Maga­zin

März 2022 | Manage­ment

ein Gast­bei­trag von Dr. Hol­ger Well­mann

Das Betrieb­li­che Gesund­heits­ma­nage­ment (BGM) hat in den letz­ten Jah­ren in vie­len Bran­chen und Betrie­ben zuneh­mend an Akzep­tanz gewon­nen. Mehr noch: Es ist Aus­druck einer geleb­ten Unter­neh­mens­kul­tur und

wirkt sich nicht nur posi­tiv auf die Gesund­heit und Leis­tungs­fä­hig­keit der Beschäf­tig­ten aus, son­dern ist auch ein „Aus­hän­ge­schild“ für vie­le Betrie­be. Sie wer­ben z.B. mit ihrem BGM, wenn es um die Gewin­nung und Bin­dung von

Fach­kräf­ten geht.

Aller­dings ist BGM bei wei­tem noch kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Unwis­sen­heit über die Inhal­te, die kon­kre­te Umset­zung und die viel­fäl­ti­gen Wir­kun­gen des BGM spie­len dabei häu­fig eine Rol­le. Hin­zu kom­men oft feh­len­de zeit­li­che Res­sour­cen – aber auch die Fra­ge der Hal­tung, wenn es um das The­ma Gesund­heit geht: Ist sie „Pri­vat­sa­che“ – oder inwie­weit sehen es die Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen von Orga­ni­sa­tio­nen als gewinn­brin­gend an,

über den Arbeits- und Gesund­heits­schutz hin­aus in die Gesund­heits­för­de­rung der Mit­ar­bei­ten­den zu inves­tie­ren? Schließ­lich exis­tie­ren noch immer fal­sche Vor­stel­lun­gen über das BGM: Es gin­ge ins­be­son­de­re um die Umset­zung von Maß­nah­men, die um das ope­ra­ti­ve Tages­ge­schäft her­um orga­ni­siert wer­den müss­ten. Und gera­de hier liegt häu­fig ein Denk­feh­ler, denn der Kern eines qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen BGM soll­te das Her­bei­füh­ren von gesun­den Arbeits­be­din­gun­gen und die Stär­kung von Res­sour­cen bei den Beschäf­tig­ten sein.

Die her­aus­for­dern­de Arbeits­si­tua­ti­on in der Pfle­ge­bran­che ist seit lan­gem bekannt. Sie ist geprägt von hohen kör­per­li­chen und psy­chi­schen Belas­tun­gen. Die Arbeits­ver­dich­tung hat gera­de in den letz­ten zwei Jah­ren durch die Coro­na-Situa­ti­on wei­ter zuge­nom­men. Oft­mals ist die Belas­tungs­gren­ze bereits über­schrit­ten, wozu u.a. die zeit­glei­che Erle­di­gung meh­re­rer Auf­ga­ben (Mul­ti­tas­king), der Schicht­dienst und immer wie­der auch aggres­si­ve Patient:innen sowie das per­ma­nen­te Erfor­der­nis von Emo­ti­ons­ar­beit bei­tra­gen. Dies schlägt sich einer­seits nie­der in einem Krank­heits­ge­sche­hen, das vor allem durch Mus­kel- und Ske­lett­er­kran­kun­gen, aber auch durch depres­si­ve Epi­so­den und das Burn­out-Syn­drom geprägt ist. Ande­rer­seits gehen Pfle­ge­kräf­te trotz Krank­heit über­durch­schnitt­lich häu­fig trotz­dem zur Arbeit. Zudem sind die Rah­men­beding­ungen in der Pfle­ge ungüns­tig. Die Ver­ein­ba­rung der Arbeits­zei­ten mit den per­sön­li­chen Bedürf­nis­sen ist häu­fig müh­sam, die Ent­loh­nung im

Pfle­ge­be­ruf eher gering und die Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten für die per­sön­li­che Lauf­bahn­ge­stal­tung ein­ge­schränkt. Hin­zu kommt – und dies dürf­te für das Sin­nerle­ben vie­ler Pfle­ge­kräf­te neben den Arbeits­be­din­gun­gen ein ent­schei­den­der Punkt sein – die gerin­ge gesell­schaft­li­che Wert­schät­zung bzw. das Image­pro­blem des Pfle­ge­be­rufs. Es kann bei all die­sen Fak­to­ren dem­nach nicht ver­wun­dern, dass die Ver­weil­dau­er gera­de in der Alten­pfle­ge kür­zer als in vie­len ande­ren Beru­fen ist.

Und jetzt noch Coro­na! Ist die Pan­de­mie das Damo­kles­schwert für das BGM in der Pfle­ge? Sie darf es nicht sein! Als

Begrün­dung darf die Geschich­te des Holz­fäl­lers her­an­ge­zo­gen wer­den, der den Auf­trag bekommt Bäu­me zu fäl­len. Anfangs gelingt ihm dies, aber mit der Zeit wird die Säge immer stump­fer und die Arbeit daher immer beschwer­li­cher. Er schafft irgend­wann die gefor­der­te Men­ge nicht mehr – Frust und Über­stun­den häu­fen sich an. Da geben ihm vor­bei­zie­hen­de Wan­ders­leu­te einen „hei­ßen Tipp“: „Sie müs­sen mal wie­der Ihre Säge schär­fen!“ Aber der Holz­fäl­ler schüt­telt den Kopf und ant­wor­tet: „Ich habe kei­ne Zeit die Säge zu schär­fen. Ich muss doch den gan­zen Tag Bäu­me fäl­len!“

Die Ana­lo­gie ist offen­sicht­lich. Wo im Pfle­ge­all­tag bei ohne­hin schon begrenz­ten Per­so­nal­ka­pa­zi­tä­ten Zeit für

Maß­nah­men des BGM her­neh­men? Dafür ist es wich­tig zu wis­sen, dass der Aus­gangs­punkt für sol­che Maß­nah­me natür­lich eine Bedarfs­ana­ly­se ist, um ziel­ge­rich­tet vor­zu­ge­hen. Und sicher­lich müs­sen zu Beginn auch Struk­tu­ren und Pro­zes­se des BGM in die Orga­ni­sa­ti­ons­ab­läu­fe inte­griert wer­den. Dann jedoch gilt es mög­lichst nied­rig­schwel­lig die Akti­vi­tä­ten in den Arbeits­all­tag der Beschäf­tig­ten zu inte­grie­ren. Was das hei­ßen kann, soll mit ein paar Bei­spie­len ver­deut­licht wer­den. Dabei wird eine Ori­en­tie­rung an dem soge­nann­ten „bio­psy­cho­so­zia­len

Modell von Gesund­heit und Krank­heit“ vor­ge­nom­men. Die­ses geht davon aus, dass Krank­heit als Stö­rung der Inter­ak­ti­on von kör­per­li­chen, psy­chi­schen und sozia­len Fak­to­ren ver­stan­den wer­den kann. Folg­lich wer­den bei allen gesund­heits­för­der­li­chen Maß­nah­men nicht nur bio­lo­gi­sche Fak­to­ren berück­sich­tigt, son­dern auch psy­cho­lo­gi­sche und sozio­kul­tu­rel­le Aspek­te ein­be­zo­gen.

SEMINARE MIT DR. HOLGER WELLMANN

Betrieb­li­ches Gesund­heits-manage­ment (BGM) – auf den Weg gebracht

Semi­nar

19.+ 20. Mai 2022

Gesund­heits­ori­en­tier­tes Füh­ren in der Sozi­al­wirt­schaft

Semi­nar

24. Mai 2022

Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung psy­chi­scher Belas­tung am Arbeits­platz

Semi­nar

12. Sep­tem­ber 2022

Hin­sicht­lich der kör­per­li­chen Anstren­gun­gen kann z.B. das Augen­merk dar­auf gelegt wer­den, dass die Belas­tung indi­vi­du­ell als ange­mes­sen emp­fun­den wird, ohne dass dabei immer die glei­chen Mit­ar­bei­ten­den die „schwe­ren Auf­ga­ben“ erhal­ten. Kol­le­gia­le Hin­wei­se auf ungüns­ti­ge Kör­per­hal­tun­gen sen­si­bi­li­sie­ren und ergän­zen die grund­le­gen­den Unter­wei­sun­gen, wie man mit der rich­ti­gen Hal­tung und pas­sen­den Bewe­gungs­ab­läu­fen den Kör­per scho­nen kann. Arbeits­or­ga­ni­sa­to­risch erscheint es güns­tig, dass Pau­sen auch nach dem indi­vi­du­el­len Bedarf genom­men wer­den kön­nen und tat­säch­lich im Sin­ne der Erho­lung gestal­tet wer­den. Die „Rau­cher­pau­se“ mag zwar kurz­fris­tig zum „Durch­pus­ten“ geeig­net sein, wird sich aber mit­tel- bis lang­fris­tig sicher­lich nicht auf die kör­per­li­che Fit­ness posi­tiv aus­wir­ken. Und natür­lich soll­te auch der Zeit­druck nicht der Nut­zung von Hilfs­mit­teln und Hebe­hil­fen ent­ge­gen­ste­hen.

Für das psy­chi­sche Wohl­be­fin­den ist es wich­tig, dass der ein­zel­nen Pfle­ge­kraft immer wie­der ihr Bei­trag zum gro­ßen Gan­zen bewusst (gemacht) wird. Damit ver­bun­den ist die Wert­schät­zung der Per­son durch die Kol­le­gin­nen und Vor­ge­setz­ten oder ein kon­kre­tes Lob. Ein kur­zes und ehr­lich gemein­tes „Ich dan­ke dir, dass du bei uns auf Sta­ti­on so spon­tan aus­ge­hol­fen hast!“ kann schon viel bewir­ken und zeigt, dass eine sol­che Unter­stüt­zung kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Unter­schied­lich aus­ge­prägt ist der Wunsch, immer wie­der Neu­es bei der Arbeit hin­zu­ler­nen zu kön­nen und sich ein­zel­ne Arbeits­ab­läu­fe mög­lichst selbst struk­tu­rie­ren zu kön­nen. Hier ist das Anmel­den von Wün­schen sei­tens der Pfle­ge­kräf­te und das Fin­ger­spit­zen­ge­fühl der Vor­ge­setz­ten gefragt sowie ihr Inter­es­se, sich mit den ein­zel­nen Bedürf­nis­sen und Stär­ken in ihrem Team aus­ein­an­der­zu­set­zen. Die Team­mit­glie­der wer­den es ihnen dan­ken, wenn sie sich den Anfor­de­run­gen ihrer Arbeit gewach­sen füh­len.

Es ist aber nicht nur die Arbeit als sol­che, die für Moti­va­ti­on und Sinn­stif­tung sor­gen kann. Im hek­ti­schen Pfle­ge­all­tag kommt es immer wie­der zu Kon­flik­ten. Das muss nicht wei­ter schlimm sein, wenn sie unter den Kol­le­gin­nen respekt­voll und mög­lichst eigen­stän­dig oder auch mit Unter­stüt­zung ande­rer gelöst wer­den. Und natür­lich kommt es dem Betriebs­kli­ma zugu­te, wenn gegen­sei­ti­ge Hil­fe und Unter­stüt­zung stark aus­ge­prägt sind und die Bereit­schaft vor­han­den ist, Wis­sen zu tei­len. Dabei soll­te nicht ver­nach­läs­sigt wer­den, bei Pro­ble­men zuerst selbst nach Lösun­gen zu suchen, bevor ande­re um Hil­fe gebe­ten wer­den. Es gilt also bei­des mit­ein­an­der zu ver­bin­den: Das eige­ne Enga­ge­ment bei Her­aus­for­de­run­gen, aber auch die Gewiss­heit, sich auf die Kol­le­gIn­nen

ver­las­sen zu kön­nen. So wach­sen Teams zusam­men – Koope­ra­ti­on und Ver­trau­en wer­den gelebt.

Die sinn­vol­le Kom­bi­na­ti­on die­ser Aspek­te zeigt, dass BGM kein „add on“ ist – also kein Hin­zu­fü­gen von Maß­nah­men in den stres­si­gen Pfle­ge­all­tag. Viel­mehr spielt es eine gewich­ti­ge Rol­le, um den Her­aus­for­de­run­gen in der Pfle­ge zu begeg­nen und die Kran­ken­stän­de und die Fluk­tua­ti­on so gering wie mög­lich zu hal­ten. Über­le­gen Sie doch selbst ein­mal als Ver­ant­wort­li­che, wenn Sie die Wahl zwi­schen zwei grund­sätz­lich ver­gleich­ba­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen

hät­ten – eine davon jedoch ein gutes BGM lebt: Für wel­che Ein­rich­tung wür­den Sie sich ent­schei­den?

Auf dem Weg zum BGM wer­den Sie nicht allein gelas­sen. So ste­hen Ihnen z.B. die Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger mit Rat und Tat zu Sei­te. Nut­zen Sie aber auch die neu­en Ange­bo­te der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin.

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