Interview mit Ulrike von Willisen
Ulrike von Willisen ist Beraterin und Supervisorin im Personalmanagement und in der Entwicklung innovativer Projekte. In ihren Fortbildungsformaten legt sie vor allem Wert auf Wissensvermittlung über Führungsmodelle. Ihr Anspruch ist es, den Teilnehmenden in einem sehr praxisorientierten Rahmen Orientierung und Handlungssicherheit zu geben. Die Coachin verfügt selbst über jahrelange Erfahrung als Geschäftsführerin. Im folgenden Interview sprechen wir mit ihr über ganzheitliches Management, über die Machtdynamiken zwischen der Organisation, den Mitarbeitenden und der Gesellschaft und warum Führungskräfte diese erkennen und produktiv einsetzen sollten.
Frau von Willisen, Sie verbinden in diesem Kurs Grundlagen für Führungskräfte in Entscheidungspositionen Einheiten zu normativem, operativem und strategischem Management. Das Thema Agilität in der Führung oder das Entwickeln einer authentischen Führungspersönlichkeit sind ebenso Inhalte Ihres Seminars. Wie können Führungskräfte von dieser Mischung in Ihrem Seminar profitieren?
Von Willisen: Die unterschiedlichen Strategieebenen sind Teil des St. Galler Management- Modells. Sie bilden eine gute Leitplanke für das operative Handeln. Das Arbeiten in agilen Teams gilt zurzeit als sehr modern. In meinem Seminar beleuchte ich diesen, eigentlich bereits Jahrzehnte alten Begriff und lade die Teilnehmenden dazu ein, ihn mit den Anforderungen ihres Arbeitsbereiches abzugleichen.
Mein Ziel ist es, Führungskräften einen Raum zu geben, in dem sie einen guten Überblick über ihr komplexes Schaffen gewinnen und ganz konkret Lösungen für ihre herausfordernden Führungsaufgaben entwickeln.
Insbesondere durch den gemeinsam erlebten Gruppenprozess reifen die Teilnehmenden in ihrer Führungspersönlichkeit.
Welche Personen nehmen an Ihren Fortbildungen teil und was verbindet sie?
Von Willisen: Eine wichtige Entscheidungsposition in einer Organisation auszufüllen, bedeutet meist auch eine gewisse Einsamkeit auszuhalten, selbst dann, wenn man Teil eines Leitungsteams ist. Strukturell betrachtet, gibt es
oft kein Gegenüber, das sich im Organigramm auf der gleichen Ebene bewegt. Sich in einer lernenden Gruppe als „Primus oder Prima unter Pares“ zu befinden ist eine einmalige Chance. Die Gruppe wirkt quasi wie ein Verstärker bei der Entwicklung zur Führungspersönlichkeit.
Die Veranstaltung ist für Entscheidungsträger*innen passend, die die Mischung aus Wissensvermittlung und Selbsterfahrung besonders anspricht. Meine Erfahrung ist, dass auch Menschen, die sich eher als nicht besonders gruppenaffin beschreiben würden, von dem Format profitieren und auf im Anschluss an die Veranstaltung fortgeführte Netzwerke zurückgreifen.
Sie erwähnten zuvor das St. Gallener Management Modell. Was ist Ihrer Meinung nach der Mehrwert des Modells für die Führungskräfte, die sie coachen?
Von Willisen: Das St.Galler Management – Modell wurde im weltweit sehr anerkannten wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich der Universität St.Gallen entwickelt. Es verbindet traditionelles Wissen mit modernen Erkenntnissen und Forschungen. Das Modell ist eine ganzheitliche Managementlehre, die komplexe Zusammenhänge sehr klar und übersichtlich zu verdeutlichen mag. Das Denken in Systemen und Formen des reflexiven Managements spielen dabei eine große Rolle.
Gilt das auch für den Bereich gemeinnützigen und sozialen Arbeit?
Von Willisen: Als Führungskraft mit Personal- und Finanzverantwortung bewegen Sie sich im Bereich der
Unternehmensführung. Aus meiner Sicht ist es im Kontext einer guten Führung sekundär, ob dieses im Profit oder Nonprofit-Bereich erfolgt. Moralische Ansprüche an eine gute Führung, eine Corporate Governance, gelten gleichermaßen für Verantwortungsträger*innen aus allen Bereichen. Das St.Galler Modell bietet für alle Branchen einen Rahmen für verantwortungsvolles Führungshandeln. Gleichzeitig gibt es selbstverständlich Besonderheiten des jeweiligen Arbeitsfeldes zu berücksichtigen, auf die ich später noch eingehen werde. Nach meiner Erfahrung verfügen Leitungskräfte im psychosozialen Bereich meist über ein sehr umfangreiches Fachwissen in ihrem
jeweiligen Arbeitsfeld. Vielen ist in diesem Kontext das systemische Denken durchaus vertraut. Mir geht es in meiner Veranstaltung darum, dass die Teilnehmenden ihre Perspektive aus organisationaler Sicht erweitern und
Dynamiken zwischen ihrer Organisation, dem gesellschaftlichen Umfeld und den Mitarbeitenden erkennen.
Was möchten Sie insbesondere Führungskräften vermitteln? Worin möchten Sie sie bestärken?
Von Willisen: In meinem prozessorientierten Coaching geht es in erster Linie darum, ein eigenes Profil als authentische Führungskraft zu entwickeln. Es gilt, den Mut zu fördern, sich auf dem Parkett der Unternehmensführung sicher zu bewegen und die Lust am Gestalten zu entdecken. Dazu zählt auch die Reflexion über das Thema “Macht“ und inwiefern diese produktiv genutzt werden kann.
Im Zentrum von Führung geht es darum, diejenigen Voraussetzungen zu schaffen, die erforderlich sind, damit eine Organisation sich selbstorganisierend immer wieder neu stabilisieren kann. Folglich steht die Entwicklung und Pflege tragfähiger Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen durch sorgfältige Teamentwicklung, ein gemeinsames Verständnis über die zu erreichenden Ziele und die dafür zu leistenden Tätigkeiten im Vordergrund. Ich würde sagen: Wir brauchen weise Manager*innen mit einer wertschätzenden und vertrauensvollen Haltung gegenüber den Mitarbeitenden.
Meiner Erfahrung nach haben Mitarbeitende in sozialen Bereichen eine hohe intrinsische Motivation, sie wollen das Bestmögliche für ihre Klientel erreichen und sie bewältigen ihre Aufgaben eher mit zu viel als zu wenig Verantwortungsbewusstsein. Führungskräfte können in diesem Bereich umso mehr davon ausgehen und darauf vertrauen, dass ihre Mitarbeitenden zu Leistung und Kooperation bereit sind. Sie müssen eher darauf achten, dass die gesteckten Ziele nicht zu hoch sind, und dafür sorgen, dass den Mitarbeitenden angemessene, strukturell verankerte Maßnahmen gewährt werden, die vor Überforderung und Ausbrennen schützen. Zudem sollten Führungskräfte dazu in der Lage sein, immer wieder auf eine Metaebene zu gehen. Sie sind sowohl Teil eines
Systems, müssen gelegentlich aber auch eine Außenposition einnehmen können.
Welche Chance sehen Sie in der Zusammenarbeit der Paritätischen Akademie und der Förderung von Führungskräften vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels?
Von Willisen: Der Fachkräftemangel wird uns meiner Einschätzung nach noch Jahre begleiten und die Träger werden weiterhin um die besten Arbeitskräfte werben müssen. Dabei sind nicht alle Unternehmen gleich stark vom Fachkräftemangel betroffen. Natürlich spielen regionale Bedingungen eine Rolle.
Aber, wenn man auf die Gründe schaut, warum Arbeitnehmende ein Unternehmen verlassen, so wird primär ein schlechtes Verhältnis zu den Vorgesetzten angegeben.“ Leiten“ im klassischen Sinn funktioniert nicht mehr
und Führungskräfte sollten Haltungen und Sichtweisen entwickeln, die sich an den Werten von Sinn, Vertrauen und Verantwortung orientieren. Für Führungskräfte ist das Erreichen einer solchen Haltung eine hohe Kunst, die
gerade auch im Rahmen des Angebotes der Paritätischen Akademie vermittelt werden sollte.
“Leiten“ im klassischen Sinn funktioniert nicht mehr und Führungskräfte sollten
Haltungen und Sichtweisen entwickeln, die sich an den Werten von Sinn,
Vertrauen und Verantwortung orientieren.
Noch ein Blick in zu Zukunft: Wo sehen Sie die größten Veränderungen in den kommenden Jahren für Führungskräfte im (psycho-)sozialen Bereich? Oder auch Herausforderungen?
Von Willisen: Der Fachkräftemangel wird weiterhin eine große Herausforderung für Führungskräfte, aber auch für die Fachkräfteteams bleiben. In diesem Zusammenhang spielt auch die Arbeit mit divers aufgestellten Teams eine bedeutende Rolle. Menschen, die unterschiedlichen Generationen angehören und/oder, die durch verschiedene
kulturelle Hintergründe geprägt sind, sollen ein Team bilden. Vor diesem Hintergrund brauchen wir Führungskräfte mit hohen sozialen und integrativen Kompetenzen. Auch ist der digitale Wandel in den Organisationen sehr
unterschiedlich ausgeprägt. Dieser wird nach wie vor auch auf Führungsebene viele Ressourcen binden.
Foto: Ulrike von Willisen
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Das Interview führte Annette Loy, Bildungsreferentin und Leiterin des Seminarbereichs an der Paritätischen Akademie Berlin
Das Seminar „Grundlagen für Führungskräfte in Entscheidungspositionen“ mit Ulrike von Willisen startet am 21. März 2023. Es besteht aus zwei Fortbildungstagen und weiteren 6 monatlichen Gruppencoachings in je 3 Stunden. Melden Sie sich jetzt hier an.
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Führungskräfte in Entscheidungspositionen
Seminar mit Ulrike von Willisen