­ti­ons­part­ner zu sein.[8]


Ausblick

Die GEBe-Arbeits­wei­se hat somit das Poten­ti­al, eine ganz­heit­li­che Lösung für Fra­ge­stel­lun­gen in den unter­schied­li­chen Dimen­sio­nen der Qua­li­täts­si­che­rung und ‑ent­wick­lung für die Ein­glie­de­rungs­hil­fe zu bie­ten. Zugleich weist sie vie­le Anknüp­fungs­punk­te an die in Ber­lin bestehen­de Pra­xis der EGH auf, sodass eine Imple­men­tie­rung auf bereits vor­han­de­ne Struk­tu­ren auf­bau­en kann.


*Mit der Ein­füh­rung des Teil­hab­einstru­ment Ber­lin (TiB) in die ambu­lan­te Ein­glie­de­rungs­hil­fe für jun­ge Men­schen mit Behin­de­rung ste­hen Fach­kräf­te vor der Her­aus­for­de­rung eine umfas­sen­de Par­ti­zi­pa­ti­on von jun­gen Men­schen mit Behin­de­rung (EGH) sicher­zu­stel­len. (Komo­rek, Micha­el 2019)


[1] Vgl. Sturzenhecker/Schwerthelm 2016, S. 73ff

[2] Vgl. ebd.

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. a.a.O., S. 116f

[5] Hahn 1999; S. 24

[6] Vgl. Sturzenhecker/Schwerthelm 2016, S. 128f

[7] Vgl. Komo­rek, Micha­el 2019, S. 3

[8] Vgl. mit­ten­drin e.V 2020, S. 11ff


Zum Autor: Ste­fan Wil­lich ist Team­lei­ter bei der Ein­horn gGmbH und arbei­tet damit an der Schnitt­stel­le zwi­schen Kin­der- und Jugend­hil­fe und dem Ein­glie­de­rungs­hil­fe­be­reich.

Sie möch­ten mehr dar­über wis­sen? In der Fort­bil­dung „Betei­li­gung und Teil­ha­be von Kin­dern und Jugend­li­chen in der Ein­glie­de­rungs­hil­fe“ mit Ste­fan Wil­lich wird Ihnen die GEBe-Arbeits­wei­se näher­ge­bracht.


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Titel­bild:

Ste­fan Wil­lich

Lite­ra­tur:

Hahn, Mar­tin Th.: Anthro­po­lo­gi­sche Aspek­te der Selbst­be­stim­mung. In: Wil­ken, Etta; Vah­sen, Fried­helm: Son­der­päd­ago­gik und Sozia­le Arbeit. Rah­bi­li­ta­ti­on und sozia­le Inte­gra­ti­on als gemein­sa­me Auf­ga­be. Ber­lin: Leuch­terhand, 1999 (S. 14 – 31)

INSOS (Hrsg.): Das Kon­zept der Funk­tio­na­len Gesund­heit. Grund­la­gen, Bedeu­tung und Ein­satz­mög­lich­kei­ten am

Bei­spiel der Behin­der­ten­hil­fe, 2009

Komo­rek, Micha­el: Wis­sen­schaft­li­che Beglei­tung und par­ti­zi­pa­ti­ve Aus­wer­tung der Pilo­tie­rung des Teil­hab­einstru­ment Ber­lin (TIB), 2019

Mit­ten­drin e.V. (Hrsg.): Chil­len inklu­si­ve. Die inklu­si­ve Ent­wick­lung von Orten der Offe­nen Jugend­ar­beit aus der

Nutzer:innenperspektive. Nor­der­stedt: BoD – Books on Demand, 2020

Stur­zen­he­cker, Bene­dikt; Schwert­helm, Moritz: Gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment von Benach­tei­lig­ten för­dern Band 2.

Metho­di­sche Anre­gun­gen und Pra­xis­bei­spie­le für die Offe­ne Kin­der und Jugend­ar­beit. Güters­lo­he: Ver­lag Ber­tels­mann Stif­tung, 2016

Stur­zen­he­cker, Bene­dikt; Glaw, Tho­mas; Schwert­helm, Moritz: Gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment von Benach­tei­lig­ten för­dern Band 3. Koope­ra­tiv in der Kom­mu­ne demo­kra­ti­sches Enga­ge­ment von Kin­dern und Jugend­li­chen ermög­li­chen. Güters­lo­he: Ver­lag Ber­tels­mann Stif­tung, 2020

Betei­li­gung und Teil­ha­be von Kin­dern und Jugend­li­chen in der Ein­glie­de­rungs­hil­fe


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