GEBe – Eine Arbeitsweise, um gesellschaftliche Teilhabe von jungen Menschen mit Behinderung zu fördern
In diesem Fachbeitrag erläutert Stefan Willich Schritte zur Umsetzung der sogenannten informellen Beteiligung und Teilhabe für junge Menschen mit Behinderung in der ambulanten Eingliederungshilfe.
Die Partizipation junger Menschen mit Behinderung in der ambulanten Eingliederungshilfe (EGH) ist nicht nur erwünscht, sondern auch rechtlich festgelegt*. Doch damit sich Strukturen verändern können, braucht es konkrete Handlungsanweisungen zur Umsetzung. Hierbei scheint insbesondere die unmittelbare Arbeit mit den Leistungsberechtigten der EGH ein geeigneter Ausgangspunkt zu sein, denn die alltägliche Lebenssituation von jungen Menschen mit Behinderung, ihre Teilnahme und Teilhabe an Gesellschaft stehen im Fokus des Auftrages der EGH.
Das alltägliche Handeln von jungen Menschen (mit Behinderungen) sowie ihre Partizipation sind ebenfalls Schwerpunkt der GEBe (Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern) Arbeitsweise, welche für die Offenen Kinder und Jugendarbeit (OKJA) entwickelt wurde.[1]
Dabei handelt es sich weniger um eine Liste von Arbeitsschritten, welche abzuarbeiten ist, sondern vielmehr um einen sich aufbauenden Kreislauf.
Die Interaktionen von jungen Menschen mit Behinderung und Fachkräften innerhalb des Hilfesettings sind ein
geeigneter Ausgangspunkt für gesellschaftliches Engagement und Demokratiebildung, da relevante Themen der Adressat:innen stets in alle ihre Aussagen und Handlungen inkludiert sind.[2]
Schritt 1: Dokumentation – Welche Themen haben Menschen mit Behinderung?
Die GEBe Arbeitsweise umfasst in einem ersten Schritt das schriftliche Dokumentieren von Beobachtungen als Grundlage für die Entdeckung von Themen der Adressat:innen, also der jungen Menschen. In Form einer kollegialen Auswertung der Beobachtung werden Themen erkannt und durch Rückmeldungen an die jungen Menschen erweitert und präzisiert. Die Umsetzung und Veröffentlichung von kleinen thematischen Projekten erfolgt im Hilfesetting und ermöglicht in Form weiterer Beobachtungen ein erneutes Durchlaufen des somit umschriebenen GEBe-Kreislaufes.
Schritt 2: Reflexion – Ressourcen und Potenziale entdecken
Um die gesellschaftlichen Themen der jungen Menschen mit Behinderung zu entdecken, erscheint eine verschriftliche Beobachtung zielführend, da die schriftliche Dokumentation es den Fachkräften ermöglicht, in einem zweiten Schritt kollegial, beispielweise in Teamsitzungen, ihre Wahrnehmung zu reflektieren, ihr Handeln zu begründen und mögliche Themen der Adressat:innen auszuwerten.[3]
Hierbei steht die Ermöglichung von Umdeutungen im Vordergrund, beispielsweise werden als störend und herausfordernd wahrgenommene Handlungen als Erprobungs- und Bewältigungsversuche erkennbar, in welchen Ressourcen und Potenziale entdeckt werden können.[4]
Die hiermit verbundene Anerkennung von selbstbestimmten Handlungen von jungen Menschen mit Behinderung sind für Martin Hahn die Basis für die Teilnahme an Gesellschaft und ein Wesensmerkmal des Menschen.[5]
Schritt 3: Dialog – Austausch auf Augenhöhe
Ausgehend von der Frage: „Welche gesellschaftlichen relevante Themen/welche Interessen an Teilhabe lassen sich aus den Beobachtungen ableiten?“ eröffnet Schritt drei einen Dialog zwischen jungen Menschen mit Behinderung und Fachkraft. Diese dialogische Rückmeldung der Fachkraft dient zum einen der Validierung des Themas (Habe ich dich richtig verstanden?) und zeigt zum anderen dem jungen Menschen mit Behinderung, dass seine Äußerungen relevant für die Gestaltung der Hilfe sind. Im folgenden Prozess, der reziproken Ausgestaltung der Hilfe, werden die Handlungen des jungen Menschen mit Behinderung nicht diagnostiziert und bewertet, sondern Inhalt einer gemeinsamen Aushandlung darüber, was, wie und wozu getan werden soll.[6]
Schritt 4: Implementierung und Weiterentwicklung
Themen können beispielsweise der Besuch eines Museums oder der Verkauf von Spielzeug auf einem Flohmarkt sein, die nun umgesetzt werden können. Sie sind wiederum Ausgangspunkt für weitere Beobachtungen und dialogische Klärungen. Zugleich bieten die validierten Themen auch die Möglichkeit, sich mit anderen Adressat:innen zu diesen Themen zu treffen, um Gemeinsames zu erleben und eine öffentlichen Stimme zu entwickeln.
Die im Teilhabeinstrument Berlin formulierte Zieldimensionen: Partizipation, Empowerment, Sozialraumorientierung und Willenszentrierung[7] der Eingliederungshilfe lässt es zudem sinnvoll erscheinen, die von den jungen Menschen mit Behinderung eingebrachten Themen in das Zentrum der Organisation zu rücken. Es ergeben sich beispielsweise die Fragestellung:
- Wie kann sich das Team/die Organisation weiterentwickeln, um auf die gefundenen Themen und Bedürfnissen zu reagieren?
- Wie können Strukturen geschaffen werden, die ein Mehr an direkter Teilhabe ermöglichen?
Zudem weist die Zieldimension der Sozialraumorientierung über die Organisation hinaus. Die validierten Themen bieten die Möglichkeit eines Abgleiches mit den vorhandenen Angeboten im Sozialraum. Hierbei erscheint insbesondere die Offene Kinder- und Jugendarbeit, mit ihrem inklusiven Auftrag, ein vielversprechender Kooperationspartner zu sein.[8]
Ausblick
Die GEBe-Arbeitsweise hat somit das Potential, eine ganzheitliche Lösung für Fragestellungen in den unterschiedlichen Dimensionen der Qualitätssicherung und ‑entwicklung für die Eingliederungshilfe zu bieten. Zugleich weist sie viele Anknüpfungspunkte an die in Berlin bestehende Praxis der EGH auf, sodass eine Implementierung auf bereits vorhandene Strukturen aufbauen kann.
*Mit der Einführung des Teilhabeinstrument Berlin (TiB) in die ambulante Eingliederungshilfe für junge Menschen mit Behinderung stehen Fachkräfte vor der Herausforderung eine umfassende Partizipation von jungen Menschen mit Behinderung (EGH) sicherzustellen. (Komorek, Michael 2019)
[1] Vgl. Sturzenhecker/Schwerthelm 2016, S. 73ff
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. a.a.O., S. 116f
[5] Hahn 1999; S. 24
[6] Vgl. Sturzenhecker/Schwerthelm 2016, S. 128f
[7] Vgl. Komorek, Michael 2019, S. 3
[8] Vgl. mittendrin e.V 2020, S. 11ff
Zum Autor: Stefan Willich ist Teamleiter bei der Einhorn gGmbH und arbeitet damit an der Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe und dem Eingliederungshilfebereich.
Sie möchten mehr darüber wissen? In der Fortbildung „Beteiligung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in der Eingliederungshilfe“ mit Stefan Willich wird Ihnen die GEBe-Arbeitsweise nähergebracht.
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Titelbild:
Stefan Willich
Literatur:
Hahn, Martin Th.: Anthropologische Aspekte der Selbstbestimmung. In: Wilken, Etta; Vahsen, Friedhelm: Sonderpädagogik und Soziale Arbeit. Rahbilitation und soziale Integration als gemeinsame Aufgabe. Berlin: Leuchterhand, 1999 (S. 14 – 31)
INSOS (Hrsg.): Das Konzept der Funktionalen Gesundheit. Grundlagen, Bedeutung und Einsatzmöglichkeiten am
Beispiel der Behindertenhilfe, 2009
Komorek, Michael: Wissenschaftliche Begleitung und partizipative Auswertung der Pilotierung des Teilhabeinstrument Berlin (TIB), 2019
Mittendrin e.V. (Hrsg.): Chillen inklusive. Die inklusive Entwicklung von Orten der Offenen Jugendarbeit aus der
Nutzer:innenperspektive. Norderstedt: BoD – Books on Demand, 2020
Sturzenhecker, Benedikt; Schwerthelm, Moritz: Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern Band 2.
Methodische Anregungen und Praxisbeispiele für die Offene Kinder und Jugendarbeit. Güterslohe: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2016
Sturzenhecker, Benedikt; Glaw, Thomas; Schwerthelm, Moritz: Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern Band 3. Kooperativ in der Kommune demokratisches Engagement von Kindern und Jugendlichen ermöglichen. Güterslohe: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2020
Beteiligung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in der Eingliederungshilfe
Seminar mit Stefan Willich
Wirkung und Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe in Berlin
Seminar mit Regina Schödl und Anika Göbel