Die Seeschule Rangsdorf auf dem Weg zur agilen und selbstorganisierten Bildungseinrichtung
Melanie Roy und Sophie Eckart arbeiten im Bereich Wohngruppe und Internat an der Seeschule Rangsdorf. Sie verfolgen das Ziel, die Effektivität, Attraktivität und Qualität ihres Arbeitsfelds steigern. Dabei probierten sie verschiedene Methoden des agilen Arbeitens aus. In der Pionierwerkstatt Agilität an der Paritätischen Akademie Berlin wurden sie dabei über ein Jahr lang begleitet. Im Interview erzählen sie uns anhand von 9 Fragen, was sie nun anders machen.
Die Seeschule Rangsdorf ist mehr als eine gewöhnliche Schule. Auf dem Gelände am Rangsdorfer See des seit1989 bestehenden Vereins gibt es Oberschule, Gymnasium und Kita und auch ein Internat mit integrierter Wohngruppe.
Was ist die Seeschule Rangsdorf für eine Einrichtung und wie viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind dort täglich unterwegs?
Melanie Roy: Wir betreiben als Verein einen Campus bestehend aus Oberschule und Gymnasium ab 7. Klasse, eine Kita, eine Wohngruppe, als auch ein Internat. Wir arbeiten inklusiv. Wir erweitern mittelfristig unsere Kita und ergänzen um den Bereich BEW sowie ambulante Hilfen.
Die Schulen haben Platz für 250 Kinder, wovon etwa ein Viertel auf dem Gelände wohnen kann. Leider nicht in der schulfreien Zeit, dafür aber mittlerweile auch an jedem 2. Wochenende. Etwa 73 Mitarbeitende dürften auf dem Gelände unterwegs sein.
Für welche Bereiche seid ihr beide speziell tätig?
Melanie Roy: Ich bin für den Bereich Wohngruppe und Internat zuständig und führe dort die Geschäfte. Es macht mir Freude, Themen, Strukturen als auch Probleme zu betrachten und nach Ideen zu schauen, die wir nutzen können, um uns weiterzuentwickeln. Ich liebe es, Verbesserungen zu realisieren.
Sophie Eckart: Ich bin pädagogische Mitarbeiterin. Mein Tätigkeitsbereich untergliedert sich in zwei verschiedene
Bereiche. Im Frühdienst begleite ich die Jugendlichen der Wohngruppe im schulischen Kontext. Das bedeutet, dass wir Unterrichtshospitationen durchführen, den Jugendlichen und Lehrern zur Seite stehen, wenn Problematiken auftreten und jederzeit Ansprechpartner für unsere Schützlinge sind. Im Nachmittagsbereich begleite ich die
Jugendlichen im Alltag. Das inkludiert unter anderem verschiedene Gruppenangebote, Begleitung von Lernzeiten, Gespräche zu jeglichen Anliegen, um die bestmögliche Unterstützung für die Jugendlichen zu erreichen. Uns ist es wichtig jeden Jugendlichen als Individuum zu sehen und ihm einen bestmöglichen Rahmen zu bieten, um sich weiterzuentwickeln und zu einer eigenständigen Persönlichkeit heranzuwachsen.
Mit welchem Ziel habt ihr euch dazu entschieden, an der Pionierwerkstatt der Paritätischen Akademie teilzunehmen? Wie kam es dazu?
Melanie Roy: Ich habe vor fast 3 Jahrzehnten meine Diplomarbeit über das Thema „soziale Arbeit als organisationsentwicklerische Tätigkeit“ geschrieben. Wirtschaftsbegriffe in die soziale Arbeit zu übertragen war für die Dozierenden an der Fachhochschule Frankfurt am Main mit ihrem alt 68er Charme ein gewisser Affront zur damaligen Zeit. Da war „Sozialmanagement“ noch kein Begriff. Das habe ich dann später noch berufsbegleitend studiert.
Mir sind im Laufe der Zeit mit zunehmendem Trend die Themen New Work, agil, integral und so weiter vor die Füße gefallen. Natürlich auch das Buch von Frédéric Laloux „Reinventing Organizations“*. Mit den Inhalten saß ich dann verzweifelt da und habe mich gefragt, wie das in den sozialen Arbeitsbereich zu übertragen ist. Ich habe zwar gefühlt, dass die Paradigmen eine gute Sache sind, aber keine Ahnung gehabt, wie und ob das zu implementieren geht.
Dann hatte ich die ersten Fortbildungen bei Björn Schmitz an der Paritätischen Akademie zu diesem Thema. So sind die Puzzleteile dann an ihren Platz gefallen. Anstelle von Leitungssupervision, habe ich die „Führungsnuggets“ mit möglichst vielen Mitarbeitern aus dem Leitungsteam genutzt. Die Pionierwerkstatt war in Folge ein großartiges Format, um mit diesen Themen am Ball zu bleiben. Und die Einladung, das zu zweit zu machen, also Führungskraft und Mitarbeiter:in, finde ich genial. Anfangs hat mir das etwas Sorgen bereitet, aber rückblickend war das nicht nötig. Da wir das Glück hatten, Fördermittel bei der ILB** beantragen zu können haben wir die Kosten auch auf 2 für 1 reduzieren können.
Sophie Eckart: Melanie sprach mich im vergangenen Jahr an und erzählte mir von dieser Weiterbildung und fragte mich im Zuge dessen, ob ich Lust hätte dies gemeinsam mit ihr im Tandem zu machen. Zunächst konnte ich mir wenig darunter vorstellen. Wie kann ich, als pädagogische Mitarbeiterin, auch davon profitieren? Da es langfristig jedoch mein Ziel ist, eine Leitungsposition zu übernehmen, erschloss sich mir schnell, wie auch ich dies für meine berufliche Zukunft nutzen kann. Hinzu kam, dass Melanie sehr begeistert von der Arbeit des Dozenten Björn Schmitz aus ihren bisherigen Fortbildungen berichtete. Das Themengebiet weckte schon nach den ersten Terminen großes Interesse bei mir und wir konnten gemeinsam schauen, wie wir als Institution und vor allem wir als Team uns weiterentwickeln können.
Das waren ja erstmal viele Leitungs- und Führungsthemen, die für mich vorher nicht ganz greifbar waren. Im Nachhinein muss ich sagen, fand ich das unfassbar gewinnbringend für uns beide und auch fürs Team. Es steht nicht eine Person allein da und muss das Ganze etablieren und umsetzen, sondern wir können gemeinsam schauen, was wichtig ist und was wir davon nutzen können.
Das zu Zweit zu machen, also Führungskraft und Mitarbeiter:in, finde ich genial. Anfangs hat mir das etwas Sorgen bereitet, aber rückblickend war das nicht nötig. Da wir das Glück hatten, Fördermittel bei der ILB beantragen zu können, haben wir die Kosten auch auf 2 für 1 reduzieren können.
Melanie Roy
Habt ihr eigene Themen mit in die Werkstatt gebracht, für die ihr nun Lösungsansätze entwickeln konntet?
Melanie Roy: Zu Beginn der Werkstatt haben wir herausgefunden, dass uns das Thema Meetingkultur sehr beschäftigt und wir uns das vornehmen möchten. Das, was wir als „schlecht“ empfunden haben, hat dann erstmal Namen bekommen: Popcorn-Info- und Trichterveranstaltung, zu wenig Dynamik, mangelnde Vorbereitung, wem gehört die Sitzung, sitzen die richtigen Leute am Tisch und so weiter.
Wir konnten das einbringen, haben Feedback bekommen und haben uns danach einen neuen Plan gemacht. Zu diesem Prozess gehörte auf jeden Fall sowas wie: Sortenreinheit des Meetings, Check-In und Auswertung, More Drama, Fokus auf das Beeinflussbare, kein Meeting ohne Moderation, Einbeziehung aller, Methoden anwenden, Vorbereitung, Einführung bestimmter Formate, Kanban Bords, und vieles mehr.
Aber auch für andere Vorhaben im Betrieb haben wir konkrete Unterstützung bekommen, damit wir uns erstmal im Wald der Möglichkeiten orientieren können.
Hat sich eure Meetingkultur seitdem verbessert?
Sophie Eckart: Wir sind auf dem Weg und haben einen guten Anfang gemacht. Auch, wenn es vielleicht manchmal hart war, haben wir gutes Feedback bekomme. Nachdem wir unsere Ideen bei der Fortbildung vorgestellt hatten, haben wir sowohl von den Teilnehmenden als auch von Björn Schmitz gute Anregungen erhalten. Daraufhin konnten wir schauen, wie wir nachjustieren können und was wir verändern können. Besonders gut war, dass es auch immer einen Rückblick gab. Da haben wir uns angesehen, was wir im letzten Termin mitgenommen haben, was wir umgesetzt und ausprobiert haben und wo wir weiter ansetzen wollen. Wir sind noch lange nicht am Ende angekommen und freuen uns gemeinsam mit dem Team neue Methoden auszuprobieren und zu etablieren.
Wie soll sich euer Bereich der Jugendhilfe an der Seeschule Rangsdorf entwickeln?
Melanie Roy: Für unseren Bereich habe ich die Hoffnung, dass alle Spaß an der Arbeit haben, jeder die ein oder andere Methode findet, die auch auf anderer Ebene hilfreich sein kann, das Miteinander dadurch vielfältiger wird, Lösungen schneller gefunden werden, sich jeder auf seinem Posten kompetent und handlungsfähig fühlt, Einflussbereiche geklärt sind, unnötige Regeln über Bord gehen und durch Relevantes ersetzt werden, dass Veränderung zum Alltag gehören kann. Und muss, denn von unseren Jugendlichen erwarten wir genau das.
Welche Tools oder Methoden nehmt ihr mit? Was hat euch besonders geholfen?
Melanie Roy: Für mich war der größte Aha-Moment die Erkenntnis, dass wir, wie Björn Schmitz es sagt, „irrend voran robben“ können. Bisher habe ich mich nach Fortbildungen noch nicht fortgebildet genug gefühlt, um Dinge umzusetzen und habe lieber noch eine Ausbildung gemacht. Oder das Thema begraben. Das ist hier ein ganz gravierender Unterschied für mich gewesen. Ich bin eingedeckt mit Methoden und Informationen und fühle mich frei, daraus einfach Dinge auszuprobieren. Nach und nach etabliert sich das ein oder andere im Alltag.
Sophie Eckart: Wir haben bei der Weiterbildung so viele Methoden an die Hand bekommen, welche wir nach und nach für uns ausprobieren werden. Melanie und ich schauen gemeinsam, welche Methoden wir zu bestimmten Themen anwenden können und haben uns hier schon eine kleine Struktur angelegt. Erste Methoden sind bereits etabliert und andere werden wir in der Zukunft auf jeden Fall noch ausprobieren. Learning by doing ist hier die maßgebliche Richtung. Wir sind durch die Weiterbildung auf jeden Fall probierfreudiger geworden. Geholfen hat mir vor allem auch immer wieder der gemeinsame Rückblick in der Gruppe, was wurde bereits ausprobiert und was wollen wir in Zukunft noch ausprobieren. Hierdurch konnten wir durch die anderen Teilnehmenden und Björn Schmitz eine Rückmeldung erhalten und weitere Ideen entwickeln.
Die Fehlerfreundlichkeit ist auch ein wichtiger Aspekt für mich. Am Anfang wollten alles am besten ganz genau durchplanen. Doch es muss eigentlich gar nicht perfekt sein. Wir haben es gerade selber erst gelernt. So kommunizieren wir das auch dem Team. Wir probieren jetzt einfach mal aus und dann gucken wir, ob es passt oder nicht, oder ob wir etwas nachjustieren. Ansonsten haben wir wirklich vieles an die Hand bekommen und separieren jetzt gerade einfach für uns. Was können wir mitnehmen? Was können wir für die Teamsitzung und für die Fallbesprechungen anwenden und was bringt uns weiter?
Bisher habe ich mich nach Fortbildungen noch nicht fortgebildet genug gefühlt, um Dinge umzusetzen und habe lieber noch eine Ausbildung gemacht. Oder das Thema begraben. Das ist hier ein ganz gravierender Unterschied für mich gewesen.
Melanie Roy
Konntet ihr von den anderen Teilnehmenden aus sozialen Einrichtungen etwas für euch mitnehmen?
Melanie Roy: Ja, auf jeden Fall. Das kommt zum Wert der Fortbildung noch obendrauf, dass ich von den anderen lernen kann und etwas über die anderen Arbeitsbereiche erfahre. Es war darüber hinaus eine super nette Gruppe, in der sich jeder gut öffnen konnte.
Sophie Eckart: Der Austausch mit den anderen Teilnehmern war wirklich sehr produktiv. Auch wenn es unterschiedliche Einrichtungen waren, konnten gemeinsame Problematiken abgeglichen werden und gegenseitige Ratschläge ausgetauscht werden. Außerdem war es gut durch die anderen Teilnehmer ganz andere Perspektiven zu erlangen. Förderlich war hier natürlich sehr die Offenheit und Unvoreingenommenheit der Gruppe.
Es muss eigentlich gar nicht perfekt sein. Wir haben es gerade selber erst gelernt. So kommunizieren wir das auch dem Team. Wir probieren jetzt einfach mal aus und dann gucken wir, ob es passt oder nicht, oder ob wir etwas nachjustieren.
Sophie Eckart
Wie konntet ihr die intensive Fortbildung mit eurem Arbeitsalltag organisieren? Habt ihr Tipps für zukünftige Teilnehmende?
Melanie Roy: Für mich ist das weniger ein Problem, weil ich nicht aus einem Dienstplan herausfalle. Ich fand das Format als Kombination aus analog und digital ganz hervorragend gewählt. Es war auch ausreichend Zeit dazwischen, um sich mit dem Gelernten zu beschäftigen.
Sophie Eckart: Da die Termine lange im Voraus bekannt waren, konnten die Dienste dementsprechend frühzeitig geplant und vertreten werden. Das war dann relativ gut machbar. Wichtig ist jedoch, dass man sich ebenfalls Zeit einräumt, um die Weiterbildung für sich zu reflektieren und zu schauen, was man an Methoden integrieren kann.
Vielen herzlichen Dank für das Interview! Wir wünschen euch noch viel Erfolg bei der Weiterverfolgung eurer Ziele in der Seeschule Rangsdorf (hier lernen Schüler*innen individuell und motiviert fernab vom Stress – mehr über die Seeschule).
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*Im Beitrag erwähntes Buch: Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit (M. Kauschke, Übers.; 1. Aufl.). Vahlen, Franz.
**ILB = Investitionsbank des Landes Brandenburg des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg
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Redaktion: Julia Mann (Paritätische Akademie Berlin)
Foto im Titelbild: Seeschule Rangsdorf e.V.
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