Maga­zin

Sep­tem­ber 2023 | Manage­ment

Verhinderte Fachkräfte – Wie qualifizierte Frauen mit Fluchterfahrung auf ihrem Weg in den deutschen Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden

Gut qua­li­fi­zier­te mus­li­mi­sche Frau­en arbei­ten unter ihrem Qua­li­fi­ka­ti­ons­ni­veau bzw. im Hel­fer­be­reich. Das stellt Forough Hos­sein Pour in ihrer Bera­tungs­tä­tig­keit von Frau­en mit Flucht­er­fah­run­gen immer wie­der fest. Um sich mit den Grün­den näher zu befas­sen, unter­sucht sie die Situa­ti­on im Rah­men Ihres Bache­lor­stu­di­ums Sozia­le Arbeit an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin*. Eine her­aus­ra­gen­de Arbeit, auf die auch die Fried­rich-Ebert-Stif­tung auf­merk­sam gewor­den ist.

Heu­te arbei­tet Frau Hos­sein Pour mit ihrer Exper­ti­se im Rah­men ihrer Tätig­keit als Bil­dungs­be­ra­te­rin an Publi­ka­tio­nen mit und setzt sich damit gegen ras­sis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung auf dem Arbeits­markt ein. Im Inter­view spre­chen wir mit ihr über die Aspek­te der Mehr­fach­dis­kri­mi­nie­rung von mus­li­mi­schen Frau­en aus ihrer Bera­tungs­pra­xis und wie sie im berufs­be­glei­ten­den Bache­lor­stu­di­um tie­fer in die Mate­rie ein­stei­gen konn­te.

Frau Hossein Pour, wo waren Sie vor dem Studium tätig und was hat Sie dazu motiviert, Soziale Arbeit an der Paritätischen Akademie Berlin zu studieren?

Hos­sein Pour: Ich arbei­te seit August 2016 als Bil­dungs- und Berufs­be­ra­te­rin für Frau­en mit Flucht­er­fah­rung und Migra­ti­ons­ge­schich­te bei KOBRA, einem Pro­jekt, das im Rah­men der Gleich­stel­lung vom Land Ber­lin öffent­lich geför­dert wird. Seit­dem beschäf­ti­ge ich mich täg­lich mit der Fra­ge des Über­gangs­ma­nage­ments für Rat­su­chen­de mit aus­län­di­schen Abschlüs­sen bzw. mit deren ein­ge­schränk­ten Zugang zu Rech­ten und Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten.

Die Ursa­chen die­ser struk­tu­rel­len Benach­tei­li­gung zu erfor­schen war mei­ne größ­te Moti­va­ti­on. Da unser Trä­ger, der Ber­li­ner Frau­en­bund 1945 e.V., Mit­glied des Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­bands Ber­lin ist, kam uns der Start des berufs­be­glei­ten­den Stu­di­ums im Herbst 2019 sehr ent­ge­gen. So habe ich mich in Abspra­che mit mei­ner Vor­ge­setz­ten Frau Dr. Hil­de­gard Schi­cke für das berufs­be­glei­ten­de Stu­di­um der Sozia­len Arbeit an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie ent­schie­den. 

Welche Themen hat das Bachelorstudium aufgegriffen, die Sie direkt in Ihrer Tätigkeit

anwenden konnten?

Hos­sein Pour: Die Rechts-Modu­le (Grund­si­che­rung, Fami­li­en­recht, das All­ge­mei­ne Gleich­stel­lungs­ge­setz, Auf­ent­halts- und Asyl­recht) waren für mich sehr pra­xis­nah. Denn Asyl­su­chen­de fin­den sich nach ihrer Ankunft in Deutsch­land in einem hoch­kom­ple­xen, selek­ti­ven und beson­ders dyna­mi­schen Ver­wal­tungs­pro­zess wie­der.

Die Logik des Auf­ent­halts­rechts und Ver­wal­tungs­rechts zu ver­ste­hen, kom­ple­xe Frag­stel­lun­gen ana­ly­sie­ren zu kön­nen und unse­re Pro­fes­si­on als „Sozia­le Anwalt­schaft“ gegen­über den Rat­su­chen­den zu begrei­fen, gab mir die Kom­pe­tenz die Inter­es­sen der Frau­en bes­ser durch­zu­set­zen.

In Ihrer Abschlussarbeit haben Sie sich mit Mehrfachdiskriminierung von qualifizierten muslimischen Frauen mit Fluchterfahrung beschäftigt. Wie sind Sie zu dem Thema gekommen? Haben Ihnen dabei Inhalte aus dem Studium geholfen?

Hos­sein Pour: Die Fra­ge nach beruf­li­chen Per­spek­ti­ven von geflüch­te­ten Frau­en in Deutsch­land gehört zu mei­ner täg­li­chen Arbeit als Bil­dungs­be­ra­te­rin bei KOBRA.

Wir bera­ten qua­li­fi­zier­te mus­li­mi­sche Frau­en, die aus­ge­spro­chen erwerbs­ori­en­tiert sind und eine qua­li­fi­ka­ti­ons­ad­äqua­te Beschäf­ti­gung suchen. Sie kom­men, aber auf dem Arbeits­markt nicht an. Gleich­zei­tig haben wir eine Arbeits­markt­for­schung, die die man­gel­haf­te Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on dar­auf zurück­führt, dass die geflüch­te­ten Frau­en kein Human­ka­pi­tal mit­brin­gen, in tra­di­tio­nel­len Fami­li­en leben und für Kin­der sor­gen, oder durch gesund­heit­li­che Ein­schrän­kun­gen belas­tet sind.

Im Juni 2022 wur­de die quan­ti­ta­ti­ve Stu­die zu „Ras­sis­ti­schen Rea­li­tä­ten in Deutsch­land“ des Natio­na­len Dis­kri­mi­nie­rungs- und Ras­sis­mus­mo­ni­tors (NaDi­Ra) ver­öf­fent­licht, die den Ras­sis­mus in Struk­tu­ren und im All­tag von ras­si­fi­zier­ten Men­schen nach­weist. Ich erkann­te, dank der Theo­rien sozia­ler Ungleich­heit des Moduls Sozio­lo­gie und der im Modul Gen­der und Diver­si­ty ver­mit­tel­ten Post­ko­lo­nia­len Per­spek­ti­ven, dass wir es hier mit einer For­schungs­lü­cke zu tun haben. Die NaDi­Ra-Stu­die bestä­tig­te mei­ne Annah­me, dass die­ser Ansatz der Berufs­for­schung die Bar­rie­ren beim Zugang zum Arbeits­markt, die mus­li­mi­schen Frau­en behin­dern, nicht erklä­ren kann. Denn er beruht aus­schließ­lich auf Geschlech­ter­dif­fe­ren­zie­rung, was nicht aus­reicht. Wir brau­chen auch eine qua­li­ta­ti­ve For­schung, die die Mecha­nis­men des Ras­sis­mus als Trei­ber der sozia­len Ungleich­heit im deut­schen Kon­text unter­sucht.

Was macht es weiblichen muslimischen Fachkräften mit Fluchterfahrung in Deutschland so schwer ihrem Abschluss entsprechend arbeiten zu können? Und wie genau haben Sie das untersucht?

Hos­sein Pour: In der Ana­ly­se konn­te ich drei struk­tu­rel­le Bar­rie­ren für qua­li­fi­zier­te mus­li­mi­sche Frau­en mit Flucht­er­fah­rung iden­ti­fi­zie­ren, die sie auf dem Weg in eine aus­bil­dungs­ad­äqua­te Erwerbs­ar­beit aus­schlie­ßen.:

(1) Der Kampf um einen gesi­cher­ten Auf­ent­halts­sta­tus. Hier geht es um Frau­en, die im Asyl­ver­fah­ren sind und die gemäß der Gesetz­ge­bung auf­grund ihres Her­kunfts­lan­des der Kate­go­rie „Geflüch­te­te mit einer schlech­ten Blei­be­per­spek­ti­ve‘“ zuge­teilt wer­den. Hier wur­de deut­lich, dass ihre mit­ge­brach­te Qua­li­fi­ka­ti­on kei­ne Rol­le spielt. Es wird ihnen statt­des­sen der Weg über eine Aus­bil­dung als Garan­tie für eine Blei­be­recht gebo­ten. 

(2) Der Kampf um die Aner­ken­nung der im Her­kunfts­land erwor­be­nen Qua­li­fi­ka­tio­nen. Hier wur­de deut­lich, dass Per­so­nen aus bestimm­ten Län­dern durch selek­ti­ve Ver­fah­rens­be­stim­mung von einer Gleich­wer­tig­keits­prü­fung aus­ge­schlos­sen wer­den.

(3) Der Kampf gegen die Dis­kri­mi­nie­rung von mus­li­mi­schen Frau­en mit Kopf­tuch auf dem Arbeits­markt. Hier konn­te gezeigt wer­den, dass Frau­en, deren im Aus­land erwor­be­ne aus­län­di­sche Qua­li­fi­ka­ti­on in Deutsch­land aner­kannt wur­de und die ein Kopf­tuch tra­gen, trotz allem kei­ne bil­dungs­ad­äqua­ten Jobs bekom­men.

Ich habe die Lebens­be­din­gun­gen von drei Frau­en mit Flucht­er­fah­rung unter­sucht, die ihre Hoch­schul­qua­li­fi­ka­ti­on im Aus­land erwor­ben hat­ten und moti­viert waren, in Ber­lin in ihrem Berufs­feld zu arbei­ten. Dafür habe ich mit Hil­fe des Inter­sek­tio­na­len Meh­re­be­nen­an­sat­zes (Degele/Winker 2009) eine theo­re­ti­sche Per­spek­ti­ve und zugleich einen

pra­xeo­lo­gi­schen Zugang gewählt. Zuerst habe ich eine empi­ri­sche Ana­ly­se sozia­ler Ungleich­heit im All­tag von geflüch­te­ten Frau­en durch­ge­führt. Dar­an habe ich die Ergeb­nis­se sys­te­ma­tisch auf theo­re­ti­sches Wis­sen über

inter­sek­tio­nal ver­wo­be­ne Herr­schafts­ver­hält­nis­se bezo­gen. Hier­bei habe ich Bour­dieus Theo­rie der Kapi­tal­ar­ten und des sozia­len Fel­des sowie die post­ko­lo­nia­len Per­spek­ti­ven nach Said und Hall ein­be­zo­gen, die den empi­risch nach­ge­wie­se­nen Ras­sis­mus als Sys­te­me erklä­ren.

Teile Ihrer Bachelorarbeit sind von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) publiziert worden. Wie kam es dazu?

Hos­sein Pour: Das Team der „Beruf­li­chen Ori­en­tie­rung für Frau­en“ von KOBRA wur­de von der FES für einen Vor­trag ange­fragt. Sie woll­ten im wis­sen­schaft­li­chen Fach­work­shop „Aus Hilfs­kräf­te Fach­kräf­te machen“ unse­re Sicht aus der Bera­tungs­pra­xis auf die Fra­ge­stel­lung.

Da wir jedoch in der Pra­xis die Pro­ble­me bereits gut qua­li­fi­zier­ter Frau­en sehen, die ent­we­der unter ihrem Qua­li­fi­ka­ti­ons­ni­veau bzw. im Hel­fer­be­reich arbei­ten, habe ich mich in mei­nem Input in der Fach­ver­an­stal­tung auf die Ursa­chen struk­tu­rel­ler Dis­kri­mi­nie­rung und Ras­sis­mus kon­zen­triert. Dabei habe ich mich auf die Ergeb­nis­se aus mei­ner Bache­lor-The­sis zur Aus­blen­dung der Mehr­fach­dis­kri­mi­nie­rung von qua­li­fi­zier­ten Geflüch­te­ten bei der Fach­kräf­t­e­dis­kus­si­on bezo­gen. Eini­ge Mona­te spä­ter erhielt ich von der FES-Refe­ren­tin eine E‑Mail mit der Anfra­ge, ob ich bereit wäre, an einer Rei­he von Kurz­pu­bli­ka­tio­nen mit­zu­ar­bei­ten, in denen die im Work­shop ange­spro­che­nen Aspek­te ver­tieft wer­den sol­len. Ich habe mich sehr über ihr Inter­es­se gefreut und sofort zuge­sagt. Mein Impuls­bei­trag „Ver­hin­der­te Fach­kräf­te“ wur­de dann im Janu­ar die­ses Jah­res ver­öf­fent­licht.

Erzählen Sie etwas mehr über das Projekt KOBRA, in dem Sie arbeiten!

Hos­sein Pour: Hin­ter KOBRA steht als Trä­ger der Ber­li­ner Frau­en­bund 1945 e.V., der in der Tra­di­ti­on der eman­zi­pa­to­ri­schen Frau­en­rech­te ent­stan­den ist und sich seit Jahr­zehn­ten für die Rech­te der Frau und die Gleich­stel­lung der Geschlech­ter ein­setzt. In den acht­zi­ger Jah­ren ist KOBRA als eine über­be­zirk­li­che Bera­tungs­ein­rich­tung ent­stan­den. Wir sind ein mul­ti­dis­zi­pli­nä­res Team, das Frau­en in ihrer Viel­falt in allen Fra­gen von Beruf, Bil­dung und Beschäf­ti­gung berät. Bei beson­de­ren beruf­li­chen Über­gän­gen im Kon­text der Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie bzw. Beruf und Pfle­ge – z. B. Eltern­zeit, Fami­li­en­pfle­ge­zeit oder dem Wie­der­ein­stieg – wer­den Men­schen mit Für­sor­ge­ver­ant­wor­tung bera­ten, egal wel­chem Geschlecht sie sich zuge­hö­rig füh­len.

KOBRA unter­stützt Unter­neh­men bei einer lebens­pha­sen­ge­rech­ten Per­so­nal­ent­wick­lung. Am Sitz der Bera­tungs­stel­le KOBRA wur­de ab 2021 auch eine Anlauf- und Koor­di­nie­rungs­stel­le für Allein­er­zie­hen­de in Ber­lin Kreuz­berg-Fried­richs­hain auf­ge­baut.

Mehr zu der Bil­dungs­be­ra­tung für geflüch­te­te Frau­en und Ver­öf­fent­li­chun­gen von Forough Hous­sein Pour:

www.kobra-berlin.de/projekte/

Mehr zu KOBRA: https://www.kobra-berlin.de

Was haben Sie jetzt nach dem Studienabschluss vor?

Hos­sein Pour: Ich wer­de mich geziel­ter in Gre­mi­en ein­brin­gen, die sich mit den Hin­der­nis­sen beschäf­ti­gen, die die Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on von Men­schen mit aus­län­di­schen Berufs­ab­schlüs­sen ver­hin­dern. Mit Sor­ge sehe ich die Ver­schie­bung des öffent­li­chen Dis­kur­ses weg von einer Will­kom­mens­kul­tur für Geflüch­te­te hin zu einer die huma­ni­tä­ren Stan­dards des Grund­ge­setz­tes gefähr­den­den Per­spek­ti­ve der Abschot­tung oder Rück­füh­rung. Des­we­gen fin­de ich es wich­tig, vor allem in die­sen Zei­ten, wo der poli­ti­sche Rechts­ruck die Demo­kra­tie gefähr­det, über Stra­te­gien nach­zu­den­ken, die zur Bekämp­fung und Besei­ti­gung von ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung auf dem Arbeits­markt bei­tra­gen. 

 

Vie­len Dank für das Inter­view, Frau Hos­sein Pour. Wir wün­schen Ihnen für Ihre wich­ti­ge Arbeit und Ihren Ein­satz für eine demo­kra­ti­sche, offe­ne Gesell­schaft wei­ter­hin sehr viel Erfolg!

*ein berufs­be­glei­ten­der Stu­di­en­gang in Koope­ra­ti­on mit der Hoch­schu­le für sozia­le Arbeit und Päd­ago­gik (HSAP). Mehr Infor­ma­tio­nen hier.

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Redak­ti­on: Julia Mann (Pari­tä­ti­sche Aka­de­mie Ber­lin)

Foto im Titel­bild: Forough Hos­sein Pour

Sozia­le Arbeit, Bache­lor of Arts

berufs­be­glei­ten­der Stu­di­en­gang

Start: 1. Okto­ber 2024

Sozialmanagement, Master of Arts

berufsbegleitender Studiengang

Start: 14. Okto­ber 2024

Hete­ro­ge­ne Teams ver­ste­hen und stär­ken

Semi­nar

5. Juni 2024

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