Ist eine psychische Störung (auch) eine Beziehungsstörung?
Die Frage lässt sich mehrfach mit Ja beantworten. Ja, weil in der psychischen Entwicklung (vermutlich verstörende) Beziehungserfahrungen auf eine Art und Weise von den Betroffenen verarbeitet wurden, dass diese ihre Psyche nur eingeschränkt entwickeln konnten. Ja, weil Betroffene deshalb in ihrer eigenen intrapsychischen Kommunikation eingeschränkt sind. Ja, weil Betroffene in ihrer Beziehungs- und Interaktionsfähigkeit gestört sind. Ja, weil auch Helfer in der Interaktion mit Betroffenen in solche gestörten Beziehungsmuster hineingeraten. Die Frage mit so vielen Jas zu beantworten, ermöglicht ein vertieftes Verständnis von dem, was in Menschen mit psychischer Beeinträchtigung innerlich abläuft. Ein solches Verständnis erlaubt, den Klienten gegenüber gelassen und somit hilfreich zu sein.
Neben dem psychoanalytischen Verständnis gibt vor allem die Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth verständliche Konzepte an die Hand, um den Zusammenhang von psychischer Störung und gestörter Beziehungserfahrung zu begreifen. Ein Kind wird mit der Fähigkeit, sich zu binden, geboren. Wie diese Fähigkeit im Einzelnen ausgeprägt wird, hängt von individuellen Bindungs- und Beziehungserfahrungen ab. Das indungssystem regt einerseits die Suche nach Geborgenheit, Sicherheit und das Bedürfnis, Teil der Gruppe zu sein, sowie andererseits den Forscherdrang, das Neugierde- und Risikoverhalten an. Beziehungserfahrungen werden verinnerlicht. Hierbei entsteht eine innere Bühne mit verschiedenen Darstellern, die sowohl das „Ich“ repräsentieren als auch Vorstellungen von „dem/den Anderen“.
Hat man unterstützende, wichtige Bezugspersonen erlebt, kann man z. B. in eine Prüfungssituation mit folgender
intrapsychischer Bühne gehen: ein „Ich“ mit einem guten Selbstwertgefühl, einem vermuteten Bild des Prüfers, das angemessen realitätsnah ist, einem Selbstvertrauen, das einem sagt: „Du schaffst das!“, einer Kommunikations-fähigkeit, die in der Lage ist, auch bei Aufregung nachzufragen und richtig zuzuhören, einer Handlungsfähigkeit nach innen, welche es ermöglicht, die gelernten Inhalte abrufen zu können und einer Handlungsfähigkeit nach außen, um diese Inhalte auszusprechen und zu präsentieren. Hinzu kommen intrapsychische Helferinstanzen, welche intrapsychische Befürchtungen und Erregungszustände beruhigen können und somit helfen, den Blick nach vorne zu richten.
Hat jemand eher abwertende und ungute Beziehungserfahrungen gemacht, kann die Bühne wie folgt aussehen: ein kleines Kinder-Ich, etwas verängstigt, steht gegenüber einer oder mehreren großen Autoritäten, die mit strengem Blick alles schnell abwerten. Als Helferinstanzen in der Situation gibt es Angstverstärker, die sagen; „Aufpassen!“, da ansonsten noch mehr Gefahr droht. Das Adrenalinsystem wird auf Hochtouren gepusht, weil viel Gefahr verortet wird. Die Handlungssysteme sind darauf ausgerichtet, psychische Erniedrigung zu vermeiden oder mit dieser klarzukommen.
Sicherlich sind diese beiden Bilder extrem, aber sie verdeutlichen, wie biografische Beziehungserfahrungen und psychische Störung bzw. aktuelles Verhalten miteinander zusammenhängen können. Sie bieten auch Erklärungsmuster, wie psychische Störungsmuster auf der inneren Bühne aufrechterhalten werden. Und es
wird auch verständlich, warum man als Helfer seitens des Klienten mal in die eine oder andere Rolle gedrängt wird, obwohl man sich fachlich gleich verhält.
Betrachtet man psychische Störungen unter dem Aspekt einer Folge nach innen verlagerter dysfunktionaler Beziehungsmuster, ermöglicht das Folgendes: als Helfer gewinnt man ein differenzierteres Bild, was in den Klienten vor sich geht und welche Auswirkung das auch auf das Beziehungsverhalten zum Helfer und zu seiner Umwelt
hat. Das ist natürlich ein weitaus tieferes Verständnis einer psychischen Störung als das Erlernen von Symptomen und von Regeln des Umgangs. Man kann also differenzierter, situativ angepasster und individuell effizienter mit dem Klienten umgehen. Gleichzeitig wird das eigene Kränkungspotential bzw. die Tendenz, sich im Hilfegeschehen zu verausgaben, reduziert.
Zu guter Letzt: Beziehungsarbeit schafft nicht nur Vertrauen, sondern, wenn man sich als Helfer die eigenen inneren Wahrnehmungen und Reaktionen auf den Klienten bewusst macht, gewinnt man viele Informationen über ihn. Diese kann man entweder als eine empathische Spiegelung zurückgeben oder sie ermöglichen es einem, besser zu
verstehen, warum bestimmte Verwicklungen entstehen können und wie man sich davor schützt. Das betrifft den Bereich der Übertragung und Gegenübertragung.
Unter der Übertragung versteht man die unbewusste Dynamik, dass der Klient im Helfer nicht mehr das reale Gegenüber sieht, sondern in ihn (meist) eine bekannte Beziehungsperson projiziert. Bei diesem Vorgang, der unbewusst abläuft, bleibt auch der Klient selbst nicht mehr auf Augenhöhe, sondern fällt z.B. in die „Kinderrolle“. Obwohl plötzlich ein Rückfall in den Vergangenheitsfilm stattfindet, wird es meist vom Klienten als sehr aktuell und
mit starken Gefühlen erlebt. Das Erleben des Helfers wird als Gegenübertragung definiert. Das kann unterschiedlichste Aspekte aufweisen: Fühlt sich der Helfer bei einem Klienten mit Angststörung z.B. auch stark verunsichert, gestresst, hilflos, so kann das die Gefühle des Klienten spiegeln. Man versteht mehr, wie es in dem Klienten aussieht, kann emphatisch spiegelnd reagieren. Wird der Helfer ungeduldig, ärgerlich etc. so kann dies die Reaktion bekannter Beziehungspersonen oder das eigene Über-Ich des Klienten spiegeln. Wenn ein Klient seine Angst sehr versteckt und stattdessen aggressiv nach Außen auftritt, können die Verunsicherungs- und
Befürchtungsgefühle des Helfers nicht unbedingt seine eigene reale Einschätzung der Situation spiegeln, sondern vielmehr gewinnt er so ein Bild, was im Klienten hinter der Fassade passiert. Kurzum: Wenn man als Helfer seine eigenen Reaktionen in der Beziehung mit dem Klienten nicht nur der realen Situation zuordnet, sondern auch erkennt, dass man Informationen über Innenleben und Beziehungsstrukturen des Klienten erhält, muss man nicht in jede Beziehungsfalle tappen.
Fazit: Beziehungserfahrungen werden intrapsychisch verarbeitet und bilden eine Art Programmierung, die zur Selbstregulation, Kommunikation und Handlungsfähigkeit dienen. Negative Beziehungserfahrung wirken sich destruktiv auf dieses System und die Vorstellung von einem selbst und seiner Umwelt aus. Gute Beziehungserfahrungen jedoch stärken das Ich und damit auch die Selbstwirksamkeit im Außen. In der Interaktion mit dem Klienten treten dem Helfer gegenüber Phänomene auf, die als Übertragung und Gegenübertragung bezeichnet werden.
Das Wissen um die Bedeutung von Bindung? Beziehungserfahrungen? in der Arbeit mit Menschen mit psychischer Beeinträchtigung ermöglicht ein tieferes Verständnis wovon? Dies unterstützt eine klare, für den Klienten hilfreiche
Beziehungsgestaltung. Der Helfer gewinnt Informationen über das Innenleben der Klienten sowie deren Beziehungsstrukturen. All dies sind Faktoren, die für ein aktuelles, meist dysfunktionales Verhalten bedeutsam sind.
Foto: Ilka Perc
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Im Gespräch mit unserer Dozentin Sina Rohner
Neben Professorinnen und Professoren sowie wissenschaftlichen Mitarbeitenden unserer kooperierenden Hochschule dozieren auch Praktiker:innen im Studiengang Soziale Arbeit. Sina Rohner unterstützt im Modul „Arbeitsfelder und Zielgruppen“ unsere Studierenden beim Theorie Praxistransfer.
1. Frau Rohner, neben Ihrer Tätigkeit als Dozentin bei uns im Studiengangs- und Seminarbereich arbeiten Sie für die INDEPENDENT LIVING Stiftung. Welche Aufgaben haben Sie dort?
Ich bin seit 2009 für die INDEPENDENT LIVING Stiftung als Sozialpädagogin tätig. Viele Jahre arbeitete ich als BEW-Beraterin mit jungen Menschen. Ich absolvierte eine Ausbildung zur „insofern erfahrenen Fachkraft nach § 8a SGB VIII“ und somit auch eine Aufgabe als Kinderschutzfachkraft inne. Seit einigen Jahren arbeitete ich als Qualitätsbeauftragte für die Stiftung und leite das Projekt „Betreutes Einzelwohnen für Mädchen* und junge Frauen*“.
2. Was ist Ihre Motivation, zusätzlich als Dozentin zu unterrichten – sowohl im Studiengang Soziale Arbeit als auch in unserem neuen Kompaktkurs Jugendhilfe für Quereinsteiger:innen und sozialpädagogische
Fachkräfte?
Mir ist es wichtig Theorie und Praxis in Verbindung zu bringen. Durch meine alltägliche praktische Arbeit ist es mir möglich auf aktuelle Themen, Schwerpunkte und Methoden der Sozialen Arbeit einzugehen. Dies hat in der Lehre den Vorteil, dass Erfahrungen geteilt werden und im besten Falle Synergien entstehen können.
3.
Was sind inhaltlichen Schwerpunkte Ihrer Veranstaltungen? Welche Themen, Theorien bzw. Methoden lehren Sie bei uns?
Aktuell unterrichte ich im Bachelor-Studiengang das Modul „Arbeitsfelder und Zielgruppen“. Ich stelle den Studierenden verschiedene Arbeitsbereiche der Sozialen Arbeit vor und lasse hier Expert*innen ebenso zu Wort kommen, wie auch Theorien und Methoden ihre Anwendung finden.
Schwerpunkte in diesem Semester sind der HzE-Bereich mit den begleitenden Themen Kinderschutz, Partizipation, Methoden zur kollegialen Fallberatung und weiteres. Ich achte sehr darauf die Themen intersektional zu
betrachten und lade hier zum Austausch und zur Diskussion ein.
4. Die Zielgruppe im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit umfasst ja gerade auch die Qualifizierung von Neu- bzw. Quereinsteiger*innen im Sozialen Bereich. Warum ist diese Qualifizierung wichtig und welchen Beitrag leistet das Studium an der Akademie dabei?
Soziale Arbeit ist eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit und sollte deswegen auch wissenschaftsbasiert sein.
Will die Soziale Arbeit den Anspruch einer Profession einlösen, muss sozialarbeiterisches Handeln auf Methoden und Theorien begründet sein.
5. Haben Sie bei Ihren Vorlesungen bestimmte Lern- oder Qualifikationsziele vor Augen?
Mir ist es besonders wichtig, dass die Studierenden (Quereinsteiger*innen) den Raum bekommen, ihre eigene Fachlichkeit und ihre bisherigen Erfahrungen in der Sozialen Arbeit zu benennen, ihren Kommiliton*innen zur Verfügung zu stellen und zu diskutieren. Des Weiteren sollen sie in meinen Seminaren die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Sozialen Arbeit vermittelt bekommen, um diese in der eigenen Praxis anzuwenden.
6. Welche Erkenntnisse wünschen Sie sich für die Studierenden im Rahmen Ihres Studiums? Gibt es irgendetwas, das Ihnen da besonders am Herzen liegt?
In meinen Seminaren haben die Studierenden die Gelegenheit die diversen und mitunter auch sehr komplexen Arbeitsgebiete der Sozialen Arbeit kennenzulernen. Die Vielfältigkeit und auch die Flexibilität, mit welcher Sozialarbeitende im Arbeitsalltag umgehen müssen überrascht die Teilnehmenden immer wieder.
7. Was nehmen Sie als Dozentin auch von unseren Teilnehmenden und Studierenden mit für Ihre Praxis?
Ich erlebe die Zusammenarbeit mit den Studierenden als sehr lebendig und bereichernd. Die Seminare führen dazu, dass wir uns aus den verschiedenen Arbeitsbereichen kennenlernen und sich dadurch produktive Netzwerke bilden.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Interview führte Christin Fritzsche, Bildungsreferentin und Bereichsleitung Studiengänge an der Paritätischen Akademie Berlin
Weitere Informationen
zu unserem Studienangebot
Soziale Arbeit, Bachelor of Arts
finden Sie hier
Wir haben noch weitere Angebote rund um das Thema Agilität und Neues Arbeiten im Programm
Eine Übersicht finden Sie hier:
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ein Gastbeitrag von Anna Zagidullin (M.A.), Referentin Hilfen zur Erziehung und Jugendarbeit
Paritätischer LV Berlin e.V.
Die Jugendhilfe gehört zu den Arbeitsfeldern, die signifikant von gesellschaftlichen Veränderungen beeinflusst
werden. Dies lässt sich an der kontinuierlich steigenden Fallzahlenentwicklung in der letzten zehn Jahren ablesen, die insbesondere auf weiter steigende und verdichtende Armutsrisiken, den Zuwachs an alleinerziehenden Haushalten, das erhöhte Migrationsgeschehen und die Folgen der Flucht, die Zunahme an psychischen und
seelischen Erkrankungen, den Anstieg der Kindeswohlgefährdung, den Bevölkerungszuwachs in Großstädten usw. zurückzuführen ist.
Diese gesellschaftlichen Entwicklungen sind bundesweit zu verzeichnen und erhöhen die Nachfrage nach sozialpädagogischen Fachkräften in der Jugendhilfe deutlich. Der Anstieg der Beschäftigtenzahlen in der Jugendhilfe gibt diese Entwicklung gut wieder. Laut Bundesamt für Statistik ist die Zahl der Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe (ohne Kindertagesbetreuung) im Jahr 2020 bundesweit erneut angestiegen, nämlich um 4,2 % gegenüber dem Jahr 2018. Fast jede dritte Person des pädagogischen und Verwaltungspersonals war im Jahr 2020 in der Heimerziehung tätig, gefolgt von der öffentlichen Jugendhilfe (zum Beispiel Verwaltung und Jugendämter) und der offenen Jugendarbeit.
Des Weiteren verschärfen die fachlichen und strukturellen Anpassungsanforderungen unter anderem im Zusammenhang mit der jüngsten Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes den Bedarf an sozialpädagogischen Fachkräften, zum Beispiel durch die hohe Bedeutung des Kinderschutzes und den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung, durch die weitere Stärkung von Kinderrechten und den Ausbau von Partizipation, Selbstvertretung und Beteiligung junger Menschen, durch die inklusive Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe usw.
Zudem befinden sich die freien Träger der Jugendhilfe in einem starken Wettbewerb um die sozialpädagogischen Fachkräfte mit den Kindertagesstätten, der außerschulischen Kinderbetreuung, der Eingliederungshilfe usw. Diese Arbeitsfelder wachsen aktuell ebenfalls rasant und haben einen hohen Bedarf am Personal.
Wir haben uns im Landesverband in Gremien mit zahlreichen Geschäftsführungen der freien Träger der Jugendhilfe gefragt, wie die Jugendhilfe in Berlin im Fort- und Weiterbildungsbereich so gestärkt werden kann, dass sie den wachsenden fachlichen Anforderungen standhalten und durch attraktive Fort- und Weiterbildungsangebote im Wettbewerb mit anderen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern möglicherweise gestärkt werden kann.
Wir wissen, dass die Hauptaltersgruppe der Beschäftigten in der Berliner Jugendhilfe beispielsweise in den stationären Einrichtungen eine eher jüngere Personengruppe mit mehrjähriger Berufserfahrung ist. Laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg sind es im Jahr 2020 die 20–30-Jährigen (29,35 %), gefolgt von 30–40-Jährigen (27,74 %), 50–60-Jährigen (18,38 %) und 40–50-Jährigen (17,48 %).
Kompaktkurs Jugendhilfe für Quereinsteiger:innen und sozialpädagogische Fachkräfte
Zertifikatskurs
Wir möchten diese Personengruppe mit attraktiven, familienfreundlichen und berufsbegleitenden
Fort- und Weiterbildungsmodellen ansprechen, um sie vom Arbeitsfeld Jugendhilfe zu überzeugen, berufliche Entwicklungswege aufzuzeigen und möglicherweise auch einen beruflichen Wechsel innerhalb der unterschiedlichen sozialpädagogischen Arbeitsfelder zu ermöglichen.
Dabei haben wir festgestellt, dass wir auf diesem Gebiet aus unterschiedlichen Gründen einen Nachholbedarf haben. Es müssen mehr flexible und berufsbegleitende Weiterbildungsmodelle entwickelt werden, die die gesetzlichen und fachlichen Inhalte breit aufstellen und nicht nur theoretisch, sondern auch mit einem hohen Praxisbezug vermitteln. Eine zielgruppenadäquate und lebensweltbezogene Organisation von Weiterbildungsformaten ist dabei entscheidend. Auch die stärkere Einbeziehung und Ansprache von Quereinsteigenden wird uns künftig immer mehr beschäftigen.
In diesem Jahr erprobt die Paritätische Akademie Berlin ein innovatives, modular aufgebautes Weiterbildungsangebot, welches den aktuellen Anpassungsanforderungen in der Jugendhilfe weitreichend Rechnung trägt. Dieses Angebot wurde in Zusammenarbeit mit dem Paritätischen LV Berlin, der Einrichtungsaufsicht der Senatsverwaltung, Bildung, Jugend und Familie sowie der Universität für Weiterbildung Krems entwickelt.
Der neue Kompakt- und Zertifikatskurs Jugendhilfe erhöht die Mobilität der sozialpädagogischen Fachkräfte in der Jugendhilfe, indem er breit angelegte Felder abdeckt, wie zum Beispiel Hilfen zur Erziehung, Jugendsozialarbeit, Familienförderung, Jugendberufshilfe. Nach Vorabsprache mit der Einrichtungsaufsicht kann bei Quereinsteigenden aus Berlin der erfolgreiche Kursabschluss und/oder je nach individuellem Qualifikationsbedarf die erfolgreiche Teilnahme an ausgewählten Kursmodulen auf den Fachkräfteschlüssel angerechnet werden.
Das Alleinstellungsmerkmal dieses Angebotes ist der hohe Praxistransfer. Der Kompakt- und Zertifikatskurs wird von vielen erfahrenen Führungs- und Leitungskräften aus den paritätischen Mitgliedsorganisationen und
Dozierenden mit langjähriger Expertise und entsprechendem Renommee im SGB VIII-Feld aktiv mitgestaltet. Damit möchten wir sicherstellen, dass die Inhalte dieses Zertifikatskurses stets aktuell bleiben.
Die Entwicklung dieses neuen Weiterbildungsangebotes geht auf die herausragende Zusammenarbeit aller Beteiligten zurück, die sich in den Inhalten deutlich erkennen lässt. Wir sind sehr gespannt auf die Rückmeldungen aus dem ersten Durchgang und sind bei der Implementierung und Erweiterung der Gruppe von Fortbildungsinteressierten offen. Denkbar sind zum Beispiel Anpassungsweiterbildungen für (sozial-)pädagogisch qualifizierte Geflüchtete.
Weiterführende Informationen über den Kompakt- und Zertifikatskurs Jugendhilfe finden Sie auf der Internetseite des Paritätischen Jugendhilfeforums: www.paritaetisches-jugendhilfeforum.de
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Jutta Overmann und Christa Janßen unterrichten mit Schwerpunkt Entrepreneurship im Master Sozialmanagement an der Paritätischen Akademie Berlin. Im Interview sprechen sie über die steigende
Relevanz des Themas und den Weg von der ersten Gründungsidee bis zur Umsetzung.
Wo und in welcher Position arbeiten Sie derzeit, wenn Sie nicht gerade bei uns an der Akademie unterrichten?
Janßen: Ich bin als Gastdozentin im Bereich Gründerlehre an der Berliner Hochschule für Technik (BHT) tätig.
Overmann: So wie meine Kollegin bin auch ich derzeit an einer Hochschule aktiv. Aktuell bin ich wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt ASHEXIST an der Alice-Salomon-Hochschule, bei dem wir den Gründer:innengeist wecken und stärken wollen. Zudem arbeite ich als Beraterin im Gründungsbereich.
Was ist Ihre Motivation zusätzlich als Dozentinnen im Studiengang Sozialmanagement tätig zu sein?
Janßen: Social Entrepreneurship war mir schon immer ein besonderes Anliegen. Der Austausch und die kritischen Fragen und Anmerkung der Studierenden sind mir sehr wichtig.
Overmann: Ich glaube auch hier haben wir beide etwas gemeinsam: soziale Verantwortung mit unternehmerischem Denken zu verbinden, hat mich schon lange sehr interessiert. Solche Themen lassen sich in diesem Studiengang wunderbar aufgreifen und mit den Studierenden diskutieren.
Unser Master Sozialmanagement richtet sich an Menschen mit Berufserfahrung, die sich noch weiterentwickeln und perspektivisch auch Führungsverantwortung übernehmen möchten. Welchen Einfluss hat das Studium auf die berufliche Entwicklung der Studierenden?
Overmann: Aus den Gesprächen mit den Studierenden habe ich mitgenommen, dass es bei vielen eine Motivation war, neue berufliche Herausforderungen zu suchen und auch Führungsverantwortung zu übernehmen. Da bieten die Managementthemen in diesem Studiengang viele wichtige Aspekte und Inhalte, die sie dann für den nächsten beruflichen Entwicklungsschritt direkt nutzen können. Zudem berichten die Studierenden aus ihrer Berufspraxis, dass die Anforderungen und Aufgaben immer komplexer werden und BWL-Wissen, Kostenrechnung, Finanzen aber auch Führungsthemen immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Janßen: Nach meinen Beobachtungen kann ich das nur bestätigen. Nicht selten wird der nächste Karriereschritt schon während des Studiums gemacht. Die einzelnen Module des Studiengangs sind eine sehr gute und
umfassende Vorbereitung auf anspruchsvolle Fach- und Führungsaufgaben.
Der Studiengang ist bei uns als Fernstudium mit Präsenzwochen in Berlin aufgebaut. Welche Vorteile sehen Sie in diesem Modell und vielleicht im berufsbegleitenden Studieren allgemein?
Overmann: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie Studierende berufliche Anforderungen, familiäre Aufgaben und das Studium miteinander vereinbaren. Allerdings schaffen sie das oft nur, da sie durch dieses Modell eine zeitliche Flexibilität haben und die Präsenzwochen als Block stattfinden. Von Teilnehmenden, die nicht aus Berlin kommen, hören wir oft, wie toll die Zeit in Berlin ist. Hier lernen sich die Gruppen noch besser kennen und nutzen natürlich auch gern die Angebote der Stadt.
Janßen: Lernen soll neue Perspektiven eröffnen. In einer inspirierenden Stadt wie Berlin lässt sich das berufliche Netzwerk in den Präsenzzeiten gut erweitern. Auch der Erfahrungsaustausch ist leichter möglich als bei einem reinen Fernstudium.
Sozialmanagement, Master of Arts
Berufsbegleitender Studiengang in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule Berlin
Sie sind beide Teil eines größeren Teams von Dozierenden. Welchen Themenschwerpunkt lehren Sie bei uns?
Janßen: Mein Herzensthema ist Entrepreneurship – und das auch schon, als diese Thematik in der Sozialwirtschaft eher verpönt war. In den letzten Semestern ist dann das wissenschaftliche Arbeiten dazugekommen.
Overmann: Mein Fokus liegt auf dem Thema „Gründen im sozialen Bereich“ und das verstehe ich tatsächlich sehr umfassend. Da können Social Start-Ups dabei sein, aber auch klassische Gründungen wie die Arbeit als Berufsbetreuer:in oder eine Selbständigkeit im pädagogischen Bereich. Dabei schaue ich mir den Markt für solche
Angebote gern genauer an und wie sich aus einer ersten Idee, dann tatsächlich eine Geschäftsidee entwickelt.
Ist das Thema Entrepreneurship aktuell für die Sozialwirtschaft besonders relevant? Wenn ja, warum?
Janßen: Auf Tagungen und Konferenzen bemerke ich ein großes Interesse von Seiten der großen Player im Markt und zugleich beobachte ich viele Gründungsabsichten von neuen Marktteilnehmern.
Overmann: Das Thema gewinnt auf jeden Fall an Bedeutung. Das erlebe ich auch in meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Wir haben an einem Barcamp zum Thema „Social Entrepreneurship macht Hochschule“ aktiv teilgenommen, bei dem viele Hochschulen und Organisationen beteiligt waren. In Berlin gibt es aktuell das Projekt Social Economy Berlin, bei dem Initiativen und soziale Unternehmen kostenfreie Beratungen in Anspruch nehmen können.
Haben Sie bereits Erfahrungen mit Unternehmensgründungen durch Absolvent:innen gemacht?
Overmann: Tatsächlich hatte ich schon einige Masterarbeiten zu betreuen, in denen Businesspläne erstellt wurden. Dabei waren oftmals die Gründungen für einen späteren Zeitpunkt geplant. Als Beraterin war ich dann in die Umsetzungsphase nicht mehr involviert. Das kann jetzt anders sein, da wir weiterführende Unterstützungsangebote im Rahmen des ASHEXIST-Projektes anbieten. Insbesondere für gründungsinteressierte Studierende aus Berlin kann das interessant sein, da wir im Juni 2022 unser Gründer*innenzentrum eröffnen. Ergänzend bieten wir aber auch viele interessante Veranstaltungen online an. (Mehr dazu findet man hier.)
Gibt es dabei besondere Kompetenzen, die besonders wichtig sind?
Janßen: Jede Gründung ist anders, aber Entschlossenheit Entscheidungsstärke und Freude am Netzwerken sind ein guter Ausgangspunkt. Bei größeren, komplexen Vorhaben sollte auf eine gute Teamzusammenstellung geachtet werden, bei der unterschiedliche Kenntnisse und Stärken kombiniert werden.
Overmann: Gerade der Teamgedanke spielt eine wichtige Rolle. Die Herausforderungen bei Gründungsvorhaben sind oftmals so komplex, dass eine Person allein das gar nicht bewältigen kann. Daher ist es sehr hilfreich, wenn man seine eigenen Stärken kennt und bereit ist, sich Unterstützung zu holen, wenn diese benötigt wird.
Eine besondere Herausforderung ist sicherlich der Weg von der ersten Gründungsidee zur tatsächlichen Umsetzung. Wie kann dieser wichtige erste Schritt gelingen?
Janßen: Es empfiehlt sich nach Gründungsunterstützung Ausschau zu halten. Es gibt tatsächlich vielfältigen Rat und Coaching für Gründung allgemein aber auch speziell für Gründungen im sozialen Bereich.
Overmann: Bevor man sich nach der Förderung umschaut, macht es sicher Sinn, sich den Markt und die Akteur:innen anzuschauen. Wer bietet schon etwas Vergleichbares an?
Sie beide betreuen oftmals Masterarbeiten – Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, die Masterarbeit als Vorarbeit für eine Gründung zum Beispiel als Businessplan zu nutzen?
Janßen: Das ist in der Tat eine gute Möglichkeit, sich auf eine Gründung vorzubereiten, indem man ausgewählte Aspekte im Rahmen einer Masterthesis vertiefend bearbeitet.
Overmann: Aus meiner Sicht lässt sich in einer Masterarbeit ein Thema intensiv bearbeiten, dabei werden theoretische Hintergründe ausgeführt und die Relevanz für die Praxis wird erläutert. Ein Gründungsvorhaben
kann als praktisches Umsetzungsbeispiel in Form eines Businessplans beschrieben werden. So konnte ich als Teil einer Masterarbeit beispielsweise die Gründung einer Pflegeeinrichtung oder die eines Trägers begutachten.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei einer Neugründung in der Sozialwirtschaft heutzutage?
Overmann: Aus der Perspektive von Studierenden höre ich verstärkt, dass ihnen Nachhaltigkeit und sinnstiftendes Arbeiten wichtig sind. Bei Gründungs- und Projektideen sollen dann auch entsprechende Kriterien berücksichtigt werden und ressourcenschonende Angebote, wiederverwendbare Arbeitsmaterialien oder der Einsatz von Recyclingmaterial realisiert werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Gespräch führte Johanna Brömer, Bildungsreferentin an der Paritätischen Akademie Berlin
AUCH INTERESSANT
Absolventin Julia Günster über das Masterstudium Sozialmanagement an der Paritätischen Akademie Berlin und ihren Weg von der Privatwirtschaft über die Jugendhilfe zum eigenen Sozialunternehmen
Frau Günster, mit ihrem Sozialunternehmen Thumbs and Hearts fördern Sie die digitale Medienkompetenz Jugendlicher. Was genau bieten Sie an?
Wir bieten Themen-Workshops rund um digitale Medienkompetenz für Jugendliche und für pädagogische Fachkräfte an. Darin geht es um Werbung und Influencer:innen, um Fake News und Recherche, um Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung und um Toleranz und Vielfalt in Social Media. Unser Ziel ist, Jugendliche zu befähigen, ein Bewusstsein für die konsumierten Inhalte zu entwickeln, sie einzuordnen und zu hinterfragen.
Wie kamen Sie auf die Idee?
Mit Thumbs and Hearts möchte ich das Wissen aus mehreren Branchen verbinden. Ich bin ursprünglich PR-Beraterin und habe selbst Social Media Kampagnen für Unternehmen geplant und umgesetzt. Die Idee zu Thumbs and Hearts entstand gemeinsam mit einer ehemaligen Kollegin. Jugendliche sind mehrere Stunden täglich in Social-Media-Netzwerken unterwegs, die in erster Linie wirtschaftliche Interessen verfolgen. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung der Creator Economy. Die Werbebotschaften der Influencer:innen sind zum Teil geschickt verpackt, die Kennzeichnungspflicht nicht eindeutig geregelt. Uns ist es ein Anliegen, die digitale Medienkompetenz der Jugendlichen so zu stärken, dass sie souverän Influencer-Content, Werbung, PR und Meinungen einordnen können, Fakten von Fake News unterscheiden, und ein Bewusstsein entwickeln für den Einfluss vom Algorithmus der Netzwerke und ihrer Filter-Bubble.
Ihr beruflicher Weg führt von der Privatwirtschaft über die Jugendhilfe zum eigenen Sozialunternehmen. Inwiefern hat das Masterstudium Sozialwirtschaft Ihre Berufslaufbahn beeinflusst?
Als Quereinsteigerin in der Sozialwirtschaft wollte ich das Studium nutzen, um mich in der Branche zu professionalisieren. Neben dem Beruf zu studieren ist herausfordernd, für mich war es aber auch unglaublich
empowernd und hat mich motiviert, mich in der Sozialwirtschaft weiterzuentwickeln.
Wie konnten Sie die Inhalte des Studiums in Ihre Berufspraxis einbringen?
Ich habe damals als Newbie in der Branche bei einem Jugendhilfeträger mit vielen unterschiedlichen Angeboten und Einrichtungen gearbeitet. Das Studium hat mir viel Hintergrundwissen vermittelt, um die wirtschaftlichen Zusammenhänge besser zu verstehen: wie sieht dieser Markt in Deutschland eigentlich aus, wie funktioniert er und welche unterschiedlichen Finanzierungsmodelle gibt es? In meinem Job danach als Projektmanagerin für ein
Förderprogramm des Bundes war das Wissen um Zusammenhänge neben der Kenntnis der Praxis ebenfalls entscheidend, um unterschiedliche Fördervorhaben gezielt zu beraten. Bei der Gründung meines eigenen Sozialunternehmens hat mir vor allem das Vorwissen zu rechtlichen und steuerlichen Aspekten enorm geholfen. Und viele ganz konkrete Studieninhalte von Rechnungswesen bis Unternehmensstrategie spielen aktuell eine große Rolle in meinem Arbeitsalltag.
Gibt es für Sie ein persönliches Highlight aus Ihrer Studienzeit?
Das Highlight des Studiums war für mich unsere tolle Studiengruppe! Wir sind sehr zusammengewachsen, vor allem durch die Präsenzwochen. Durch meine Kommiliton:innen habe ich viele Insights aus unterschiedlichsten Branchen der Sozialwirtschaft erhalten. Das war unglaublich bereichernd.
Von den Veranstaltungen besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Rhetorikseminar bei Pater Thomas. Ich hatte im Laufe meiner Berufslaufbahn schon mehrere Kommunikations-Workshops besucht, aber so intensiv, so ehrlich, so charismatisch wurde mir das Thema davor nie vermittelt.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Kommiliton:innen?
Ja, wir sind noch in Kontakt. Ich hoffe, dass wir es schaffen, bald wieder ein Reunion-Gruppentreffen zu machen, das war seit Pandemiebeginn etwas schwierig. Ich habe mich während meiner Gründung mit einem Kommilitonen ausgetauscht, der Erfahrung mit der Ausgründung einer gemeinnützigen GmbH hat und mir wertvolle Tipps geben konnte.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Gespräch führte Johanna Brömer, Bildungsreferentin an der Paritätischen Akademie Berlin
Mehr Infos zur Thumbs and Hearts gGmbH finden sie unter www.thumbsandhearts.com
Sozialmanagement, Master of Arts
Berufsbegleitender Studiengang in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule Berlin
AUCH INTERESSANT
Ein Interview mit unseren Dozierenden Dr. Ute Schürings und Elena Schmitz
Im letzten Jahr haben wir gemeinsam mit Elena Schmitz und Dr. Ute Schürings den Zertifikatskurs Partizipative Führung: 4 Kernkompetenzen, um Veränderungsfähigkeit in Teams zu verankern entwickelt und sehr erfolgreich mit den ersten beiden Gruppen durchgeführt. Trotz COVID-19 und sehr viel Belastung in allen Bereichen der Sozialen Arbeit kamen Leitungs- und Führungskräfte gerade auch aus KiTa- oder HzE-Einrichtungen, um ihre
Führungskompetenzen zu reflektieren und weiter zu entwickeln. Wir haben uns mit den beiden darüber unterhalten, was Partizipative Führung kann – oder auch nicht kann, und warum es sinnvoll ist, sich damit zu beschäftigen.
Frau Schmitz und Frau Schürings, wie würden Sie in Ihren eigenen Worten Ihre Schwerpunkte in Ihrer Tätigkeit beschreiben?
Schmitz: Ich arbeite seit einigen Jahren viel mit Design Thinking und mit Gruppen im Trainings- und Coachingbereich. Meine Leitfrage dabei ist, wie man gemeinsam neue Dinge auf den Weg bringen kann, Raum für
Kreativität zu geben, sie sichtbar und fruchtbar zu machen, gerade auch mit dem Schwerpunkt auf co-kreativem Arbeiten. Über diesen Weg bin ich dann letzten Endes auch zu Teamentwicklung und zur partizipativen Führung gekommen. Denn es hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass die Teams nicht nur mit der Methode arbeiten wollen, sondern das auch als Arbeitskultur verankern wollen und sich die Frage stellen, wie sie mit vielen Perspektiven co-kreativ auf Augenhöhe arbeiten können und welche Ansätze es dafür gibt. So haben wir uns dann angesehen, welche Fähigkeiten es dafür braucht und welcher Prozess für ein Team entsteht, um an dieses Ziel zu gelangen. So bin ich zusammen mit Frau Schürings in eine sehr gute co-kreative Zusammenarbeit gekommen, um neue Formate zu entwickeln.
Schürings: Ich bin vor 12 Jahren als Trainerin mit Schwerpunkt interkulturelle Kommunikation gestartet. Hier lag mein Schwerpunkt darauf, mit unterschiedlichen Werten gut zurechtzukommen und eine Akzeptanz für diese Diversität zu entwickeln. So bin ich immer mehr mit den damit verbundenen Führungsthemen in Kontakt gekommen. Im Grunde macht es keinen so großen Unterschied, ob es verschiedene Werte gibt, oder ob die Personen in verschiedenen Kulturen oder Ländern leben. In jedem Team herrscht eine Diversität vor. Es geht nicht immer z.B. um Sprachen und Kulturen, sondern generell darum, wie andere ticken und wie man diese Diversität nutzbar machen kann – und auch als etwas Bereicherndes und Gutes empfinden kann. So bin ich zum Thema partizipative Führung gekommen und habe zusammen mit Frau Schmitz inzwischen mehrere Formate entwickelt.
Was sind so ihre Aha-Momente in der Arbeit mit Gruppen?
Schürings: Was mich immer sehr begeistert ist, wenn ich einladen kann zu mehr Verstehen und dadurch zu mehr Freude. In dem Moment, in dem man die Werte des anderen versteht, kann man schauen, welche Handlung damit
verbunden ist und auch bei Problemen neue Wege finden. Man merkt, vorher eckt das ein bisschen an, und dann kann man sich entspannen, weil man einander besser begreift und neue Lösungen und neue Wege findet.
Schmitz: Wir arbeiten in Trainings viel mit dem Thinking Environment von Nancy Klein. Wir nutzen das sehr gerne, um neue Meetingformate und kreative Formate in Teams zu schaffen. Da geht es darum, dass jeder etwas beitragen kann. Mit dieser Haltung zu arbeiten und dafür ein konkretes Format zu haben, mit dem man das ausprobieren kann, ist sehr hilfreich. Natürlich stellen sich die Teilnehmer:innen oft die Frage: „Wie kann ich es denn gestalten, dass alle beitragen können? Die einen reden zu viel, die anderen reden zu wenig. Wir kriegen gar nicht alle richtig gut eingebunden.“ Wenn wir dann das Thinking Environment erklären, kommt ganz oft der Aha-Effekt: „Wir haben das ausprobiert und es hat total toll funktioniert, es war eine ganz andere Stimmung, es ist ganz viel rausgekommen am Ende von diesem Meeting und alle waren dabei.“
Warum haben Sie das Thema partizipative Führung aufgegriffen?
Schmitz: Einmal glaube ich, weil es einfach wahnsinnig in der Luft liegt. Wir merken, dass es ein ganz großes Bedürfnis danach gibt, Arbeit anders zu organisieren. Wir bekommen oft gespiegelt, dass man wegkommen muss davon, dass die Führungskraft die ganze Verantwortung übernimmt und dadurch auch alles regeln und überprüfen muss. Da ist ein großer Wunsch, Aufgaben anders zu verteilen, und zu überlegen, wie sich Leute besser einbringen können. Wie kann es mehr Teilhabe geben, wie kann es auch gelingen, dass Mitarbeitende im Team selbst mehr die Verantwortung für sich übernehmen? Also sich zum Beispiel selbst Regeln geben, dann aber auch darauf achten, dass diese Regeln wirklich gelebt werden, und dass nicht wieder alles bei der Führungskraft hängt. Gleichzeitig ist heutzutage eine ganz andere Schnelligkeit da, eine andere Flexibilität ist gefordert, das geht mit hierarchischen oder starren Führungsstilen nicht mehr so gut.
Schürings: Dahinzugelangen und diesen Veränderungsweg zu gehen, ist natürlich auch immer ein Prozess. Aber wenn es gelingt, und nach und nach solch eine partizipative Kultur entsteht, ist es zum einen ein viel zielführenderes und freudigeres Arbeiten. Damit einher geht aber auch, dass eine andere Kommunikationskultur eingeführt wird, in der anders über Bedürfnisse und über Probleme gesprochen werden kann. Damit man gut miteinander im Gespräch ist, üben wir zum Beispiel im Kurs, wie man die eigenen Bedürfnisse, Ideen, Ansätze äußert, und auch Kritik kommuniziert. Wenn sich alle einbringen, und wenn man einander regelmäßig Feedback gibt, muss man lernen, auch schwierige Dinge besprechbar zu machen. Es ist gar nicht so leicht, sich das zu trauen, und dafür einen guten Ton zu finden.
Zudem glaube ich, dass es auch gesamtgesellschaftlich hilfreich sein wird, wenn wir einen solchen Umgang mehr in der Arbeitswelt etablieren. Uns ist es wichtig, eine größere Sensibilität zu vermitteln, die letztlich die Zusammenarbeit erleichtert und angenehmer macht. Im Grunde muss der ganze Mensch am Arbeitsplatz willkommen sein. Dann kann es gelingen, ein viel größeres Potenzial anzubohren. Wenn jeder erstmal so okay ist, wie er oder sie ist, kann man in einem nächsten Schritt gemeinsam darüber sprechen, wo vielleicht noch Lernbedarf ist oder etwas verbessert werden könnte.
Partizipative Führung: 4 Kernkompetenzen, um Veränderungsfähigkeit in Teams zu verankern
Zertifikatskurs mit Elena Schmitz und Dr. Ute Schürings
Wir haben noch weitere Angebote rund um das Thema Agilität und Neues Arbeiten im Programm
Eine Übersicht finden Sie hier:
Warum ist es in Ihren Augen jetzt besonders wichtig, sich mit partizipativer Führung, also mit einer Führung, die die Mitarbeitenden auf Augenhöhe einbindet, auseinanderzusetzten? Was sehen Sie in der Entwicklung der Arbeitswelt am Horizont?
Schürings: Durch partizipative Führung können belastbare und stabile Beziehungen in der Arbeitswelt entstehen. Denn gerade für Teams ist es ja ein großes Problem, wenn sehr häufige Wechsel bei den Kolleg:innen stattfinden. Außerdem wird das Leben immer schneller. Daher ist es wichtig, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass Vertrauen und Beziehungen entstehen können, die ein gutes Zusammenarbeiten erlauben, so dass in der Zusammenarbeit genau
die Stabilität entsteht, die in den Anforderungen der Außenwelt oft fehlt.
Schmitz: Unsere Gesellschaft wird immer heterogener. Wir haben ganz unterschiedliche Perspektiven auf Dinge, auch teilweise konträre Perspektiven. Es liegt eine große Chance darin, diese einzubinden und Sachen anders zu machen, als wir sie die letzten 20 Jahre gemacht haben. Gerade auch in einer sehr „deutschen Kultur“ oder einer sehr einseitigen Kultur, in einer sehr männlichen Kultur, je nachdem wie man hinguckt. Der Ansatz der partizipativen Führung bietet viel mehr Schnittstellen, diese Diversität und Heterogenität einzubinden und nutzbar zu machen, und dadurch neue Lösungsmöglichkeiten zu finden, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen. Darin liegt ein riesiges Potenzial. Aber es ist auch eine Haltung, die erstmal gelernt werden muss, damit nicht gleich Angst entsteht oder sich Menschen angegriffen fühlen. Ein partizipativer Führungsstil ist ein guter Weg, das in der Arbeitswelt zu gestalten.
Warum sollten aus Ihrer Sicht Leitungs- und Führungskräfte diesen Kurs besuchen? Und welche Kompetenzen lernen sie dann?
Schmitz: Wir beschäftigen uns im Kurs mit Veränderungsprozessen und schauen: Was passiert eigentlich in Veränderungsprozessen? Was blockiert, was fördert Veränderung? Wie kann man alle gut mitnehmen? Ob man will oder nicht, das ist ein Thema, das ständig da ist. Das vermittelt unser Kurs sehr deutlich auf verschiedenen Ebenen und schafft dabei gleichzeitig einen Raum, sich selbst zu reflektieren als Führungskraft. In unserer Fortbildung können wir über einen längeren Zeitraum schauen, wo die eigenen Knackpunkte sind, was gut funktioniert und was der eigene Weg ist, Veränderung zu gestalten. Es gibt nicht diesen einen Standardweg mit einem Methodenkoffer, partizipative Führung einzuführen. Der Weg ist abhängig von der Organisation und vom Team, und auch von der Führungskraft.
Schürings: Was wir auch immer feststellen ist, dass der Austausch untereinander sehr geschätzt wird. Der Kurs ist eine Mischung aus Input, den wir geben, und aus konkreten Übungen und Methoden, die man sofort anwenden kann. Es entsteht ein Raum, den man mit anderen teilt, die ganz ähnliche Problematiken und Fragen haben.
Würden Sie einen Zeitpunkt empfehlen, zu wann eine Führungskraft oder Leitungskraft diesen Kurs besuchen sollte? Ist es egal, ob die Person nur von sich aus dran Interesse hätte, und sich die Organisation noch gar nicht so richtig damit auseinandergesetzt hat, ob Agilität, Selbstorganisation oder Partizipation interessant wäre? Oder würden Sie empfehlen, es ist immer besser, wenn schon gesamtorganisational oder
strukturell Entscheidungen in diese Richtung getroffen wurden?
Schürings: Beides ist gut. Zu jedem Zeitpunkt können Teilnehmende etwas mitnehmen oder auch selbst eigene Ideen und Gedanken entwickeln, die sie wieder in ihre Organisation tragen. Der Moment, wo ich als Führungskraft denke, da würde ich aber gerne mal mehr drüber wissen, ist ein guter Moment. Wir probieren zudem immer, diese Tage auch für aktuell brennende Themen fruchtbar zu machen, so dass ein Workshoptag auch der eigenen Reflektion dient. Oft sagen die Teilnehmenden, sie hätten gerade ziemlichen Stress, aber es hätte ihnen genau das gut getan – sich freizumachen, einen Schritt zurückzutreten und anders auf die Dinge zu schauen.
Schmitz: Partizipative Führung ist ja ein skalierbares Model. Die Führungskräfte, die jetzt bei uns sind, die fangen auf jeden Fall erstmal mit ihrem eigenen Team an. Im Seminar ist immer der Raum da, auszuprobieren und in der Gruppe zu reflektieren, was läuft und was nicht läuft. Natürlich ist es eine Frage, wie offen ist die Organisation an sich? Ob man es dann auch in die Breite oder nach oben skaliert bekommt, ist oft ein Thema bei den Teilnehmenden.
Sie arbeiten ja mit ganz unterschiedlichen Organisationen aus der Verwaltung, größeren Konzernen oder der sog. „freien Wirtschaft“ zusammen, bei uns ja hauptsächlich mit Führungskräften aus dem Sozialbereich.
Wie schätzen Sie das Potential für neues Arbeiten, Agilität und Selbstorganisation in der Sozialwirtschaft ein?
Schürings: Ja, sehr gut (lacht). Es macht uns große Freude, weil bereits eine hohe Sensibilität und ein starker Wunsch für dieses Thema da sind. Wir finden, es gibt eine breite Grundlage im Verständnis von Führung. Die Angebote, die wir machen, werden mit großem Interesse aufgenommen und auch umgesetzt. Es gibt ein großes Bedürfnis, sowohl von den Führungskräften als auch von den Mitarbeitenden, beteiligt zu werden, mitzudenken, sich zu engagieren. Das Verbindende ist der Blick auf den Menschen, weil in der Sozialwirtschaft ja mit Menschen gearbeitet wird, und es in dieser Hinsicht eine ganz große Fähigkeit und Wertschätzung gibt.
Schmitz: Zudem finden wir, dass sich Führungskräfte im Sozialbereich viele Gedanken darüber machen, wie sie gut führen können. Einmal, um gute Leute halten zu können, aber eben auch um eine gute Atmosphäre zu schaffen. Außerdem entsteht in den Gruppen schnell eine wertschätzende Atmosphäre, mit der man sehr gut arbeiten kann.
Welche Fallstricke gibt es mit dem Konzept partizipative Führung?
Schürings: Wir stellen häufiger fest, dass es eine Trennung zwischen mittlerem Management und „oberen“ Ebenen gibt. Je näher man quasi an den Klient:innen bzw. den Menschen dran ist, desto größer ist das Interesse an Austausch und einem guten Gelingen und Miteinander. Oft ist das in den höheren Strukturen schwierig, und da entsteht Frustration.
Schmitz: Und es gibt tatsächlich eine hohe Fluktuation unter Mitarbeitenden – dass Teams häufig wechseln und es dadurch erschwert wird, ein starkes Team aufzubauen. Da entsteht das Gefühl, man fängt immer wieder von vorne an. Dann kann es einerseits ein Weg sein, Zusammenarbeit so zu strukturieren, dass Menschen gerne bleiben, und andererseits einen Grundstock im Team aufzubauen, um neue Menschen schneller gut einzubinden. Wir schauen, wie ein kulturelles Level gehalten werden kann, trotz hoher Fluktuation.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Interview führte Annette Loy, Bildungsreferentin und Bereichsleitung Seminare an der Paritätischen Akademie Berlin
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ein Gastbeitrag von Dr. Holger Wellmann
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) hat in den letzten Jahren in vielen Branchen und Betrieben zunehmend an Akzeptanz gewonnen. Mehr noch: Es ist Ausdruck einer gelebten Unternehmenskultur und
wirkt sich nicht nur positiv auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten aus, sondern ist auch ein „Aushängeschild“ für viele Betriebe. Sie werben z.B. mit ihrem BGM, wenn es um die Gewinnung und Bindung von
Fachkräften geht.
Allerdings ist BGM bei weitem noch keine Selbstverständlichkeit. Unwissenheit über die Inhalte, die konkrete Umsetzung und die vielfältigen Wirkungen des BGM spielen dabei häufig eine Rolle. Hinzu kommen oft fehlende zeitliche Ressourcen – aber auch die Frage der Haltung, wenn es um das Thema Gesundheit geht: Ist sie „Privatsache“ – oder inwieweit sehen es die EntscheidungsträgerInnen von Organisationen als gewinnbringend an,
über den Arbeits- und Gesundheitsschutz hinaus in die Gesundheitsförderung der Mitarbeitenden zu investieren? Schließlich existieren noch immer falsche Vorstellungen über das BGM: Es ginge insbesondere um die Umsetzung von Maßnahmen, die um das operative Tagesgeschäft herum organisiert werden müssten. Und gerade hier liegt häufig ein Denkfehler, denn der Kern eines qualitativ hochwertigen BGM sollte das Herbeiführen von gesunden Arbeitsbedingungen und die Stärkung von Ressourcen bei den Beschäftigten sein.
Die herausfordernde Arbeitssituation in der Pflegebranche ist seit langem bekannt. Sie ist geprägt von hohen körperlichen und psychischen Belastungen. Die Arbeitsverdichtung hat gerade in den letzten zwei Jahren durch die Corona-Situation weiter zugenommen. Oftmals ist die Belastungsgrenze bereits überschritten, wozu u.a. die zeitgleiche Erledigung mehrerer Aufgaben (Multitasking), der Schichtdienst und immer wieder auch aggressive Patient:innen sowie das permanente Erfordernis von Emotionsarbeit beitragen. Dies schlägt sich einerseits nieder in einem Krankheitsgeschehen, das vor allem durch Muskel- und Skeletterkrankungen, aber auch durch depressive Episoden und das Burnout-Syndrom geprägt ist. Andererseits gehen Pflegekräfte trotz Krankheit überdurchschnittlich häufig trotzdem zur Arbeit. Zudem sind die Rahmenbedingungen in der Pflege ungünstig. Die Vereinbarung der Arbeitszeiten mit den persönlichen Bedürfnissen ist häufig mühsam, die Entlohnung im
Pflegeberuf eher gering und die Entwicklungsmöglichkeiten für die persönliche Laufbahngestaltung eingeschränkt. Hinzu kommt – und dies dürfte für das Sinnerleben vieler Pflegekräfte neben den Arbeitsbedingungen ein entscheidender Punkt sein – die geringe gesellschaftliche Wertschätzung bzw. das Imageproblem des Pflegeberufs. Es kann bei all diesen Faktoren demnach nicht verwundern, dass die Verweildauer gerade in der Altenpflege kürzer als in vielen anderen Berufen ist.
Und jetzt noch Corona! Ist die Pandemie das Damoklesschwert für das BGM in der Pflege? Sie darf es nicht sein! Als
Begründung darf die Geschichte des Holzfällers herangezogen werden, der den Auftrag bekommt Bäume zu fällen. Anfangs gelingt ihm dies, aber mit der Zeit wird die Säge immer stumpfer und die Arbeit daher immer beschwerlicher. Er schafft irgendwann die geforderte Menge nicht mehr – Frust und Überstunden häufen sich an. Da geben ihm vorbeiziehende Wandersleute einen „heißen Tipp“: „Sie müssen mal wieder Ihre Säge schärfen!“ Aber der Holzfäller schüttelt den Kopf und antwortet: „Ich habe keine Zeit die Säge zu schärfen. Ich muss doch den ganzen Tag Bäume fällen!“
Die Analogie ist offensichtlich. Wo im Pflegealltag bei ohnehin schon begrenzten Personalkapazitäten Zeit für
Maßnahmen des BGM hernehmen? Dafür ist es wichtig zu wissen, dass der Ausgangspunkt für solche Maßnahme natürlich eine Bedarfsanalyse ist, um zielgerichtet vorzugehen. Und sicherlich müssen zu Beginn auch Strukturen und Prozesse des BGM in die Organisationsabläufe integriert werden. Dann jedoch gilt es möglichst niedrigschwellig die Aktivitäten in den Arbeitsalltag der Beschäftigten zu integrieren. Was das heißen kann, soll mit ein paar Beispielen verdeutlicht werden. Dabei wird eine Orientierung an dem sogenannten „biopsychosozialen
Modell von Gesundheit und Krankheit“ vorgenommen. Dieses geht davon aus, dass Krankheit als Störung der Interaktion von körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren verstanden werden kann. Folglich werden bei allen gesundheitsförderlichen Maßnahmen nicht nur biologische Faktoren berücksichtigt, sondern auch psychologische und soziokulturelle Aspekte einbezogen.
SEMINARE MIT DR. HOLGER WELLMANN
Betriebliches Gesundheits-management (BGM) – auf den Weg gebracht
Seminar
Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz
Seminar
Hinsichtlich der körperlichen Anstrengungen kann z.B. das Augenmerk darauf gelegt werden, dass die Belastung individuell als angemessen empfunden wird, ohne dass dabei immer die gleichen Mitarbeitenden die „schweren Aufgaben“ erhalten. Kollegiale Hinweise auf ungünstige Körperhaltungen sensibilisieren und ergänzen die grundlegenden Unterweisungen, wie man mit der richtigen Haltung und passenden Bewegungsabläufen den Körper schonen kann. Arbeitsorganisatorisch erscheint es günstig, dass Pausen auch nach dem individuellen Bedarf genommen werden können und tatsächlich im Sinne der Erholung gestaltet werden. Die „Raucherpause“ mag zwar kurzfristig zum „Durchpusten“ geeignet sein, wird sich aber mittel- bis langfristig sicherlich nicht auf die körperliche Fitness positiv auswirken. Und natürlich sollte auch der Zeitdruck nicht der Nutzung von Hilfsmitteln und Hebehilfen entgegenstehen.
Für das psychische Wohlbefinden ist es wichtig, dass der einzelnen Pflegekraft immer wieder ihr Beitrag zum großen Ganzen bewusst (gemacht) wird. Damit verbunden ist die Wertschätzung der Person durch die Kolleginnen und Vorgesetzten oder ein konkretes Lob. Ein kurzes und ehrlich gemeintes „Ich danke dir, dass du bei uns auf Station so spontan ausgeholfen hast!“ kann schon viel bewirken und zeigt, dass eine solche Unterstützung keine Selbstverständlichkeit ist. Unterschiedlich ausgeprägt ist der Wunsch, immer wieder Neues bei der Arbeit hinzulernen zu können und sich einzelne Arbeitsabläufe möglichst selbst strukturieren zu können. Hier ist das Anmelden von Wünschen seitens der Pflegekräfte und das Fingerspitzengefühl der Vorgesetzten gefragt sowie ihr Interesse, sich mit den einzelnen Bedürfnissen und Stärken in ihrem Team auseinanderzusetzen. Die Teammitglieder werden es ihnen danken, wenn sie sich den Anforderungen ihrer Arbeit gewachsen fühlen.
Es ist aber nicht nur die Arbeit als solche, die für Motivation und Sinnstiftung sorgen kann. Im hektischen Pflegealltag kommt es immer wieder zu Konflikten. Das muss nicht weiter schlimm sein, wenn sie unter den Kolleginnen respektvoll und möglichst eigenständig oder auch mit Unterstützung anderer gelöst werden. Und natürlich kommt es dem Betriebsklima zugute, wenn gegenseitige Hilfe und Unterstützung stark ausgeprägt sind und die Bereitschaft vorhanden ist, Wissen zu teilen. Dabei sollte nicht vernachlässigt werden, bei Problemen zuerst selbst nach Lösungen zu suchen, bevor andere um Hilfe gebeten werden. Es gilt also beides miteinander zu verbinden: Das eigene Engagement bei Herausforderungen, aber auch die Gewissheit, sich auf die KollegInnen
verlassen zu können. So wachsen Teams zusammen – Kooperation und Vertrauen werden gelebt.
Die sinnvolle Kombination dieser Aspekte zeigt, dass BGM kein „add on“ ist – also kein Hinzufügen von Maßnahmen in den stressigen Pflegealltag. Vielmehr spielt es eine gewichtige Rolle, um den Herausforderungen in der Pflege zu begegnen und die Krankenstände und die Fluktuation so gering wie möglich zu halten. Überlegen Sie doch selbst einmal als Verantwortliche, wenn Sie die Wahl zwischen zwei grundsätzlich vergleichbaren Pflegeeinrichtungen
hätten – eine davon jedoch ein gutes BGM lebt: Für welche Einrichtung würden Sie sich entscheiden?
Auf dem Weg zum BGM werden Sie nicht allein gelassen. So stehen Ihnen z.B. die Sozialversicherungsträger mit Rat und Tat zu Seite. Nutzen Sie aber auch die neuen Angebote der Paritätischen Akademie Berlin.
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Interview mit Melanie Rubach
Melanie Rubach studierte Kriminologie und Polizeiwissenschaften und arbeitet derzeit als Amtsleiterin des Sozialamtes Marzahn-Hellersdorf sowie als Dozentin an der HWR Lichtenberg. Bei uns an der Akademie leitet sie das Seminar Polizeieinsätze in der Jugendhilfe – wie verhalte ich mich korrekt?.
Frau Rubach, in Ihrem Seminar geht es um das Aufeinandertreffen von Sozialer Arbeit und Polizei. Sie konnten professionelle Erfahrungen auf beiden Seiten sammeln. Inwiefern haben diese Sie geprägt? Gibt es Erlebnisse, die Ihre Arbeit nachhaltig beeinflusst haben?
Ich konnte Erfahrungen als Polizistin, Sozialarbeiterin und als Leitungskraft in einer sozialen Einrichtung sammeln. Die Soziale Arbeit und Polizeiliche Arbeit haben grundsätzlich die Gemeinsamkeit Menschen zu helfen, viele persönliche Erlebnisse zeigten aber, dass dies mit unterschiedlichen gesetzlichen Aufträgen, Selbstverständnis und unterschiedlicher Kommunikation erfolgt und dadurch Konflikte unter den Professionen entstehen.
Welche Konflikte sind das genau? Und stehen sich die Professionen wirklich so konträr gegenüber, wie viele denken?
Die Konflikte entstehen aus meiner Sicht aufgrund der fehlenden Transparenz und Kommunikation zu den unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen, Methoden und Ansprachen der beiden Professionen. Der Kern der
polizeilichen Arbeit liegt in der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, in der Sozialen Arbeit hingegen, zielt die Tätigkeit auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und insbesondere auf die individuelle Stärkung des /der Einzelnen ab. Im Hinblick auf die Tätigkeitsausrichtung und dem gesetzlichen Auftrag stehen sich beide Professionen meist konträr gegenüber, auch wenn es große Überschneidungen zu den Handlungsfeldern gibt und es sich allein deshalb lohnt, die Zusammenarbeit zu verbessern und ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.
Welche Rolle spielen in Ihren Augen dabei Vorurteile gegenüber der jeweils anderen Profession? Wie können sich dich diese ausräumen lassen?
In einer umfassenden Untersuchung zum Thema Selbst- und Fremdbilder von Sozialarbeiter:innen und Polizist:innen von Schmitt-Zimmermann von 1997, nach meiner Meinung aktuell immer noch anwendbar, ist festzustellen, dass hier eine große Diskrepanz und Unwissenheit herrscht. Durch Transparenz, gegenseitiges Verständnis und die Anerkennung der jeweiligen Profession, verstärkte gemeinsame Kommunikation und abgestimmte Handlungsleitfäden könnten Differenzen und Vorurteile abgebaut werden. Eine neutrale Grundhaltung ist dabei essenziell.
Für Sozialarbeiter:innen kann der Schutz des engen Vertrauensverhältnisses zum/zur Klient:in auf der einen Seite und gesetzlichen Verpflichtungen auf der anderen zu inneren Konflikten führen? Was würden Sie
Betroffenen in einem solchen Fall raten?
In meinem Seminar besprechen wir diese Thematik sehr intensiv, um den rechtlichen Handlungsrahmen genau zu kennen und wägen auch die Argumente anhand verschiedener Fallkonstellationen ab, weil die Situationen häufig sehr individuell zu bewerten sind. Das bringt im Handeln mit der Klientel und mit der Polizei mehr Sicherheit und lässt Konflikte reduzieren, weil gewisse Handlungsweisen von Beginn an transparent gemacht werden können bzw. sind.
Was ist in Ihren Augen nötig, um eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Sozialer Arbeit, Sozialbehörden und Polizei zu ermöglichen?
Kommunikation, Verständnis für die jeweilige Profession und das Wissen und Akzeptieren über die jeweiligen Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Transparentes Handeln, klare Ansprachen, gemeinsame Beratungen, ohne die eigene Aufgabe aus den Augen zu verlieren, neutrale Grundhaltung und Handlungsleitfäden in den Trägern.
Könnte in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen auch Chancen liegen? Können beide Seiten vielleicht etwas voneinander lernen?
Auf jeden Fall, insbesondere weil Polizei und Soziale Arbeit häufig eine gemeinsame Klientel haben, die Methoden und gesetzlichen Grundlagen/Aufgaben allerdings unterschiedlich sind. Der menschliche Aspekt sollte dabei aber an keiner Stelle verloren gehen.
Wie der Titel verrät, geht es in Ihrem Seminar um das korrekte Verhalten pädagogischer Fachkräfte in der Jugendhilfe bei Polizeieinsätzen. Mit welchen Inhalten und Methoden vermitteln Sie dies?
Ich gehe zunächst auf die unterschiedlichen Professionen ein und wir arbeiten zusammen aus, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten, aber auch welche Chancen sich daraus ergeben. Wir schauen uns gemeinsam in Gruppenarbeiten aus Berichten zu Fällen Konfliktherde an und analysieren diese.
Da Soziale Arbeit häufig polizeiliches Vorgehen nicht versteht und dadurch auch Konflikte und Unsicherheiten entstehen, lernen die Seminarteilnehmer:innen die Befugnisse der Polizei kennen und können daraus ableiten, welche Rechte und Pflichten sie haben. Insbesondere die datenschutzrelevanten Befugnisse Sozialer Arbeit und Polizeilicher Arbeit nehmen hier einen großen Anteil ein.
Am zweiten Tag sammeln wir alle Erkenntnisse, gleichen diese mit mitgebrachten Fallkonstellationen ab und entwickeln einen musterhaften Leitfaden, welcher in dem jeweiligen sozialen Träger weitergeführt und angepasst werden kann.
Ich freue mich immer am Ende über die vielen AHA-Effekte und erlebe häufig durch spätere Kontaktaufnahme, dass die Träger mit den entstandenen Konzepten gut arbeiten können.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Gespräch führte Solvejg Hesse, Bildungsreferentin an der Paritätischen Akademie Berlin
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Ein Gastbeitrag von Marion Schenk und Moritz Avenarius
„Wandel und Innovation können wir nur „in den Ketten des Alten“ hervorbringen.“
Günther Ortmann (2016)
Wann setzen sich Innovationen in Organisationen durch? Was fördert den Prozess des Innovierens? Und ist
Innovation eigentlich immer nötig und sinnvoll? Eine wichtige Leitplanke - neben dem Wissen über Innovationstechniken und ‑methoden – sind bei der Beantwortung dieser Fragen die Beobachtungsfolien, die uns die Systemtheorie und ein systemtheoretisches Verständnis von Organisationen liefern.
Es scheint, als würden fast alle Organisationen sich um Innovation bemühen. Innovative Produkte müssen her,
innovative neue Arbeitsweisen werden gesucht. Mithilfe von Kreativitätsworkshops, Innovationsberatung, Design Thinking und anderen Methoden, sowie neuen agilen Einheiten, die sich ganz dem Thema widmen, soll dem „göttlichen Zufall“ auf die Sprünge geholfen werden. Die Unverfügbarkeit von echter Innovation macht sie so begehrenswert.
Die Praxis ist oft enttäuschend. Vermeintlich Neues zeigt nicht immer die gewünschte Strahlkraft und häufig verpufft die Aufbruchsdynamik in nutzloser Spielerei. Dann kommen Fragen auf: Was ist mit „normaler“ Weiterentwicklung, Anpassung und Adaption? Und wie gehen wir mit möglichen negativen Aspekten von Innovationen um?
Innovationen sind stets von Paradoxien begleitet. Da ist der Versuch, Neues aus den Elementen des Bekannten
herzustellen, oder das „Tanzen in Ketten“ wie es Ortmann beschreibt. Die Problemlösungen von heute werden möglicherweise die Probleme von morgen werden. Wie soll man aktiv den Zufall und Kreativität – die ja auch unverfügbar ist – beschleunigen und befeuern?
1. Was ist eigentlich das Neue und wie entsteht es?
Neues entsteht aus Abweichungen. Um es präziser in Begriffe zu fassen, hilft es den aus der Evolutionstheorie
entlehnten Prozess von Variation – Selektion – Re-Stabilisierung zu nutzen.
Variationen (Abweichungen) treten ständig auf und verschwinden auch schnell wieder, ohne dass sie zur Innovation werden. Sie sind für sich nichts Außergewöhnliches. Spannend wird es erst, wenn eine Variation bleibt und über ihre weitere Verwendung entschieden werden muss. Nun heißt es „Top oder hopp“, denn in der Selektion kann das Neue entweder gefestigt oder aber abgelehnt werden. Beides hat Folgen für eine Organisation. Diese
zeigen sich dann in der dritten Prozessphase, der sog. Re-Stabilisierung. Erst hier wird eine „auserwählte“ Variation zum „Bewährten“ – und kann doch immer noch in Vergessenheit geraten. Und auch eine negative Selektion, das
Aussortieren, hat möglicherweise unerwünschte Auswirkungen, wenn später erkannt wird, welche Chancen verpasst wurden. Wie auch immer: ohne Ausdauer kommt das Neue nicht dauerhaft in die Welt.
Mögliche Fragen für Führung, die sich hieraus ergeben, sind etwa:
- Wie muss die Organisation aufgestellt sein, um Variationen zu erkennen, zu fördern und wirksam werden zu lassen? Kann Variation stimuliert werden? Welche Methoden sind hierfür sinnvoll?
- Wann macht es Sinn andere, unerwartete Selektionen zu treffen? Wie kann Offenheit und Sensibilität dafür geschaffen werden? Wer hat den Mut zur Abweichung in wertorientierten Systemen?
- Wer sorgt dafür, dass sich das Neue schließlich dauerhaft etabliert und bleibt? Und wie gehen wir mit negativer Selektion um?
2. Warum Organisationen stabil bleiben wollen und was das mit Macht zu tun hat.
Jedes Unternehmen möchte überleben und sich selbst erhalten. Das ist die Grundlage von Systemen. Eine Firma, eine soziale Einrichtung will wachsen und weiter bestehen. Alle in der Organisation gehen ihren Aufgaben nach, bieten bestmögliche Angebote für Klient:innen an, wollen dabei mit der Zeit gehen und sich an gesellschaftliche Rahmenbedingungen anpassen. Es werden Entscheidungen getroffen und Routine entwickelt. Muster etablieren sich, damit das Ganze stabil bleibt und wir auch morgen die Organisation von heute wiedererkennen. Fehler sollen
vermieden werden, Abweichungen sind etwas negatives und das Einhalten von Vereinbarungen und Vorgehensweisen wird positiv bewertet.
Gleichzeitig sucht man nach Informationen in der Umwelt, um sich für die (unbekannte) Zukunft zu rüsten. Neues entsteht durch Abweichung, die positiv bewertet wird. Dazu braucht es Mut und Risikofreude. Jemand muss diese aufbringen, wenn man sich für Innovation entscheidet. Aber wer will den „schwarzen Peter“ haben, wenn es doch nichts wird? Wer trägt das Risiko und verliert dann gegebenenfalls an Macht und Einfluss? Neues verändert bestehende Machtverhältnisse: die Einen gewinnen an Bedeutung, die Andere verlieren.
3. Was Organisationen wissen sollten, wenn sie lernen wollen
Ein zentraler Startpunkt ist die Paradoxie der Selbstreferenz. Konkreter stellt sich hier die Frage, wie Entscheidungsprämissen in Organisationen so gestaltet und verändert werden können, dass sie Innovation ermöglichen? Innovation tritt immer stringent handlungsorientiert auf. Spannend ist es dann, drauf zu achten, wie
der Prozess des Innovierens gestaltet wird.
Entscheidend ist, was Tag für Tag gemacht wird, denn „Machen ist krasser als Wollen“. Alle relevanten Zutaten, also die Methoden, Best Practices, Theorien, etc. sind hierfür bekannt, d.h. Innovation selbst (sowohl als einzelne Aktivität, als auch als Programm/Prozess) muss nicht neu erfunden werden. Aber an welchen Stellen der Organisation wird von wem entschieden, was davon umgesetzt wird und was nicht?
Voraussetzung für Lernen in Organisationen ist die Fähigkeit sich selbst zu beobachten.
- Was tun wir eigentlich und mit welchem Ergebnis (und welchen Nebenwirkungen)?
- Wo verstricken wir uns in „falsche Kausalitäten“?
- Was wird beibehalten, was verändert und wo?
Bekannte Fallstricke, die auftreten können: die Organisation verheddert sich in der Paradoxie von Stabilität und Veränderung oder stellt Innovation ins Schaufenster, lebt diese aber nicht intern.
4. Ausblick
Was hilft ist die konsequente Beobachtung und Ordnung – auch um auf stetige (himmlische) Zufallsereignisse vorbereitet zu sein und diese klug in der Struktur zu nutzen.
Niklas Luhmann sagt über Innovation dies sei „[] eine durchaus entmystifizierbare Angelegenheit, nämlich []die Fähigkeit zum Ausnutzen von Gelegenheiten; oder in anderer Formulierung: []die Verwendung von Zufällen zum Aufbau von Strukturen.“ Und weiter: „Jemand, der es wissen mußte, ich glaube es war Louis Pasteur, hat gesagt: Der
Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geis
t.“
Und es braucht Macht und Mut, um das „Etwas zu machen“ (Appell) und dies gegen Widerstände und die Trägheit in der Organisation durchzusetzen.
Was das für die Praxis bedeutet, wie Organisationen der vermeintlichen Notwendigkeit von Innovation ganz praktisch begegnen können, dazu lernen Sie mehr in unserem Seminar: Innovation in Organisationen – Systemisches Denken trifft Design Thinking am 31. März und 1. April 2022.
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Interview mit Unmani Kuchinsky
Unmani Kuchinsky ist Sozialpädagogin und Ordnungsexpertin aus Köln. Derzeit noch im ambulanten betreuten Wohnen tätig, tritt sie im März 2022 eine neue Stelle als Jobcoach und Netzwerkkoordination bei der christlichen Sozialhilfe (CSH) an. Mit unserer Bildungsreferentin Dilek Yüksel spricht sie über ihre Teilnahme am Zertifikatskurs Messie-Fachkraft nach Veronika Schröter © und die Auswirkungen auf ihre berufliche Entwicklung.
Inwiefern hat der Kurs Ihr Berufslaufbahn beeinflusst?
Nach Beendigung des Kurses, fand ich eine neue Anstellung im ambulant betreuten Wohnen. Dort gibt es vereinzelt auch Messie-Klientel, von Wertbeimessungsstörung bis zur Vermüllung. Mein neu erworbenes Fachwissen wurde von den Kolleg:innen sehr interessiert wahrgenommen. Als Ordnungsexpertin hatte ich bereits seit vielen Jahren Messie-Kund:innen mit Wertbeimessungsstörung als Selbstzahler:innen. Mein ganzer Ansatz hat sich durch die Weiterbildung komplett verändert und vertieft und ich biete nun für diese Klientel eine sehr behutsame Wohnraumarbeit (jenseits von pragmatischen Ordnungskonzepten), und für die Angehörigen zusätzlich telefonische Beratungsgespräche an.
Würden Sie den Kurs erneut wählen und wenn ja, warum?
Auch wenn es namenstechnisch so aussieht, es gibt in Deutschland keine Alternative zu Frau Veronika Schröter, die mit so unglaublichem Fachwissen und einer großen Sensibilität und Tiefe aufwarten kann. Durch ihren gestalttherapeutischen Ansatz und die Einbeziehung der persönlichen Prägungen und Muster einer jeden Teilnehmerin, bekommt das Messie-Thema in der eigenen Tiefe ganz viel Substanz und Verstehen.
Wie konnten Sie die Inhalte in Ihre Berufspraxis einbringen?
Als Sozialpädagogin im ambulant betreuten Wohnen gehe ich mit meinem Messie-Klienten mit Wertbeimessungsstörung genauso um, wie mit der Selbstzahlerin als Kundin, nämlich non-direktiv. Ich bilde ein starkes Vertrauensverhältnis mit den Menschen und wir versuchen gemeinsam Ziele zu setzen, Erfolge schrittweise zuzulassen. Das kann sehr unterschiedlich aussehen. Bisher hatte ich als Ordnungsexpertin nur einen
Menschen mit einem Vermüllungs-Syndrom, der aufgrund von Eigentum und Erbschaft durch den städtischen Fachdienst aus finanziellen Gründen nicht angenommen wurde. Die von ihm angeforderte Aufräumarbeit als Kunde stellte sich schon nach wenigen Einsätzen als „Sisiphusarbeit“ heraus. Ein Fachdienst, der unabhängig von finanzieller Bedürftigkeit tätig werden könnte, wäre in diesem Fall eine große Erleichterung gewesen.
War der Kurs gut mit Ihrem Beru und Privatleben vereinbar?
Der damalige Kurs 2019/2020 war wegen Corona und der daraus anstehenden Kurzarbeit über viele Monate die ideale Zeit, diese wunderbare Weiterbildung zu machen. Eigentlich, unter diesen Bedingungen, ein Glücksfall. Diese Weiterbildung ist kein theoretisches Absitzen und mitschreiben, sondern bezieht die eigene Biographie mit ein. Daher sollte ein Nachwirken und nachschwingen des Erlebten und Erfahrenen eingeplant werden.
Konnten Sie wertvolle Kontakt knüpfen?
Ja, zu Frau Schröter und weiteren Teilnehmer:innen aus der ersten Weiterbildungsgruppe. In Köln bin ich die erste
und einzige Messie-Fachkraft. Der Fachdienst (Sozialamt) deckt nur finanziell schwache Menschen mit Vermüllungs-Syndrom ab. Die Menschen mit dem sogenannten pathologischen Horten kommen nach wie vor als Selbstzahler zu mir. Es wäre in vieler Hinsicht innovativ, einen Fachdienst wie es in in Esslingen bei Stuttgart (die Wabe) gibt, aufzubauen. Dazu benötigt es viel mehr weitergebildete Sozialpädagogen hier für Köln.
Vielen Dank für das Gespräch!
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