Interview mit Tal Pery
Dr. Tal Pery ist selbstständiger Unternehmensberater mit Fokus auf sozialwirtschaftliche Organisationen. Er unterrichtet unter anderem Digital Leadership: Führen im digitalen Wandel und gemeinsam mit Joël Dunand den Zertifikatskurs Digitale Führung und Transformation an der Paritätischen Akademie Berlin. Mit ihm haben wir über die digitale Entwicklung der Sozialwirtschaft mit Blick auf die Pandemie und auch mit Blick auf die Zukunft gesprochen.
Hallo Tal. Vielen Dank, dass du dir Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Meine erste Frage bezieht sich direkt auf deine Erfahrungen während der Pandemie. Was hat sich deines Erachtens durch die Pandemie in der Sozialwirtschaft geändert? Hast du den Eindruck, dass digitale Werkzeuge heute mehr und selbstverständlicher im Alltag genutzt werden, oder sehnen sich die
meisten zurück zum Analogen?
Hallo Tobias, gerne doch. Ich glaube, beides ist richtig. Die Pandemie hat vielen die Berührungsängste gegenüber digitalen Werkzeugen genommen. Alle mussten sich von heute auf morgen mit Videokonferenzen und anderen Werkzeugen auseinandersetzen. Gleichzeitig fehlt uns natürlicherweise das menschliche Miteinander. Die Kunst wird sein, gemeinsam zu überlegen, welche Elemente des Digitalen wir nach wie vor nutzen wollen und sollten, wenn wir es nicht mehr müssen, sondern können.
Was sind für dich die größten Vorteile einer agilen und digital unterstützten Arbeitsweise im Alltag?
Die Möglichkeit, zeit- und ortsunabhängig zu arbeiten, schafft für viele Menschen eine Autonomie, die sich in der Motivation, Effizienz und Qualität der Arbeit niederschlägt. Der Alltag lässt sich dadurch oft flexibler und mit anderen nicht-beruflichen Notwendigkeiten vereinbaren. Zudem können wir über die Auswertung verschiedener Daten oder der Nutzung von Plattformen Bedarfe und Angebote passgenauer zusammenbringen. Auch eine Annäherung an die Lebenswirklichkeit der „Kund:innen“ wird in manchen Bereichen erleichtert – Jugendliche arbeiten zum Beispiel eher mit Messangerdiensten als mit einem Klemmbrett, Kitaeltern nutzen lieber eine App als das Telefon zur Kommunikation Und schließlich ein konkretes Beispiel aus der Paritätischen Akademie: über das Angebot von Online-Seminare konnten wir plötzlich auch neue Zielgruppen teilhaben lassen: Typischerweise eine alleinerziehende Geschäftsführer:in, die in einer kleinen Organisation ohne schnelle Anbindung nach Berlin nicht die Möglichkeit hatte, an einem Seminar vor Ort teilzunehmen. Hier waren lange An- und Abreise sowie komplexe Organisation der beruflichen und privaten Abwesenheit große Hemmfaktoren.
Und gibt es auch neue Herausforderungen, die mit dem neuen digitalen Arbeiten einhergehen?
Die gibt es auf jeden Fall. Die meisten von uns haben sie gesehen, diskutiert und häufig auch persönlich gespürt. Das Menschliche Miteinander leidet, wenn die Tür- und Angel-Gespräche und soziale Interaktion in der Teeküche ausbleiben. Es ist sehr schwierig, Beziehungen digital aufzubauen, gerade für diejenigen, die sonst eher nicht in der digitalen Welt unterwegs sind. Bestehende Beziehungen auch digital zu erhalten, fällt uns jedoch deutlich leichter.
Wir müssen also das digitale Miteinander gut organisieren. Klare Absprachen müssen weder kompliziert noch einengend sein. Und das Zwischenmenschliche nicht vergessen, das auch digital möglich ist.
Wo siehst du die größten Veränderungen in den kommenden Jahren für die Sozialwirtschaft und auch für unsere Gesellschaft?
Wir müssen uns als Gesellschaft der Frage stellen, wie wir eine durchgängige digitale Teilhabe ermöglichen. Infrastruktur, Wissensvermittlung, Zugang für alle. In der Sozialwirtschaft wird es notwendig sein, digitale Kompetenzen aufzubauen und digitale Werkzeuge, wo sinnvoll, nach und nach einzusetzen. Die Herausforderung stellt sich dabei eher für die kleineren als für die größeren sozialwirtschaftlichen Träger und Organisationen. Hier geht es nicht nur um Finanzierung, sondern auch um Strukturen und Wissen in der Organisation, die das
digitale Arbeiten einfach und sicher machen und ihnen auch ermöglichen am Puls der Zeit zu bleiben.
Die soziale Teilhabe wird mehr und mehr auch eine Frage der digitalen Teilhabe. Was würdest du Führungskräften und Geschäftsführungen in der Sozialwirtschaft mit Blick auf die Zukunft raten?
Offenheit für dieses wichtige Thema ist die Grundlage. Auch sollte Wissen darüber aufgebaut und geschaut werden, wo man intern oder extern Hilfestellung und Förderung erhält. Und es ist sinnvoll, die Schnellschüsse aus der pandemischen Zeit zu bewerten und ggf. nachzujustieren, sowie eine nachhaltige digitale Strategie aufzubauen – mit der Leitfrage „Wo können uns digitale Werkzeuge helfen?“
Hier ist ein schrittweises Vorgehen in der Regel am besten – eine fundierte digitale Infrastruktur (von Leitungen, sicheren Speicherorten, bis hin zu Wlan-Anbindung und Hardware) ist die Basis für jegliches digitales Handeln. Auf dieser Infrastruktur aufbauend können dann neue digitale Arbeitsprozesse und alltägliche Abläufe etabliert werden. Das ist auch Inhalt unseres Zertifikatskurses Digitale Führung und Transformation und im kleineren Rahmen auch im Seminar Digital Leadership. Und nicht zuletzt, gilt es, mit den Kritikern im Gespräch zu bleiben, aufzuklären, Risiken und Grenzen zu diskutieren, zu schulen und so Widerstände und abstrakte Ängste zu verstehen und abzubauen.
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Das Gespräch führte Tobias Fitting, Bildungsreferent für Digitalisierung an der Paritätischen Akademie Berlin.