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Frau­en und Füh­rung – Wie kön­nen sozia­le Orga­ni­sa­tio­nen Füh­rung diver­ser gestal­ten, Frau Dr. Böcker Gian­ni­ni?

Mai 2025 | Füh­rung

Frauen und Führung –  

Wie können soziale Organisationen Führung diverser gestalten, Frau Dr. Böcker-Giannini?

In kaum einer Bran­che arbei­ten so vie­le Frau­en wie in der Sozi­al­wirt­schaft – und doch sind Füh­rungs­po­si­tio­nen auch dort häu­fig männ­lich besetzt. Wor­an liegt das? Was kön­nen Orga­ni­sa­tio­nen tun, um Struk­tu­ren gerech­ter zu gestal­ten? Was kön­nen Frau­en selbst tun, wenn sie eine Füh­rungs­rol­le anstre­ben?

Dr. Nico­la Böcker-Gian­ni­ni kennt die­se Fra­gen aus lang­jäh­ri­ger Pra­xis­er­fah­rung. Die pro­mo­vier­te Phi­lo­so­phin und Diplom­sport­le­rin war selbst in ver­schie­de­nen lei­ten­den Funk­tio­nen tätig – unter ande­rem als Staats­se­kre­tä­rin für Sport im Land Ber­lin oder als Fach­be­ra­te­rin bei einem Ber­li­ner Kita­trä­ger. Heu­te berät sie als sys­te­mi­sche Busi­ness-Coach und Chan­ge-Mana­ge­rin Füh­rungs­kräf­te und Orga­ni­sa­tio­nen – und setzt sich seit vie­len Jah­ren für mehr Diver­si­tät in Füh­rung ein.

Wie sind Sie dazu gekommen, sich für das Thema Frauen in Führung zu engagieren? Gab es prägende Momente oder Erfahrungen in Ihrer Karriere, die Ihre Sicht auf dieses Thema verändert haben?

Dr. Nico­la Böcker-Gian­ni­ni: Mein Enga­ge­ment für mehr Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen ist das Ergeb­nis lang­jäh­ri­ger Erfah­run­gen – sowohl aus mei­nem poli­ti­schen Ehren­amt als auch aus mei­ner beruf­li­chen Tätig­keit als Poli­ti­ke­rin, Dozen­tin und Exper­tin im Bereich der früh­kind­li­chen Bil­dung. In all die­sen Funk­tio­nen habe ich erlebt, dass Frau­en trotz hoher fach­li­cher Kom­pe­tenz über­se­hen oder unter­schätzt wur­den, wenn es um Füh­rungs­po­si­tio­nen ging. Die­se Dis­kre­panz zwi­schen Kom­pe­tenz und tat­säch­li­cher Reprä­sen­tanz hat mich moti­viert, an Ver­än­de­rung mit­zu­wir­ken. Denn Füh­rung darf kei­ne Fra­ge des Geschlechts sein – son­dern der Fähig­keit, ver­ant­wor­tungs­voll und mit Hal­tung zu gestal­ten.

In der Sozialwirtschaft ist der Frauenanteil insgesamt hoch. Dennoch sind Führungspositionen überwiegend männlich besetzt. Wie lässt sich dieses Missverhältnis erklären?

 

Die Sozi­al­wirt­schaft ist ein gutes Bei­spiel für eine struk­tu­rel­le Schief­la­ge: Frau­en tra­gen einen Groß­teil der inhalt­li­chen und prak­ti­schen Arbeit, doch je höher die Posi­ti­on in der Hier­ar­chie, des­to gerin­ger wird ihr Anteil. Das hat viel mit tra­dier­ten Rol­len­bil­dern, Netz­wer­ken und unbe­wuss­ten Vor­an­nah­men zu tun – und mit Struk­tu­ren, die nicht dar­auf aus­ge­rich­tet sind, Diver­si­tät zu för­dern. Es fehlt oft an geziel­ter Stra­te­gie, trans­pa­ren­ter Kar­rie­re­pla­nung und einer Füh­rungs­kul­tur, die die Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Beruf und Teil­ha­be ernst nimmt.

In Wahr­heit geht es um struk­tu­rel­le Ver­än­de­rung: um fai­re Zugän­ge, trans­pa­ren­te Ent­schei­dungs­pro­zes­se und eine Unter­neh­mens­kul­tur, die Diver­si­tät in Füh­rung nicht nur dul­det, son­dern aktiv ermög­licht.

 

Was läuft in der Debatte um Frauen in Führungspositionen falsch? Wo gibt es besonders hartnäckige Missverständnisse?

 

Ein ver­brei­te­tes Miss­ver­ständ­nis ist die Idee, es gin­ge dabei nur um „Frau­en­för­de­rung“ im Sin­ne indi­vi­du­el­ler Unter­stüt­zung. In Wahr­heit geht es um struk­tu­rel­le Ver­än­de­rung: um fai­re Zugän­ge, trans­pa­ren­te Ent­schei­dungs­pro­zes­se und eine Unter­neh­mens­kul­tur, die Diver­si­tät in Füh­rung nicht nur dul­det, son­dern aktiv ermög­licht. Auch die Vor­stel­lung, dass Frau­en sel­te­ner füh­ren wol­len, ist ein hart­nä­cki­ger Mythos – oft sind es viel­mehr die Rah­men­beding­ungen, die abschre­cken. Das Ziel ist des­halb, Rah­men­beding­ungen so zu gestal­ten, dass Füh­rung für alle selbst­ver­ständ­lich erreich­bar wird.

Was können soziale Organisationen tun, um Frauen nachhaltig in Führungspositionen zu bringen – und worin unterscheiden sie sich dabei von anderen Branchen? 

 

Sozia­le Orga­ni­sa­tio­nen brin­gen eine gro­ße Chan­ce mit, denn sie ver­ste­hen sich häu­fig als wer­te­ge­lei­tet, als Orte von Teil­ha­be und Gerech­tig­keit. Die­se Wer­te müs­sen sich auch in den inter­nen Struk­tu­ren wider­spie­geln. Dafür braucht es geziel­te Maß­nah­men wie bei­spiels­wei­se Men­to­ring-Pro­gram­me, trans­pa­ren­te Beför­de­rungs­ver­fah­ren, fle­xi­ble Arbeits­zeit­mo­del­le und eine Über­prü­fung der eige­nen Füh­rungs­leit­bil­der. Im Ver­gleich zur Pri­vat­wirt­schaft haben sozia­le Trä­ger oft fla­che­re Hier­ar­chien und ein ande­res Selbst­ver­ständ­nis. Auch das ist eine Chan­ce für neue For­men der Füh­rungs­kul­tur.

Was können Frauen selbst tun, wenn sie eine Führungsposition anstreben?  

 

Sich ver­net­zen, sich sicht­bar machen und mutig blei­ben – und dabei die eige­ne Hal­tung zur Füh­rung reflek­tie­ren. Vie­le Frau­en haben inter­na­li­sier­te Zwei­fel oder den Anspruch, „per­fekt vor­be­rei­tet“ zu sein, bevor sie den nächs­ten Schritt gehen. Dabei darf Füh­rung als Pro­zess ver­stan­den wer­den: Man wächst hin­ein. Es hilft, Vor­bil­der zu suchen, sich wei­ter­zu­bil­den und den Aus­tausch mit ande­ren Frau­en zu suchen, die ähn­li­che Wege gehen. Und nicht zuletzt soll­ten Frau­en ihren eige­nen Füh­rungs­stil selbst­be­wusst defi­nie­ren und ver­tre­ten.

Für sozia­le Orga­ni­sa­tio­nen, die oft mit sehr hete­ro­ge­nen Ziel­grup­pen arbei­ten, ist das ein gro­ßer Vor­teil.

Wie pro­fi­tie­ren sozia­le Orga­ni­sa­tio­nen von mehr Diver­si­tät in Füh­rungs­po­si­tio­nen?

Füh­rungs­teams, die divers zusam­men­ge­setzt sind, tref­fen nach­weis­lich bes­se­re Ent­schei­dun­gen. Sie brin­gen unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven ein, för­dern Inno­va­ti­on und spie­geln die Viel­falt der Gesell­schaft bes­ser wider. Für sozia­le Orga­ni­sa­tio­nen, die oft mit sehr hete­ro­ge­nen Ziel­grup­pen arbei­ten, ist das ein gro­ßer Vor­teil. Zudem machen diver­se Füh­rungs­teams Arbeitgeber:innen deut­lich attrak­ti­ver – beson­ders für jün­ge­re Gene­ra­tio­nen, die Gleich­be­rech­ti­gung nicht nur for­dern, son­dern vor­aus­set­zen.

Wie sähe Füh­rungs­kul­tur in zehn Jah­ren aus, wenn Sie den Ver­lauf bestim­men könn­ten?

Füh­rung wäre kein exklu­si­ver Sta­tus mehr, son­dern geteil­te Ver­ant­wor­tung. Es gäbe flui­de Rol­len, fla­che Hier­ar­chien und eine Kul­tur, die Ver­trau­en, Lern­be­reit­schaft und Dia­log in den Mit­tel­punkt stellt. Diver­si­tät in Füh­rung wäre kei­ne Debat­te mehr, son­dern geleb­ter All­tag. Orga­ni­sa­tio­nen wür­den ihre Struk­tu­ren so gestal­ten, dass alle Men­schen ihre Poten­zia­le ent­fal­ten kön­nen – unab­hän­gig von Geschlecht, Her­kunft oder Lebens­mo­dell. Kurz gesagt: Gute Füh­rung in diver­sen Teams wäre nicht nur mach­bar für alle – son­dern geleb­te Rea­li­tät.

Vie­len Dank für das Inter­view, Frau Dr. Böcker-Gian­ni­ni! 

 

Sie möch­ten mehr dar­über erfah­ren, wie Sie Ihre Orga­ni­sa­ti­on so struk­tu­rie­ren, dass Geschlech­ter­di­ver­si­tät in Füh­rungs­po­si­tio­nen selbst­ver­ständ­lich wird? Oder Sie stre­ben als Frau selbst eine Füh­rungs­po­si­ti­on an? Mel­den Sie sich hier zum Semi­nar Von der Quo­te zur Selbst­ver­ständ­lich­keit – Frau­en und Füh­rung an. 

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Redak­ti­on: Lucas Frye (Pari­tä­ti­sche Aka­de­mie Ber­lin)

Foto im Titel­bild: Dr. Nico­la Böcker-Gian­ni­ni (Foto: Susie Knoll) 

Von der Quo­te zur Selbst­ver­ständ­lich­keit – Frau­en und Füh­rung

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Febru­ar 2024 | Alum­ni Inter­views

Haltung als Leitung im Studium entwickeln

Oli­ver Heymann hat an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin den Mas­ter Sozi­al­ma­nage­ment stu­diert. Wir spre­chen mit ihm über sei­ne Rol­le als Lei­tungs­kraft einer Kin­der- und Jugend­hil­fe­ein­rich­tung und dar­über, wie das M.A. Stu­di­um sei­ne beruf­li­che Lauf­bahn beein­flusst hat.

Herr Heymann, wann haben Sie an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie stu­diert? Mit wel­chem Abschluss und Arbeits­er­fah­rung haben Sie sich an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie damals bewor­ben?

Oli­ver Heymann: Ich habe 2017 bis 2020 an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin stu­diert. Davor habe ich einen Bache­lor in All­ge­mein­päd­ago­gik Bil­dungs­wis­sen­schaf­ten mit Neben­fach Psy­cho­lo­gie an der LMU in Mün­chen absol­viert. Im Zusam­men­hang mit Arbeits­er­fah­rung und dem Wunsch nach beruf­li­cher Wei­ter­ent­wick­lung, habe ich mich für den M.A. Sozi­al­ma­nage­ment an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie bewor­ben und wur­de ange­nom­men. 

Wo haben Sie neben dem Stu­di­um gear­bei­tet?

 

Oli­ver Heymann: Ich habe in der Ein­glie­de­rungs­hil­fe bei einem nicht all­zu gro­ßen Trä­ger im Nor­den von Ber­lin gear­bei­tet. Das war ver­gleich­bar und rela­tiv nahe an der päd­ago­gi­schen Arbeit, die hier bei uns in den Wohn­grup­pen erfolgt. Es war haupt­säch­lich die Tages­be­treu­ung in einer Wohn­grup­pe für Men­schen mit Behin­de­rung.

Und wie ließ sich das Stu­di­um mit dem Arbeits­all­tag ver­bin­den? Wie haben Sie das damals erlebt?

Oli­ver Heymann: Ich konn­te unter Her­an­zie­hung des eige­nen Urlaubs, des Bil­dungs­ur­laubs sowie über den Abbau von Über­stun­den die

Prä­senz­wo­chen gut abde­cken. Ich habe damals in einem Schicht­dienst­sys­tem gear­bei­tet. Hier wur­de der Dienst­plan monat­lich und nicht wöchent­lich struk­tu­riert. So war es mög­lich sich die Prä­senz­zei­ten frei­zu­hal­ten und ein­fach in den ande­ren Wochen mehr Diens­te zu über­neh­men. Die Mit­ar­bei­ten­den in unse­ren Wohn­grup­pen arbei­ten hier ähn­lich. Zudem ließ die Gestal­tung der Arbeits­in­hal­te außer­halb der Prä­senz­zei­ten* in Form von Foren­bei­trä­gen im Mas­ter­stu­di­um eine gro­ße zeit­li­che Fle­xi­bi­li­tät zu.

*Anmer­kung Pari­tä­ti­sche Aka­de­mie Ber­lin: Die Struk­tur der Lern­ein­hei­ten wer­den lau­fend den Bedürf­nis­sen der berufs­be­glei­tend Stu­die­ren­den ange­passt. Die Ter­min­über­sicht für den Stu­di­en­durch­gang ab WiSe 2024/25 wer­den wir zeit­nah auf unse­rer Web­sei­te ver­öf­fent­li­chen.

Haben Sie das Stu­di­um selbst finan­ziert? Die Stu­di­en­ge­büh­ren kön­nen mitt­ler­wei­le in 30 Monats­ra­ten ent­rich­tet wer­den. Eine antei­li­ge oder voll­stän­di­ge Über­nah­me der Stu­di­en­ge­büh­ren durch den Arbeit­ge­ber ist mög­lich.

Oli­ver Heymann: Ich habe kei­ne finan­zi­el­le Unter­stüt­zung bekom­men. Aber dank Raten­aus­hand­lung* ging das ganz gut.

 

In wel­cher Ein­rich­tung arbei­ten Sie heu­te und was ist Ihre Rol­le in der Orga­ni­sa­ti­on?

Oli­ver Heymann: Ich bin Bereichs­lei­ter im Kin­der- und Jugend­hil­fe Zen­trum Neu­kölln des Evan­ge­li­schen Jugend und Für­sor­ge­werks. Wir sind der größ­te Anbie­ter von sta­tio­nä­rer Kin­der- und Jugend­hil­fe in Ber­lin Neu­kölln. Ins­ge­samt umfasst die Abtei­lung Jugend­hil­fe im EJF (Evan­ge­li­sches Jugend- und Für­sor­ge­werk) unge­fähr 1800 Mit­ar­bei­ten­de. Hier an unse­rem Stand­ort im Ver­bund sind wir etwa 150 Men­schen, davon 120 Kolleg:innen mit päd­ago­gi­schen Beru­fen in ver­schie­de­nen Wohn­grup­pen. Wir haben bei uns Kin­der und Jugend­li­che in allen Alters­grup­pen in ver­schie­de­nen Schwer­punk­ten in den eige­nen Bedar­fen woh­nen, die hier ihren Lebens­mit­tel­punkt haben.

 

Und wie sieht Ihr Tages­ab­lauf aus?

Oli­ver Heymann: Ins­ge­samt bin ich als Bereichs­lei­tung für sechs Wohn­grup­pen zustän­dig. Das bedeu­tet, dass ich für etwa 35 Mit­ar­bei­ten­de in der Per­so­nal­ver­ant­wor­tung bin und etwas über 40 Kin­der und Jugend­li­che in mei­nem Bereich leben. Gleich zu Tages­be­ginn tre­te ich mit den päd­ago­gi­schen Fach­kräf­ten der jewei­li­gen Grup­pen in Kon­takt, um zu gucken, ob bei ihnen alles in Ord­nung ist. Ich bin wöchent­lich in rela­tiv vie­len Team­sit­zun­gen, höre intern und extern viel zu, steue­re an den not­wen­di­gen Punk­ten und mache Con­trol­ling. Ent­wi­ckelt sich die jewei­li­ge Grup­pe in die rich­ti­ge Rich­tung? Gibt es da Unter­stüt­zungs­be­darf mei­ner­seits? Bestehen aktu­ell irgend­wel­che Kri­sen oder Ent­wick­lun­gen, die mei­ner Per­son bedür­fen? Es kann ab und zu Vor­fäl­le geben. Das kön­nen per­sön­li­che Kri­sen eines jun­gen Men­schen sein. Oder wir hat­ten letz­te Woche die Situa­ti­on, dass es einen klei­nen Brand in einer Grup­pe gab. Der hat mich die­se Woche sehr inten­siv beschäf­tigt. Es muss­te nach­ge­forscht wer­den, wie es dazu kam und wie das ver­mie­den wer­den kann. Sol­che Situa­tio­nen müs­sen gründ­lich geklärt wer­den und das gehört auch zu mei­ner lei­ten­den Tätig­keit.

Was haben Sie vor der Arbeit in der sta­tio­nä­ren Kin­der- und Jugend­hil­fe in Ber­lin Neu­kölln gemacht?

Oli­ver Heymann: Als ich mein Mas­ter­stu­di­um in Sozi­al­ma­nage­ment ange­fan­gen habe, war ich in der Ein­glie­de­rungs­hil­fe tätig und muss­te spä­ter aus fami­liä­ren Grün­den in eine ande­re Stadt zie­hen. Durch den Mas­ter und die fle­xi­ble Struk­tur des berufs­be­glei­ten­den Stu­di­en­gangs gelang mir am neu­en Ort der Wech­sel in die Alten­hil­fe. Ich hat­te einen span­nen­den Job als Ein­rich­tungs­lei­tung für offe­ne Alten­hil­fe gefun­den, die für einen gan­zen Stadt­teil und meh­re­re Tau­send älte­re Men­schen zustän­dig war. Aber nach einer Wei­le stand der Beschluss, dass wir zurück nach Ber­lin möch­ten, und ich muss­te mich erneut auf die Suche nach einer pas­sen­den Stel­le umschau­en. Hier in der sta­tio­nä­ren Kin­der- und Jugend­hil­fe in Ber­lin Neu­kölln fand ich das anspre­chends­te Ange­bot. Schon im Rah­men der Bewer­bungs­ge­sprä­che merk­te ich, dass es hier von den Arbeits­struk­tu­ren und Kli­ma ange­nehm war. Ich bin jetzt seit ein­ein­halb Jah­ren hier und bereue die­se Ent­schei­dung nicht. Ich gehe jeden Tag ger­ne in die Arbeit.

„Durch den Mas­ter und die fle­xi­ble Struk­tur des berufs­be­glei­ten­den Stu­di­en­gangs gelang mir am neu­en Ort der Wech­sel in die Alten­hil­fe. Ich hat­te einen span­nen­den Job als Ein­rich­tungs­lei­tung für offe­ne Alten­hil­fe gefun­den, die für einen gan­zen Stadt­teil und meh­re­re Tau­send älte­re Men­schen zustän­dig war.“

Wel­chen Unter­schied macht Ihre Arbeit im Leben der Kin­der und jun­gen Erwach­se­nen?

Oli­ver Heymann: Es gibt vie­le jun­ge Men­schen, die aus unter­schied­lichs­ten Grün­den nicht mehr bei den Eltern woh­nen kön­nen. Oft sind

hier Schick­sals­schlä­ge und das Zusam­men­kom­men von vie­len hin­der­li­chen Fak­to­ren aus­schlag­ge­bend. Zum Bei­spiel weil die Eltern in die Obdach­lo­sig­keit gerutscht sind, oder unter schwe­ren kör­per­li­chen oder psy­chi­schen Erkran­kun­gen lei­den. In man­chen Situa­tio­nen gibt es kei­ne Eltern mehr oder zu Hau­se ent­steht eine so gro­ße Kri­se, dass es zumin­dest für eine gewis­se Zeit nicht mög­lich oder nicht mehr sicher ist, die Kin­der bei den Eltern leben zu las­sen. Und dann greift die Kin­der- und Jugend­hil­fe. In star­ker Zusam­men­ar­beit mit den Jugend­äm­tern und in den meis­ten Fäl­len der Zustim­mung der Sor­ge­be­rech­tig­ten, fin­den die­se Kin­der bei uns Platz und wer­den in ihren indi­vi­du­el­len Situa­tio­nen betreut und beglei­tet. Die Wie­der­zu­sam­men­füh­rung mit den Eltern wird natür­lich, mit aller gebo­te­ner Vor­sicht, in den Vor­der­grund gestellt. Denn kei­ne Betreu­ungs­per­son kann die Eltern erset­zen. In Zusam­men­ar­beit mit dem Jugend­amt arbei­ten wir dar­an, die Eltern zu befä­hi­gen ein gutes elter­li­ches Ver­hält­nis mit dem Kind auf­zu­bau­en und ihnen ein sta­bi­les Umfeld zu bie­ten. Auf der ande­ren Sei­te arbei­ten wir mit vie­len Koope­ra­ti­ons­part­nern aus dem unmit­tel­ba­ren Umfeld der Kin­der, mit den jewei­li­gen Vor­mund­schaf­ten, mit den Schu­len, Groß­fa­mi­li­en und Freun­des­krei­sen, die eine Rol­le im Leben des Kin­des haben und neben dem Erzie­hungs­be­rech­tig­ten für eine gelun­ge­ne Rück­füh­rung in die elter­li­che Fami­lie wich­tig sind. Das ist eine sehr kom­ple­xe Arbeit, die hier von unse­ren Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen durch­ge­führt wird.

Mei­ne Rol­le dabei ist unter ande­rem, die Meta­ebe­ne ein­zu­neh­men und ihre päd­ago­gi­sche Arbeit zu unter­stüt­zen in dem ich schaue: Wie müs­sen wir unse­re Grup­pen so aus­rich­ten, dass sie dem Bedarf und den mul­ti­plen Pro­blem­la­gen der Kin­der und Jugend­li­chen gerecht wer­den und auch die sich immer wie­der ver­än­dern­den gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Bedar­fe und Ziel­grup­pen berück­sich­ti­gen. Wel­che fach­li­chen Stan­dards set­zen wir uns, wie hal­ten wir die­se ein? Wie fin­det Wis­sens- und Infor­ma­ti­ons­wei­ter­ga­be statt? Nach wel­chen päd­ago­gi­schen Richt­li­ni­en han­deln wir? Wie gehen wir vor im Kri­sen­fall? Ich bin die Per­son, die prak­tisch etwas abseits der Grup­pe steht, aber jeder­zeit rein­kommt und da unter­stützt, wo Not an der Per­son ist.

Was pas­siert, wenn jun­ge Erwach­se­ne die Wohn­grup­pen ver­las­sen müs­sen, gelingt ihnen ein guter Über­gang in das erwach­se­ne Leben?

Oli­ver Heymann: Je nach Aus­rich­tung der Wohn­grup­pe und nach dem indi­vi­du­el­len Ver­lauf der ein­zel­nen Kin­des­si­tua­ti­on, ob es wie­der zu den Eltern geht oder prak­tisch in eine eige­ne Woh­nung, beglei­ten wir unter­schied­lich. Nach dem Aus­zug aus unse­rer Ein­rich­tung endet unse­re Arbeit meist nicht. In vie­len Fäl­len beglei­ten wir unse­re Care­leaver meh­re­re Mona­te ambu­lant nach, je nach Bedarfs­la­ge. Mit vie­len hal­ten wir auch noch einen losen Kon­takt, wenn die Kin­der bei den Eltern wie­der ein­ge­zo­gen sind. Außer­dem haben wir vie­le Eltern, die sich noch Jah­re spä­ter immer wie­der Rat suchend an uns wen­den.

Wir hat­ten letz­tes Jahr eine grö­ße­re Fei­er, weil ein lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ter in Ren­te gegan­gen ist. Er hat ein Leben lang in der Kin­der- und Jugend­hil­fe gear­bei­tet. Und bei die­ser Ver­ab­schie­dungs­fei­er waren tat­säch­lich dama­li­ge Jugend­li­chen aus sei­ner ers­ten Wohn­grup­pe, die der Kol­le­ge beglei­tet hat, anwe­send. Sie waren alle Anfang Fünf­zig, inzwi­schen mit­ten im Leben ste­hend mit ihren eige­nen Fami­li­en und Kin­dern da und haben ganz rüh­rend über den Kol­le­gen gespro­chen. Das war sehr schön auf der Fei­er mit­zu­be­kom­men, wie die­ser Mensch ihr Leben beein­flusst hat und dass es ihnen jetzt gut geht, und dass die Unter­stüt­zung, die sie damals erhal­ten haben, nach eige­nen Aus­sa­gen, eine gro­ße Hil­fe war. Und in das Erbe tre­ten wir natür­lich wei­ter­hin.

Wel­che Aspek­te oder Inhal­te des Mas­ter­stu­di­ums in Sozi­al­ma­nage­ment sind in Ihrem Berufs­all­tag noch heu­te rele­vant?

Oli­ver Heymann: Es gibt Vie­les. Ich den­ke mit­un­ter das Wich­tigs­te war einen Habi­tus und Hal­tung als Lei­tung zu ent­wi­ckeln. Dabei wur­den wir auf allen Ebe­nen unter­stützt, mit der Wis­sens- und der Kom­pe­tenz­ver­mitt­lung, um die­se Rol­le aus­fül­len zu kön­nen. Wir haben sehr vie­le Berei­che abge­deckt und Metho­den ken­nen­ge­lernt, die ich jetzt noch in mei­ner Arbeit anwen­de. Im Stu­di­um habe ich die Mög­lich­kei­ten ken­nen­ge­lernt und kann sie mir nach Bedarf her­an­zie­hen, Kennt­nis­se auf­fri­schen und anwen­den. Und was im sozia­len Bereich oft in der Aus­bil­dung zu kurz kommt und im Stu­di­um gut abge­deckt war, sind die BWL-Ler­n­an­tei­le, die für mich in der Lei­tungs­funk­ti­on sehr wert­voll sind. Mir hilft es tat­säch­lich sehr, dass ich sagen kann – hier ist eine Bilanz und ich kann sie ana­ly­sie­ren und Pro­ble­me anhand der Zah­len erken­nen.

Arbeits­recht ist auch ein wert­vol­ler Teil des Stu­di­ums gewe­sen. Vie­le stu­die­ren Sozia­le Arbeit oder Ähn­li­ches, sie sind gute Fach­kräf­te, sehr gute Teamleiter:innen und haben sehr gute sozia­le Kom­pe­ten­zen in der Zusam­men­wir­kung mit den Kolleg:innen. Oft rut­schen sie jedoch, prak­tisch unvor­be­rei­tet, in die Lei­tungs­rol­len in ihren Orga­ni­sa­tio­nen. In die­sen Rol­len feh­len ihnen die fach­li­che Qua­li­fi­ka­ti­on als Lei­tung, die wirt­schaft­li­chen und tech­ni­schen Kennt­nis­se, so gehen die­se Aspek­te auch in ihrem Berufs­all­tag en biss­chen unter. Mit dem wirt­schaft­li­chen Ver­ständ­nis und mit der Stär­ke in die­sen Berei­chen der Geschäfts­füh­rung macht man sich im sozia­len Bereich durch­aus manch­mal Freun­de.

„Ich den­ke mit­un­ter das Wich­tigs­te war, einen Habi­tus und Hal­tung als Lei­tung zu ent­wi­ckeln. Dabei wur­den wir auf allen Ebe­nen unter­stützt, mit der Wis­sens- und der Kom­pe­tenz­ver­mitt­lung, um die­se Rol­le aus­fül­len zu kön­nen. Wir haben sehr vie­le Berei­che abge­deckt und Metho­den ken­nen­ge­lernt, die ich jetzt noch in mei­ner Arbeit anwen­de.“

Wel­che Kennt­nis­se oder wel­ches Know-How fehlt Ihnen jetzt, das im Job gewach­sen ist und im Stu­di­um nicht behan­delt wur­de?

 

Oli­ver Heymann: Ich weiß nicht, ob der Stu­di­en­gang tat­säch­lich die gro­ßen Pro­blem­fel­der, die mei­ne Arbeit jetzt betref­fen, abde­cken könn­te. Das sind haupt­säch­lich gesamt­ge­sell­schaft­li­che Phä­no­me­ne wie der Fach­kräf­te­man­gel, der ein­fach sehr gra­vie­rend zu Tage tritt. Und jetzt gera­de in Ber­lin ist es der Woh­nungs­man­gel, der unse­re Arbeit erschwert. Viel­leicht könn­te man im Stu­di­en­gang dar­auf vor­be­rei­tet wer­den, stär­ker in die­se poli­ti­sche Arbeit rein­zu­ge­hen und sozi­al­po­li­tisch den Fach­kräf­te­man­gel anzu­ge­hen, der uns die nächs­ten Jahr­zehn­te beglei­ten wird. Oder eben inno­va­tiv an die­sen Pro­blem­lö­sun­gen zu arbei­ten und schau­en wel­che Rol­le neue Tech­no­lo­gien wie KI bei der Arbeits­ent­las­tung spie­len könn­ten. Viel­leich könn­te KI nicht gera­de die Wohn­grup­pen unter­stüt­zen, aber viel­leicht bei ande­ren Arbeits­pro­zes­sen ent­las­ten­de Funk­ti­on ein­neh­men?

Digi­ta­li­sie­rung ist mitt­ler­wei­le Teil des Stu­di­en­gang­pro­gramms. Als Aka­de­mie wol­len wir auf dem letz­ten Stand der tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten sein und auf deren Poten­zi­al für Sozia­le Orga­ni­sa­tio­nen durch unse­re Stu­die­ren­de ver­wei­sen.

 

Oli­ver Heymann: Ins­ge­samt kann ich sagen, dass der Mas­ter­stu­di­en­gang mei­ne wei­te­re beruf­li­che Ent­wick­lung, aber auch mich als Mensch, maß­geb­lich beein­flusst hat. Wenn ich mit Men­schen spre­che die sich als Füh­rungs­kraft ent­wi­ckeln wol­len, emp­feh­le ich die­sen Mas­ter.

Das Inter­view mit Oli­ver Heymann führ­te Ele­na Gav­risch (Mar­ke­ting und Öffent­lich­keits­ar­beit, Pari­tä­ti­sche Aka­de­mie Ber­lin)

Titel­bild: Oli­ver Heymann

Fotos: Ele­na Gav­risch

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