Neue Erkenntnisse zum Messie-Syndrom
Veronika Schröter forscht und arbeitet seit vielen Jahren zum Messie-Syndrom. Die Bezeichnung „Messie-Syndrom“ ist allerdings ein Überbegriff. Bisher wurde nicht klar zwischen den verschiedenen Ausprägungstypologien unterschieden. Dabei müssen sie in ihrer Symptomatik, Behandlungsform und Ursachen klar voneinander differenziert werden.
Teil 1: Definition und Krankheitsbild
Um in der sozialen Arbeit mit vom Messie-Syndrom betroffenen Menschen umgehen zu können, muss zunächst ein Verständnis darüber herrschen, worum es sich bei dem Syndrom handelt. In der Forschung gab es in den letzten
Jahrzehnten lange keine klare Antwort darauf. Angenommen wurde unter anderem, dass es sich um ein Symptom einer anderen zugrundeliegenden psychischen Erkrankung handeln könnte. Vermutet wurde möglicherweise eine Zwangs- oder Suchterkrankung, die entsprechend therapiert werden müsse. Nun gibt es neue Erkenntnisse, über die wir mit Veronika Schröter gesprochen haben. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie mit vom Messie-Syndrom
betroffenen Menschen und hat untersucht, was genau dahintersteckt.
Nach den Forschungsergebnissen einer von ihr durchgeführten Studie im Jahr 2022 wird deutlich: Es handelt sich beim sogenannten pathologischen Horten um eine eigenständige Krankheit (ICD-11). Schröters Arbeiten zeigen auch: es gibt nicht „das“ Messie-Syndrom, sondern unterschiedliche Ausprägungsformen mit eigenen Merkmalen. Das Messie-Syndrom ist demnach als ein Überbegriff zu verstehen.
An der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg unter der Leitung von Prof. Dr. Ebert führte sie eine Studie durch, in der das Krankheitsbild „Messie-Syndrom“ näher definiert wurde. Die Annahme, dem Messie-Syndrom liege eine andere psychische Krankheit (z. B. eine Zwangsstörung) zugrunde, konnte in der Studie nicht bestätigt werden. Bestimmte Bindungserfahrungen, vor allem in der frühen Kindheit liegend, führen zu der Erkrankung.
Die Annahme, dem Messie-Syndrom liege eine andere psychische Krankheit (z. B. eine Zwangsstörung) zugrunde, konnte in der Studie nicht bestätigt werden.
Doch grenzen wir das Phänomen zunächst ein: Von Kleidung über Zeitschriften bis hin zu elektronischen Geräten wie alte Handys und Co. – In der heutigen Konsumgesellschaft passiert es nicht selten, dass sich Dinge anhäufen, Schubladen und Schränke regelrecht „überquellen“. Ab wann wird von einem Messie-Syndrom gesprochen?
Laut Veronika Schröter ist dann vom Messie-Syndrom die Rede, wenn sich Sachen in einer Art und Weise stapeln, sodass Betroffene damit eine tatsächliche Lebenseinschränkung erfahren. Eine Einschränkung kann zum Beispiel
darin bestehen, keine Menschen mehr zu sich einladen zu können. Nicht nur wichtige soziale Kontakte haben dann keinen Zugang mehr zu der betroffenen Person. Auch Sozialpädagog:innen oder Therapeut:innen und Pflegekräfte können nicht mehr an die Betroffenen (wortwörtlich) herankommen, um zu helfen.
Schröter definiert drei Ausprägungstypologien, die getrennt voneinander betrachtet werden müssen.
Der erste Typus ist das pathologische Horten. Hier ist die Hauptsymptomatik, dass sich Menschen von ihren Dingen nicht mehr trennen können. „Das ist trocken. Da riecht und krabbelt auch nichts.“ merkt die Co-Autorin der Studie an. Zuvor wurde das Sammeln bzw. Horten nicht von anderen Symptomatiken wie dem unhygienischen Wohnsituationen oder der gar nachlässiger Körperpflege unterschieden. Das pathologische Horten hat jedoch
eine vollständig andere Ursachenherkunft als zuletzt genannte.
Beim sogenannten „Vermüllungssyndrom“ gibt es im Gegensatz zum ersten Typus auch Geruchsbildung. Dies geschieht aufgrund einer Herdentwicklung unter den Stapeln in der Wohnung. Im Unterschied zum pathologischen Horten kann es hier laut Schröter „auch zu Feuchtigkeit und Schimmelbildung im Haushalt kommen.“
Dann gibt es noch eine dritte Ausprägungstypologie. Diese nennt sie das „Verwahrlosungssyndrom“. Die Therapeutin beschreibt es so: „An diesen Menschen ist erkennbar, dass sie aus einem gesellschaftlichen Konsens ausgestiegen sind.“ Damit meint sie allgemein existierende Übereinkunft, gepflegt aus dem Haus zu gehen. Der Hintergrund ursächlicher Art unterscheidet sich hier grundsätzlich von den anderen Ausprägungstypologien. Nämlich die Tatsache, dass diese Menschen an einer Bedeutungs- sowie Sinnlosigkeit leiden.
Zusammengefasst gibt drei verschiedenene Ausprägungstypologien:
- Das Pathologische Horten
- Das Vermüllungssyndrom
- Das Verwahrlosungssyndrom
Nicht nur in ihren Ursachen, auch in ihren Rechtsgrundlagen unterscheiden sie sich voneinander. So gibt es tatsächlich ein „Recht auf Verwahrlosung“ . Bei „Vermüllung“ ist das jedoch nicht der Fall. Hier muss auf der Rechtsgrundlage von Selbst- und Fremdgefährdung gehandelt und daraufhin in den Wohnraum eingegriffen werden. Wichtig ist der Messie-Expertin aber, dass dies mit Würde geschieht. Wie man das umsetzen kann, ist lernbar. Zum Beispiel bei ihr. Fachkräften der sozialen Arbeit vermittelt sie Grundlagenwissen, unterstützt als Coachin und Supervisorin sowie bei der Konzeptentwicklung in ihren Einrichtungen. Ihr Ziel: Das alle Mitarbeiter:innen das notwendige Wissen und Handwerk erhalten, um Messie-Betroffene auf gleicher Ebene begleiten zu können.
Wir möchten in Folgebeiträgen auf die Ursachen, Symptomatik, Behandlungsansätze der drei Ausprägungstypologien näher eingehen. Diese werden im Laufe des Jahres in unserem Online-Magazin erscheinen.
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Veronika Schröter ist Gründerin des Messie-Kompetenz- Zentrums in Stuttgart und bildet bundesweit Fachkräfte und Einrichtungen in der Arbeit mit Betroffenen aus. Erfahren hier Sie mehr über die Seminar an der Paritätischen Akademie Berlin.
Im Seminar Das Messie-Syndrom. Umgang mit Menschen, die dauerhaft im Chaos leben. schult die Messie-Expertin Fachkräfte darin, den typischen Herausforderungen in der Arbeit mit Betroffenen auf professionelle Weise gelassen und erfolgreich zu begegnen. Im Jahr 2023 wird das Seminar im April sowie im Oktober angeboten.
Foto: Veronika Schröter
Beziehungsdynamik bei psychischen Störungen
Seminar
mit Dr. phil. Sylvia Siegel
Das Messie-Syndrom. Umgang mit Menschen, die dauerhaft im Chaos leben.
Seminar
mit Veronika Schröter
Handlungsstrategien in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen
Seminar
mit Uta Rautenstrauch
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Interview mit Elke Katharina Meyer und Thomas Achim Werner
Eine Fachkraft, die sich am Arbeitsplatz wohlfühlt, ist motivierter und engagierter. So hat die interne Teamkultur einen bedeutenden Einfluss auf die Leistung der Mitarbeitenden und natürlich darauf, ob sie langfristig im Arbeitsplatz bleiben. Ein gutes Miteinander unter Kolleg:innen ist nicht nur gut fürs Arbeitsklima. Es wirkt sich zudem auch positiv auf die Patient:innen bzw. Klient:innen aus.
Elke Katharina Meyer und Thomas Achim Werner haben es sich zur Aufgabe gemacht, Positive Psychologie in die Sozialwirtschaft zu bringen. Sie begleiten Führungskräfte dabei, diesen Ansatz in ihrer Einrichtung zu integrieren. Im Interview sprechen wir mit ihnen über ihre Erfahrung als Berater:innen in sozialen Organisationen und welche dort noch vorherrschenden Glaubenssätze zum Beispiel nicht mehr funktionieren.
Herr Werner, Sie kommen aus dem Bankwesen. Frau Meyer, Sie aus der Erwachsenenbildung. Ist Führung in sozialen Einrichtungen ein aktuelles Thema und gibt es hier dieselben typischen Probleme wie in anderen Branchen? Wie entstand die Idee für einen Zertifikatskurs zu Positiver Führung?
Meyer & Werner: Positive Führung ist ein aktuelles Thema, das in allen Branchen helfen kann, Menschen für zukünftige Herausforderungen zu stärken. In der Sozialwirtschaft gibt es allerdings besondere Herausforderungen.
Zum einen zeigen Untersuchungen, dass die wahrgenommene Qualität der Führung in der Sozialwirtschaft geringer ist als in vielen anderen Branchen. Hier wird viel Aufmerksamkeit auf die begünstigten Menschen (Patient:innen / Kund:innen / Teilnehmende) gerichtet, aber oft zu wenig auf die hier arbeitenden Menschen.
Zum anderen ist es vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels insbesondere in der Sozialwirtschaft wichtig, attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten, um als Arbeitgeber Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten.
Führungskräften kommt dabei eine besondere Stellung zu. Es ist nachgewiesen, dass Mitarbeitende, die das Unternehmen verlassen, primär ihre direkten Vorgesetzten und nicht das Unternehmen als Ganzes verlassen. Als Vorbilder sind Führungskräfte die direkte Schnittstelle zwischen Unternehmen und Mensch, sie tragen wesentlich zum Teamklima und der Kultur des Miteinanders bei. Oft ist ihnen gar nicht im vollen Umfang bewusst, dass sie in jedem Moment und mit jedem Verhalten bewusst und unbewusst als Modell wahrgenommen werden.
Darum ist es wichtig, Führungskräfte bewusst darin zu schulen, welche Wirkung sie im Team haben und wie sie ganz bewusst eine förderliche Führungskultur schaffen können. Dabei geht es nicht nur um erlernbares Verhalten, wie z. B. ein Gespräch nach einem bestimmten Leitfaden zu führen. Es geht auch um die innere Haltung, die eine Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitenden oder einer Situation einnimmt. Dafür haben wir den Zertifikatskurs Positive Führung entwickelt.
Es ist nachgewiesen, dass Mitarbeitende, die das Unternehmen verlassen, primär ihre direkten Vorgesetzten und nicht das Unternehmen als Ganzes verlassen.
Welche Chance sehen Sie in der Zusammenarbeit der Paritätischen Akademie?
Meyer & Werner: Positive Führung ist noch recht neu und wurde in den letzten Jahren von einigen innovativen Unternehmen mit sichtbaren Ergebnissen implementiert. Mit diesem Kurs wollen wir die kräftigende Wirkung der Positiven Psychologie stärker auch in die Sozialunternehmen bringen, so dass auch hier Führungskräfte und Mitarbeitende von den neuesten Erkenntnissen der Positiven Psychologie profitieren können.
Gerade in dieser Branche sind die Menschen emotional besonders gefordert und arbeiten oft an ihrem Limit. Es ist uns nicht nur eine Herzensangelegenheit, diese Menschen in ihrem Selbstmanagement, ihrer Resilienz und ihrem Miteinander zu fördern. Es ist auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit, dass diese Menschen auch zukünftig ihren wertvollen Job ausführen können.
Durch gelebte und umgesetzte Positive Psychologie wird sowohl das Arbeitsleben für die Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden verbessert. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass das auch positiv auf die Kund:innen / Patient:innen wirkt.
Über die Zusammenarbeit mit der Paritätischen Akademie möchten wir die wertvollen Erkenntnisse der Positiven Psychologie auch den Betrieben der Gesundheits- und Sozialwirtschaft näherbringen. Das bietet auch kleineren Trägern, die (noch) keine strukturierte Führungskräftentwicklung haben, die Möglichkeit, ihre Führungskräfte zu vertretbaren Kosten zu entwickeln.
Was sind die Schwerpunkte und Stärken des Ansatzes Positive Führung?
Meyer & Werner: Positive Führung basiert auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Positiven Psychologie. Diese befasst sich im Kern damit, wie ein erfülltes Leben gelingen kann und was dazu beiträgt. Also weg vom Problemfokus hin zu Wachstum und Entfaltung.
Für die Führung bedeutet das, das Wertvolle und Gute zu erkennen und zu stärken, anstatt nur Probleme zu beseitigen. Wir ignorieren Störungen und Schwächen nicht, aber beschränken uns nicht auf die negative Abweichung, sondern suchen bewusst die positiven Abweichungen. Damit lenken wir unsere Energie und Aufmerksamkeit auf die Bausteine, aus denen die Lösungen gestaltet werden. Alle Modelle und Interventionen haben eine wissenschaftliche Basis mit nachgewiesener Wirksamkeit.
Neuere Ansätze wie New Work und Agilität verlangen von den Menschen viel Flexibilität und Entwicklungsbereitschaft. Mit der Positiven Führung stärken wir die Menschen von innen heraus, die Zukunft kraftvoll und zuversichtlich zu gestalten.
Sie arbeiten mit wissenschaftlichen Modellen wie dem PERMA-Modell. Woher kommt das und auf welchen Erkenntnissen beruht es?
Meyer & Werner: Das PERMA-Modell wurde 2011 von Martin Seligman vorgestellt, um die Elemente von „Flourishing“, also einem gelingenden Leben, strukturiert und verständlich darzustellen. Es ist inzwischen gut erforscht und – im Vergleich zu vielen anderen Modellen – leicht zu vermitteln. Es bietet für unsere Trainings einen
wissenschaftlich fundierten und zugleich sehr praxisorientierten Rahmen, um die Kerninhalte der Positiven Führung lebensnah zu vermitteln.
Das PERMA-Modell besteht aus 5 Elementen, die mit wissenschaftlichen Verfahren messbar sind. Zugleich sind alle 5 Elemente gut trainierbar.
P – Positive Emotionen – Die Forschungen von Barbara Fredrickson über positive Emotionen bezeichnet sie
selbst als „Schatztruhe der Menschheit“. Wie können Führungskräfte diese bei sich selbst und bei ihren
Mitarbeiter:innen aktiv anregen?
E – Engagement – Die Stärkenforschung ist – im Gegensatz zur Defizitorientierung der letzten Jahrzehnte – ein
originäres Forschungsfeld der Positive Psychologie. Wie können Führungskräfte Stärken und
Eigenverantwortung fördern?
R – Relationship – Als soziale Wesen ist für uns das wertschätzende und vertrauensvolle Miteinander
wesentlich für Zufriedenheit, Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Wie können Führungskräfte stärkende
Arbeitsbeziehungen gestalten?
M – Meaning – Die Quelle der Motivation ist das Wissen, warum wir etwas tun. Wie können Führungskräfte das
Bewusstsein für das „Warum“ auf verschiedenen Ebenen schärfen?
A – Accomplishment – Die Freude daran, Dinge zu schaffen und Ziele zu erreichen, stärkt Selbstbewusstsein
und Mut. Wie können Führungskräfte Ziele setzten und Erreichtes sichtbar machen?
Die PERMA-Modell wurde gerade im Führungskontext (genannt „Positive Leadership“) in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum von unserem Kollegen Markus Ebner intensiv erforscht. Die daraus resultierenden sehr überzeugenden Ergebnisse stellen ein Rahmenwerk für unseren Kulturkreis dar. Wir als Trainer fungieren als Brücke
zwischen Wissenschaft und Unternehmen. Aus den Forschungs-Ergebnisse bilden wir umsetzbare Techniken und Wege, die Führungskräfte und Mitarbeitende im Alltag umsetzen können. Alle Ansätze, die wir in diesem Zertifikatskurs trainieren, dienen der Steigerung einer oder mehreren Säulen des PERMA-Modells.
Was ist Ihnen wichtig, den Teilnehmenden zu vermitteln? Worauf legen Sie wert?
Meyer & Werner: Wir selbst lieben und leben das, was wir weitergeben. Aus diesem Grund bieten wir eine Fortbildung, in der die Teilnehmenden für sich und ihr Umfeld möglichst viel mitnehmen können. Dafür bieten wir Möglichkeiten zur Selbstreflexion, um bewusster zu erkennen und zu verstehen, was psychologisch bei ihnen und ihrem Gegenüber geschieht. Auf Basis dieser Reflexion bieten wir Raum, um neues Verhalten auszuprobieren und zu trainieren. Und letztlich sollen die Führungskräfte die Fähigkeit ausbauen, ihre Führungsrolle, ihr Führungsverhalten und ihre Führungskultur jetzt und in zukünftigen Situationen aktiv und bewusst zu gestalten.
Im Zentrum geht es immer darum, die eigenen Muster im Denken, Fühlen und Handeln zu erkennen, zu verstehen und mit guter Absicht zukunftsorientiert zu gestalten.
Wem würden Sie zu diesem Kurs raten? Gibt es da besondere Voraussetzungen oder Vorkenntnisse, die sie erfüllen sollten?
Meyer & Werner: Dieser Zertifikatskurs richtet sich an alle Führungskräfte sowie an Menschen, die bald in Führung gehen. In dieser Zielgruppe erwarten wir per se grundlegende Kommunikationsfähigkeiten und praktisch eingesetztes Führungsverhalten.
Die wichtigste Voraussetzung sind Neugier und Offenheit sowie die Bereitschaft, das eigene Denken und Verhalten zu hinterfragen und konstruktiv zu verändern. Damit verbunden ist auch die Erprobung und Umsetzung der Erkenntnisse in dem integrierten Praxisprojekt.
Was können die Teilnehmenden voneinander lernen?
Meyer & Werner: Im Verlauf des Kurses entsteht ein intensiver Austausch. Wir werden uns intensiv kennen lernen. Was sind meine eigenen Stärken? Was macht mich als Führungskraft aus? Welche Lösungsstrategien gelingen mir am leichtesten?
Diese Erkenntnisse entstehen nicht nur über Testverfahren und Selbstreflexion, sondern vor allen aus dem gegenseitigen Feedback in den Lernpartnerschaften und bei den Übungen.
Da die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Organisationen kommen, entsteht ein wertvoller Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Unsere Erfahrungen aus solchen Kursen zeigen zudem, dass sich daraus beständige Netzwerke von Menschen bilden, die gleichermaßen den Weg der Positiven Führung beschreiten.
Selbstführung ist ein Schlagwort aus Ihrem Kurs. Wie können Führungskräfte lernen, die Kontrolle und Verantwortung abzugeben?
Meyer & Werner: In unserem Führungsalltag sind wir oft getrieben von äußeren Anforderungen und Impulsen. Ein Großteil unserer Reaktion geschieht unbewusst.
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ Dieses Zitat von Viktor Frankl bringt auf den Punkt, warum Achtsamkeit und Selbstreflexion für Entwicklung unabdingbar sind.
Kontrolle und Verantwortung abzugeben, erfordert das eigenen gute Gefühl dabei (P aus PERMA) und Vertrauen in den Mitarbeitenden ®. Der Blick auf die Stärken (E) meiner Mitarbeiter:innen ermöglicht eine gesunde Einschätzung, welche Aufgaben ich wem geben kann. Wenn ich delegiere, muss ich auch die Sinnhaftigkeit (M) vermitteln. Dann können wir im Anschluss gemeinsam die Erfolge feiern (A). Und damit
eine Wachstumsspirale der positiven Führung einleiten.
Gibt es auch Vorurteile und Zweifel, mit denen Sie konfrontiert werden? Wie begegnen Sie diesen?
Meyer & Werner: Uns begegnen einige Vorurteile und Zweifel und das können wir gut nachvollziehen. In unserer Kultur haben Begriffe wie „Zufriedenheit“ oder gar „Glück“ keinen großen Platz im Arbeitsalltag und das löst Skepsis aus. Einige der häufigsten Aussagen und unsere Antworten dazu sind:
„Nur das Positive im Blick zu haben, ist doch Schönfärberei.“ Genau. Da stimmen wir komplett zu. In der Positive
Psychologie geht es nicht darum, schön zu färben. Negative Emotionen gehören genauso zum Menschen wie Positive. Sorgen und Ängste gehören genauso zum Menschen wie Hoffnungen und Zuversicht. Wir sprechen von einem gesunden Gleichgewicht und einer angemessenen Balance: Wie können wir unsere einstudierten „Muster“ so ändern, dass wir in unserem Leben und Miteinander eine gesündere und positivere Basis schaffen.
„Das hat doch im Arbeitskontext nichts zu suchen, da sollen sich die Menschen in ihrer Freizeit drum kümmern.“ Die menschliche Psyche und Gesundheit zieht keine klare Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die die Ansätze der Positiven Psychologie umsetzen, sowohl leistungsfähiger bei der Arbeit als auch zufriedener und erfüllter im Privaten sind. Insofern fördern Arbeitgeber, die in Positive Psychologie investieren das „Aufblühen“ des ganzen Menschen.
„Positives Denken kennen wir schon aus den 80ger Jahren.“ Positive Psychologie ist nicht Positive Denken. Tatsächlich zeigen z. B. die Forschungen von Gabriele Oettingen, dass das falsch eingesetztes „Positives Denken“ sogar negative wirken kann. Hier zeigt sich die Stärke der Wissenschaft: „Binsenweisheiten“ werden auf den Prüfstand gestellt, um herauszufinden, was wie hilft und wo wir lieber die Finger von lassen sollten.
„Ich habe schon eine fundierte Führungsausbildung. Ich brauche das nicht.“ Wunderbar, wenn Sie schon eine gut ausgebildete Führungskraft sind. Eine Ausbildung zum „Positive Leader“ ersetzt keine Ausbildung in den Führung-Grundlagen (Mitarbeitergespräche, Führungsstile, Rollen, Teambuilding). Zusätzlich können Sie deshalb von dieser Ausbildung zum „Positive Leader“ vieles neu und vertiefend für ihre Führungsrolle mitnehmen.
Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die die Ansätze der Positiven Psychologie umsetzen, sowohl leistungsfähiger bei der Arbeit als auch zufriedener und erfüllter im Privaten sind.
Wo sehen Sie die größten Veränderungen in den kommenden Jahren hin zu einer Haltungsänderung in den Führungsebenen? Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell? Wo versuchen Sie entgegenzuwirken?
Meyer & Werner: Noch prägen die Baby Boomer mit ihren Werten die Führungskultur der meisten Organisationen.
Jüngere Generationen haben aber ganz andere Werte-Sets und vor allem ganz andere Erwartungen an die Qualität der Führung. So es z. B. für die „Digital Natives“ völlig demotivierend, nur im Rahmen der (jährlichen) Mitarbeitergespräche ausführliches Feedback zu erhalten. Die „Baby Boomer“ hingegen kennen das kaum anders.
Eine offene und wachstumsorientierte Haltung kann der Führungskraft eine innere Konstante bieten, um mit den unterschiedlichsten Mitarbeiter:innen und immer schneller eintretenden Veränderungen konstruktiv umgehen zu können.
Fachkräftemangel, Digitalisierung und ein agileres Arbeiten werden schnell weiter voranschreiten. Auf der Verhaltensebene wird immer mehr Flexibilität erforderlich. Um dabei gesund und motiviert zu bleiben, müssen das Bewusstsein der eigenen Stärken, der Werte und der Sinnhaftigkeit einen stabilen Gegenpol bieten. Daran arbeiten
wir im gesamten Verlauf unseres Zertifikatstrainings.
Welche Formen von Wertschätzung brauchen Mitarbeitende? Wie kann diese konkret aussehen?
Meyer & Werner: Wertschätzung muss dem Menschen vermitteln, dass er als ganzer Mensch gesehen wird, nicht nur in seiner Rolle oder Aufgabe. Klassische Wertschätzungstechniken der Mitarbeiterführung wie Aktives Zuhören, Loben, zum Geburtstag gratulieren, nach den Kindern fragen etc. bilden eine gute Grundlage.
Ein Stärken-Feedback stärkt die Stärken. Positives Feedback richtet den Fokus auf das Gelungene. Allein schon die eigenen Bedürfnisse einbringen zu können, wird als sehr motivierend betrachtet. Wenn dann noch konstruktive Lösungen z.B. für die Kinderbetreuung, Homeoffice oder die eigene Weiterentwicklung gefunden werden, steigen Motivation und Engagement noch weiter.
Jede Organisation und jedes Team sollten für sich selbst Rituale der Wertschätzung entwickeln und etablieren. Wertschätzung kann nur wirken, wenn sie aus einer Haltung der Wertschätzung heraus gezeigt wird und damit auch authentisch ist. Und das Individuum sich dabei gesehen fühlt.
In unseren Kursen arbeiten wir viel daran, genau die Rituale der Wertschätzung zu entwickeln, die zu dem Team und der Organisation passen.
Wie können beispielsweise lösungsorientierte und wachstumsorientierte Feedbackgespräche geführt werden? Was sind dabei No-Gos?
Meyer & Werner: Der größte Fehler im Bereich Feedback besteht darin, dass es zu wenig positives und bekräftigendes Feedback gibt, dass die Mitarbeiter:innen bestärkt und zugleich ein Wachstum anregt.
Ein No-Go ist unkonkretes Feedback: dann weiß der:die Mitarbeitende gar nicht genau, was die Führungskraft meinte. Eine konkrete Rückmeldung zu erhalten, positiv und negativ, gibt Orientierung und Klarheit und damit Sicherheit. Ich bin richtig. Ich weiß, was von mir erwartet wird.
Und selbst ein positives Feedback kann sich einschränkend auf die Entwicklung auswirken. Das hat die großartige Forschung von Carol Dweck gezeigt. Etwa wenn ich nur den Status bewertend hervorhebe, anstatt das positive Verhalten zu beschreiben.
Mit dem Zertifikatskurs Positive Führung ermöglichen wir Führungskräften, die Chancen und Potenziale Positiver Führung theoretisch und praktisch für sich zu erschließen. Wir schaffen einen Lern- und Entwicklungsraum, um bessere Führungskulturen und in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft zu gestalten. Immer nach unserem Motto: „Für glückliche Menschen in erfolgreichen Organisationen“.
Elke Katharina Meyer hat sich als zertifizierte Trainerin und Beraterin der Positiven Psychologie (Positivity Guides) darauf spezialisiert, Menschen in einen positiven Wachstum zu bringen. Als NLP-Lehrtrainerin, Coach und Diplom-Pädagogin begleitet sie seit über 25 Jahren Unternehmen zu den Themen Mitarbeiterführung, Selbstmanagement, Kommunikation und Unternehmenskultur – immer nach dem Motto: „Für glückliche Menschen in erfolgreichen Organisationen“.
Thomas Achim Werner ist zertifizierter Trainer für Positive Psychologie (Positivity Guides), NLP-Trainer (DVNLP), Diplom-Kaufmann und Coach. Als Führungskraft im Bankenwesen und Venture Capital ist er zudem mit langjähriger Erfahrung in der Unternehmensberatung tätig. Sein Motto: „Ich schlage Brücken – zwischen dem Jetzt und der Zukunft, zwischen Psychologie und Betriebswirtschaftslehre, zwischen Menschen und Unternehmen“.
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Das Interview führte Annette Loy, Bildungsreferentin und Leiterin des Seminarbereichs an der Paritätischen Akademie Berlin. Gemeinsames Ziel der beiden Trainer:innen und der Paritätischen Akademie Berlin ist es, Führungskräfteentwicklung im sozialen Bereich zu vertretbaren Kosten zu stärken.
Der Zertifikatskurs zum „Positivity Leader in der Sozialwirtschaft“ mit den beiden Interviewpartner:innen startet am 6. September 2023. Er besteht aus 10 Fortbildungstagen in Präsenz, vier Online-Vertiefungssessions und zwei Einzelcoachings. Melden Sie sich jetzt über die Veranstaltungsseite an!
Im Februar und März 2023 können Sie außerdem einen je zwei Tage dauernden Grundlagenkurs sowie einen Workshop zum Thema Positive Führung mit Thomas Achim Werner absolvieren.
Foto: Thomas Achim Werner und Elke Katharina Meyer
Positive Führung
Zertifikatskurs
mit Thomas Achim Werner und Elke Katharina Meyer
Change-Management für Führungskräfte
Online-Workshop
mit Thomas Achim Werner
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Interview mit Ulrike von Willisen
Ulrike von Willisen ist Beraterin und Supervisorin im Personalmanagement und in der Entwicklung innovativer Projekte. In ihren Fortbildungsformaten legt sie vor allem Wert auf Wissensvermittlung über Führungsmodelle. Ihr Anspruch ist es, den Teilnehmenden in einem sehr praxisorientierten Rahmen Orientierung und Handlungssicherheit zu geben. Die Coachin verfügt selbst über jahrelange Erfahrung als Geschäftsführerin. Im folgenden Interview sprechen wir mit ihr über ganzheitliches Management, über die Machtdynamiken zwischen der Organisation, den Mitarbeitenden und der Gesellschaft und warum Führungskräfte diese erkennen und produktiv einsetzen sollten.
Frau von Willisen, Sie verbinden in diesem Kurs Grundlagen für Führungskräfte in Entscheidungspositionen Einheiten zu normativem, operativem und strategischem Management. Das Thema Agilität in der Führung oder das Entwickeln einer authentischen Führungspersönlichkeit sind ebenso Inhalte Ihres Seminars. Wie können Führungskräfte von dieser Mischung in Ihrem Seminar profitieren?
Von Willisen: Die unterschiedlichen Strategieebenen sind Teil des St. Galler Management- Modells. Sie bilden eine gute Leitplanke für das operative Handeln. Das Arbeiten in agilen Teams gilt zurzeit als sehr modern. In meinem Seminar beleuchte ich diesen, eigentlich bereits Jahrzehnte alten Begriff und lade die Teilnehmenden dazu ein, ihn mit den Anforderungen ihres Arbeitsbereiches abzugleichen.
Mein Ziel ist es, Führungskräften einen Raum zu geben, in dem sie einen guten Überblick über ihr komplexes Schaffen gewinnen und ganz konkret Lösungen für ihre herausfordernden Führungsaufgaben entwickeln.
Insbesondere durch den gemeinsam erlebten Gruppenprozess reifen die Teilnehmenden in ihrer Führungspersönlichkeit.
Welche Personen nehmen an Ihren Fortbildungen teil und was verbindet sie?
Von Willisen: Eine wichtige Entscheidungsposition in einer Organisation auszufüllen, bedeutet meist auch eine gewisse Einsamkeit auszuhalten, selbst dann, wenn man Teil eines Leitungsteams ist. Strukturell betrachtet, gibt es
oft kein Gegenüber, das sich im Organigramm auf der gleichen Ebene bewegt. Sich in einer lernenden Gruppe als „Primus oder Prima unter Pares“ zu befinden ist eine einmalige Chance. Die Gruppe wirkt quasi wie ein Verstärker bei der Entwicklung zur Führungspersönlichkeit.
Die Veranstaltung ist für Entscheidungsträger*innen passend, die die Mischung aus Wissensvermittlung und Selbsterfahrung besonders anspricht. Meine Erfahrung ist, dass auch Menschen, die sich eher als nicht besonders gruppenaffin beschreiben würden, von dem Format profitieren und auf im Anschluss an die Veranstaltung fortgeführte Netzwerke zurückgreifen.
Sie erwähnten zuvor das St. Gallener Management Modell. Was ist Ihrer Meinung nach der Mehrwert des Modells für die Führungskräfte, die sie coachen?
Von Willisen: Das St.Galler Management – Modell wurde im weltweit sehr anerkannten wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich der Universität St.Gallen entwickelt. Es verbindet traditionelles Wissen mit modernen Erkenntnissen und Forschungen. Das Modell ist eine ganzheitliche Managementlehre, die komplexe Zusammenhänge sehr klar und übersichtlich zu verdeutlichen mag. Das Denken in Systemen und Formen des reflexiven Managements spielen dabei eine große Rolle.
Gilt das auch für den Bereich gemeinnützigen und sozialen Arbeit?
Von Willisen: Als Führungskraft mit Personal- und Finanzverantwortung bewegen Sie sich im Bereich der
Unternehmensführung. Aus meiner Sicht ist es im Kontext einer guten Führung sekundär, ob dieses im Profit oder Nonprofit-Bereich erfolgt. Moralische Ansprüche an eine gute Führung, eine Corporate Governance, gelten gleichermaßen für Verantwortungsträger*innen aus allen Bereichen. Das St.Galler Modell bietet für alle Branchen einen Rahmen für verantwortungsvolles Führungshandeln. Gleichzeitig gibt es selbstverständlich Besonderheiten des jeweiligen Arbeitsfeldes zu berücksichtigen, auf die ich später noch eingehen werde. Nach meiner Erfahrung verfügen Leitungskräfte im psychosozialen Bereich meist über ein sehr umfangreiches Fachwissen in ihrem
jeweiligen Arbeitsfeld. Vielen ist in diesem Kontext das systemische Denken durchaus vertraut. Mir geht es in meiner Veranstaltung darum, dass die Teilnehmenden ihre Perspektive aus organisationaler Sicht erweitern und
Dynamiken zwischen ihrer Organisation, dem gesellschaftlichen Umfeld und den Mitarbeitenden erkennen.
Was möchten Sie insbesondere Führungskräften vermitteln? Worin möchten Sie sie bestärken?
Von Willisen: In meinem prozessorientierten Coaching geht es in erster Linie darum, ein eigenes Profil als authentische Führungskraft zu entwickeln. Es gilt, den Mut zu fördern, sich auf dem Parkett der Unternehmensführung sicher zu bewegen und die Lust am Gestalten zu entdecken. Dazu zählt auch die Reflexion über das Thema “Macht“ und inwiefern diese produktiv genutzt werden kann.
Im Zentrum von Führung geht es darum, diejenigen Voraussetzungen zu schaffen, die erforderlich sind, damit eine Organisation sich selbstorganisierend immer wieder neu stabilisieren kann. Folglich steht die Entwicklung und Pflege tragfähiger Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen durch sorgfältige Teamentwicklung, ein gemeinsames Verständnis über die zu erreichenden Ziele und die dafür zu leistenden Tätigkeiten im Vordergrund. Ich würde sagen: Wir brauchen weise Manager*innen mit einer wertschätzenden und vertrauensvollen Haltung gegenüber den Mitarbeitenden.
Meiner Erfahrung nach haben Mitarbeitende in sozialen Bereichen eine hohe intrinsische Motivation, sie wollen das Bestmögliche für ihre Klientel erreichen und sie bewältigen ihre Aufgaben eher mit zu viel als zu wenig Verantwortungsbewusstsein. Führungskräfte können in diesem Bereich umso mehr davon ausgehen und darauf vertrauen, dass ihre Mitarbeitenden zu Leistung und Kooperation bereit sind. Sie müssen eher darauf achten, dass die gesteckten Ziele nicht zu hoch sind, und dafür sorgen, dass den Mitarbeitenden angemessene, strukturell verankerte Maßnahmen gewährt werden, die vor Überforderung und Ausbrennen schützen. Zudem sollten Führungskräfte dazu in der Lage sein, immer wieder auf eine Metaebene zu gehen. Sie sind sowohl Teil eines
Systems, müssen gelegentlich aber auch eine Außenposition einnehmen können.
Welche Chance sehen Sie in der Zusammenarbeit der Paritätischen Akademie und der Förderung von Führungskräften vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels?
Von Willisen: Der Fachkräftemangel wird uns meiner Einschätzung nach noch Jahre begleiten und die Träger werden weiterhin um die besten Arbeitskräfte werben müssen. Dabei sind nicht alle Unternehmen gleich stark vom Fachkräftemangel betroffen. Natürlich spielen regionale Bedingungen eine Rolle.
Aber, wenn man auf die Gründe schaut, warum Arbeitnehmende ein Unternehmen verlassen, so wird primär ein schlechtes Verhältnis zu den Vorgesetzten angegeben.“ Leiten“ im klassischen Sinn funktioniert nicht mehr
und Führungskräfte sollten Haltungen und Sichtweisen entwickeln, die sich an den Werten von Sinn, Vertrauen und Verantwortung orientieren. Für Führungskräfte ist das Erreichen einer solchen Haltung eine hohe Kunst, die
gerade auch im Rahmen des Angebotes der Paritätischen Akademie vermittelt werden sollte.
“Leiten“ im klassischen Sinn funktioniert nicht mehr und Führungskräfte sollten
Haltungen und Sichtweisen entwickeln, die sich an den Werten von Sinn,
Vertrauen und Verantwortung orientieren.
Noch ein Blick in zu Zukunft: Wo sehen Sie die größten Veränderungen in den kommenden Jahren für Führungskräfte im (psycho-)sozialen Bereich? Oder auch Herausforderungen?
Von Willisen: Der Fachkräftemangel wird weiterhin eine große Herausforderung für Führungskräfte, aber auch für die Fachkräfteteams bleiben. In diesem Zusammenhang spielt auch die Arbeit mit divers aufgestellten Teams eine bedeutende Rolle. Menschen, die unterschiedlichen Generationen angehören und/oder, die durch verschiedene
kulturelle Hintergründe geprägt sind, sollen ein Team bilden. Vor diesem Hintergrund brauchen wir Führungskräfte mit hohen sozialen und integrativen Kompetenzen. Auch ist der digitale Wandel in den Organisationen sehr
unterschiedlich ausgeprägt. Dieser wird nach wie vor auch auf Führungsebene viele Ressourcen binden.
Foto: Ulrike von Willisen
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Das Interview führte Annette Loy, Bildungsreferentin und Leiterin des Seminarbereichs an der Paritätischen Akademie Berlin
Das Seminar „Grundlagen für Führungskräfte in Entscheidungspositionen“ mit Ulrike von Willisen startet am 21. März 2023. Es besteht aus zwei Fortbildungstagen und weiteren 6 monatlichen Gruppencoachings in je 3 Stunden. Melden Sie sich jetzt hier an.
Wenn Sie Ihre Organisation im digitalen Wandel voranbringen wollen, empfehlen wir Ihnen einen Blick in die Kursangebote des Digitalforums.
Führungskräfte in Entscheidungspositionen
Seminar mit Ulrike von Willisen
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93 Studierende beginnen das Wintersemester 2022/23 mit Präsenztagen an der Paritätischen Akademie Berlin
Im Oktober begann in Berlin für viele Universitäten das Wintersemester. Auch wir durften die Studierenden unserer Kooperationsstudiengänge an der Paritätischen Akademie in Berlin-Mitte begrüßen. Die Studierenden der Alice Salomon Hochschule, der Universität für Weiterbildung Krems und der Hochschule für angewandte Pädagogik sind für eine Woche aus ganz Deutschland und Österreich nach Berlin gereist, um zum ersten Mal die Räumlichkeiten der Akademie und die Kommiliton:innen kennenzulernen. Bis zu nächsten Präsenzeinheit werden die Studierenden online verbunden bleiben. Denn um die Vereinbarkeit von Beruf und Studium zu gewährleisten, besteht das Studium aus Online- und Präsenzeinheiten.
Die beste Zeit, um in Inhalte einzutauchen, ins Gespräch zu kommen und Nummern auszutauschen. Dazu rät auch Tabea Ludwig, die im Bachelor Soziale Arbeit gerade alle Präsenzeinheiten hinter sich gebracht hat. Zur Eröffnung des neuen Durchgangs erzählt sie von ihren Erfahrungen und beantwortet die Fragen der neugierigen Erstsemester-Gruppe: „Wie organisiere ich Lerneinheiten unter der Woche?“, „Wie schaffe ich es, mich zwischen Arbeit, Studium und Privatleben nicht zu übernehmen?“ Tabeas Antwort darauf ist neben einer guten Planung vor allem eine enge Bindung zu den Mitstudierenden aufzubauen, die in ihrem Studium eine große Unterstützung waren.
„Ich fand es super, dass der Studiengang in wenigen, aber intensiven Präsenzwochen konzipiert war. Da bin ich viel aufnahmefähiger als abends nach der Arbeit oder am Wochenende.“, erinnert sie sich. „Generell hilft es natürlich sehr, sich die Wochen gut zu strukturieren. Termine für die Präsenzphasen sollten frühzeitig mit dem Arbeitgeber abgesprochen werden.“
Die ausgebildete Ergotherapeutin steht nun kurz vor der Abgabe der Bachelorarbeit. Diese schreibt sie über die Betreuungsrechtsreform, die 2023 in Kraft treten wird*. Ein Thema, dass sie im Job sofort anwenden kann. „Mein Arbeitgeber hat mir vorgeschlagen, dass ich im nächsten Jahr unsere Mitarbeiter:innen darin schule. Schließlich habe ich mir umfassendes Wissen erarbeitet.“ Durch ihre neue fachliche Kompetenz tun sich auf einmal neue Arbeitsfelder auf, zu denen sie jetzt Zugang hat.
Viele Arbeitgeber:innen erkennen den Wert, in ihre Mitarbeitenden zu investieren und sie in ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu unterstützen. Auch Laura Kielc, die dieses Semester mit dem Masterstudium Sozialmanagement beginnt, hat die Weiterbildung von ihrer Arbeitgeberin aus dem Bereich der Suchthilfe angeboten bekommen. Laura weiß, wie wichtig es für ihre neue Leitungsposition ist, die sozialwirtschaftlichen Prozesse hinter der sozialen Arbeit zu verstehen. Sie freut sich auf die Möglichkeit, sich neben dem Beruf weiterbilden zu können und erlerntes Handwerkszeug direkt in die Praxis zu transferieren.
Es ist bereits einige Jahre her, als Emanuel Lérémon den Auftrag hatte, seinen damaligen Träger umzustrukturieren. Auch ihm wurde zu einem berufsbegleitenden Masterstudiengang geraten. Im Jahr 2012 schloss er ihn erfolgreich an der Alice Salomon Hochschule in Kooperation mit der Paritätischen Akademie ab. Auf dem Alumni-Netzwerk-Treffen am 15. Oktober treffen wir ihn an. „Das hat mir viel für die Bewältigung meiner damaligen Leitungsaufgaben gebracht. Es hat mir zum Beispiel einen guten Einstieg in die allgemeinen Führungsprozesse, in die Mitarbeiterführung und Personalmanagement gegeben.“ Mittlerweile ist er Bereichsleiter bei einer großen sozialen Organisation im Bereich stationärer Jugendhilfe.
Die berufliche Weiterentwicklung durch den Master Sozialmanagement ist auch Isabella Schulte-Vogelheim gelungen. Unter den besonderen Umständen der Corona-Pandemie erhielt sie 2021 ihren Abschluss. Das Lernen in der heterogenen Gruppe empfand sie sehr angenehm, da sie aus den vielfältigen Perspektiven ihrer Mitstudierenden viel mitnehmen konnte. Bis heute ist sie an unterschiedlichen Blickwinkeln interessiert und sucht aktiv nach Austausch. Deshalb war auch sie am 15. Oktober bei Auftaktveranstaltung des Alumni-Netzwerks mit dabei. Die ehemaligen Absolvent:innen erhielten die Möglichkeit, an einem Workshop zum Thema Networking teilzunehmen. Geleitet wurde dieser von HSP Coach Martin Nevoigt, der diese wichtige Kompetenz auch den neuen Studierenden in der ersten Präsenzwoche vermittelt hat.
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*Der Beitrag wurde am 16.11.2022 von der Redaktion in Bezug auf diese Information geändert. Für weitere Informationen: Verordnung über die Registrierung von beruflichen Betreuern (Betreuerregistrierungsverordnung – BtRegV)
Sie interessieren sich für ein Studium an der Paritätischen Akademie Berlin? Hier gelangen Sie zu unseren akademischen Weiterbildungsprogrammen.
Soziale Arbeit,
Bachelor of Arts
Online-Studium mit Präsenzphasen in Berlin mit Abschluss zum/ zur staatlich anerkannten Sozialarbeiter:in
Informationen zum Studienangebot für das Wintersemester 2023 folgen in Kürze auf unserer Webseite.
Details zum Studiengang mit Beginn 2022 finden Sie hier:
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Sozialmanagement,
Master of Arts
Berufsbegleitender Fernstudiengang mit laufbahnrechtlichem Zugang für den höheren Dienst
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Management von Sozialeinrichtungen,
Master of Science
Berufsbegleitender Masterlehrgang in Kooperation mit der Universität für Weiterbildung Krems, Österreich
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AUCH INTERESSANT
Interview mit Daniela Kobelt Neuhaus
Im Zuge der Coronazeit, steigender Lebenserhaltungskosten und im Kontext von Flucht- und Diskriminierungserfahrungen wächst die Vielfalt an Bedürfnissen von Menschen, die in Familienzentren Hilfe aufsuchen. Um den individuellen Lebenslagen gerecht zu werden, braucht es stetig innovative Lösungen. Zur Stärkung von Leitungskräften in Familienzentren hat die Paritätische Akademie Berlin in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Familienzentren e.V. ein Angebot zur fachlichen Qualifizierung erarbeitet. Im Gespräch mit Daniela Kobelt Neuhaus, Geschäftsführerin des Verbands, geht es um die aktuellen Anliegen und Herausforderungen der Zentren und die Anforderungen an eine Leitungskraft.
Liebe Frau Kobelt Neuhaus, Sie sind Geschäftsführerin des Bundesverbands der Familienzentren e.V. und leiten den Zertifikatskurs „Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen“. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, uns einige Fragen zu beantworten.
Wie entstand zunächst einmal die Idee für einen Zertifikatskurs zur Führung von Familienzentren?
Kobelt Neuhaus: Ein Familienzentrum ist oft der Kontenpunkt in einem Netzwerk, das Familien bedarfsgerecht und passgenau berät, bildet und begleitet. Familienzentren vermitteln, bündeln und ergänzen die Angebote anderer Einrichtungen durch eigene und richten sich vor allem an Erwachsene in Familiensystemen. Sie verbinden Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit Bildungs‑, Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Eltern und Erziehungsberechtigte. Führungskräfte in Familienzentren benötigen daher neben den allgemeinen Führungs- und Managementkompetenzen auch Netzwerkkompetenz, erwachsenenbildnerische und beraterische Fähigkeiten sowie in unterschiedlichem Maße pädagogisches, sozialarbeiterisches, gesundheitsspezifisches und
arbeitsrechtliches Knowhow.
Den Zertifikatskurs „Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen“ hat der Bundesverband der Familienzentren e.V. basierend auf Erfahrungen und Rückmeldungen von aktiven Mitgliedern und Anfragen diverser Träger und Familienzentren entwickelt. Der Kurs soll angehenden und bereits als Führungskräfte oder Koordinatorinnen von Familienzentren tätigen Personen ergänzend zu ihren individuell bereits vorhandenen Kompetenzen zielgerichtet spezifisches Wissen und Können vermitteln. Die Schwerpunktthemenfelder der Qualifizierung orientieren sich an den im Positionspapier des Bundesverbands der Familienzentren e.V. verankerten
Leitlinien und Qualitätsvorstellungen. Die Paritätische Akademie Berlin hat den Bundesverband bei der Planung durch die Auswahl fachspezifischer Referent:innen unterstützt.
Welche Chance sehen Sie in der Zusammenarbeit der Paritätischen Akademie und des Bundesverbands für
Familienzentren?
Kobelt Neuhaus: Die inhaltliche Expertise dürfte beim Bundesverband der Familienzentren, der bereits sein 10-jähriges Jubiläum feiert, hoch sein. Allerdings hat der Verband nicht die Infrastruktur, um eine so hochkarätige Qualifizierung allein zu stemmen. Daher sind wir sehr dankbar, dass wir sowohl strukturell als auch inhaltlich unterstützt werden und dabei sogar vom Renommee der Paritätischen Akademie profitieren können.
Worin bestehen die Besonderheiten und Schwerpunkte dieses Angebots?
Kobelt Neuhaus: Die Fortbildung „Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen“ orientiert sich am Konzept ganzheitlicher und ressourcenorientierter Bildung und Begleitung von Familien. Um die Erziehungsberechtigten für ihren Alltag und ihr Miteinander zu stärken, gilt es, an ihren Fragen und ihren Unterstützungsbedarfen anzusetzen, denn Familie ist nach wie vor der primäre Ort für Bindungen, Beziehungen sowie für Bildung, Erziehung und Entwicklung von Kindern.
Familien unterliegen heute zahlreichen Herausforderungen. Sie wollen den Anforderungen an Eltern- und Partnerschaft genügen, Beruf und Familie vereinbaren, ihren Kindern möglichst viel ermöglichen und den Alltag für alle befriedigend gestalten. Die meisten Familien meistern den Alltag. Entscheidend ist, herauszufinden, welche Faktoren eine erfolgreiche Alltagsbewältigung im je individuellen Fall erleichtern würden. Familienzentren halten niedrigschwellige Unterstützungs- und Bildungsangebote bereit und sind im Idealfall Türöffner und Begleiter für schwierige Lebenslagen. Leitungskräfte in Familienzentren benötigen daher einen analytischen sozialräumlichen Blick sowie eine innovative Haltung gegenüber den Lebenswelten und Bedürfnissen von Familien, insbesondere von Eltern und Kindern. „Gute Pädagogik“ alleine führt nicht zu Chancengerechtigkeit. Vielmehr wird das Familienwohl – und damit die Entfaltung kindlicher Potentiale – durch die elterliche Beziehungskompetenz, durch gelingende Work-Life-Balance, ein anregendes Wohnumfeld und die eigene Wohnsituation der Familie, durch balancierte Familienformen, gesundheitliche, milieuspezifische oder sozioökonomische Faktoren beeinflusst.
Eine bedarfsorientierte Führung im Familienzentrum setzt an den vorhandenen Interessen und Motivationen
der Familien an und greift die vor Ort vorhandenen Dringlichkeiten auf, d.h. sie plant lokal in Abstimmung mit anderen Einrichtungen vor Ort entlang bekannter Sozialraumdaten. Aufgabe von Leitungskräften ist auch, für eine gute Mischung an Professionen und Mitarbeitenden im Team und ein solidarisches Arbeitsklima zu sorgen. Eine übergreifende Reflexions- und Dokumentationskultur, die sowohl für die sozialräumliche Planung der Kommune als auch für die stetige Weiterentwicklung der Einrichtungskonzeption genutzt wird, ist wichtig, denn Familienzentren
haben sowohl die Stärkung der Familien als auch die Beeinflussung der strategischen Ausrichtung der Kommune in Richtung Familienfreundlichkeit zum Ziel. Leitungskräfte befassen sich daher mit Organisationsentwicklung, Qualität und Wirkungsorientierung, Sozialraumorientierung, Partizipation und Empowerment. Sie beteiligen Betroffene und Expert:innen gleichermaßen bei der Entwicklung des Familienzentrum-Programms. Dies wird als Schwerpunkt in der Qualifizierung „Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen“ berücksichtigt.
Für wen ist der Kurs gedacht? Gibt es bestimmte Voraussetzungen oder Kenntnisse, die bereits mitgebracht werden sollten?
Kobelt Neuhaus: Wir hoffen, dass am Seminar sowohl gestandene Leitungskräfte, die vertiefende Kenntnis oder theoretische Einbettung ihres Wissens versprechen, als auch „neue“ Koordinator:innen oder Führungskräfte teilnehmen. Teilnehmende, die bereits in einem Familienzentrum tätig sind oder eines leiten, können aus ihrer Praxis die richtigen Fragen stellen und Ideen und Erfahrungen einbringen. Nicht alles ist überall sinnvoll umsetzbar, wichtig ist jedoch das Weiterdenken. Teilnehmende, die erst planen, eine Leitungsaufgabe im Familienzentrum zu
übernehmen, stellen meist Grundsatzfragen, die nur vermeintlich leicht zu beantworten sind. In den Praxisphasen zwischen den Modulen sind die Teilnehmenden je nach Vorkenntnissen eingeladen, an unterschiedlichen
Fragestellungen weiterzuarbeiten und darüber zu berichten. Die Kursmodule bieten eine Mischung aus konkreten Managementanforderungen, theoretischer und fachlicher Fundierung. Sie sind so aufgebaut, dass jederzeit Erfahrungs- und Theoriewissen eingebracht und in Gruppen gerne kontrovers diskutiert werden kann.
Ein Modul widmet sich der Zusammenarbeit mit Familien und Erziehungsberechtigten. Warum ist es so wichtig, sich in diesem Kontext mit Intersektionalität und Diversität auseinanderzusetzen? Wie können Familienzentren ein Bewusstsein für die beispielsweise von Rassismus betroffenen Familien aktiv schärfen?
Kobelt Neuhaus: Die „Zusammenarbeit mit vielfältigen Familien“ ist die zentrale Aufgabe eines Familienzentrums. Hier erleben viele Familien erstmalig, dass sie gehört und ernst genommen werden. Das Dazugehören ist eine wesentliche Grundlage der Demokratie, ebenso wie Streit und Auseinandersetzung zu ihr gehören. Im Familienzentrum gilt es, unterschiedliche Ansichten, Meinungen, Vorstellungen und Einstellungen als gewinnbringende und berechtigte Ressource zu verstehen. Aufgabe eines Teams im Familienzentrum ist aber auch, Nutzerinnen und Nutzern aufzuzeigen, dass nicht jeder Wunsch sofort erfüllt werden kann und dass Diskriminierung nicht in die Leitvorstellung der Einrichtung bzw. einer demokratischen Gesellschaft passt. Gerade Rassismus oder auch Auseinandersetzungen rund um das Thema Gender werden nicht toleriert, wenn Menschen dabei psychisch oder physisch verletzt werden. Manchmal ist es auch nötig, Strukturen zu schaffen, um zerstrittenen Parteien dennoch die Möglichkeit der Teilnahme zu geben, etwa vorübergehend unterschiedliche Räume oder Zeiten anzubieten.
Das ist ein gutes Beispiel für innovative Führung. Welche Schlüsselkompetenzen und ‑rollen braucht die Leitung eines Familienzentrums?
Kobelt Neuhaus: Auch wenn es das ganze Team eines Familienzentrums betrifft: Softskills wie Empathie, Perspektivenwechselkompetenz, Kooperationskompetenz etc. sind auch für Leitungskräfte zentral. Darüber hinaus sind aber gerade in Familienzentren Koordination, Steuerungsaufgaben und Prozessbegleitung zentrale Aufgaben von Leitungskräften. Auch Personalentwicklung und ‑akquise, Delegation, fachliche und politische Netzwerkarbeit sowie Öffentlichkeitsarbeit sind nahezu in allen Familienzentren Leitungsaufgabe.
Was ist für Sie besonders wichtig, den Teilnehmenden angesichts dieser Vielfalt an Aufgabenfeldern zu vermitteln?
Kobelt Neuhaus: Personen, die den Kurs besucht haben, sollen am Ende in der Lage sein, ihr Team zu motivieren und zu ermutigen, mit den Familien und anderen Akteur:innen vor Ort gemeinsam ein Programm zu stricken, das aus Erziehungsberechtigten, Bürgerinnen und Bürgern eine am Geschehen im Stadtteil interessierte Solidargemeinschaft entstehen lässt. Ein besonderes Anliegen ist, Familienzentren als Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen. Es sind keine therapeutischen Einrichtungen, aber sie können durchaus ermutigen, eine Therapie in Betracht zu ziehen. Es sind auch keine rein sozialarbeiterischen Einrichtungen. Dennoch sollte der soziologische Blick geschärft und politische Strategien kritisch zum Wohle von Familien geprüft werden. Ich hoffe, dass im Kurs für die Teilnehmenden so etwas wie ein Fahrtenbuch entsteht, das für die kommenden Monate und Jahre Richtung und Tempo vorgibt. Dazu gehören etwa die Planung und Pflege von Kontakten, Fundraising für bestimmte Projekte usw.
Wo gibt es derzeit besonderen Handlungsbedarf in Familienzentren? Was geben Sie Leitungskräften mit?
Kobelt Neuhaus: Zahlreiche Familienzentren sind unterfinanziert und verfügen nicht über genügend Personal. Dennoch haben sie in der Coronazeit und auch im Umgang mit Menschen auf der Flucht bewiesen, wie gut sie Familien gerade in Krisenzeiten begleiten und stärken können. In Windeseile haben zahlreiche Zentren neue Kommunikationsformen und Angebote entwickelt und den Familien auf vielfältigen Wegen nähergebracht. Viele Einrichtungen haben sich weit über ihre Pflicht hinaus engagiert. Es ist nicht verwunderlich, dass sich einige zurzeit erschöpft und in ihrer Bedeutung nicht ernst genommen fühlen. Uns ist es daher wichtig, Leitungskräfte zu stärken und ihnen Mittel und Wege aufzuzeigen, wie die Familienzentrumsarbeit effektiv und effizient geleistet werden kann und wie sie in ihren Kommunen und Ländern für auskömmliche Ressourcen streiten können.
Wo sehen Sie die größten Veränderungen in den kommenden Jahren für die Arbeit von Familienzentren? Oder auch Herausforderungen?
Kobelt Neuhaus: Typische Herausforderungen von Familienzentren ist bereits aktuell die wachsende Vielfalt an Familien, die ein sehr differenziertes Programm erfordert. Insbesondere in ländlichen Regionen ist die Komm-Struktur ein Problem. Vielfach sind lange Wege zu bewältigen und die Angebote finden nicht direkt vor der Haustür statt. Daher werden sowohl für städtische als auch für ländliche Regionen neue Konzepte gesucht und finanziert werden müssen, die Familien flächendeckend eine stärkende Partizipation und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen, zum Beispiel den Einsatz von Beratungs- oder Familienzentrumsfahrzeugen.
Darüber hinaus werden auch die Teams in Familienzentren vielfältiger werden. Das aufgrund vielfacher Einflüsse schwächelnde ehrenamtliche Engagement, ohne das vermutlich kaum ein Familienzentrum auskommt, gefährdet immer wieder die Kontinuität von Vorhaben. Und nicht zuletzt wird es immer mehr digitale Angebote geben, was eine gute Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit tauglichen Internetverbindungen und Medien voraussetzt.
Was sind die Schwerpunkte und Stärken des Bundesverbands für Familienzentren?
Kobelt Neuhaus: Der Bundesverband der Familienzentren e.V. versteht sich als der Fach- und Lobbyverband für Familienzentren. Ursprünglich bestand die Hoffnung, einmal ein bundesweit einheitliches Qualitätsverständnis für Familienzentren zu entwickeln und zu etablieren. Begleitung von Familien gemäß §16 SGB VIII ist eine Pflichtaufgabe der Kommunen, wobei die Weisungsfreiheit dazu führt, dass jede Kommune bzw. jedes Bundesland selbst definieren kann, wie diese Begleitung aussieht. Und obwohl es inzwischen hinreichend Nachweise der Effizienz von Familienzentren bei der Stärkung der Chancen‑, Bildungs- und Gesundheitsgerechtigkeit für Kinder
und Eltern in Deutschland gibt, sind noch längst nicht alle Länder und Kommunen auf dem Weg, Familienzentren flächendeckend zu etablieren.
Neben der aktiven Vertretung der Interessen der Familienzentren auf allen politischen Ebenen sind weitere Aufgaben des Verbands der bundesweite Austausch, Vernetzung und Information, Wissenstransfer durch
Fachveranstaltungen sowie die Unterstützung von Trägern und Einrichtungen bei der Weiterentwicklung der familienorientierten sozialräumlichen Arbeit.
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Das Interview führte Ina Kant, Bildungsreferentin an der Paritätischen Akademie Berlin
Der Zertifikatskurs „Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen“ startet am 28. November 2022. Er besteht aus insgesamt dreizehn Fortbildungstagen, die sich aus Präsenz- und Onlineformaten zusammensetzen. Mehr Informationen zu den Kursinhalten und zur Teilnahme erhalten Sie hier.
Eine Infoveranstaltung findet am 28. September 2022 um 16:30 über Zoom statt.
Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen
Zertifikatskurs mit Daniela Kobelt Neuhaus (u.a.)

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Rolle und Berufsprofil der kITA-FACHBERATUNG
Ein Beitrag zum Zertifikatskurs „Fachberatungen in Kindertagesstätten für pädagogische Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe“ von Angelika Monath und Christine Bühler, Dozentinnen und fachliche Leitung im Zertifikatskurs.
Mit großer Freude und Motivation leiten wir gemeinsam diesen Zertifikatskurs, getragen von einem gemeinsamen Verständnis von Erwachsenenbildung und einer systemischen Grundhaltung. Über mehrere Jahre waren wir gemeinsam als Fachberaterinnen bei einem großen Berliner Träger beschäftigt und sind auch heute noch im Praxisfeld von Kindertageseinrichtungen unterwegs. Somit sind wir am Puls der Zeit und greifen aktuelle Themen und Entwicklungen kontinuierlich auf.
Mit dem kommenden Kurs startet der 4. Durchgang des Zertifikatslehrgangs, der im stetigen Qualitätsprozess weiterentwickelt wurde. Mit diesem Zertifikatskurs sprechen wir gezielt pädagogische Fachkräfte und Leitungen aus Kindertageseinrichtungen an, die sich zur Kita-Fachberater:in weiterbilden wollen. Ebenso nehmen auch Fachberater:innen, die bereits in diesem Feld tätig sind an der Qualifizierung teil, um ihre Arbeit methodisch und inhaltlich zu bereichern.
Uns ist es wichtig, den Teilnehmenden die Möglichkeit einer bewusste Rollenschärfung zu geben, womit die Entwicklung eines individuellen, klareren Berufsprofils erreicht wird. Der Zertifikatskurs vermittelt Fachwissen, Beratungskompetenzen, Methoden und Techniken zur konkreten Anwendung in Ihrer individuellen beruflichen Alltagspraxis. Die einzelnen Module setzen sich hierfür aus einer Mischung von praxisbezogenen Übungen, Reflexion und theoretischen Einheiten und zusammen, angeknüpft an der jeweiligen beruflichen Alltagskontext der Gruppe. Schließlich ist es Ziel des Lehrgangs, die in den Modulen erworbenen Kenntnisse, Erlebnisse, Fähigkeiten, Methoden mit einer professionellen Haltung im beruflichen Alltag praxisnah umsetzen zu können.
Die inhaltlichen Schwerpunkte sind:
- Kita als Organisation
- Prozessbegleitung
- Beratungskompetenzen
- Auftragsklärung
- Kommunikation
- Teamentwicklung
- Konfliktmanagement
- Lösungsstrategien sowie
- rechtliche Rahmenbedingungen
Für einzelne Module werden Gastdozent:innen eingeladen, um den Teilnehmenden ein vielseitiges Lernerlebnis
zu ermöglichen.
In diesem Kurs wird ein umfangreiches Spektrum angeboten, um sich über eigene Erfahrungen auszutauschen, gemeinsam und voneinander zu lernen. Mit den unterschiedlichen Kompetenzen und Ressourcen aller Beteiligten ergibt sich immer wieder ein bereichernder und wertvoller Synergieeffekt.
„Durch die Fortbildung schaue ich nun noch genauer hin und höre noch besser zu und habe mir das Thema der Reflexion sehr zu Herzen genommen und werde nun viel bewusster und vorbereiteter damit arbeiten.“
Pia Blättermann, Teilnehmerin der Qualifizierung
Zwischen den Modulen begleiten wir die Teilnehmenden supervisorisch an mehreren Reflexionstagen. In diesem Rahmen werden gemeinsam praxisrelevante Themen reflektiert und Fragestellungen zum eigenen Denken, Fühlen und Handeln entwickelt und bewegt. Darüber hinaus bilden sich Peer-Gruppen zur kollegialen Fallberatung in einem kleineren, vertrauensvollen Rahmen.
Der Abschluss findet mit einem besonderen feierlichen Kolloquium statt, an dem alle Teilnehmenden einen
fachberatungsrelevanten Prozess aus ihrer Arbeit präsentieren.
Wir freuen uns auf den Start des nächsten Kurses am 24. November 2022 und endet voraussichtlich am 19. April 2023. Es handelt sich insgesamt dabei 25 Fortbildungstage in Präsenz. Der Starttermin für den darauffolgenden Kurs ist der 5.–6. Oktober 2023.
Angelika Monath ist Expertin auf dem Gebiet der Organisationsentwicklung von Kitas und Schulen und seit vielen
Jahren im Bildungsmanagement tätig. Christine Bühler ist seit langer Zeit als Weiterbildnerin in Seminaren, als Supervisorin, Coach und als Prozessbegleiterin in Kitas unterwegs.
Fachberatung in Kindertagesstätten – Für pädagogische Fachkräfte
Zertifikatskurs
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Gemeinnützigkeit im kiez
Sie sind auch in ihrer Nachbarschaft, aber vielleicht wurden sie bisher kaum wahrgenommen: Unscheinbare Häuser in Wohngegenden, die als Zentren für Bürger*innen Freizeitgestaltung und konkrete Hilfe anbieten. Wir haben zwei Paritätische Einrichtungen in Berlin besucht.
Das Rollbergviertel in Norden von Neukölln. Prägend sind die sogenannten Mäanderbauten, ein Ensemble verschiedener relativ flacher Wohngebäude aus den 60er Jahren, an denen zuerst ihre achteckige Form auffällt. Gebaut als klassischer sozialer Wohnungsbau. Auch wenn sich hier vieles seit Jahrzehnten optisch kaum verändert hat, haben sich in der Rollbergstraße die Angebotsmieten zwischen 2009 und 2015 verdoppelt. Der Kiez ist beliebt, viele wollen zwischen dem Tempelhofer Feld und der Kneipenmeile Weserstraße wohnen. Und der Kiez wird damit immer teurer für die Alteingesessenen.
Mittendrin steht das Bürgerzentrum Neukölln, eine Paritätische Einrichtung, die sich vorwiegend, aber nicht nur an ältere Menschen richtet. Cengizhan Yüksel ist 29 Jahre alt und hier seit 2020 Geschäftsführer. In dieser Funktion ist er auch an der Paritätischen Akademie Berlin. Insgesamt ist der studierte Verwaltungswissenschaftler seit 2011 im Paritätischen Umfeld aktiv. Das Bürgerzentrum selbst ist deutlich älter als ihr Geschäftsführer. Bereits 1983 eröffnete die Einrichtung, die damals noch „Haus des älteren Bürgers“ hieß. Dr. Gabriele Schlimper, heute Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Berlin, war hier auch einmal Geschäftsführerin.
Mit der Entscheidung, dass Angebot auf breitere Schichten auszuweiten, wurde es vor einigen Jahren zum Bürgerzentrum, auch um den sich seit einigen Jahren stark verjüngenden Kiez Neuköllns abzubilden. „Der Schwerpunkt bleibt aber weiterhin die offene Senior*innenenarbeit“, erklärt Yüskel.
30.000 bis 40.000 Besucher*innen hat das Bürgerzentrum im Jahr, zumindest wenn kein Corona herrscht. Die Bandbreite geht von Senior*innen in Grundsicherung bis zu sehr vermögenden älteren Menschen. Hier ist weniger wichtig, wie hoch die Rente oder der Kontostand ist, sondern dass sich jeder die Freizeit im Bürgerzentrum leisten und die gleichen Angebote wahrnehmen kann. Das Angebot reicht von Gärtnern über Kegeln bis hin zum Tanztee, den vor Corona schonmal 200 Leute besuchten. Auch viele kreative Angebote bietet das Bürgerzentrum – alles selbstverwaltet. Das Bürgerzentrum stellt in erster Linie die Infrastruktur. Wichtig ist, dass die Besucher*innen ihre eigenen Ideen von Freizeitgestaltung entwickeln und umsetzen anstatt etwas vorgesetzt zu bekommen. Cengizhan Yüksel: „Es ist uns wichtig, dass sie Senior*innen selbstorganisiert sind und dadurch ihre Idee von Gemeinnützigkeit in die Welt tragen.“
Von Senior*innen für Senior*innen
Eine davon ist Inge Schwarzer, Jahrgang 1950. Sie ist mit 58 Jahren in Altersteilzeit gegangen und mit viel Zeit, wie sie sagt. Zunächst fing Frau Schwarzer als Lesepatin im damals noch „Haus des älteren Bürgers“ genannten Bürgerzentrum an, heute leitet sie die 14-köpfige Handarbeitsgruppe mit Damen im Alter von 54 bis 90 Jahren . „Aber ich muss ehrlich sagen, dass ich die wenigste Geschicklichkeit habe“, sagt die Seniorin und lacht. Sie selbst organisiert Buchhaltung und Verkauf. Denn was in dieser Gruppe und anderen gefertigt wird, wird für den guten Zweck verkauft. Und da kommt einiges zusammen: „Wir haben am Schluss weit über 1000 Euro gespendet“, freut sich die Berlinerin. Das hat unter anderem die Automatiktüren des Bürgerzentrums mitfinanziert oder wurde für Bedarfsgegenstände für obdachlose Menschen ausgegeben.
Ortswechsel. Berlin Wedding. Hier steht die Fabrik Osloer Straße. Die Einrichtung residiert in einer der klassischen Berliner Hinterhof-Fabriken, wie man sie früher auch in Wohnvierteln gebaut hat. Der Fabrikant Albert Roller ließ hier ab 1855 Maschinen und später Zündhölzer herstellen. Als die Firma in den siebziger Jahren insolvent ging, entdeckten verschiedenste Initiativen das große und zentrale Hinterhof-Gelände, um fortan soziokulturelle Arbeit zu fabrizieren. Wären die attraktiven Fabrikgebäude nicht früh einer gemeinnützigen Kiezarbeit gewidmet worden, würden hier vielleicht wie anderorts Start Ups jetzt Apps programmieren.
Es ist bereits viel los an diesem verregneten Mittwochmorgen in der Fabrik. Freiwillige Helfer*innen bereiten ein kleines Kiezfrühstück im Eingangsbereich vor. Unzählige Vereine, Verbände und Initiativen finden seit Jahrzehnten in der Fabrik Osloer Straße ihr Zuhause. 20 davon listet die Homepage auf. Von der Schreibabyambulanz über die Druckwerkstatt bis hin zur Gewaltprävention findet sich hier fast die gesamte Bandbreite der gemeinnützigen Arbeit.
Lieber Soziale Arbeit als Wirtschaft
Ein paar Meter weiter treffe ich bereits meine Interviewpartnerin Aliye Stracke-Gönül. Die quirlige Frau ist seit Ende 2020 Geschäftsführerin der Fabrik und war zuvor bei der AWO in der Migrationsberatung. Zuvor hatte sie eine Banklehre gemacht, ein Studium im Bereich Politik und Verwaltung absolviert und einige Jahre im Ausland gearbeitet. Irgendwann, so entschied sie, wollte sie aber nicht mehr in der Wirtschaft arbeiten und wechselte in den sozialen Bereich. Damit ist Frau Stracke-Gönül auch geographisch zurück zu ihren Wurzeln gekehrt, denn zwei Straßen weiter von der Osloer Straße ist sie aufgewachsen und ihre Eltern wohnen bis heute dort. Schon früh ist sie in die Putte in der Osloer Straße gegangen, eine der wenigen Einrichtungen und Treffpunkte für Migrant*innen im Kiez. Frau Stracke-Gönül weiß also ganz genau, worauf es ankommt: „Wir wollen, dass die Menschen im Kiez wissen: Wenn ich etwas brauche, dann gehe ich in die Fabrik Osloer Straße.“
Zunächst gibt mir die Geschäftsführerin eine Führung durch den großen Gebäudekomplex der Fabrik. Halt machen wir bei Durchbruch e.V. Jugendliche, die Probleme haben und woanders keine Ausbildung absolvieren können, werden hier zu Installateuren ausgebildet. Thomas Knaak ist hier Ausbildungsleiter und erzählt, wer alles bei ihm eine Ausbildung macht: „Im Moment haben wir eine große Menge an Flüchtlingen. Ansonsten haben wir Jugendliche mit verschiedenen Problemlagen wie Alkoholkonsum, Drogen, Gewalt, psychische und schulische Probleme. Halt alles, was die Großstadt zu bieten hat.“ Durchbruch ist dabei erfolgreich. 90 Prozent der Jugendlichen schaffen hier ihren Berufsabschluss. Auch das ist Gemeinnützigkeit: Da wo der freie (Ausbildungs-)Markt nicht weiterhilft, springen gemeinnützige Vereine ein.
Wenn die Quadratmeterpreise steigen
Gentrifizierung ist die wohl derzeit größte Bedrohung für die Gemeinnützigkeit. Cengizhan Yüksel aus dem Bürgerzentrum Neukölln weiß: „Gerade in dem sich verändernden Kiez, in dem sich viel auf schön verkleidete Profitmaximierung ausrichtet, wird bezahlbarer Raum knapp. Egal wie viele Akteure unterwegs sind: Es stellt sich immer auch die Frage, wem die Liegenschaften gehören und was die Eigentümer damit machen.“ Man könne inzwischen für über 30 Euro pro Quadratmeter für ein Ladenlokal in Neukölln nehmen. Soziale Träger könnten das nicht stemmen.
Aliye Stracke-Gönül verbindet damit auch eine persönliche Geschichte: „Ich habe Berlin vor 20 Jahre verlassen und erst da ist mir das Thema aufgefallen.“ Dass der Wedding im Kommen ist, ist ein Running Gag in der Berliner Bubble. So schlimm wie in Neukölln ist es noch nicht, aber auch hier werden steigende Mieten und Verdrängung ein zunehmendes Problem. „Wir sind vergleichsweise noch gut dran“, meint Stracke-Gönül über ihren Kiez. Bezahlbare Wohnungen oder Einrichtungen sind auch hier zunehmend Mangelware, besonders für Familien, die immer öfter in der Fabrik Beratung suchen.
Die Fabrik und das Bürgerzentrum sind in ihrer Struktur unterschiedlich aufgestellt. Das Bürgerzentrum ist auch ein sogenanntes „Haus der Parität.“ Das Logo steht unübersehbar am Eingang. Und es bedeutet Sicherheit, da diese Häuser, die man in ganz Berlin findet, Liegenschaften des Landesverbandes, der Mitgliedsorganisationen oder der Stiftung sind. „Räume die wir anbieten, würde jeder Unternehmer anders verwerten. Wenn man es anders gewinnbringend vermarkten könnte, wäre hier kein Platz für Gemeinnützigkeit“, ist sich Yüksel sicher. „Damit werden wir zu einem Hafen für Ehrenamt und Gemeinnützigkeit in diesem sehr gefragten Szeneviertel.“
Nicht auf Profit aus
Etwas anders ist es im Wedding. Das Gebäude der Fabrik Osloer Straße gehört der GSE, einer gemeinnützigen GmbH, die sich der dauerhaften Sicherung von sozialen Einrichtungen verschrieben hat und Treuhänderin des Landes Berlin ist. Die Initiativen sind hier Mieter*innen und Frau Stracke-Gönül quasi ihre Vermieterin. Hier kommen ihr auch ihre Erfahrungen in der Wirtschaft zugute: „Als Verein sind wir darauf angewiesen, unsere Arbeit nicht im wirtschaftlichen Sinne zu sehen. Auch die Vermietung und Weitervermietung von Räumlichkeiten müssen sich die Organisationen leisten können.“ Denn die steigenden Gewerbemieten sind auch im Wedding ein Problem: „Wir wollen nichts verdienen, sondern den Organisationen, die sich die steigenden Mietpreise nicht mehr leisten können, einen Ort zu schaffen.“ Das zeigt sich auch in der Mitarbeiter*innen-Struktur, denn hier hat niemand eine volle Stelle. „Wir würden uns eine festere und langfristigere Finanzierung wünschen. Wir sind von Fremdfinanzierungen abhängig“, so Stracke-Gönül.
Dafür muss man aber gewisse Abstriche machen, auch an den Örtlichkeiten. Das alte Gebäude in der Osloer Straße kann nicht umfassend isoliert werden, so dass es im Sommer oft zu warm und im Winter zu kalt ist. Immerhin die Fenster entsprechen inzwischen den neuesten energetischen Standards. Auch in Neukölln könnte das ein oder andere mal erneuert werden. Der Aufzug, immens wichtig für die älteren Damen und Herren, stammt noch aus den achtziger Jahren. Seine Technik hat im Keller die Größe von zwei Schränken und sieht aus wie ein antiker Supercomputer. Hinzu kommen noch zwei beeindruckende, raumnehmende Ölwannen, die für den Betrieb des Aufzugs unerlässlich sind.
Gemeinnützige Einrichtungen wie das Bürgerzentrum Neukölln und die Fabrik Osloer Straße übernehmen fundamentale Aufgaben vor Ort, aus denen sich der Staat teilweise zurückgezogen hat. Eigentlich sollte man ihnen den roten Teppich ausrollen, aber oftmals ist das Gegenteil der Fall. Aliye Stracke-Gönül beklagt beispielsweise eine gewisse Skepsis von Seiten einiger Behörden, wenn es ums Geld geht. „Ich kann aber alle beruhigen: Wir haben jedes Jahr eine Steuerprüfung, einen Jahresabschluss, müssen Verwendungsnachweise erbringen und sind sehr offen und transparent“ sagt sie. Große Sprünge könnte man sowieso nicht machen. Hier arbeitet niemand, der oder die reich werden will. Hier geht es um die Menschen vor Ort.
Autor: Philipp Meinert
Artikel aus dem Verbandsmagazin DER PARITÄTISCHE Ausgabe 02 | 2022: Vorfahrt für Gemeinnützigkeit
Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen
Zertifikatskurs
AUCH INTERESSANT
ein Gastbeitrag von Regina Schödl und Anika Göbel (Der Artikel ist ursprünglich im Paritätischen Rundbrief 2/2022 erschienen.)
Die Diskussion zum Thema Wirkung und Wirksamkeit der Eingliederungshilfe wurde durch gesetzliche Vorgaben seit dem stufenweisen Inkrafttreten des BTHG im Jahre 2017 verstärkt. Mit der durch das Bundesteilhabegesetz in Gang gesetzten Reform wird sowohl der Begriff der Wirksamkeit der Leistungserbringung (§ 128 SGB IX), als auch der Wirkungskontrolle im Einzelfall (§ 121 Abs. 2 SGB IX) explizit eingeführt. Damit gibt es zwei Instrumente, die eine Steuerung der Leistungserbringung an verschiedenen Punkten gewährleisten soll. Eine konkrete Definition der Begriffe Wirkung und Wirksamkeit sowie deren Nachweis erfolgte dabei nicht.
Die Debatte um die Wirkung und die Wirksamkeit der erbrachten Eingliederungshilfeleistung ist jedoch dringend notwendig und wird durchaus kontrovers diskutiert. Zum einen besteht die Sorge, dass die Definition von Wirkung und Wirksamkeit mit einer Ökonomisierung und Kontrolle der Leistungserbringung einhergeht, zum anderen zeigen jedoch bereits seit Längerem durchgeführte Wirkungsprojekte sehr wohl die Möglichkeit auf, Wirkungen der Sozialen Arbeit nachweisen und darstellen zu können.
Selbstbestimmung und Teilhabe sind Leitziele der Eingliederungshilfe
Vor der Einführung des BTHG betrachtete die Eingliederungshilfe anspruchsberechtigte Menschen mit Behinderung als hilfebedürftig, deren Leben in der Gemeinschaft durch entsprechende Fürsorge und Pädagogik zu
fördern sei. Mit dem Bundesteilhabegesetz strebt der Gesetzgeber einen weitreichenden Haltungswandel gegenüber Menschen mit Behinderung an. Leistungsberechtigte Menschen mit Behinderung sollen Leistungen
erhalten, die eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen.
Benachteiligungen sollen vermieden bzw. wirkungsvoll reduziert werden. Nicht mehr der Mensch mit Behinderung muss lernen, sich seiner Umwelt anzupassen. Barrieren, die Menschen an der vollen und gleichberechtigten Teilhabe hindern und beeinträchtigen, sollen abgebaut werden. Selbstbestimmung und Teilhabe sind die Leitziele der Eingliederungshilfe und bilden damit die Grundlage für die Entwicklung von Kriterien der Wirkung und zum
Wirkungsnachweis.
Und wie soll die Wirksamkeit erfasst werden?
Die Leistungen der EGH erzeugen im besten Fall positive Veränderungen für Menschen mit Behinderung. Dies sind Wirkungen auf Ebene des Einzelfalles. Werden die Leistungen der Träger in den Blick genommen und evaluiert, gibt dies Hinweise zu deren Wirksamkeit. Diese Leistungen könne zum einen quantitativ erfasst werden, müssen aber auch einer qualitativen Betrachtung standhalten. Im Zusammenhang mit der Wirkung und der Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe sind noch viele Fragen ungeklärt. Daher wird das Thema Wirkung und Wirksamkeit
in der Eingliederungshilfe in einem Seminar an der Paritätischen Akademie am 26. August 2022 thematisiert. Das halbtägige Seminar gibt einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der fachlichen Diskussion rund um das Thema Wirkung und Wirksamkeit. Es zeigt auf, wie Wirkungsorientierung sowie Evaluation in der praktischen Arbeit gefasst werden können und hilft bei der Einordnung des Konzeptes in der Eingliederungshilfe.
Das Paritätische Eingliederungshilfeforum
Ein interdisziplinäres Fachinformations- und Weiterbildungsangebot des Paritätischen Wohlfahrtsverbands LV Berlin e.V. und der Paritätischen Akademie
AUCH INTERESSANT
ein Gastbeitrag von Anna Zagidullin (M.A.), Referentin Hilfen zur Erziehung und Jugendarbeit
Paritätischer LV Berlin e.V.
Die Jugendhilfe gehört zu den Arbeitsfeldern, die signifikant von gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst
werden. Dies lässt sich an der kontinuierlich steigenden Fallzahlenentwicklung in der letzten zehn Jahren ablesen, die insbesondere auf weiter steigende und verdichtende Armutsrisiken, den Zuwachs an alleinerziehenden Haushalten, das erhöhte Migrationsgeschehen und die Folgen der Flucht, die Zunahme an psychischen und
seelischen Erkrankungen, den Anstieg der Kindeswohlgefährdung, den Bevölkerungszuwachs in Großstädten usw. zurückzuführen ist.
Diese gesellschaftlichen Entwicklungen sind bundesweit zu verzeichnen und erhöhen die Nachfrage nach sozialpädagogischen Fachkräften in der Jugendhilfe deutlich. Der Anstieg der Beschäftigtenzahlen in der Jugendhilfe gibt diese Entwicklung gut wieder. Laut Bundesamt für Statistik ist die Zahl der Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe (ohne Kindertagesbetreuung) im Jahr 2020 bundesweit erneut angestiegen, nämlich um 4,2 % gegenüber dem Jahr 2018. Fast jede dritte Person des pädagogischen und Verwaltungspersonals war im Jahr 2020 in der Heimerziehung tätig, gefolgt von der öffentlichen Jugendhilfe (zum Beispiel Verwaltung und Jugendämter) und der offenen Jugendarbeit.
Des Weiteren verschärfen die fachlichen und strukturellen Anpassungsanforderungen unter anderem im Zusammenhang mit der jüngsten Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes den Bedarf an sozialpädagogischen Fachkräften, zum Beispiel durch die hohe Bedeutung des Kinderschutzes und den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung, durch die weitere Stärkung von Kinderrechten und den Ausbau von Partizipation, Selbstvertretung und Beteiligung junger Menschen, durch die inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe usw.
Zudem befinden sich die freien Träger der Jugendhilfe in einem starken Wettbewerb um die sozialpädagogischen Fachkräfte mit den Kindertagesstätten, der außerschulischen Kinderbetreuung, der Eingliederungshilfe usw. Diese Arbeitsfelder wachsen aktuell ebenfalls rasant und haben einen hohen Bedarf am Personal.
Wir haben uns im Landesverband in Gremien mit zahlreichen Geschäftsführungen der freien Träger der Jugendhilfe gefragt, wie die Jugendhilfe in Berlin im Fort- und Weiterbildungsbereich so gestärkt werden kann, dass sie den wachsenden fachlichen Anforderungen standhalten und durch attraktive Fort- und Weiterbildungsangebote im Wettbewerb mit anderen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern möglicherweise gestärkt werden kann.
Wir wissen, dass die Hauptaltersgruppe der Beschäftigten in der Berliner Jugendhilfe beispielsweise in den stationären Einrichtungen eine eher jüngere Personengruppe mit mehrjähriger Berufserfahrung ist. Laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg sind es im Jahr 2020 die 20–30-Jährigen (29,35 %), gefolgt von 30–40-Jährigen (27,74 %), 50–60-Jährigen (18,38 %) und 40–50-Jährigen (17,48 %).
Kompaktkurs Jugendhilfe für Quereinsteiger:innen und sozialpädagogische Fachkräfte
Zertifikatskurs

Wir möchten diese Personengruppe mit attraktiven, familienfreundlichen und berufsbegleitenden
Fort- und Weiterbildungsmodellen ansprechen, um sie vom Arbeitsfeld Jugendhilfe zu überzeugen, berufliche Entwicklungswege aufzuzeigen und möglicherweise auch einen beruflichen Wechsel innerhalb der unterschiedlichen sozialpädagogischen Arbeitsfelder zu ermöglichen.
Dabei haben wir festgestellt, dass wir auf diesem Gebiet aus unterschiedlichen Gründen einen Nachholbedarf haben. Es müssen mehr flexible und berufsbegleitende Weiterbildungsmodelle entwickelt werden, die die gesetzlichen und fachlichen Inhalte breit aufstellen und nicht nur theoretisch, sondern auch mit einem hohen Praxisbezug vermitteln. Eine zielgruppenadäquate und lebensweltbezogene Organisation von Weiterbildungsformaten ist dabei entscheidend. Auch die stärkere Einbeziehung und Ansprache von Quereinsteigenden wird uns künftig immer mehr beschäftigen.
In diesem Jahr erprobt die Paritätische Akademie Berlin ein innovatives, modular aufgebautes Weiterbildungsangebot, welches den aktuellen Anpassungsanforderungen in der Jugendhilfe weitreichend Rechnung trägt. Dieses Angebot wurde in Zusammenarbeit mit dem Paritätischen LV Berlin, der Einrichtungsaufsicht der Senatsverwaltung, Bildung, Jugend und Familie sowie der Universität für Weiterbildung Krems entwickelt.
Der neue Kompakt- und Zertifikatskurs Jugendhilfe erhöht die Mobilität der sozialpädagogischen Fachkräfte in der Jugendhilfe, indem er breit angelegte Felder abdeckt, wie zum Beispiel Hilfen zur Erziehung, Jugendsozialarbeit, Familienförderung, Jugendberufshilfe. Nach Vorabsprache mit der Einrichtungsaufsicht kann bei Quereinsteigenden aus Berlin der erfolgreiche Kursabschluss und/oder je nach individuellem Qualifikationsbedarf die erfolgreiche Teilnahme an ausgewählten Kursmodulen auf den Fachkräfteschlüssel angerechnet werden.
Das Alleinstellungsmerkmal dieses Angebotes ist der hohe Praxistransfer. Der Kompakt- und Zertifikatskurs wird von vielen erfahrenen Führungs- und Leitungskräften aus den paritätischen Mitgliedsorganisationen und
Dozierenden mit langjähriger Expertise und entsprechendem Renommee im SGB VIII-Feld aktiv mitgestaltet. Damit möchten wir sicherstellen, dass die Inhalte dieses Zertifikatskurses stets aktuell bleiben.
Die Entwicklung dieses neuen Weiterbildungsangebotes geht auf die herausragende Zusammenarbeit aller Beteiligten zurück, die sich in den Inhalten deutlich erkennen lässt. Wir sind sehr gespannt auf die Rückmeldungen aus dem ersten Durchgang und sind bei der Implementierung und Erweiterung der Gruppe von Fortbildungsinteressierten offen. Denkbar sind zum Beispiel Anpassungsweiterbildungen für (sozial-)pädagogisch qualifizierte Geflüchtete.
Weiterführende Informationen über den Kompakt- und Zertifikatskurs Jugendhilfe finden Sie auf der Internetseite des Paritätischen Jugendhilfeforums: www.paritaetisches-jugendhilfeforum.de
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Jutta Overmann und Christa Janßen unterrichten mit Schwerpunkt Entrepreneurship im Master Sozialmanagement an der Paritätischen Akademie Berlin. Im Interview sprechen sie über die steigende
Relevanz des Themas und den Weg von der ersten Gründungsidee bis zur Umsetzung.
Wo und in welcher Position arbeiten Sie derzeit, wenn Si nicht gerade bei uns an der Akademie unterrichten?
Janßen: Ich bin als Gastdozentin im Bereich Gründerlehre an der Berliner Hochschule für Technik (BHT) tätig.
Overmann: So wie meine Kollegin bin auch ich derzeit an einer Hochschule aktiv. Aktuell bin ich wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt ASHEXIST an der Alice-Salomon-Hochschule, bei dem wir den Gründer:innengeist wecken und stärken wollen. Zudem arbeite ich als Beraterin im Gründungsbereich.
Was ist Ihre Motivation zusätzlich als Dozentinnen im Studiengang Sozialmanagement tätig zu sein?
Janßen: Social Entrepreneurship war mir schon immer ein besonderes Anliegen. Der Austausch und die kritischen Fragen und Anmerkung der Studierenden sind mir sehr wichtig.
Overmann: Ich glaube auch hier haben wir beide etwas gemeinsam: soziale Verantwortung mit unternehmerischem Denken zu verbinden, hat mich schon lange sehr interessiert. Solche Themen lassen sich in diesem Studiengang wunderbar aufgreifen und mit den Studierenden diskutieren.
Unser Master Sozialmanagement richtet sich an Menschen mit Berufserfahrung, die sich noch weiterentwickeln und perspektivisch auch Führungsverantwortung übernehmen möchten. Welchen Einfluss hat das Studium auf die berufliche Entwicklung der Studierenden?
Overmann: Aus den Gesprächen mit den Studierenden habe ich mitgenommen, dass es bei vielen eine Motivation war, neue berufliche Herausforderungen zu suchen und auch Führungsverantwortung zu übernehmen. Da bieten die Managementthemen in diesem Studiengang viele wichtige Aspekte und Inhalte, die sie dann für den nächsten beruflichen Entwicklungsschritt direkt nutzen können. Zudem berichten die Studierenden aus ihrer Berufspraxis, dass die Anforderungen und Aufgaben immer komplexer werden und BWL-Wissen, Kostenrechnung, Finanzen aber auch Führungsthemen immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Janßen: Nach meinen Beobachtungen kann ich das nur bestätigen. Nicht selten wird der nächste Karriereschritt schon während des Studiums gemacht. Die einzelnen Module des Studiengangs sind eine sehr gute und
umfassende Vorbereitung auf anspruchsvolle Fach- und Führungsaufgaben.
Der Studiengang ist bei uns als Fernstudium mit Präsenzwochen in Berlin aufgebaut. Welche Vorteile sehen Sie in diesem Modell und vielleicht im berufsbegleitenden Studieren allgemein?
Overmann: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie Studierende berufliche Anforderungen, familiäre Aufgaben und das Studium miteinander vereinbaren. Allerdings schaffen sie das oft nur, da sie durch dieses Modell eine zeitliche Flexibilität haben und die Präsenzwochen als Block stattfinden. Von Teilnehmenden, die nicht aus Berlin kommen, hören wir oft, wie toll die Zeit in Berlin ist. Hier lernen sich die Gruppen noch besser kennen und nutzen natürlich auch gern die Angebote der Stadt.
Janßen: Lernen soll neue Perspektiven eröffnen. In einer inspirierenden Stadt wie Berlin lässt sich das berufliche Netzwerk in den Präsenzzeiten gut erweitern. Auch der Erfahrungsaustausch ist leichter möglich als bei einem reinen Fernstudium.
Sozialmanagement, Master of Arts
Berufsbegleitender Studiengang in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule Berlin

Sie sind beide Teil eines größeren Teams von Dozierenden. Welchen Themenschwerpunkt lehren Sie bei uns?
Janßen: Mein Herzensthema ist Entrepreneurship – und das auch schon, als diese Thematik in der Sozialwirtschaft eher verpönt war. In den letzten Semestern ist dann das wissenschaftliche Arbeiten dazugekommen.
Overmann: Mein Fokus liegt auf dem Thema „Gründen im sozialen Bereich“ und das verstehe ich tatsächlich sehr umfassend. Da können Social Start-Ups dabei sein, aber auch klassische Gründungen wie die Arbeit als Berufsbetreuer:in oder eine Selbständigkeit im pädagogischen Bereich. Dabei schaue ich mir den Markt für solche
Angebote gern genauer an und wie sich aus einer ersten Idee, dann tatsächlich eine Geschäftsidee entwickelt.
Ist das Thema Entrepreneurship aktuell für die Sozialwirtschaft besonders relevant? Wenn ja, warum?
Janßen: Auf Tagungen und Konferenzen bemerke ich ein großes Interesse von Seiten der großen Player im Markt und zugleich beobachte ich viele Gründungsabsichten von neuen Marktteilnehmern.
Overmann: Das Thema gewinnt auf jeden Fall an Bedeutung. Das erlebe ich auch in meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Wir haben an einem Barcamp zum Thema „Social Entrepreneurship macht Hochschule“ aktiv teilgenommen, bei dem viele Hochschulen und Organisationen beteiligt waren. In Berlin gibt es aktuell das Projekt Social Economy Berlin, bei dem Initiativen und soziale Unternehmen kostenfreie Beratungen in Anspruch nehmen können.
Haben Sie bereits Erfahrungen mit Unternehmensgründungen durch Absolvent:innen gemacht?
Overmann: Tatsächlich hatte ich schon einige Masterarbeiten zu betreuen, in denen Businesspläne erstellt wurden. Dabei waren oftmals die Gründungen für einen späteren Zeitpunkt geplant. Als Beraterin war ich dann in die Umsetzungsphase nicht mehr involviert. Das kann jetzt anders sein, da wir weiterführende Unterstützungsangebote im Rahmen des ASHEXIST-Projektes anbieten. Insbesondere für gründungsinteressierte Studierende aus Berlin kann das interessant sein, da wir im Juni 2022 unser Gründer*innenzentrum eröffnen. Ergänzend bieten wir aber auch viele interessante Veranstaltungen online an. (Mehr dazu findet man hier.)
Gibt es dabei besondere Kompetenzen, die besonders wichtig sind?
Janßen: Jede Gründung ist anders, aber Entschlossenheit Entscheidungsstärke und Freude am Netzwerken sind ein guter Ausgangspunkt. Bei größeren, komplexen Vorhaben sollte auf eine gute Teamzusammenstellung geachtet werden, bei der unterschiedliche Kenntnisse und Stärken kombiniert werden.
Overmann: Gerade der Teamgedanke spielt eine wichtige Rolle. Die Herausforderungen bei Gründungsvorhaben sind oftmals so komplex, dass eine Person allein das gar nicht bewältigen kann. Daher ist es sehr hilfreich, wenn man seine eigenen Stärken kennt und bereit ist, sich Unterstützung zu holen, wenn diese benötigt wird.
Eine besondere Herausforderung ist sicherlich der Weg von der ersten Gründungsidee zur tatsächlichen Umsetzung. Wie kann dieser wichtige erste Schritt gelingen?
Janßen: Es empfiehlt sich nach Gründungsunterstützung Ausschau zu halten. Es gibt tatsächlich vielfältigen Rat und Coaching für Gründung allgemein aber auch speziell für Gründungen im sozialen Bereich.
Overmann: Bevor man sich nach der Förderung umschaut, macht es sicher Sinn, sich den Markt und die Akteur:innen anzuschauen. Wer bietet schon etwas Vergleichbares an?
Sie beide betreuen oftmals Masterarbeiten – Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, die Masterarbeit als Vorarbeit für eine Gründung zum Beispiel als Businessplan zu nutzen?
Janßen: Das ist in der Tat eine gute Möglichkeit, sich auf eine Gründung vorzubereiten, indem man ausgewählte Aspekte im Rahmen einer Masterthesis vertiefend bearbeitet.
Overmann: Aus meiner Sicht lässt sich in einer Masterarbeit ein Thema intensiv bearbeiten, dabei werden theoretische Hintergründe ausgeführt und die Relevanz für die Praxis wird erläutert. Ein Gründungsvorhaben
kann als praktisches Umsetzungsbeispiel in Form eines Businessplans beschrieben werden. So konnte ich als Teil einer Masterarbeit beispielsweise die Gründung einer Pflegeeinrichtung oder die eines Trägers begutachten.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei einer Neugründung in der Sozialwirtschaft heutzutage?
Overmann: Aus der Perspektive von Studierenden höre ich verstärkt, dass ihnen Nachhaltigkeit und sinnstiftendes Arbeiten wichtig sind. Bei Gründungs- und Projektideen sollen dann auch entsprechende Kriterien berücksichtigt werden und ressourcenschonende Angebote, wiederverwendbare Arbeitsmaterialien oder der Einsatz von Recyclingmaterial realisiert werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Gespräch führte Johanna Brömer, Bildungsreferentin an der Paritätischen Akademie Berlin