ein Gastbeitrag von Anna Zagidullin (M.A.), Referentin Hilfen zur Erziehung und Jugendarbeit
Paritätischer LV Berlin e.V.
Die Jugendhilfe gehört zu den Arbeitsfeldern, die signifikant von gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst
werden. Dies lässt sich an der kontinuierlich steigenden Fallzahlenentwicklung in der letzten zehn Jahren ablesen, die insbesondere auf weiter steigende und verdichtende Armutsrisiken, den Zuwachs an alleinerziehenden Haushalten, das erhöhte Migrationsgeschehen und die Folgen der Flucht, die Zunahme an psychischen und
seelischen Erkrankungen, den Anstieg der Kindeswohlgefährdung, den Bevölkerungszuwachs in Großstädten usw. zurückzuführen ist.
Diese gesellschaftlichen Entwicklungen sind bundesweit zu verzeichnen und erhöhen die Nachfrage nach sozialpädagogischen Fachkräften in der Jugendhilfe deutlich. Der Anstieg der Beschäftigtenzahlen in der Jugendhilfe gibt diese Entwicklung gut wieder. Laut Bundesamt für Statistik ist die Zahl der Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe (ohne Kindertagesbetreuung) im Jahr 2020 bundesweit erneut angestiegen, nämlich um 4,2 % gegenüber dem Jahr 2018. Fast jede dritte Person des pädagogischen und Verwaltungspersonals war im Jahr 2020 in der Heimerziehung tätig, gefolgt von der öffentlichen Jugendhilfe (zum Beispiel Verwaltung und Jugendämter) und der offenen Jugendarbeit.
Des Weiteren verschärfen die fachlichen und strukturellen Anpassungsanforderungen unter anderem im Zusammenhang mit der jüngsten Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes den Bedarf an sozialpädagogischen Fachkräften, zum Beispiel durch die hohe Bedeutung des Kinderschutzes und den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung, durch die weitere Stärkung von Kinderrechten und den Ausbau von Partizipation, Selbstvertretung und Beteiligung junger Menschen, durch die inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe usw.
Zudem befinden sich die freien Träger der Jugendhilfe in einem starken Wettbewerb um die sozialpädagogischen Fachkräfte mit den Kindertagesstätten, der außerschulischen Kinderbetreuung, der Eingliederungshilfe usw. Diese Arbeitsfelder wachsen aktuell ebenfalls rasant und haben einen hohen Bedarf am Personal.
Wir haben uns im Landesverband in Gremien mit zahlreichen Geschäftsführungen der freien Träger der Jugendhilfe gefragt, wie die Jugendhilfe in Berlin im Fort- und Weiterbildungsbereich so gestärkt werden kann, dass sie den wachsenden fachlichen Anforderungen standhalten und durch attraktive Fort- und Weiterbildungsangebote im Wettbewerb mit anderen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern möglicherweise gestärkt werden kann.
Wir wissen, dass die Hauptaltersgruppe der Beschäftigten in der Berliner Jugendhilfe beispielsweise in den stationären Einrichtungen eine eher jüngere Personengruppe mit mehrjähriger Berufserfahrung ist. Laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg sind es im Jahr 2020 die 20–30-Jährigen (29,35 %), gefolgt von 30–40-Jährigen (27,74 %), 50–60-Jährigen (18,38 %) und 40–50-Jährigen (17,48 %).
Kompaktkurs Jugendhilfe für Quereinsteiger:innen und sozialpädagogische Fachkräfte
Zertifikatskurs
Wir möchten diese Personengruppe mit attraktiven, familienfreundlichen und berufsbegleitenden
Fort- und Weiterbildungsmodellen ansprechen, um sie vom Arbeitsfeld Jugendhilfe zu überzeugen, berufliche Entwicklungswege aufzuzeigen und möglicherweise auch einen beruflichen Wechsel innerhalb der unterschiedlichen sozialpädagogischen Arbeitsfelder zu ermöglichen.
Dabei haben wir festgestellt, dass wir auf diesem Gebiet aus unterschiedlichen Gründen einen Nachholbedarf haben. Es müssen mehr flexible und berufsbegleitende Weiterbildungsmodelle entwickelt werden, die die gesetzlichen und fachlichen Inhalte breit aufstellen und nicht nur theoretisch, sondern auch mit einem hohen Praxisbezug vermitteln. Eine zielgruppenadäquate und lebensweltbezogene Organisation von Weiterbildungsformaten ist dabei entscheidend. Auch die stärkere Einbeziehung und Ansprache von Quereinsteigenden wird uns künftig immer mehr beschäftigen.
In diesem Jahr erprobt die Paritätische Akademie Berlin ein innovatives, modular aufgebautes Weiterbildungsangebot, welches den aktuellen Anpassungsanforderungen in der Jugendhilfe weitreichend Rechnung trägt. Dieses Angebot wurde in Zusammenarbeit mit dem Paritätischen LV Berlin, der Einrichtungsaufsicht der Senatsverwaltung, Bildung, Jugend und Familie sowie der Universität für Weiterbildung Krems entwickelt.
Der neue Kompakt- und Zertifikatskurs Jugendhilfe erhöht die Mobilität der sozialpädagogischen Fachkräfte in der Jugendhilfe, indem er breit angelegte Felder abdeckt, wie zum Beispiel Hilfen zur Erziehung, Jugendsozialarbeit, Familienförderung, Jugendberufshilfe. Nach Vorabsprache mit der Einrichtungsaufsicht kann bei Quereinsteigenden aus Berlin der erfolgreiche Kursabschluss und/oder je nach individuellem Qualifikationsbedarf die erfolgreiche Teilnahme an ausgewählten Kursmodulen auf den Fachkräfteschlüssel angerechnet werden.
Das Alleinstellungsmerkmal dieses Angebotes ist der hohe Praxistransfer. Der Kompakt- und Zertifikatskurs wird von vielen erfahrenen Führungs- und Leitungskräften aus den paritätischen Mitgliedsorganisationen und
Dozierenden mit langjähriger Expertise und entsprechendem Renommee im SGB VIII-Feld aktiv mitgestaltet. Damit möchten wir sicherstellen, dass die Inhalte dieses Zertifikatskurses stets aktuell bleiben.
Die Entwicklung dieses neuen Weiterbildungsangebotes geht auf die herausragende Zusammenarbeit aller Beteiligten zurück, die sich in den Inhalten deutlich erkennen lässt. Wir sind sehr gespannt auf die Rückmeldungen aus dem ersten Durchgang und sind bei der Implementierung und Erweiterung der Gruppe von Fortbildungsinteressierten offen. Denkbar sind zum Beispiel Anpassungsweiterbildungen für (sozial-)pädagogisch qualifizierte Geflüchtete.
Weiterführende Informationen über den Kompakt- und Zertifikatskurs Jugendhilfe finden Sie auf der Internetseite des Paritätischen Jugendhilfeforums: www.paritaetisches-jugendhilfeforum.de