Wirkungsorientierung gewinnt in der Sozialen Arbeit steigende Bedeutung. Ein Kooperationsprojekt des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin mit Phineo soll praktische Möglichkeiten der Planung und Durchführung sozialer Angebote im Hinblick auf Wirkungsziele erkunden. Von Dr. Gabriele Schlimper
Woran erkennen wir, ob wir mit unserer Arbeit erfolgreich sind? Diese Frage beschäftigt Marcus Neuenfeldt-Kock, seit dem er mit sich mit dem Thema Wirkungsorientierung auseinandersetzt. Beim Träger Jugendhilfe in Lichtenberg gGmbH leitet er die Wohngruppe Rückenwind, in der Kinder von sechs bis zwölf Jahren an fünf Tagen in der Woche wohnen. Eine wichtige Erkenntnis war für Neuenfeldt Kock: Die Wirkungsziele der Hilfsangebote müssen klar gesteckt und präzise formuliert sein, damit man ihren Erfolg ermitteln kann.
So zum Beispiel bei einem elfjährigen Jungen, der Probleme in der Schule hatte. In der Hilfeplanung des Jugendamts ist für solche Fälle festgeschrieben, dass sich das Verhalten des Kindes in der Schule verbessern soll. »So formuliert, ist ein Erfolg, das Erreichen des Ziels, nur schwer fest zustellen. Denn was genau soll sich denn verbessern?«, erklärt Marcus Neuenfeldt Kock.
Geholfen hat es dem Team der Wohngruppe, das Ziel durch konkrete Fragen in kleinere Einzelziele aufzuteilen. Es wurde deutlich: Es ging gar nicht generell um das Verhalten des Kindes in der Schule, sondern nur um Probleme mit einem bestimmten Lehrer. »Nachdem wir das ermittelt hatten, konnten wir uns gemeinsam mit den Eltern wöchentlich mit diesem Lehrer zusammensetzen und konkrete Maßnahmen erarbeiten, deren Erfolg wir auch messen konnten«, berichtet Marcus Neuenfeldt-Kock. Die Wirkung der Arbeit war dadurch viel besser erkennbar: »Uns wurde klar: Wir haben Erfolg, wenn es uns gelingt, das Kind zum Mitmachen an dieser Unterrichtsstunde zu motivieren. Und auch für den Jungen gab es dadurch ein Erfolgserlebnis.«
Wie lässt sich Soziale Arbeit mit Blick auf ihre gesellschaftliche Wirkung planen und steuern? Wie kann Soziale Arbeit sinnvoll und nachhaltig wirken – und wie kann ihre Wirkung in die Konzeption und Durchführung von Projekten einfließen? Diese Fragen beschäftigen den Träger Jugendhilfe in Lichtenberg gGmbH, aber auch viele soziale Organisationen und Verbände. Denn sie sehen sich immer wieder mit einer Steuerungspolitik konfrontiert, die vor allem ökonomische Kriterien im Blick hat. Gerade bei der Planung öffentlicher Haushalte werden soziale Organisationen als steigender Kostenfaktor gewertet und ihre gesellschaftliche Wirkung ausgeklammert. Durch mehr betriebswirtschaftliche Kontrolle, so eine gängige Annahme, lasse sich die Effektivität erhöhen und die Steigerung der Entgelte für Soziale Arbeit eindämmen.
Dabei ist der alleinige Fokus auf die Kosten für Einzelleistungen kontraproduktiv. Denn statt Hilfe zur Selbsthilfe zu fördern und Fälle zu beenden, also Menschen aus dem Hilfesystem in die Selbständigkeit zu entlassen, entsteht ein finanzieller Anreiz, die reinen Fallmengen zu steigern. Vernachlässigt wird dabei, welche sozialen Angebote wirklich sinnvoll sind und langfristig den besten Effekt für Nutzerinnen und Klienten haben. So zu arbeiten, ist frustrierend für alle Beteiligten und nicht im Interesse der Klientinnen. Die Soziale Arbeit verliert durch dieses System ihre professionelle Autonomie. Kosten werden dadurch nicht gesenkt, im Gegenteil.
Gesucht: Eine Alternative zum Kostenfokus
Um dieser Entwicklung konstruktiv entgegenzuwirken, entschloss sich der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin e. V. im Jahr 2014, ein Pilotprojekt in Kooperation mit der gemeinnützigen Phineo AG zu starten. Im August 2014 schlossen die Partner eine Kooperationsvereinbarung ab, die beinhaltete, dass Phineo und der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin gemeinsam das Thema Wirkungsorientierung in den Blick nehmen. Dazu sollten gemeinsame Projekte zum Thema Wirkungsorientierung bei Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin umgesetzt werden. Die teilnehmenden Organisationen konnten aus zwei Referaten gewonnen werden: Träger der Hilfen zur Erziehung aus dem Referat Jugendhilfe, ein primär entgeltfinanzierter Bereich, sowie Träger aus den Feldern Suchthilfe, Gesundheit, HIV und Aids, primär zuwendungsfinanzierte Bereiche.
Einzelgespräche zwischen Referentinnen und Referenten des Paritätischen, Beratern von Phineo und Vertretern der Mitgliedsorganisationen schufen den Rahmen, um die Interpretationen von Wirkungsorientierung sowie die Ziele und Interessen der Beteiligten auszuloten. Bei anschließenden Workshops wurden die Kenntnisse im Hinblick auf Wirkungsorientierung ausgebaut und vertieft. 18 Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin entschieden sich schließlich für die Teilnahme am Projekt: Die sieben Organisationen aus dem Bereich Hilfen zur Erziehung haben Trägerverträge mit dem Land Berlin auf Grundlage des Berliner Rahmenvertrag und bieten ambulante und stationäre Hilfen zur Erziehung an. Die elf Mitgliedsorganisationen aus dem Referat Suchthilfe, Gesundheit und HIV/Aids sind Träger von zuwendungsfinanzierten Angeboten und Einrichtungen nach § 75 SGB XII.
Das Kooperationsprojekt war zu Beginn bewusst offen ausgelegt, um das Projektkonzept gegebenenfalls anpassen zu können. In den Beratungsprozessen, die 2015 begannen, wurden unter anderem die Intensität der Beratung vor Ort und die jeweilige Rolle der Partner diskutiert. Zudem galt es, den Ansatz von Phineo für Wirkungsorientierung und den Blick der Träger auf Steuerung sinnvoll zu verknüpfen. Es entstand ein kontextbezogenes Wirkungsmodell. Mitarbeitende der beteiligten Träger nahmen an einem Schulungsprogramm zum Wirkungsmanager oder zur Wirkungsmanagerin mit vier Präsenzzeiten und einer neunmonatigen Praxisphase teil.
Jede teilnehmende Mitgliedsorganisation setzte ein Wirkungsprojekt in der eigenen Organisation um – basierend auf den gemeinsam erarbeiteten Arbeitsmaterialien und Ablaufplänen. Zusätzlich wurden die Träger individuell beraten. Begleitet wurde die Weiterbildung durch sogenannte Wirkungsdialoge, auf denen sich sowohl die Teilnehmenden als auch die Geschäfts führenden der beteiligten Träger über Chancen und Grenzen von Wirkungsorientierung austauschten.
Wirkungsorientierung als Haltungsfrage
Was wir vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin nach Abschluss der ersten Phase des Wirkungsprojekts bereits sagen können: Ein Umdenken hat eingesetzt – von der reinen Leistungsbeschreibung hin zu der Frage: »Wie können wir den gesellschaftlichen Nutzen erreichen, auf den wir hinarbeiten?« Das Konzept von Wirkungsorientierung geht über klassisches Qualitätsmanagement hinaus. Vielmehr steht es für eine Haltung, Projekte und Angebote mit Blick auf ihre Wirkungen – also Veränderungen bei den Zielgruppen – zu planen, umzusetzen, zu analysieren und zu verbessern.
Die Organisationen lernen durch die Reflexion, sich stärker mit dem Kern ihrer Arbeit auseinanderzusetzen: der Hilfe für bedürftige Zielgruppen angesichts eines herausfordernden Arbeitsumfelds und ökonomischer Knappheit. Werden erzielte Wirkungen sichtbar, stärkt das nicht nur das professionelle Selbstverständnis der Projektmitarbeiten den. Wer plausibel machen kann, dass die eingesetzten Ressourcen zu Veränderungen bei den Zielgruppen führen, hat gewichtige Argumente gegenüber Mittelgebenden. Wenn sich der Blick auf Soziale Arbeit dadurch verändert – weg von reiner Kostenorientierung hin zum Fokus auf gesellschaftliche Wirkung – wird das perspektivisch auch Auswirkung auf Verträge mit der öffentlichen Hand haben. Wir wollen dazu beitragen, dass das Ge lernte fest in den Organisationen verankert wird und dort von Nutzen ist. Wir möchten aber auch, dass möglichst viele Träger von dem Pilotprojekt profitieren. Daher haben wir begonnen, die Erfahrungen und Ergebnisse unserer Mitgliederaufzubereiten und der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Beispiel Rheuma-Liga Berlin: Information auf Augenhöhe
Die Rheuma-Liga Berlin konnte das in der Schulung erworbene theoretische Wissen in ihr exemplarisches Praxisprojekt einbringen: Das Programm der Informationsveranstaltung »Arthrosetag« am 27. Oktober 2016 sollte durch mehr Einbeziehung von Patienten und Mitarbeitern besser auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt werden. Es galt also, er wünschte Wirkungen als konkrete Ziele zu formulieren, an denen sich die gesamte Arbeit ausrichtet und gesteuert werden sollte. Das entscheidende Wirkungsziel war, Menschen mit Rheuma noch zielgerichteter über die Angebote der Rheuma-Liga Berlin zu informieren. Zudem sollte durch die Einbindung die Motivation der Beteiligten gestärkt werden.
Um die Zielgruppe besser einzubeziehen, fanden im Vorfeld der Veranstaltung Treffen, persönliche Gespräche und telefonische Interviews statt, aus denen zahlreiche Hinweise und konkrete Anregungen kamen. Auf dieser Grundlage konnte die Rheuma-Liga Berlin beim Arthrosetag, der mit über 500 Gästen sehr gut besucht war, die Gestaltung des Bühnen und Rahmenprogramms entsprechend anpassen: Ein zusätzliche sinteraktives Bewegungsprogramm durch einen Therapeuten wurde in das Bühnenprogramm aufgenommen. Zwei ehrenamtliche Gebärdensprach-Dolmetscherinnen übersetzen alle wissenschaftlichen Vorträge. Am Informationsstand der Rheuma-Liga Berlin wurde eine Präsentationswand zu neuen Bewegungs- und Aktivangeboten ausgestellt. Fragen hier zu beantworteten haupt- und ehrenamtlichen Ansprechpartner.
Die Herausforderung wird es in der Rheuma-Liga Berlin nun sein, Aspekte der Wirkungsorientierung auf andere Bereiche zu übertragen. Dafür bietet sich die Ausgestaltung anderer Informationsveranstaltungen nach dem erfolgreichen Vorbild des Arthrosetages an. Aber auch bei anderen Vorhaben sollen Elemente der Wirkungsorientierung künftig stärker berücksichtigt werden.
Beispiel Schwulenberatung Berlin: Von der Wirkung aus denken
»Wirkungsorientierung ist eine andere Denkweise: Projekte werden nicht vom Angebot aus gedacht, sondern von der gewünschten Wirkung«, sagt Stephan Jäkel von der Schwulenberatung Berlin. »Es gelingt mir dadurch viel besser, unsere Ziele und Vorhaben prägnanter und nachvollziehbarer darzustellen.« Die Schwulenberatung ist einer von elf Trägern aus dem Bereich Suchthilfe, Gesundheit und HIV/Aids, die am Pilotprojekt Wirkungsorientierung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin mit Phineo teilnahmen.
In einem der ersten Treffen lernten die Teilnehmenden die Wirkungstreppe als Instrument der wirkungsorientierten Steuerung kennen. Sie definiert in sieben Stufen, welche Ziele ein Projekt bei der Ziel gruppe und in der Gesellschaft erreichen soll. Auf dieser Basis entwickelte die Schwulenberatung Berlin ein Angebot zur Inklusion von LSBTI-Geflüchteten (schwul, lesbisch, bi‑, trans- und intersexuell). »Die Ziele unseres Angebots entlang der Wirkungstreppe zu definieren, war für mich ein Schlüsselerlebnis«, sagt Stephan Jäkel.
Diese wirkungsorientierte Herangehens weise blieb bei den übrigen Mitarbeitenden der Schwulenberatung Berlin nicht unbemerkt, über alle Abteilungen hinweg gab es Interesse für den wirkungsorientierten Ansatz. »Auch die Kollegen, die nicht direkt mit LSBTI-Geflüchteten arbeiten, identifizieren sich noch stärker mit unserer Organisation, weil sie sehen, dass wir bei diesem Thema viele Geflüchtete unterstützen können und darüber hinaus einen echten Beitrag zur strukturellen Verbesserung der Lebenssituation der Zielgruppe leisten.« Er habe schon mehrere Fortbildungen zu Qualitätsmanagement gemacht, sagt Stephan Jäkel, aber der Ansatz von Wirkungsorientierung sei bislang am umfassendsten. Dennoch sieht der Abteilungsleiter auch Grenzen. »Jedes Detail von Beginn an wirkungsorientiert zu planen, kostet viel Zeit und Energie. Deshalb finde ich die Frage völlig legitim, ob die Investition für jedes Projekt Sinn macht.«
Für die Schwulenberatung Berlin und die Zielgruppe der LSBTI-Geflüchteten habe sich der Aufwand in jedem Fall gelohnt, sagt Jäkel. Derzeit überarbeiten er und seine Kolleginnen und Kollegen das Leitbild ihrer Organisation mit dem Fokus auf Wirkungsorientierung. Anschließend wollen sie sich auch die anderen Tätigkeitsbereiche der Schwulenberatung Berlin ansehen. »Ich bin mir sicher, dass Wirkungsorientierung auch für weitere Projekte ein hilfreiches Instrument bleibt.«
Bewusstere Haltung entwickelt
Auch in der Wohngruppe Rückenwind JuLi gGmbH will man dranbleiben und das Thema Wirkungsorientierung weiterverfolgen. »Wir haben gemerkt, dass man diese Herangehensweise auf weitere Bereiche der eigenen Arbeit übertragen kann«, berichtet Wohngruppenleiter Neuenfeldt-Kock. Wenn jetzt zum Beispiel die Eltern zu einem gemeinsamen Kochabend in der Wohngruppe eingeladen werden, überlegt das Team vorher: Was wollen wir mit diesem Vorhaben erreichen? Was muss erfüllt sein, damit die Veranstaltung ein Erfolg war? Und hinterher wird geschaut, ob diese Ziele auch erreicht wurden.
Wirkungsorientierung immer und überall mitzudenken, das sei nicht immer umzusetzen, berichtet Marcus Neuenfeldt Kock. Der Blick auf die Wirkung sei im Lauf der Zeit ein Aspekt geworden, der bei der Arbeit immer im Hinterkopf bleibe. Eine Investition, die sich lohnt: »Wir haben eine Haltung entwickelt, mit der wir unsere Arbeit bewusster auf unsere Ziele und die Einbeziehung aller Beteiligten hin überprüfen. Durch die Wirkungsorientierung ist unser Handeln einfach greifbarer geworden.«
Der Beitrag ist erschienen in: Sozialwirtschaft aktuell, Nomos, Oktober 2017