Haltung als Leitung im Studium entwickeln
Oliver Heymann hat an der Paritätischen Akademie Berlin den Master Sozialmanagement studiert. Wir sprechen mit ihm über seine Rolle als Leitungskraft einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung und darüber, wie das M.A. Studium seine berufliche Laufbahn beeinflusst hat.
Herr Heymann, wann haben Sie an der Paritätischen Akademie studiert? Mit welchem Abschluss und Arbeitserfahrung haben Sie sich an der Paritätischen Akademie damals beworben?
Oliver Heymann: Ich habe 2017 bis 2020 an der Paritätischen Akademie Berlin studiert. Davor habe ich einen Bachelor in Allgemeinpädagogik Bildungswissenschaften mit Nebenfach Psychologie an der LMU in München absolviert. Im Zusammenhang mit Arbeitserfahrung und dem Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung, habe ich mich für den M.A. Sozialmanagement an der Paritätischen Akademie beworben und wurde angenommen.
Wo haben Sie neben dem Studium gearbeitet?
Oliver Heymann: Ich habe in der Eingliederungshilfe bei einem nicht allzu großen Träger im Norden von Berlin gearbeitet. Das war vergleichbar und relativ nahe an der pädagogischen Arbeit, die hier bei uns in den Wohngruppen erfolgt. Es war hauptsächlich die Tagesbetreuung in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung.
Und wie ließ sich das Studium mit dem Arbeitsalltag verbinden? Wie haben Sie das damals erlebt?
Oliver Heymann: Ich konnte unter Heranziehung des eigenen Urlaubs, des Bildungsurlaubs sowie über den Abbau von Überstunden die
Präsenzwochen gut abdecken. Ich habe damals in einem Schichtdienstsystem gearbeitet. Hier wurde der Dienstplan monatlich und nicht wöchentlich strukturiert. So war es möglich sich die Präsenzzeiten freizuhalten und einfach in den anderen Wochen mehr Dienste zu übernehmen. Die Mitarbeitenden in unseren Wohngruppen arbeiten hier ähnlich. Zudem ließ die Gestaltung der Arbeitsinhalte außerhalb der Präsenzzeiten* in Form von Forenbeiträgen im Masterstudium eine große zeitliche Flexibilität zu.
*Anmerkung Paritätische Akademie Berlin: Die Struktur der Lerneinheiten werden laufend den Bedürfnissen der berufsbegleitend Studierenden angepasst. Die Terminübersicht für den Studiendurchgang ab WiSe 2024/25 werden wir zeitnah auf unserer Webseite veröffentlichen.
Haben Sie das Studium selbst finanziert? Die Studiengebühren können mittlerweile in 30 Monatsraten entrichtet werden. Eine anteilige oder vollständige Übernahme der Studiengebühren durch den Arbeitgeber ist möglich.
Oliver Heymann: Ich habe keine finanzielle Unterstützung bekommen. Aber dank Ratenaushandlung* ging das ganz gut.
In welcher Einrichtung arbeiten Sie heute und was ist Ihre Rolle in der Organisation?
Oliver Heymann: Ich bin Bereichsleiter im Kinder- und Jugendhilfe Zentrum Neukölln des Evangelischen Jugend und Fürsorgewerks. Wir sind der größte Anbieter von stationärer Kinder- und Jugendhilfe in Berlin Neukölln. Insgesamt umfasst die Abteilung Jugendhilfe im EJF (Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk) ungefähr 1800 Mitarbeitende. Hier an unserem Standort im Verbund sind wir etwa 150 Menschen, davon 120 Kolleg:innen mit pädagogischen Berufen in verschiedenen Wohngruppen. Wir haben bei uns Kinder und Jugendliche in allen Altersgruppen in verschiedenen Schwerpunkten in den eigenen Bedarfen wohnen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben.
Und wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
Oliver Heymann: Insgesamt bin ich als Bereichsleitung für sechs Wohngruppen zuständig. Das bedeutet, dass ich für etwa 35 Mitarbeitende in der Personalverantwortung bin und etwas über 40 Kinder und Jugendliche in meinem Bereich leben. Gleich zu Tagesbeginn trete ich mit den pädagogischen Fachkräften der jeweiligen Gruppen in Kontakt, um zu gucken, ob bei ihnen alles in Ordnung ist. Ich bin wöchentlich in relativ vielen Teamsitzungen, höre intern und extern viel zu, steuere an den notwendigen Punkten und mache Controlling. Entwickelt sich die jeweilige Gruppe in die richtige Richtung? Gibt es da Unterstützungsbedarf meinerseits? Bestehen aktuell irgendwelche Krisen oder Entwicklungen, die meiner Person bedürfen? Es kann ab und zu Vorfälle geben. Das können persönliche Krisen eines jungen Menschen sein. Oder wir hatten letzte Woche die Situation, dass es einen kleinen Brand in einer Gruppe gab. Der hat mich diese Woche sehr intensiv beschäftigt. Es musste nachgeforscht werden, wie es dazu kam und wie das vermieden werden kann. Solche Situationen müssen gründlich geklärt werden und das gehört auch zu meiner leitenden Tätigkeit.
Was haben Sie vor der Arbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Berlin Neukölln gemacht?
Oliver Heymann: Als ich mein Masterstudium in Sozialmanagement angefangen habe, war ich in der Eingliederungshilfe tätig und musste später aus familiären Gründen in eine andere Stadt ziehen. Durch den Master und die flexible Struktur des berufsbegleitenden Studiengangs gelang mir am neuen Ort der Wechsel in die Altenhilfe. Ich hatte einen spannenden Job als Einrichtungsleitung für offene Altenhilfe gefunden, die für einen ganzen Stadtteil und mehrere Tausend ältere Menschen zuständig war. Aber nach einer Weile stand der Beschluss, dass wir zurück nach Berlin möchten, und ich musste mich erneut auf die Suche nach einer passenden Stelle umschauen. Hier in der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Berlin Neukölln fand ich das ansprechendste Angebot. Schon im Rahmen der Bewerbungsgespräche merkte ich, dass es hier von den Arbeitsstrukturen und Klima angenehm war. Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren hier und bereue diese Entscheidung nicht. Ich gehe jeden Tag gerne in die Arbeit.
„Durch den Master und die flexible Struktur des berufsbegleitenden Studiengangs gelang mir am neuen Ort der Wechsel in die Altenhilfe. Ich hatte einen spannenden Job als Einrichtungsleitung für offene Altenhilfe gefunden, die für einen ganzen Stadtteil und mehrere Tausend ältere Menschen zuständig war.“
Welchen Unterschied macht Ihre Arbeit im Leben der Kinder und jungen Erwachsenen?
Oliver Heymann: Es gibt viele junge Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr bei den Eltern wohnen können. Oft sind
hier Schicksalsschläge und das Zusammenkommen von vielen hinderlichen Faktoren ausschlaggebend. Zum Beispiel weil die Eltern in die Obdachlosigkeit gerutscht sind, oder unter schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen leiden. In manchen Situationen gibt es keine Eltern mehr oder zu Hause entsteht eine so große Krise, dass es zumindest für eine gewisse Zeit nicht möglich oder nicht mehr sicher ist, die Kinder bei den Eltern leben zu lassen. Und dann greift die Kinder- und Jugendhilfe. In starker Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und in den meisten Fällen der Zustimmung der Sorgeberechtigten, finden diese Kinder bei uns Platz und werden in ihren individuellen Situationen betreut und begleitet. Die Wiederzusammenführung mit den Eltern wird natürlich, mit aller gebotener Vorsicht, in den Vordergrund gestellt. Denn keine Betreuungsperson kann die Eltern ersetzen. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt arbeiten wir daran, die Eltern zu befähigen ein gutes elterliches Verhältnis mit dem Kind aufzubauen und ihnen ein stabiles Umfeld zu bieten. Auf der anderen Seite arbeiten wir mit vielen Kooperationspartnern aus dem unmittelbaren Umfeld der Kinder, mit den jeweiligen Vormundschaften, mit den Schulen, Großfamilien und Freundeskreisen, die eine Rolle im Leben des Kindes haben und neben dem Erziehungsberechtigten für eine gelungene Rückführung in die elterliche Familie wichtig sind. Das ist eine sehr komplexe Arbeit, die hier von unseren Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen durchgeführt wird.
Meine Rolle dabei ist unter anderem, die Metaebene einzunehmen und ihre pädagogische Arbeit zu unterstützen in dem ich schaue: Wie müssen wir unsere Gruppen so ausrichten, dass sie dem Bedarf und den multiplen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen gerecht werden und auch die sich immer wieder verändernden gesamtgesellschaftlichen Bedarfe und Zielgruppen berücksichtigen. Welche fachlichen Standards setzen wir uns, wie halten wir diese ein? Wie findet Wissens- und Informationsweitergabe statt? Nach welchen pädagogischen Richtlinien handeln wir? Wie gehen wir vor im Krisenfall? Ich bin die Person, die praktisch etwas abseits der Gruppe steht, aber jederzeit reinkommt und da unterstützt, wo Not an der Person ist.
Was passiert, wenn junge Erwachsene die Wohngruppen verlassen müssen, gelingt ihnen ein guter Übergang in das erwachsene Leben?
Oliver Heymann: Je nach Ausrichtung der Wohngruppe und nach dem individuellen Verlauf der einzelnen Kindessituation, ob es wieder zu den Eltern geht oder praktisch in eine eigene Wohnung, begleiten wir unterschiedlich. Nach dem Auszug aus unserer Einrichtung endet unsere Arbeit meist nicht. In vielen Fällen begleiten wir unsere Careleaver mehrere Monate ambulant nach, je nach Bedarfslage. Mit vielen halten wir auch noch einen losen Kontakt, wenn die Kinder bei den Eltern wieder eingezogen sind. Außerdem haben wir viele Eltern, die sich noch Jahre später immer wieder Rat suchend an uns wenden.
Wir hatten letztes Jahr eine größere Feier, weil ein langjähriger Mitarbeiter in Rente gegangen ist. Er hat ein Leben lang in der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet. Und bei dieser Verabschiedungsfeier waren tatsächlich damalige Jugendlichen aus seiner ersten Wohngruppe, die der Kollege begleitet hat, anwesend. Sie waren alle Anfang Fünfzig, inzwischen mitten im Leben stehend mit ihren eigenen Familien und Kindern da und haben ganz rührend über den Kollegen gesprochen. Das war sehr schön auf der Feier mitzubekommen, wie dieser Mensch ihr Leben beeinflusst hat und dass es ihnen jetzt gut geht, und dass die Unterstützung, die sie damals erhalten haben, nach eigenen Aussagen, eine große Hilfe war. Und in das Erbe treten wir natürlich weiterhin.
Welche Aspekte oder Inhalte des Masterstudiums in Sozialmanagement sind in Ihrem Berufsalltag noch heute relevant?
Oliver Heymann: Es gibt Vieles. Ich denke mitunter das Wichtigste war einen Habitus und Haltung als Leitung zu entwickeln. Dabei wurden wir auf allen Ebenen unterstützt, mit der Wissens- und der Kompetenzvermittlung, um diese Rolle ausfüllen zu können. Wir haben sehr viele Bereiche abgedeckt und Methoden kennengelernt, die ich jetzt noch in meiner Arbeit anwende. Im Studium habe ich die Möglichkeiten kennengelernt und kann sie mir nach Bedarf heranziehen, Kenntnisse auffrischen und anwenden. Und was im sozialen Bereich oft in der Ausbildung zu kurz kommt und im Studium gut abgedeckt war, sind die BWL-Lernanteile, die für mich in der Leitungsfunktion sehr wertvoll sind. Mir hilft es tatsächlich sehr, dass ich sagen kann – hier ist eine Bilanz und ich kann sie analysieren und Probleme anhand der Zahlen erkennen.
Arbeitsrecht ist auch ein wertvoller Teil des Studiums gewesen. Viele studieren Soziale Arbeit oder Ähnliches, sie sind gute Fachkräfte, sehr gute Teamleiter:innen und haben sehr gute soziale Kompetenzen in der Zusammenwirkung mit den Kolleg:innen. Oft rutschen sie jedoch, praktisch unvorbereitet, in die Leitungsrollen in ihren Organisationen. In diesen Rollen fehlen ihnen die fachliche Qualifikation als Leitung, die wirtschaftlichen und technischen Kenntnisse, so gehen diese Aspekte auch in ihrem Berufsalltag en bisschen unter. Mit dem wirtschaftlichen Verständnis und mit der Stärke in diesen Bereichen der Geschäftsführung macht man sich im sozialen Bereich durchaus manchmal Freunde.
„Ich denke mitunter das Wichtigste war, einen Habitus und Haltung als Leitung zu entwickeln. Dabei wurden wir auf allen Ebenen unterstützt, mit der Wissens- und der Kompetenzvermittlung, um diese Rolle ausfüllen zu können. Wir haben sehr viele Bereiche abgedeckt und Methoden kennengelernt, die ich jetzt noch in meiner Arbeit anwende.“
Welche Kenntnisse oder welches Know-How fehlt Ihnen jetzt, das im Job gewachsen ist und im Studium nicht behandelt wurde?
Oliver Heymann: Ich weiß nicht, ob der Studiengang tatsächlich die großen Problemfelder, die meine Arbeit jetzt betreffen, abdecken könnte. Das sind hauptsächlich gesamtgesellschaftliche Phänomene wie der Fachkräftemangel, der einfach sehr gravierend zu Tage tritt. Und jetzt gerade in Berlin ist es der Wohnungsmangel, der unsere Arbeit erschwert. Vielleicht könnte man im Studiengang darauf vorbereitet werden, stärker in diese politische Arbeit reinzugehen und sozialpolitisch den Fachkräftemangel anzugehen, der uns die nächsten Jahrzehnte begleiten wird. Oder eben innovativ an diesen Problemlösungen zu arbeiten und schauen welche Rolle neue Technologien wie KI bei der Arbeitsentlastung spielen könnten. Vielleich könnte KI nicht gerade die Wohngruppen unterstützen, aber vielleicht bei anderen Arbeitsprozessen entlastende Funktion einnehmen?
Digitalisierung ist mittlerweile Teil des Studiengangprogramms. Als Akademie wollen wir auf dem letzten Stand der technischen Möglichkeiten sein und auf deren Potenzial für Soziale Organisationen durch unsere Studierende verweisen.
Oliver Heymann: Insgesamt kann ich sagen, dass der Masterstudiengang meine weitere berufliche Entwicklung, aber auch mich als Mensch, maßgeblich beeinflusst hat. Wenn ich mit Menschen spreche die sich als Führungskraft entwickeln wollen, empfehle ich diesen Master.
Das Interview mit Oliver Heymann führte Elena Gavrisch (Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, Paritätische Akademie Berlin)
Titelbild: Oliver Heymann
Fotos: Elena Gavrisch