Im Gespräch mit Joël Dunand
Joël Dunand unterstützt als Dozent im Digitalforum der Paritätischen Akademie Berlin Mitglieder des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bei der Umsetzung der digitalen Transformation. Tobias Fitting ist als Bildungsreferent für Digitalisierung an der Paritätischen Akademie Berlin tätig. Die beiden trafen sich online, um sich über die Digitalisierung in der Sozialwirtschaft auszutauschen.
Lieber Joël, vielen Dank, dass du Dir die Zeit für ein Interview nimmst. Wie siehst du denn die aktuelle digitale Situation der Sozialwirtschaft?
Hallo Tobias, Danke für Eure Einladung zum Gespräch. Eine erste Sache, die sich verändert hat, ist dass wir jetzt auch unser Interview ganz selbstverständlich online machen. Diese Selbstverständlichkeit gab es bis 2020 noch nicht.
Wenn ich die Fragen unserer Workshop-Teilnehmer von vor und nach der Pandemie vergleiche, werden zwei große Themen deutlich: Das erste ist das mobile Arbeiten und die digitale Akte. Wenn man zum Beispiel ambulant tätig
ist, möchte man ortsunabhängig auf digitale Akten zugreifen können. Auch im Bereich der Verwaltung, oder der Abrechnung ist das ein ganz großes Thema geworden. Das zweite große Thema ist die Kommunikation. Sowohl im Team untereinander als auch mit Klient:innen. Bei uns im Kinderschutzverein ist die Onlineberatung sehr wichtig geworden. Während der Pandemie war der Bedarf nach zwischenmenschlichem Austausch sehr groß. Daher wollten wir einfache Zugänge für eine gute und datenschutzkonforme Kommunikation schaffen. Wir wollten, dass Meetings weiter stattfinden können und alle wissen: „Was ist gerade los? Welche Fragestellungen kommen gerade rein und wie können wir helfen?“ Daher brauchen wir digitale Zugänge und digitale Vorgehens- und Arbeitsweisen. Und hier sind auch die Förderer der Sozialwirtschaft gefragt. Man muss immer mehr dokumentieren, eben statistisch nachweisen und aufbereiten. Das sind faktisch Daten, die erfasst werden müssen, für die wir moderne Systeme brauchen, die es in der Sozialwirtschaft noch nicht ausreichend gibt.
Oft mangelt es auch an der Infrastruktur, deren Bedarf erst einmal klar benannt und erkannt werden muss.
Digitalisierung bedeutet eben nicht nur, dass neue Computer angeschafft werden, sondern vor allem braucht es eine Infrastruktur, WLAN im ganzen Gebäude und natürlich gute, sichere und verlässliche Software. Die Organisationen müssen sich mittel- und langfristig fragen: Wie arbeiten wir zusammen? Wie planen wir gemeinsam unsere Termine und wie verteilen wir die verschiedenen Aufgaben untereinander?
Der Bedarf an Digitalisierung existiert in allen Bereichen der Sozialwirtschaft. Sei es die Kindertagesbetreuung, die ambulante oder stationäre Kinder- und Jugendhilfe, die Suchtprävention oder Suchthilfe. Alle benötigen einfachere und schnellere digitale Zugänge und Datenerfassung. Ein Großteil der Menschen verbringt heute schon privat viel Zeit mit dem Smartphone. Daher sollten Angebote der Sozialwirtschaft auch unbedingt mobil erreichbar sein.
In der Privatwirtschaft gibt es ja schon Kundenkonten, Chatbots und verschiedenste Möglichkeiten der Kontaktaufnahme.
Wenn sich die Sozialwirtschaft davon inspiriert als Serviceanbieter aufstellt, wird es ihr leichter fallen, mehr Leute zu erreichen. Wir müssen in dieser großen digitalen Welt gefunden werden und auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen eingehen. Dass wir jetzt so schnell und als ganze Gesellschaft gelernt haben, vernetzter zu arbeiten, der Zugang zu Hilfsangeboten digitalisiert wurde, hat uns, trotz aller Anfangsprobleme 2020, schon ein ganzes Stück weitergebracht.
Und wo siehst du da konkrete Hürden?
Tatsächlich, dass auf Seiten der Kostenträger oft noch nicht immer die Bereitschaft besteht, moderne Wege zu gehen und zu finanzieren. Es wird häufig noch eine Originalunterschrift des Klienten gefordert, den wir nur
online gesehen haben. Vieles muss weiterhin per Post geschickt werden, obwohl die zuständige Mitarbeiterin selbst im Home Office ist. Da wünschen wir uns, dass dort schrittweise benötigte Schnittstellen kommen für Fachsoftware und die digitale Übertragung. Dann können per Knopfdruck alle Meldungen gemacht werden und es bleibt mehr Zeit für das menschliche Miteinander.
Da steht also die analoge Bürokratie oft vielen digitalen Prozessen im Wege? Gut ist ja, dass es jetzt ein nochmal verstärktes Bewusstsein für die Wichtigkeit des digitalen Wandels gibt. Ich glaube, viele Organisationen möchten gerne etwas machen, wissen aber gar nicht, wo sie anfangen sollen und wollen keine falschen Entscheidungen treffen. Was können wir jetzt direkt angehen, um den digitalen Wandel weiter voranzutreiben?
Da sehe ich klar die schon erwähnte digitale Akte. Viele Träger haben inzwischen unterschiedlichste Projekte, die meist alle auch unterschiedlich abgerechnet werden müssen. Das lässt sich nicht mehr alles in Excel-Tabellen abbilden und kostet enorm viel Arbeitszeit. Wenn wir künftig ein vernetztes Profil von Klient:innen haben, mit Terminen und relevanten Dokumenten und Stammdaten, wird die Arbeit enorm erleichtert. Ein Beispiel wären digital dokumentierte Allergien eines Kita-Kindes oder auch die Telefonnummer der Eltern.
Da ist dann allerdings das Thema Datenschutz sehr wichtig. Was muss denn da konkret bedacht werden?
Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Es braucht einen klaren Datenverarbeitungsvertrag mit dem Anbieter der Software, der die DSGVO berücksichtigt. Das ist ein umfangreiches Dokument in dem klar geregelt ist, wer auf welche Daten wann zugreifen darf und wo die Daten konkret gespeichert werden. Verschlüsselt natürlich. Deswegen empfehle ich immer einen europäischen oder besser deutschen Anbieter, dessen Serverstruktur in Deutschland oder Europa steht. Die Daten müssen auch klar löschbar sein, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Ein modernes System sollte auch nur die Daten speichern, die es benötigt und keine darüber hinaus.
Metadaten zum Beispiel.
Genau. Nur die wichtigen Daten. Nicht alle. Das ist natürlich auch für die einzelnen Nutzer:innen, egal ob in der Sozialwirtschaft oder der Privatwirtschaft wichtig. Es sollte eine Art Kundenkonto geben, in dem ich ganz transparent sehe, was über mich gespeichert wurde. Hier braucht es einen fachlichen Austausch und eine Handlungsrichtlinie in der Sozialwirtschaft.
Beim Datenschutz ist der Faktor Mensch oft die größte Schwachstelle. Die Technik ist inzwischen sehr fortgeschritten, was mir aber nichts bringt, wenn durch einen nicht erkannten Phishing-Angriff, ein Passwort auf einer gefälschten Seite eingegeben wird. Da können die Zugriffsrechte noch so sehr geregelt sein. Daher finde ich es wichtig, dass alle in einer Organisation sichere Passwörter verwenden und auch möglichst eine Zwei-Faktor-Authentifizierung genutzt wird, sodass man mit dem Passwort allein nicht an Daten kommt.
Das ist eine technische Umsetzung, die viel Sicherheit bietet. Eine Zwei-Faktor-Authentifizierung bedeutet, dass man auch ein zweites Gerät als zusätzliche Anmeldung braucht. Das kennt man vom Online-Banking. Ganz wichtig ist aber, dass man nochmal überlegt, wo eigentlich unsere Daten heute gespeichert werden. Also immer wieder der Hinweis, dass wichtige Daten nur im Einzelfall auf einen einzelnen Server, der nicht in einem Rechenzentrum steht, gehören. Da geht es dann mehr um die Datensicherheit, dass also nichts verloren geht.
Da gab es einige Medienberichte zu Erpressungsversuchen, bei denen gehackte Server verschlüsselt haben.
Darum ist man grundsätzlich bei einem professionellen Anbieter sicherer, da man selbst nie eine so sichere IT-Infrastruktur aufbauen kann. Da wird dann auch genau festgehalten, was alles getan wird, um eine gute Abwehr bereitzustellen und in einem Vertrag zur Auftragsdatenverarbeitung festgehalten. Es ist viel wahrscheinlicher, dass der eigene Server in irgendeiner Form kompromittiert wird, als dass es tatsächlich meine Daten bei einem Anbieter trifft.
Ich möchte nochmal zum Thema Cloud kommen. Du bietest bei uns ein Format zu Microsoft Teams und Office 365 an. Welche Vor- und Nachteile siehst du denn bei diesem Service, der gerade auch in der Sozialwirtschaft immer beliebter wird?
Microsoft Teams und 365 ist in aller Munde, da es der Sozialwirtschaft kostengünstig oder sogar kostenfrei bereitgestellt wird. Das war und ist daher für viele das passende Mittel zur Wahl. Das, was man bisher auch in E‑Mails verschickt hat, kann man wunderbar auch bei Microsoft Teams nutzen und speichern. Inwieweit sensible Daten und Notizen hier festgehalten werden, muss eine Organisation sehr gut prüfen. Microsoft hat einen sehr guten Datenschutz. Aber man kann leider immer noch nicht wirklich sagen, was mit all den Daten, gerade den Metadaten, passiert. Also mein Fazit: Für das Kollaborative Arbeiten, To-Do-Listen, Terminplanung und die interne Kommunikation ist es sehr empfehlenswert. Parallel dazu sollte es noch eine andere Software für die sensiblen, schützenswerten Daten geben. Und das kann ja dann noch mit anderen Tools wie Miro ergänzt werden.
Dazu wird es bei uns auch Workshops geben, in denen einige Tools, die sich bewährt haben, vorgestellt werden. Außerdem wird es nächstes Jahr neben deinem Einführungsformat zu Teams und Office 365 auch vertiefende Schulungen dazu geben.
Wenn wir noch etwas mehr in die Glaskugel schauen, wird es auch Fachsoftware und auch Projektmanagement-Software geben, die eine ausgeklügelte Termin- und Aufgabenverwaltung hat, wo auch vieles automatisiert wird und das zum Beispiel mit der Leistungserfassung verknüpft wird. Da arbeiten wir derzeit an einer Software, die das auf ein höheres Level hebt und dann Aufgaben kleinteiliger nach Zuständigkeiten verteilt werden können.
Das ist dann nochmal ein ganz neues digitales Arbeiten. Bis dahin ist Teams sicherlich eine sehr gute Zwischenlösung, um überhaupt in dieses vernetzte Arbeiten zu kommen, statt sich immer Dateien hin und her zu mailen. Wir haben uns auch noch ein neues Format mit dir ausgedacht: „Die digitale Zukunft der Sozialen Arbeit – Impulse für Ihre Organisation“.
Das neue Format soll Impulse geben. Wie findet man eigentlich heraus, wo man gerade in der Digitalisierung steht? Was ist schon technisch möglich? Seien es Anmeldeverfahren für Klient:innen, Bewerbungsmanagement oder
ein übersichtliches Abrechnungsverfahren. Das Format soll dabei helfen, die ersten Schritte zu gehen und Bedarfe zu erkennen. Es beantwortet Fragen und gibt Orientierung zu den konkreten Bildungsangeboten der Paritätischen Akademie Berlin.
Idealerweise hilft das dann den Teilnehmenden, gezielt passende Bildungsangebote bei uns zu finden. Seien es Formate wie „Digital Leadership“ und „Digitale Führung und Transformation“, in denen es um Digitalisierungsstrategien für Organisationen geht, oder Schulungen für konkrete Tools. Oder auch Workshops, die helfen, Digitalisierung, digitale Prozesse oder auch das Prinzip Cloud nachzuvollziehen. Social Media und Open Source werden wir ebenfalls behandeln.
Digitalisierung ist nicht das Ziel, sondern der Weg hin zu einer effizienteren und modernen Sozialen Arbeit, die auch gerade die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlastet. Wenn wir digitale Instrumente klug und weitsichtig einsetzen, können sie uns wirklich assistieren. Unterm Strich bleibt dann mehr Zeit für die Dinge, für die wir in der Wohlfahrt ja eigentlich brennen: Das menschliche Miteinander und die Fürsorge. Und dafür ist Digitalisierung ein wunderbarer Weg und bietet tolle Instrumente. Mit dem Digitalforum können wir auch noch mehr in den Austausch untereinander kommen. Denn am besten wird es, wenn wir das gemeinsam machen und einander unterstützen.
Da kann ich dir nur beipflichten. Wenn wir Digitalisierung nicht mehr als die große zu bewältigende Herausforderung verstehen, sondern bewusst die Chancen und Möglichkeiten erkennen und darauf hinarbeiten, kann dies sehr gewinnbringend für uns alle sein.
_________
Joël Dunand studierte Informations- und Kommunikationsmanagement an der SRH in Berlin und arbeitete von 2006 bis 2014 in Chennai, Kalkutta und London in der Softwareentwicklung, im Projektmanagement und im Business Development. Als Geschäftsführer des Sozial-Therapeutischen Instituts Berlin-Brandenburg e.V. (STIBB) führte er die Modernisierung und digitale Transformation der Organisation durch. Sein Studium an der Paritätischen Akademie Berlin schloss er mit seiner Masterarbeit zur Bedeutung der Digitalisierung für Organisationen ab.
Die Jugend von Tobias Fitting war von digitalen Themen geprägt, als das Internet für die meisten noch Neuland war und Boris Becker sich mit den bekannten Worten „Ich bin drin!“ auch erstmals im Internet bewegte. Er hantierte mit Computern, lernte die Online-Videospielwelten kennen und beschäftigte sich mit Linux. Tobias Fitting studierte Politikwissenschaft und Filmregie und war mehrere Jahre in der Film- und Medienbranche tätig.