Verhinderte Fachkräfte – Wie qualifizierte Frauen mit Fluchterfahrung auf ihrem Weg in den deutschen Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden
Gut qualifizierte muslimische Frauen arbeiten unter ihrem Qualifikationsniveau bzw. im Helferbereich. Das stellt Forough Hossein Pour in ihrer Beratungstätigkeit von Frauen mit Fluchterfahrungen immer wieder fest. Um sich mit den Gründen näher zu befassen, untersucht sie die Situation im Rahmen Ihres Bachelorstudiums Soziale Arbeit an der Paritätischen Akademie Berlin*. Eine herausragende Arbeit, auf die auch die Friedrich-Ebert-Stiftung aufmerksam geworden ist.
Heute arbeitet Frau Hossein Pour mit ihrer Expertise im Rahmen ihrer Tätigkeit als Bildungsberaterin an Publikationen mit und setzt sich damit gegen rassistische Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ein. Im Interview sprechen wir mit ihr über die Aspekte der Mehrfachdiskriminierung von muslimischen Frauen aus ihrer Beratungspraxis und wie sie im berufsbegleitenden Bachelorstudium tiefer in die Materie einsteigen konnte.
Frau Hossein Pour, wo waren Sie vor dem Studium tätig und was hat Sie dazu motiviert, Soziale Arbeit an der Paritätischen Akademie Berlin zu studieren?
Hossein Pour: Ich arbeite seit August 2016 als Bildungs- und Berufsberaterin für Frauen mit Fluchterfahrung und Migrationsgeschichte bei KOBRA, einem Projekt, das im Rahmen der Gleichstellung vom Land Berlin öffentlich gefördert wird. Seitdem beschäftige ich mich täglich mit der Frage des Übergangsmanagements für Ratsuchende mit ausländischen Abschlüssen bzw. mit deren eingeschränkten Zugang zu Rechten und Teilhabemöglichkeiten.
Die Ursachen dieser strukturellen Benachteiligung zu erforschen war meine größte Motivation. Da unser Träger, der Berliner Frauenbund 1945 e.V., Mitglied des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin ist, kam uns der Start des berufsbegleitenden Studiums im Herbst 2019 sehr entgegen. So habe ich mich in Absprache mit meiner Vorgesetzten Frau Dr. Hildegard Schicke für das berufsbegleitende Studium der Sozialen Arbeit an der Paritätischen Akademie entschieden.
Welche Themen hat das Bachelorstudium aufgegriffen, die Sie direkt in Ihrer Tätigkeit
anwenden konnten?
Hossein Pour: Die Rechts-Module (Grundsicherung, Familienrecht, das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, Aufenthalts- und Asylrecht) waren für mich sehr praxisnah. Denn Asylsuchende finden sich nach ihrer Ankunft in Deutschland in einem hochkomplexen, selektiven und besonders dynamischen Verwaltungsprozess wieder.
Die Logik des Aufenthaltsrechts und Verwaltungsrechts zu verstehen, komplexe Fragstellungen analysieren zu können und unsere Profession als „Soziale Anwaltschaft“ gegenüber den Ratsuchenden zu begreifen, gab mir die Kompetenz die Interessen der Frauen besser durchzusetzen.
In Ihrer Abschlussarbeit haben Sie sich mit Mehrfachdiskriminierung von qualifizierten muslimischen Frauen mit Fluchterfahrung beschäftigt. Wie sind Sie zu dem Thema gekommen? Haben Ihnen dabei Inhalte aus dem Studium geholfen?
Hossein Pour: Die Frage nach beruflichen Perspektiven von geflüchteten Frauen in Deutschland gehört zu meiner täglichen Arbeit als Bildungsberaterin bei KOBRA.
Wir beraten qualifizierte muslimische Frauen, die ausgesprochen erwerbsorientiert sind und eine qualifikationsadäquate Beschäftigung suchen. Sie kommen, aber auf dem Arbeitsmarkt nicht an. Gleichzeitig haben wir eine Arbeitsmarktforschung, die die mangelhafte Arbeitsmarktintegration darauf zurückführt, dass die geflüchteten Frauen kein Humankapital mitbringen, in traditionellen Familien leben und für Kinder sorgen, oder durch gesundheitliche Einschränkungen belastet sind.
Im Juni 2022 wurde die quantitative Studie zu „Rassistischen Realitäten in Deutschland“ des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) veröffentlicht, die den Rassismus in Strukturen und im Alltag von rassifizierten Menschen nachweist. Ich erkannte, dank der Theorien sozialer Ungleichheit des Moduls Soziologie und der im Modul Gender und Diversity vermittelten Postkolonialen Perspektiven, dass wir es hier mit einer Forschungslücke zu tun haben. Die NaDiRa-Studie bestätigte meine Annahme, dass dieser Ansatz der Berufsforschung die Barrieren beim Zugang zum Arbeitsmarkt, die muslimischen Frauen behindern, nicht erklären kann. Denn er beruht ausschließlich auf Geschlechterdifferenzierung, was nicht ausreicht. Wir brauchen auch eine qualitative Forschung, die die Mechanismen des Rassismus als Treiber der sozialen Ungleichheit im deutschen Kontext untersucht.
Was macht es weiblichen muslimischen Fachkräften mit Fluchterfahrung in Deutschland so schwer ihrem Abschluss entsprechend arbeiten zu können? Und wie genau haben Sie das untersucht?
Hossein Pour: In der Analyse konnte ich drei strukturelle Barrieren für qualifizierte muslimische Frauen mit Fluchterfahrung identifizieren, die sie auf dem Weg in eine ausbildungsadäquate Erwerbsarbeit ausschließen.:
(1) Der Kampf um einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Hier geht es um Frauen, die im Asylverfahren sind und die gemäß der Gesetzgebung aufgrund ihres Herkunftslandes der Kategorie „Geflüchtete mit einer schlechten Bleibeperspektive‘“ zugeteilt werden. Hier wurde deutlich, dass ihre mitgebrachte Qualifikation keine Rolle spielt. Es wird ihnen stattdessen der Weg über eine Ausbildung als Garantie für eine Bleiberecht geboten.
(2) Der Kampf um die Anerkennung der im Herkunftsland erworbenen Qualifikationen. Hier wurde deutlich, dass Personen aus bestimmten Ländern durch selektive Verfahrensbestimmung von einer Gleichwertigkeitsprüfung ausgeschlossen werden.
(3) Der Kampf gegen die Diskriminierung von muslimischen Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt. Hier konnte gezeigt werden, dass Frauen, deren im Ausland erworbene ausländische Qualifikation in Deutschland anerkannt wurde und die ein Kopftuch tragen, trotz allem keine bildungsadäquaten Jobs bekommen.
Ich habe die Lebensbedingungen von drei Frauen mit Fluchterfahrung untersucht, die ihre Hochschulqualifikation im Ausland erworben hatten und motiviert waren, in Berlin in ihrem Berufsfeld zu arbeiten. Dafür habe ich mit Hilfe des Intersektionalen Mehrebenenansatzes (Degele/Winker 2009) eine theoretische Perspektive und zugleich einen
praxeologischen Zugang gewählt. Zuerst habe ich eine empirische Analyse sozialer Ungleichheit im Alltag von geflüchteten Frauen durchgeführt. Daran habe ich die Ergebnisse systematisch auf theoretisches Wissen über
intersektional verwobene Herrschaftsverhältnisse bezogen. Hierbei habe ich Bourdieus Theorie der Kapitalarten und des sozialen Feldes sowie die postkolonialen Perspektiven nach Said und Hall einbezogen, die den empirisch nachgewiesenen Rassismus als Systeme erklären.
Teile Ihrer Bachelorarbeit sind von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) publiziert worden. Wie kam es dazu?
Hossein Pour: Das Team der „Beruflichen Orientierung für Frauen“ von KOBRA wurde von der FES für einen Vortrag angefragt. Sie wollten im wissenschaftlichen Fachworkshop „Aus Hilfskräfte Fachkräfte machen“ unsere Sicht aus der Beratungspraxis auf die Fragestellung.
Da wir jedoch in der Praxis die Probleme bereits gut qualifizierter Frauen sehen, die entweder unter ihrem Qualifikationsniveau bzw. im Helferbereich arbeiten, habe ich mich in meinem Input in der Fachveranstaltung auf die Ursachen struktureller Diskriminierung und Rassismus konzentriert. Dabei habe ich mich auf die Ergebnisse aus meiner Bachelor-Thesis zur Ausblendung der Mehrfachdiskriminierung von qualifizierten Geflüchteten bei der Fachkräftediskussion bezogen. Einige Monate später erhielt ich von der FES-Referentin eine E‑Mail mit der Anfrage, ob ich bereit wäre, an einer Reihe von Kurzpublikationen mitzuarbeiten, in denen die im Workshop angesprochenen Aspekte vertieft werden sollen. Ich habe mich sehr über ihr Interesse gefreut und sofort zugesagt. Mein Impulsbeitrag „Verhinderte Fachkräfte“ wurde dann im Januar dieses Jahres veröffentlicht.
Erzählen Sie etwas mehr über das Projekt KOBRA, in dem Sie arbeiten!
Hossein Pour: Hinter KOBRA steht als Träger der Berliner Frauenbund 1945 e.V., der in der Tradition der emanzipatorischen Frauenrechte entstanden ist und sich seit Jahrzehnten für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. In den achtziger Jahren ist KOBRA als eine überbezirkliche Beratungseinrichtung entstanden. Wir sind ein multidisziplinäres Team, das Frauen in ihrer Vielfalt in allen Fragen von Beruf, Bildung und Beschäftigung berät. Bei besonderen beruflichen Übergängen im Kontext der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. Beruf und Pflege – z. B. Elternzeit, Familienpflegezeit oder dem Wiedereinstieg – werden Menschen mit Fürsorgeverantwortung beraten, egal welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.
KOBRA unterstützt Unternehmen bei einer lebensphasengerechten Personalentwicklung. Am Sitz der Beratungsstelle KOBRA wurde ab 2021 auch eine Anlauf- und Koordinierungsstelle für Alleinerziehende in Berlin Kreuzberg-Friedrichshain aufgebaut.
Mehr zu der Bildungsberatung für geflüchtete Frauen und Veröffentlichungen von Forough Houssein Pour:
Mehr zu KOBRA: https://www.kobra-berlin.de
Was haben Sie jetzt nach dem Studienabschluss vor?
Hossein Pour: Ich werde mich gezielter in Gremien einbringen, die sich mit den Hindernissen beschäftigen, die die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit ausländischen Berufsabschlüssen verhindern. Mit Sorge sehe ich die Verschiebung des öffentlichen Diskurses weg von einer Willkommenskultur für Geflüchtete hin zu einer die humanitären Standards des Grundgesetztes gefährdenden Perspektive der Abschottung oder Rückführung. Deswegen finde ich es wichtig, vor allem in diesen Zeiten, wo der politische Rechtsruck die Demokratie gefährdet, über Strategien nachzudenken, die zur Bekämpfung und Beseitigung von rassistischer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt beitragen.
Vielen Dank für das Interview, Frau Hossein Pour. Wir wünschen Ihnen für Ihre wichtige Arbeit und Ihren Einsatz für eine demokratische, offene Gesellschaft weiterhin sehr viel Erfolg!
*ein berufsbegleitender Studiengang in Kooperation mit der Hochschule für soziale Arbeit und Pädagogik (HSAP). Mehr Informationen hier.
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Redaktion: Julia Mann (Paritätische Akademie Berlin)
Foto im Titelbild: Forough Hossein Pour
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