Pflegeeltern gesucht: Was sich in der Pflegekinderhilfe ändern muss
Interview zur Praxisforschung zum Thema Diversität im Rahmen des Masterstudiums Sozialmanagement
Pflegefamilien spiegeln kaum die Vielfalt unserer Gesellschaft wider – das hat Hannah von der Mark als Sozialarbeiterin in Berlin selbst erlebt. Die Absolventin der Paritätischen Akademie Berlin stellt daher in ihrer Masterarbeit die Frage: Wie lassen sich mehr Pflegeeltern of Colour gewinnen? Wie kann Diversity Management in der Pflegekinderhilfe konkret umgesetzt werden?
Dazu befragte Sie Pflegekinder, Pflegeeltern und Fachkräften der Pflegekinderhilfe nach ihren Erfahrungen der mit den Institutionen. Wir haben mit ihr über die Ergebnisse ihrer Untersuchung und ihre Arbeit in der Pflegekinderhilfe gesprochen.
Frau von der Mark, wie ist Ihrer Einschätzung nach die Pflegekinderhilfe aufgestellt, insbesondere in Bezug auf das Thema Diversität?
Hannah von der Mark: Die Pflegekinderhilfe ist gesellschaftlich wie auch in der Sozialen Arbeit ein Nischenbereich, mit dem sich nur sehr wenig befasst wird und der im öffentlichen Diskurs eher negativ behaftet ist. Zu wenige Menschen sind über die Möglichkeit, ein Pflegekind aufzunehmen und was dies in der Realität bedeutet, informiert. Die Kinder, für die eine Pflegefamilie gesucht wird, kommen aus vielen verschiedenen Familien und bringen verschiedene ethnische Identitäten mit. Auf der anderen Seite gibt es jedoch nur sehr wenige Pflegeeltern, die nicht weiß sind.
Um auch BIPoC-Kindern ein Umfeld zu geben, in dem sie sich abgleichen und wiederfinden können, und insgesamt dafür zu sorgen, dass eine Vielfalt an Pflegeeltern zur Verfügung steht, ist es wichtig, auch Communities of Color in Überlegungen zur Ausweitung von Pflegeelternakquise mit einzubeziehen. Bisher passiert dies kaum.
Zu wenige Menschen sind über die Möglichkeit, ein Pflegekind aufzunehmen und was dies in der Realität bedeutet, informiert.
Migrantische und geflüchtete Mütter, insbesondere auch schwarze Frauen, sind oft selbst von institutionellem Rassismus – etwa seitens der Jugendämter – betroffen. (Anmerkung der Redaktion)*
Gut gelungen ist in der Vergangenheit die Aufklärung darüber, dass auch gleichgeschlechtliche Paare sowie andere Menschen aus der LGBTQIA+-Community Pflegeeltern werden können. Es gibt viele gleichgeschlechtliche Paare, die Pflegekinder aufgenommen haben. Ich würde mir wünschen, dass künftig zusätzlich auch Communities of Color erreicht werden können.
Ein häufiges Missverständnis: Pflegekinder müssten ihre Pflegefamilie bald wieder verlassen. Das stimmt nur selten – die meisten bleiben bis zur Volljährigkeit. Dieses Vorurteil schreckt viele Interessierte ab. In Berlin fehlen aktuell rund 700 Pflegefamilien – eine alarmierende Zahl.
Was sind laut Ihrer Untersuchung die größten Herausforderungen? Welche Maßnahmen gibt es, um die Situation zu verbessern?
Hannah von der Mark: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Veränderung notwendig statt allein in der Pflegekinderhilfe. Der aktuelle politische Diskurs zum Thema Migration ist von so viel Rassismus und Hass geprägt – da ist es absolut verständlich, dass Menschen mit Migrationsgeschichte allen deutschen Ämtern mit Vorsicht begegnen. Die Pflegekinderhilfe als Institution, die eng mit dem Jugendamt zusammenarbeitet, ist hiervon selbstverständlich mit betroffen. Auch Alltagsrassismus und Mikroaggressionen sind so weit verbreitet, dass es eine nachvollziehbare Sorge ist, diesen auch in Prozessen der Pflegekinderhilfe zu begegnen. Sich dem nicht aussetzen zu wollen, ist sehr verständlich. Ich kann, basierend auf meinen Interviews, auch nicht ausschließen, dass es zu solchen Erfahrungen kommt.
Eine Stärkung der Fachkräfte sowohl der Pflegekinderhilfe als auch des Jugendamtes hinsichtlich einer diskriminierungssensiblen Haltung stellt eine große Herausforderung dar, die beispielsweise mithilfe von Fortbildungen angegangen werden kann.
Was muss sich ändern, um mehr BIPoC-Pflegeeltern zu gewinnen?
Hannah von der Mark: Die Akquise findet zu wenig im öffentlichen Raum statt. In meinen Interviews erhielt ich vor allem die Rückmeldung, dass es an Informationen fehlt.
Mehr Informationen sollten beispielsweise über Plakate oder Social Media verbreitet werden. Letzteres beginnt langsam, jedoch findet auch hier Diversity bisher nur bedingt Einzug. Für eine Plakatkampagne fehlen aktuell – wie überall in der Sozialen Arbeit – die finanziellen Ressourcen.
Wurde das Thema Diversität im Masterstudiengang Sozialmanagement, den sie berufsbegleitend studiert haben, aufgegriffen? Wie hat Ihnen das für Ihr Thema weitergeholfen?
Hannah von der Mark: Ja, es gab ein Modul zum Thema Diversity-Management. Hier erhielt ich einen ersten Einblick in Diversity als Managementaufgabe und konnte meinen Blick für die Herausforderungen diesbezüglich in der Pflegekinderhilfe schärfen. Zudem konnte ich die Expertin, die den Kurs doziert hat, als Erstgutachterin für meine Masterarbeit gewinnen.
Wie geht es jetzt für Sie und Ihren Bereich weiter?
Hannah von der Mark: Die Anregungen und Ideen, die ich in der Masterarbeit gesammelt habe, möchte ich nun umsetzen. Damit möchte ich nachhaltige Veränderungen in meinem Arbeitsbereich erreichen.
Das heißt konkret:
- Communities of Color sowie der LGBTQIA+-Community sollen in die aktuell stattfindende Social-Media-Kampagne aufgenommen werden.
- Fortbildungsprogrammen für Pflegefamilien, die ein BIPoC-Kind aufgenommen haben, sollen das Thema einbeziehen
- Netzwerke für diese Pflegefamilien sollen aufgebaut werden, um die Kinder in der Entwicklung ihrer ethnischen Identität zu stärken.
- Fortbildungsmaßnahmen für die Fachkräfte der Pflegekinderhilfe werden geplant, um die Pflegekinderhilfe so diskriminierungssensibel wie möglich zu gestalten.
Ziel ist es, dass alle Menschen erreicht werden können und wir möglichst viele neue Pflegeeltern akquirieren können. Das wird zwar noch dauern, ich bin jedoch guter Dinge, dass die notwendigen Veränderungen auch durchgeführt werden.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!
Zur Person: Hannah von der Mark (Foto unter dem Text) war als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe tätig. Doch durch ihren Wunsch neben dem Beruf Sozialmanagement zu studieren, suchte sie nach einer neuen Stelle, die mit flexibleren Arbeitszeiten ein berufsbegleitendes Studium ermöglichen könnte. Auf diesem Weg kam sie zu einer Stelle in der Pflegekinderhilfe. In diesem Interview gibt sie Einblicke in die Ergebnisse ihrer umfangreichen Untersuchung des Themas Diversität in diesem Bereich, die sie im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an der Paritätischen Akademie Berlin durchführte.

*Hinweis der Redaktion: Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB) bietet Beratung und Unterstützung für Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren haben. Es setzt sich für die soziale, rechtliche und politische Gleichbehandlung ein und fördert eine Antidiskriminierungskultur auf lokaler Ebene. Mehr Infos auf der Website von SEKIS Berlin.
Sie möchten mehr über Pflegeelternschaft in Berlin erfahren? Dann besuchen Sie Pflegekinder Berlin – das Informationsportal für Pflegefamilien auf www.pflegekinder-berlin.de.
_______________________________________
Redaktion: Julia Mann (Paritätische Akademie Berlin)
Foto im Titelbild: Pexels
Foto im Text: Hannah von der Mark