Frauen und Führung –
Wie können soziale Organisationen Führung diverser gestalten, Frau Dr. Böcker-Giannini?
In kaum einer Branche arbeiten so viele Frauen wie in der Sozialwirtschaft – und doch sind Führungspositionen auch dort häufig männlich besetzt. Woran liegt das? Was können Organisationen tun, um Strukturen gerechter zu gestalten? Was können Frauen selbst tun, wenn sie eine Führungsrolle anstreben?
Dr. Nicola Böcker-Giannini kennt diese Fragen aus langjähriger Praxiserfahrung. Die promovierte Philosophin und Diplomsportlerin war selbst in verschiedenen leitenden Funktionen tätig – unter anderem als Staatssekretärin für Sport im Land Berlin oder als Fachberaterin bei einem Berliner Kitaträger. Heute berät sie als systemische Business-Coach und Change-Managerin Führungskräfte und Organisationen – und setzt sich seit vielen Jahren für mehr Diversität in Führung ein.
Wie sind Sie dazu gekommen, sich für das Thema Frauen in Führung zu engagieren? Gab es prägende Momente oder Erfahrungen in Ihrer Karriere, die Ihre Sicht auf dieses Thema verändert haben?
Dr. Nicola Böcker-Giannini: Mein Engagement für mehr Frauen in Führungspositionen ist das Ergebnis langjähriger Erfahrungen – sowohl aus meinem politischen Ehrenamt als auch aus meiner beruflichen Tätigkeit als Politikerin, Dozentin und Expertin im Bereich der frühkindlichen Bildung. In all diesen Funktionen habe ich erlebt, dass Frauen trotz hoher fachlicher Kompetenz übersehen oder unterschätzt wurden, wenn es um Führungspositionen ging. Diese Diskrepanz zwischen Kompetenz und tatsächlicher Repräsentanz hat mich motiviert, an Veränderung mitzuwirken. Denn Führung darf keine Frage des Geschlechts sein – sondern der Fähigkeit, verantwortungsvoll und mit Haltung zu gestalten.
In der Sozialwirtschaft ist der Frauenanteil insgesamt hoch. Dennoch sind Führungspositionen überwiegend männlich besetzt. Wie lässt sich dieses Missverhältnis erklären?
Die Sozialwirtschaft ist ein gutes Beispiel für eine strukturelle Schieflage: Frauen tragen einen Großteil der inhaltlichen und praktischen Arbeit, doch je höher die Position in der Hierarchie, desto geringer wird ihr Anteil. Das hat viel mit tradierten Rollenbildern, Netzwerken und unbewussten Vorannahmen zu tun – und mit Strukturen, die nicht darauf ausgerichtet sind, Diversität zu fördern. Es fehlt oft an gezielter Strategie, transparenter Karriereplanung und einer Führungskultur, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Teilhabe ernst nimmt.
In Wahrheit geht es um strukturelle Veränderung: um faire Zugänge, transparente Entscheidungsprozesse und eine Unternehmenskultur, die Diversität in Führung nicht nur duldet, sondern aktiv ermöglicht.
Was läuft in der Debatte um Frauen in Führungspositionen falsch? Wo gibt es besonders hartnäckige Missverständnisse?
Ein verbreitetes Missverständnis ist die Idee, es ginge dabei nur um „Frauenförderung“ im Sinne individueller Unterstützung. In Wahrheit geht es um strukturelle Veränderung: um faire Zugänge, transparente Entscheidungsprozesse und eine Unternehmenskultur, die Diversität in Führung nicht nur duldet, sondern aktiv ermöglicht. Auch die Vorstellung, dass Frauen seltener führen wollen, ist ein hartnäckiger Mythos – oft sind es vielmehr die Rahmenbedingungen, die abschrecken. Das Ziel ist deshalb, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Führung für alle selbstverständlich erreichbar wird.
Was können soziale Organisationen tun, um Frauen nachhaltig in Führungspositionen zu bringen – und worin unterscheiden sie sich dabei von anderen Branchen?
Soziale Organisationen bringen eine große Chance mit, denn sie verstehen sich häufig als wertegeleitet, als Orte von Teilhabe und Gerechtigkeit. Diese Werte müssen sich auch in den internen Strukturen widerspiegeln. Dafür braucht es gezielte Maßnahmen wie beispielsweise Mentoring-Programme, transparente Beförderungsverfahren, flexible Arbeitszeitmodelle und eine Überprüfung der eigenen Führungsleitbilder. Im Vergleich zur Privatwirtschaft haben soziale Träger oft flachere Hierarchien und ein anderes Selbstverständnis. Auch das ist eine Chance für neue Formen der Führungskultur.
Was können Frauen selbst tun, wenn sie eine Führungsposition anstreben?
Sich vernetzen, sich sichtbar machen und mutig bleiben – und dabei die eigene Haltung zur Führung reflektieren. Viele Frauen haben internalisierte Zweifel oder den Anspruch, „perfekt vorbereitet“ zu sein, bevor sie den nächsten Schritt gehen. Dabei darf Führung als Prozess verstanden werden: Man wächst hinein. Es hilft, Vorbilder zu suchen, sich weiterzubilden und den Austausch mit anderen Frauen zu suchen, die ähnliche Wege gehen. Und nicht zuletzt sollten Frauen ihren eigenen Führungsstil selbstbewusst definieren und vertreten.
Für soziale Organisationen, die oft mit sehr heterogenen Zielgruppen arbeiten, ist das ein großer Vorteil.
Wie profitieren soziale Organisationen von mehr Diversität in Führungspositionen?
Führungsteams, die divers zusammengesetzt sind, treffen nachweislich bessere Entscheidungen. Sie bringen unterschiedliche Perspektiven ein, fördern Innovation und spiegeln die Vielfalt der Gesellschaft besser wider. Für soziale Organisationen, die oft mit sehr heterogenen Zielgruppen arbeiten, ist das ein großer Vorteil. Zudem machen diverse Führungsteams Arbeitgeber:innen deutlich attraktiver – besonders für jüngere Generationen, die Gleichberechtigung nicht nur fordern, sondern voraussetzen.
Wie sähe Führungskultur in zehn Jahren aus, wenn Sie den Verlauf bestimmen könnten?
Führung wäre kein exklusiver Status mehr, sondern geteilte Verantwortung. Es gäbe fluide Rollen, flache Hierarchien und eine Kultur, die Vertrauen, Lernbereitschaft und Dialog in den Mittelpunkt stellt. Diversität in Führung wäre keine Debatte mehr, sondern gelebter Alltag. Organisationen würden ihre Strukturen so gestalten, dass alle Menschen ihre Potenziale entfalten können – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Lebensmodell. Kurz gesagt: Gute Führung in diversen Teams wäre nicht nur machbar für alle – sondern gelebte Realität.
Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Böcker-Giannini!
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Redaktion: Lucas Frye (Paritätische Akademie Berlin)
Foto im Titelbild: Dr. Nicola Böcker-Giannini (Foto: Susie Knoll)
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