Soziale Einrichtungen in New York City
Eindrücke der Bildungsreise 2022
Welche Unterschiede lassen sich in der sozialen Arbeit zwischen der USA und dem deutschen Raum erkennen? Welche neuen Ansätze und Perspektiven für die Arbeit im deutschen System mitnehmen? In der Fortbildungsreise nach New York City haben die Teilnehmenden die Chance, die Arbeit vor Ort kennenzulernen und sich mit Sozialarbeiter:innen in verschiedenen Projekten auszutauschen.
Das Programm wird dabei jedes Mal individuell nach den Berufsfeldern der Teilnehmenden zusammengestellt. Menschen aus dem Bereich Jugend- und Familienhilfe, Behindertenhilfe, Freiwilligenmanagement sowie Geschäftsführende aus unterschiedlichen Organisationen aus Deutschland waren 2022 dabei. Nach einer pandemiebedingen Pause sind für unsere Bildungsreise nach New York City im Oktober 14 Teilnehmende zusammengekommen. Die Gruppe besuchten an fünf Tagen verschiedenene soziale Einrichtungen vor Ort.
Jeden Tag nach einem kurzen Briefing am Morgen fahren alle gemeinsam zur ersten Einrichtung. Nach der Begrüßung und Vorstellung stellen sich die Gastgeber:innen mit ihren Programmen vor und versuchen dabei, auf die Interessen der Besucher:innen aus Deutschland einzugehen. Mit Fragen und Diskussionen kann ein Besuch bis zu vier Stunden gehen. Da eine zusammenfassende Übersetzung der Gespräche in den Einrichtungen erfolgt, sind gute Englischkenntnisse keine Voraussetzung für die Teilnahme. Die Zeit zwischen den Einrichtungen und der Feierabend wird von den meisten natürlich gern für Sightseeing-Aktivitäten genutzt. Der vergangene Tag wird in der Regel am nächsten Folgemorgen reflektiert. Melden Sie sich für Bildungsreise 2023 hier an!
Eindrücke aus den Einrichtungen der Bildungsreise 2022
Einen besonders bleibenden Eindruck haben die Einrichtungen hinterlassen, in denen sich die Ansätze stark von deutschen Einrichtungen unterscheiden. Das waren beispielsweise die verschieden Settlement-Projekte und ein Zentrum für unabhängiges Leben von Menschen mit Behinderung CIDNY. Auf diese Erfahrungen möchten wir an dieser Stelle gesondert eingehen.
University Settlement – Alle(s) unter einem Dach
In den 1880er Jahren wurde die Lower East Side von neuen Einwandernden besiedelt, deren Leben von Armut geprägt war. 1886 wurde hier das University Settlement gegründet und damit die amerikanische Siedlungshausbewegung geboren. Bald folgten weitere Siedlungshäuser in der Lower East Side, in Chicago und im ganzen Land.
University Settlement ist heute für rund 40.000 Menschen in der Umgebung zuständig. Genauer bedeutet das, es wird ihnen Raum gegeben, sich zu organisieren. Damit wird ein großer Unterschied zum deutschen System deutlich. Denn in Deutschland hat das Individuum einen Rechtsanspruch auf Leistungen. Der Staat wird somit in die Verpflichtung genommen, diesem Rechtsanspruch zu entsprechen. Der Bezirk, in dem eine Person gemeldet ist, hat die Zuständigkeit. Da dem im US-amerikanischen System nicht so ist, kann der Staat bzw. die Stadt New York auch nicht in die Verpflichtung genommen werden. Menschen können Leistungen wie Hilfen zu Erziehung hier nicht einklagen oder sich bei Bedarf an Schied- oder Ombudstellen wenden.
Wenn Menschen nicht zu ihren Leistungen kommen, fungieren Communities wie die University Settlement als Auffangbecken. Die Rechtsansprüche sind Community-basiert. Demzufolge wird in einem Haus gemeinsam darüber entschieden, wie man den Einzelnen helfen kann.
Bis zu 40 Klient:innen haben hier haupt- und viele ehrenamtliche Mitarbeitende, die als Ansprechpartner:innen vor Ort sind. Ein großer Vorteil trotz ungeregelter Arbeitszeiten: die Nähe und Vertraulichkeit zwischen Sozialarbeiter:innen und Bewohner:innen. Hier wird nicht vom Leistungsanspruch aus gedacht. Familien, Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Einschränkungen und Sozialarbeiter:innen führen ein gemeinschaftliches Miteinander.
Wäre so ein Ansatz in Deutschland möglich? Die Grundverschiedenheit der Rechtssysteme macht die Beantwortung der Frage sehr schwierig.
Fordham University – Studium mit großem Praxisbezug
Weiter ging es nach Fordham. Wie erfahren, die Studierenden dieser Hochschule sind stark in einem neuen Projekt der University Settlement eingebunden. In der Fakultät für Social Services an der Hochschule Fordham werden ein Bachelor und ein Master in Sozialer Arbeit angeboten. Darüber hinaus ein PhD (Doktorat) in Sozialer Arbeit und ein Zertifikatskurs Management von Non-Profit-Einrichtungen.
CIDNY – Was wir in Sachen Partizipation und Teilhabe noch lernen können
CIDNY Ist eine 1978 gegründete gemeinnützige Organisation. Sie ist Teil der Independent Living Centers-Bewegung: ein nationales Netzwerk von Basis- und Gemeinschaftsorganisationen, welche die Möglichkeiten
für Menschen mit Behinderungen verbessern, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten.
„Eine sehr schöne Einrichtung. Uns wurde vor Ort ein durchgetaktetes Programm mit vielen Sprecher:innen geboten. 60% der Belegschaft hatte selbst eine Behinderung. Der ICF-Begriff ist hier angekommen. Alles wird
an Teilhabe gemessen.” stellt eine unserer Teilnehmerinnen fest. „Indem wir in Deutschland versuchen, vor falschen Entscheidungen zu schützen, wird die Teilhabe etwas verhindert. Bei uns ist es eher ein partizipativer Prozess. Jemanden mit einer Behinderung in eine Spitzenposition zu setzen, findet in unserer Arbeit noch nicht gezielt statt.”
The Door – Es kommt darauf an, einen Plan zu haben!
Im Namen dieses Ortes steckt bereits sein Ziel: The Door ist eine offene Tür. Das Haus hat sich vor allem auf Angebote für junge Menschen spezialisiert. Was auf den ersten Blick nach offener Jugendarbeit aussieht, funktioniert jedoch sehr streng nach Plan. Alle, die in die Einrichtung kommen, wissen genau, wohin es gehen soll.
Gut geschulte und ausgebildete Mitarbeiter:innen nehmen die Rolle der Supervision ein und stehen den Jugendlichen zur Seite, um mit ihnen einen persönlichen Plan zu erstellen und durchzuziehen. Zwei betreute Wohngemeinschaften für junge Erwachsene sowie Beratungsangebote für die Themen Schule, Bildung, Job, Gesundheit und Recht, sowie viele weitere Freizeitangebote werden dort und an zwei weiteren Außenstellen von The Door angeboten.
Konflikte kommen natürlich auch mal vor. Wenn es zu unerwünschten oder delinquentem Verhalten kommt, wird dies in Gesprächen unter Mitarbeitenden thematisiert. Aber auch die Jugendlichen selbst werden stark in die Werte des Zusammenlebens mit eingebunden. Ein Umgang auf Augenhöhe hat bei The Door einen großen Stellenwert.
Viele weitere Eindrücke konnten unsere Teilnehmenden auf Ihrer Reise und im intensiven Austausch mit Sozialarbeiter:innen sammeln. Die Strukturen der US-amerikanischen Sozialsysteme wurden im unmittelbaren Praxisbezug kennengelernt. Ebenso wurde ein Verständnis sozialer Wertvorstellungen der US-amerikanischen Gesellschaft vertieft. Die vielen neuen Kontakte und die gewonnenen Perspektiven verarbeiten wir bereits in der Planung der nächsten Fortbildungsreise im Oktober 2023. Um sich dafür anzumelden, informieren Sie sich auf der Veranstaltungsseite.
Ansprechpartnerin für die Bildungsreise ist Dilek Yüksel (Tel: 030/275 82 82 28, Mail: yueksel@akademie.org).
Titelbild & Fotos: Dilek Yüksel
Personenzentrierung in der Eingliederungshilfe
Seminar mit Prof. Dr. Michael Komorek
Beteiligung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in der Eingliederungshilfe
Seminar mit Stefan Willich