Neue Erkenntnisse zum Messie-Syndrom
Veronika Schröter forscht und arbeitet seit vielen Jahren zum Messie-Syndrom. Die Bezeichnung „Messie-Syndrom“ ist allerdings ein Überbegriff. Bisher wurde nicht klar zwischen den verschiedenen Ausprägungstypologien unterschieden. Dabei müssen sie in ihrer Symptomatik, Behandlungsform und Ursachen klar voneinander differenziert werden.
Teil 1: Definition und Krankheitsbild
Um in der sozialen Arbeit mit vom Messie-Syndrom betroffenen Menschen umgehen zu können, muss zunächst ein Verständnis darüber herrschen, worum es sich bei dem Syndrom handelt. In der Forschung gab es in den letzten
Jahrzehnten lange keine klare Antwort darauf. Angenommen wurde unter anderem, dass es sich um ein Symptom einer anderen zugrundeliegenden psychischen Erkrankung handeln könnte. Vermutet wurde möglicherweise eine Zwangs- oder Suchterkrankung, die entsprechend therapiert werden müsse. Nun gibt es neue Erkenntnisse, über die wir mit Veronika Schröter gesprochen haben. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie mit vom Messie-Syndrom
betroffenen Menschen und hat untersucht, was genau dahintersteckt.
Nach den Forschungsergebnissen einer von ihr durchgeführten Studie im Jahr 2022 wird deutlich: Es handelt sich beim sogenannten pathologischen Horten um eine eigenständige Krankheit (ICD-11). Schröters Arbeiten zeigen auch: es gibt nicht „das“ Messie-Syndrom, sondern unterschiedliche Ausprägungsformen mit eigenen Merkmalen. Das Messie-Syndrom ist demnach als ein Überbegriff zu verstehen.
An der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg unter der Leitung von Prof. Dr. Ebert führte sie eine Studie durch, in der das Krankheitsbild „Messie-Syndrom“ näher definiert wurde. Die Annahme, dem Messie-Syndrom liege eine andere psychische Krankheit (z. B. eine Zwangsstörung) zugrunde, konnte in der Studie nicht bestätigt werden. Bestimmte Bindungserfahrungen, vor allem in der frühen Kindheit liegend, führen zu der Erkrankung.
Die Annahme, dem Messie-Syndrom liege eine andere psychische Krankheit (z. B. eine Zwangsstörung) zugrunde, konnte in der Studie nicht bestätigt werden.
Doch grenzen wir das Phänomen zunächst ein: Von Kleidung über Zeitschriften bis hin zu elektronischen Geräten wie alte Handys und Co. – In der heutigen Konsumgesellschaft passiert es nicht selten, dass sich Dinge anhäufen, Schubladen und Schränke regelrecht „überquellen“. Ab wann wird von einem Messie-Syndrom gesprochen?
Laut Veronika Schröter ist dann vom Messie-Syndrom die Rede, wenn sich Sachen in einer Art und Weise stapeln, sodass Betroffene damit eine tatsächliche Lebenseinschränkung erfahren. Eine Einschränkung kann zum Beispiel
darin bestehen, keine Menschen mehr zu sich einladen zu können. Nicht nur wichtige soziale Kontakte haben dann keinen Zugang mehr zu der betroffenen Person. Auch Sozialpädagog:innen oder Therapeut:innen und Pflegekräfte können nicht mehr an die Betroffenen (wortwörtlich) herankommen, um zu helfen.
Schröter definiert drei Ausprägungstypologien, die getrennt voneinander betrachtet werden müssen.
Der erste Typus ist das pathologische Horten. Hier ist die Hauptsymptomatik, dass sich Menschen von ihren Dingen nicht mehr trennen können. „Das ist trocken. Da riecht und krabbelt auch nichts.“ merkt die Co-Autorin der Studie an. Zuvor wurde das Sammeln bzw. Horten nicht von anderen Symptomatiken wie dem unhygienischen Wohnsituationen oder der gar nachlässiger Körperpflege unterschieden. Das pathologische Horten hat jedoch
eine vollständig andere Ursachenherkunft als zuletzt genannte.
Beim sogenannten „Vermüllungssyndrom“ gibt es im Gegensatz zum ersten Typus auch Geruchsbildung. Dies geschieht aufgrund einer Herdentwicklung unter den Stapeln in der Wohnung. Im Unterschied zum pathologischen Horten kann es hier laut Schröter „auch zu Feuchtigkeit und Schimmelbildung im Haushalt kommen.“
Dann gibt es noch eine dritte Ausprägungstypologie. Diese nennt sie das „Verwahrlosungssyndrom“. Die Therapeutin beschreibt es so: „An diesen Menschen ist erkennbar, dass sie aus einem gesellschaftlichen Konsens ausgestiegen sind.“ Damit meint sie allgemein existierende Übereinkunft, gepflegt aus dem Haus zu gehen. Der Hintergrund ursächlicher Art unterscheidet sich hier grundsätzlich von den anderen Ausprägungstypologien. Nämlich die Tatsache, dass diese Menschen an einer Bedeutungs- sowie Sinnlosigkeit leiden.
Zusammengefasst gibt drei verschiedenene Ausprägungstypologien:
- Das Pathologische Horten
- Das Vermüllungssyndrom
- Das Verwahrlosungssyndrom
Nicht nur in ihren Ursachen, auch in ihren Rechtsgrundlagen unterscheiden sie sich voneinander. So gibt es tatsächlich ein „Recht auf Verwahrlosung“ . Bei „Vermüllung“ ist das jedoch nicht der Fall. Hier muss auf der Rechtsgrundlage von Selbst- und Fremdgefährdung gehandelt und daraufhin in den Wohnraum eingegriffen werden. Wichtig ist der Messie-Expertin aber, dass dies mit Würde geschieht. Wie man das umsetzen kann, ist lernbar. Zum Beispiel bei ihr. Fachkräften der sozialen Arbeit vermittelt sie Grundlagenwissen, unterstützt als Coachin und Supervisorin sowie bei der Konzeptentwicklung in ihren Einrichtungen. Ihr Ziel: Das alle Mitarbeiter:innen das notwendige Wissen und Handwerk erhalten, um Messie-Betroffene auf gleicher Ebene begleiten zu können.
Wir möchten in Folgebeiträgen auf die Ursachen, Symptomatik, Behandlungsansätze der drei Ausprägungstypologien näher eingehen. Diese werden im Laufe des Jahres in unserem Online-Magazin erscheinen. Hier geht es zum Beitrag über das Pathologische Horten in Abgrenzung zum Vermüllungssyndrom.
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Veronika Schröter ist Gründerin des Messie-Kompetenz- Zentrums in Stuttgart und bildet bundesweit Fachkräfte und Einrichtungen in der Arbeit mit Betroffenen aus. Erfahren hier Sie mehr über die Seminar an der Paritätischen Akademie Berlin.
Im Seminar Das Messie-Syndrom. Umgang mit Menschen, die dauerhaft im Chaos leben. schult die Messie-Expertin Fachkräfte darin, den typischen Herausforderungen in der Arbeit mit Betroffenen auf professionelle Weise gelassen und erfolgreich zu begegnen. Im Jahr 2023 wird das Seminar im April sowie im Oktober angeboten.
Foto: Veronika Schröter
Beziehungsdynamik bei psychischen Störungen
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mit Dr. phil. Sylvia Siegel
Das Messie-Syndrom. Umgang mit Menschen, die dauerhaft im Chaos leben.
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mit Uta Rautenstrauch