Interview mit Gabriele Girke und Michael Völker, Dozent:innen und
fachliche Leitung im Zertifikatskurs Systemische Organisationsentwicklung und ‑beratung
Michael Völker, Sie sind seit 12 Jahren als Dozent und Co-Leitung im Zertifikatskurs „Systemische Organisationsentwicklung und ‑beratung“ für die Paritätische Akademie tätig. Es ist inzwischen der 15. Kurs, der in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt wurde. Was kann man sich darunter vorstellen,
wofür braucht man eine solche Qualifikation?
Völker: Organisationen, ob Vereine, Netzwerke, Unternehmen oder Behörden verändern sich oft, weil äußere oder innere Impulse dafür sorgen. Man kann es dann wild laufen lassen und nur reagieren, wenn es unerwünschte Konflikte zwischen den Beteiligten gibt. Man kann auch irgendwas anschieben und hoffen, dass die Nebenwirkungen nicht zu schlimm werden. Oder man kümmert sich überhaupt nicht um das „Ganze“, sondern sorgt für den eigenen Nutzen. Beliebt sind auch Haltungen, wie „das haben wir immer schon so gemacht“ oder „das geht sowieso nicht“. Oder die Angst vor Fehlern führt dazu, Schwachstellen eher zu verstecken und man begnügt sich aus Angst darüber, dass etwas Unabsehbares bei Veränderungen herauskommen könnte, mit dem unerfreulichen Ist-Zustand. Wir sind nicht ganz so veränderungsfreudig in Organisationen, wie das nötig und möglich wäre angesichts der vielen Impulse wie z.B. Digitalisierung, gesetzliche und konzeptionelle Änderungen, neue Generationen und Werte, soziale Spannungen und knappe Ressourcen.
Kurz gesagt spüren viele angehende oder bereits tätige Führungskräfte, dass der souveräne und professionelle Umgang mit Veränderungen zum entscheidenden Erfolgsfaktor von Organisationen geworden ist. Das Management muss dabei einen Spagat schaffen, für ein möglichst „reibungsloses Alltagsgeschäft“ zu sorgen
und gleichzeitig Innovationen einzuführen – Impulse zu geben, Stärken auszubauen, Potentiale zu mobilisieren. Dafür sind manchmal kleine überlegte Schritte ausreichend, meist geht es jedoch um komplexere Veränderungen. Dabei müssen Führungskräfte gleichzeitig Abläufe und Strukturen anpassen, Verantwortungsbereiche und Koordination klären, Mitarbeitende führen, Strategien und Prinzipien genauso im Auge behalten, wie die Ausstattung und die Kultur der Unternehmung.
Diese Veränderungsprozesse müssen trotz – oder wegen – der Komplexität mit teils unvorhersehbaren Wirkungen professionell gestaltet werden und das kann man lernen: mit sicheren Erkenntnissen über die Entwicklungsmuster von Organisationen, mit geübten Instrumenten, die Veränderungen nachhaltig steuern und mit reflektierten praktischen Erfahrungen.
Zu diesem Thema gibt es zahlreiche Studiengänge und Fortbildungen, was ist das Besondere an diesem Kurs an der Paritätischen Akademie Berlin?
Girke: Hier treffen sich vor allem (Nachwuchs-)Führungskräfte, die sich auf die Übernahme einer anspruchsvollen Führungsaufgabe vorbereiten wollen oder diese Tätigkeit schon ausüben und einfach sicherer und besser werden und sich breiter aufstellen wollen. Oder die sich auf eine künftige Beratungstätigkeit vorbereiten, also aus dem Management in eine externe Beratungsrolle wechseln. Auf jeden Fall wollen sie wissenschaftlich gesicherte Grundlagen, praktisch erprobte Methoden und Instrumente handhaben lernen – letzteres besonders. Das soll schon während des Kurses in der eigenen Organisation in einem ohnehin stattfindenden Veränderungsprojekt angewendet und reflektiert werden. In kleinen selbst gewählten Lerngruppen unterstützen sich die Teilnehmenden außerdem gegenseitig und das ist insgesamt ein Markenzeichen dieses Kurses zwischen den Lehr-Modulen.
Michael Völker, Sie sind selbst ein langjähriger und viel gefragter Organisationsberater, haben den Kurs zu der heutigen Form mit entwickelt: hätten Sie einen solchen Kurs gern selbst gehabt zu Beginn Ihrer Karriere?
Völker: Ja, das ist wohl so. Ich habe mehrere Studiengänge und viele Ausbildungen absolviert und aus meinen und den Erfahrungen von Kolleg:innen gelernt. Die Supervisions- und Coachingausbildungen habe ich Stück für Stück mit Erkenntnissen zur Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement verbunden, weil das die Praxis so erforderte. Auch meine eigene Führungstätigkeit in einem Verein und einer Stiftung haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, dabei die Organisations-Brille aufzusetzen, organisationale Wechselwirkungen im Auge zu behalten, „blinde
Flecken“ zu kennen, aus dem Scheitern zu lernen, nicht allen Moden nachzurennen, aber neugierig zu bleiben auf neue Erklärungsmuster oder Methoden, möglichst ganzheitlich zu arbeiten und das Machbare zu unterstützen. Deshalb verfolgt dieser Kurs auch konsequent den systemischen Ansatz.
Gabriele Girke, Sie haben kleine und große Unternehmen und Vereine geleitet, waren als Fortbildnerin und Hochschullehrerin tätig und arbeiten seit einigen Jahren in der Co-Leitung dieses Kurses – was ist nach Ihrer Erfahrung das Erfolgsrezept?
Girke: Das kann ich ganz genau sagen, auch aus dem Unterschied zu meinen anderen beruflichen Erfahrungen heraus und zumal wir es immer wieder erleben und zum Abschluss eines Kurses von den Teilnehmenden hören:
Zum einen werden sie unterstützt, bereits während des Bildungsgangs Stärken und Veränderungsbedarfe in der eigenen Organisation professionell zu analysieren, Veränderungsvorhaben zu initialisieren und zu konzipieren und das eigene Führungsverhalten zu qualifizieren. Also: kein Wissen reinstopfen und hoffen, dass man es wiederfindet, wenn es gebraucht wird. Nicht nur Theorien „über“, sondern Methoden im Führungs- oder Beratungshandeln. Dabei profitieren Sie von Wissen, ausgewiesenen Erfahrungen und Unterstützung durch langjährig erfolgreiche Berater:innen und Dozent:innen.
Zum anderen: Der Weiterbildungsgang ist so angelegt, dass die Teilnehmenden
Veränderungsvorhaben sowohl aus interner Verantwortung nachhaltig und verantwortlich gestalten, als auch Organisationsentwicklung als (externe) Beratung lernen können. Dieser Perspektivwechsel ist keine Verunsicherung, sondern vertieft und verbreitert die Qualifikation.
Und weil aller guten Dinge drei sind stellen wir didaktisch die Praxis und Erfahrungen der Teilnehmenden in den Mittelpunkt – das ist nicht nur belebend und abwechslungsreich, sondern hat einen eigenständigen Lernwert, der immer wieder hervorgehoben wird in den Rückmeldungen und den wir im Laufe des Kurses auch besonders fördern.
Systemische Organisationsentwicklung und ‑beratung
Zertifikatskurs mit Dr. Gabriele Girke, Michael Völker (u.a.)
Auch an Sie die Frage: hätten Sie einen solchen Kurs gern selbst gehabt zu Beginn Ihrer Karriere als Führungskraft?
Girke: Oh, ja! Aber es ist, wie es ist, so sehen es auch viele Teilnehmende: „jetzt weiß ich endlich, warum das nicht geklappt hat“, hören wir immer wieder. Ich selbst habe oft genug durch „Aua“ gelernt und es dann später verstanden durch die Beschäftigung mit Organisationsentwicklung. Aber da hat sich in den letzten Jahren ohnehin viel getan, Forschung und reflektierte Erfahrungen haben Erkenntnisse gebracht, die ich in den ersten Jahren meiner Tätigkeit als Führungskraft nicht zur Verfügung hatte. Das war nicht katastrophal, aber manches hätte besser laufen können für mich und andere. Und es kommt etwas hinzu: die digitale und soziale Welt hat sich so verändert, dass man heute mit einfachen Rezepten nicht zurechtkommt; die Zusammenhänge sind komplexer geworden, so dass man mit Unvorhersehbarem, Gleichzeitigkeit und schnellem Wandel gut umgehen können muss. Darauf ist die Weiterbildung ausgerichtet. Sie ist anwendungsorientiert und entspricht zugleich hochschulischen Kriterien (mit
anerkannten Credit-Points).
Herr Völker, alle Dozent:innen sind wie Sie selbst erfahrene Organisationsberater:innen, die wissen, was man braucht, um Veränderungen kompetent zu managen. Worin besteht genau eine solche Veränderungskompetenz?
Völker: Man braucht einen ganzheitlichen Blick auf dieses merkwürdige vielgestaltige „Lebewesen Organisation“ und zugleich die Fähigkeit, die wesentlichen Aspekte von Veränderungsprozessen im Blick zu behalten. Instrumente für zielgerichtete Interventionen und die Fähigkeit, sie situativ angemessen einzusetzen, das ist ein weiteres
Merkmal. Außerdem muss man Konzepte kennen, um Veränderungsprozesse in geeigneter Weise in Gang zu setzen und diese auch in Krisen- und Konfliktsituationen kompetent zu begleiten. Das braucht vor allem ein Verständnis für soziale (Gruppen)Prozesse und muss die Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung von Organisationen einkalkulieren. Letztlich braucht man für ein erfolgreiches Veränderungsmanagement die Fähigkeit, das eigene Handeln in Veränderungen und die eigene Rolle zu reflektieren, um so die Qualität des Managements und der Führung stetig zu erhöhen.
Und das alles kann man im Kurs lernen?
Völker: Ja, und dabei haben die Teilnehmenden einen jeweils unterschiedlichen Erfahrungshintergrund, Lernformen und eigene Ziele – davon hängt ab, welche Kompetenzen sie individuell im Verlauf des Kurses entwickeln wollen.
Sicher ist – das wissen wir aus den Abschlussreflexionen und aus den z.T. langjährig stattfindenden Follow up‘s – dass sie in ihrer Führungs- oder Beratungstätigkeit deutlich zielsicherer und methodisch flexibler werden. Weil
das für die davon „Betroffenen“ auch deutlich positiv spürbar ist, belegen einige von ihren Kolleg:innen dann auch den nächsten Kurs, denn das wollen sie dann auch können. Und deshalb treffen wir auch oft Absolvent:innen aus Studiengängen hier wieder.
Frau Girke, noch eine letzte Frage zum Inhalt des Kurses: wie sieht der inhaltliche Aufbau ganz konkret aus?
Girke: Der Inhalt ist modulhaft aufgebaut, beginnt mit Konzepten, Erfolgsfaktoren und Maßnahmen der Organisationsentwicklung. Es werden Modelle und Instrumente erarbeitet und geübt, um Stärken und Entwicklungsbedarfe zu erkennen. Weitere Themen sind Wertesysteme bei Personen und Organisationen sowie erprobte Methoden der Organisationsberatung. Entlang eigener Entwicklungsprozesse wird geübt, wie
Veränderungen initialisiert, kommuniziert und Beteiligung organisiert werden muss. Führen in Veränderungen sowie der Umgang mit Widerständen und Konfliktmanagement nehmen einen wichtigen Raum ein. In jedem Kurs wird ein Vertiefungsseminar zu einem ausgewählten Thema angeboten, z.B. agile Methoden, erfolgreiches Verhandeln, Selbstmanagement o.ä. Zum Abschluss werden alle gelernten Methoden zusammengeführt, sortiert, ergänzt um Maßnahmenplanung und Stabilisierung von Veränderungsprozessen und in einer komplexen Fallstudie
zusammenfassend angewendet.
Das ist ein anspruchsvolles Pensum, wodurch werden die Teilnehmenden unterstützt?
Sie haben die Möglichkeit, in der Weiterbildung Problemstellungen, Konzepte und Vorgehensweisen aus der eigenen Führungs- oder Beratungspraxis zu bearbeiten und profitieren durch die professionelle Bearbeitung und Reflexion auch von den jeweils anderen. Dadurch wird eine besonders intensive Verarbeitung der fachlichen Inputs der Dozent:innen gewährleistet. Durch diese vielfältigen Fallbesprechungen können die Teilnehmenden Muster und
Lösungsmöglichkeiten erkennen, die ihnen durch den eigenen Management-Alltag oft verborgen bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Interview führte Susanne Steinmetz, Bildungsreferentin an der Paritätischen Akademie Berlin