Wie geht Networking für Introvertierte und Hochsensible, Martin Nevoigt?
Echte Verbindungen schaffen starke Organisationen
Im sozialen Bereich machen wir unseren Job aus Überzeugung und mit großem Engagement. Doch nicht allen fällt es leicht, auf andere zuzugehen und ihre Ideen zu präsentieren. Diese Menschen berät Martin Nevoigt (Out HSP). Er ist Unternehmenscoach mit Fokus auf hochsensible und introvertierte Menschen. Im Networking sieht er großartige Möglichkeiten. Das kann auch für Personen zutreffen, die große Runden oder Netzwerk-Veranstaltungen eher als anstrengend empfinden. Wir haben dem HSP-Coach einige Fragen darüber gestellt, wie auch leisere Menschen sich auf ihre Art zeigen und sich mit anderen verbinden können.
Ca. 15–20 % aller Menschen sind hochsensibel. Hierarchische Strukturen hemmen und blockieren oft ihre Fähigkeiten im Arbeitsalltag. Woran das liegt und wie es besser geht, darüber haben wir mit Martin Nevoigt im März in unserem ersten Fachbeitrag zum Thema Hochsensibilität im Berufsalltag gesprochen.
Worum geht es beim Networking? Gibt es hier eine Brücke zu den Themen aus Ihrem
Hochsensibilitäts-Coaching?
Nevoigt: Die Netzwerk-Struktur ermöglicht einen Austausch auf Augenhöhe und schafft einen Raum für jeden, sich mit seinen Fähigkeiten und Interessen einzubringen. Diese offene Struktur erfordert unter anderem selbstverantwortliches Arbeiten, weil eben niemand mehr als vermeintlich allwissender Vorgesetzter fungiert, der allein sagt, wo es lang geht.
Das überfordert manche Menschen noch, die mit den klassisch hierarchischen Strukturen aufgewachsen sind. Auch da kommen Ängste und Blockaden zum Vorschein. Nach meiner Erfahrung erleben aber gerade Hochsensible diese
selbstbestimmtere Art zu arbeiten als echte Befreiung und können damit ihre eigenen Potenziale voll entfalten.
Warum ist es sinnvoll, sich gute Networking Skills anzueignen? Was sind überhaupt gute Networking Skills?
Nevoigt: Um diese Form des Netzwerkens zu etablieren, braucht es vor allem ein echtes Interesse am anderen und die Offenheit, andere Perspektiven einzunehmen. Wie betrachtet mein Gegenüber dieses Problem oder jene Entwicklung? Welche Ideen hat er dazu? Das schafft einen Raum für tieferen Austausch.
Es geht auch darum, erstmal zu geben, anstatt nur zu schauen, was ich mitnehmen kann. Wo kann ich dem anderen mit meinen Ideen und Erfahrungen weiterhelfen? Wie kann ich mich einbringen? Wenn nur nach schnellen Lösungen für die eigene Sache gesucht wird, dann hat das weniger mit gegenseitigem Netzwerken zu tun, sondern ist im Grunde nur eine verdeckte Suche nach unbezahlter Dienstleistung.
Außerdem ist Verbindlichkeit und Loyalität äußerst wichtig, zum Beispiel sich an Zusagen und Abmachungen zu halten und vertrauliche Informationen diskret zu behandeln. Damit können wir Vertrauen aufbauen, was gefestigte und langfristige Beziehungen schafft. Dieses Netz an Verbindungen trägt eine Organisation oder ein Einzelunternehmen dann auch durch schwierige Zeiten.
All diese Aspekte haben eines gemein: Man kann sie sich nicht erkaufen oder kurzfristig herstellen, sondern jeder im Netzwerk darf sie allmählich aufbauen. Solch ein natürliches Wachstum braucht Zeit und zuversichtliche Beharrlichkeit, wie alle guten Prozesse.
Welchen Rat geben Sie eher introvertierten Personen, denen das Zugehen auf Menschen nicht so leichtfällt?
Nevoigt: Dieses Thema taucht in meinen Workshops und Coachings häufiger auf. Hier gebe ich gern die Frage rein: In welchem Rahmen und unter welchen Bedingungen möchtest du dich mit anderen verbinden? Denn selbstbestimmtes Arbeiten ermöglicht genau das: Die Dinge in einen neuen Bezugsrahmen zu setzen, der zu mir selbst und meinen Werten und Wesenszügen passt. Im Coaching nennt man das Reframing.
Mit diesem Reframing kann ich mir als introvertierter oder hochsensibler Mensch zum Beispiel bewusst machen, dass ich vielleicht bisher das Thema Netzwerken mit großen Events in riesigen Hallen und Small Talk mit vielen verschiedenen Menschen assoziiert habe. Das ist aber nur ein möglicher Rahmen. Es gibt noch viele weitere, wovon einige eher zu einer introvertierten Persönlichkeit passen. Zum Beispiel könnte ich eine ganz kleine Austauschrunde in einem geschützteren Raum initiieren oder mich auf ein Zweiergespräch mit einer einzigen Person fokussieren. Das schafft auch eine viel persönlichere Verbindung als das oberflächliche Abklappern vieler potenzieller Netzwerkpartner:innen. Für manche Introvertierte sind auch digitale Räume angenehmer, für andere wiederum der ganz persönliche Kontakt. Hier darf ich mich gern ausprobieren, um den für mich passenden Rahmen zu gestalten.
Viele Introvertierte und Hochsensible empfinden auch häufig Small Talk und dieses »so tun als ob « enorm anstrengend, etwa wenn die Hochglanzfassade der Firma aufrecht erhalten werden soll. Doch diese Floskeln und Masken braucht es mit der oben beschriebenen Art des Netzwerkens nicht mehr, sie sind sogar sehr hinderlich. Es ist dafür viel sinnvoller, authentische Gespräche anzuregen und das aktive Zuhören zu kultivieren, anstatt sich selbst und seine Organisation ständig repräsentieren zu müssen. Wir nehmen viel mehr Inspiration mit, wenn wir offen für andere Perspektiven und Erfahrungsberichte sind.
Introvertierte und empathische Menschen haben hier oft ungeahnte Stärken, wenn sie ihren eigenen Rahmen geschaffen haben. Dabei geht es vor allem auch um Selbstakzeptanz, denn introvertiert oder hochsensibel sein sind Wesenszüge, die genauso wertvoll und manchmal herausfordernd sind, wie andere Eigenschaften.
Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür?
Nevoigt: Der Rahmen hierfür ist ein menschenzentrierter: Community over Competition. Denn ein Unternehmen kann niemals im luftleeren Raum gedeihen, es braucht vielschichtige und vor allem echte Verbindungen. Für mich bedeutet das, sich von der Hochglanzfassade zu verabschieden und sich lieber offen über Prozesse, Entwicklungen und auch eigene Schwierigkeiten und Hürden auszutauschen.
Also auch hier die »professionelle Maske« abnehmen und authentisch agieren, um gemeinsam hilfreichere Möglichkeiten und Lösungen entwickeln zu können. Dabei kann es um spezifische interne Prozesse gehen, aber auch um allgemeine Entwicklungen, wie etwa die Digitalisierung. Daraus können dann auch tragende Kooperationen und vertrauensvolle Beziehungen entstehen. Wie das in der Praxis funktionieren kann, das spielen wir in den Workshops anhand konkreter Anliegen und Fragen der Teilnehmer:innen durch.
Was sollten Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen in Bezug auf das Thema Netzwerken eher vermeiden?
Nevoigt: Man nimmt sich und seiner Organisation viele wunderbare Möglichkeiten, wenn man nur ergebnisorientiert und nicht menschen- und beziehungsorientiert netzwerken möchte. Zum Beispiel indem man lediglich nach eigenen Vorteilen und Problemlösungen sucht, während man sich selbst und seiner Organisation nicht in die Karten schauen lässt. Mit Argwohn oder Misstrauen kann kein offener Austausch entstehen und somit auch keine echte Verbindung.
Natürlich ist es sinnvoll, vorab im Team und der Organisation zu klären, ob es gewisse sensible Informationen oder interne Prozesse gibt, die zum Beispiel aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht geteilt werden dürfen. Aber meistens braucht es diese ganz spezifischen Informationen gar nicht, um gemeinsam Möglichkeiten und Lösungsideen auszuloten, weil vieles auf einer Metaebene beleuchtet werden kann.
Gibt es bestimmte Fragen oder Themen, die in Ihrem Coaching von den Teilnehmenden, egal ob Führungskräfte oder Berufseinsteiger:innen, häufig angesprochen werden?
Nevoigt: Viele Anliegen laufen letzten Endes, wenn die Blockaden langsam aufgelöst sind, auf große philosophische Lebensthemen hinaus: Was ist der tiefere Sinn meines Schaffens? Was motiviert und begeistert mich im tiefsten Innern? Was möchte ich mir und der Welt geben? Welche Beziehungen möchte ich eingehen? Was würde ich tun, wenn ich alle Möglichkeiten hätte und frei von inneren und äußeren Hindernissen wäre?
Auch wenn diese Fragen auf den ersten Blick wenig mit dem praktischen Arbeitsalltag zu tun haben, so tun Unternehmen und Organisationen doch sehr gut daran, sich klarzumachen, dass es solche Fragen sind, die Menschen und ihr Handeln auf der tieferen Ebene bewegen. Es geht dabei auch um die elementare Frage, was für uns Menschen ein echter Mehrwert ist und wie wir auf Grundlage dessen gemeinsam wirtschaften, zusammenarbeiten und leben wollen.
Die besprochenen Themen und Ansätze beziehen sich im Grunde auf alle Menschen, wie etwa die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit oder hilfreiche Bedingungen, um die eigenen Potenziale zu entfalten. Nach meinen Erfahrungen sind allerdings hochsensible Menschen in besonderem Maße von diesen tieferen Themen betroffen, weil sie durch ihre Feinsinnigkeit eher soziale Schwierigkeiten oder strukturelle Dysbalancen wahrnehmen sowie schneller an eigene Belastungsgrenzen stoßen. Und deshalb viel häufiger an den Punkt kommen, sich damit auseinanderzusetzen: Was brauche ich wirklich und wie kann ich mein Leben und Arbeiten danach gestalten?
Können wir alle etwas tun, um Arbeit menschenzentrierter und sensibler zu gestalten?
Nevoigt: Der erste wichtige Schritt ist immer das Bewusstmachen der Bedingungen und Mechanismen, die um mich und auch in mir wirken. Nur was ich ins Bewusstsein hole, kann ich auch beleuchten und gegebenenfalls verändern.
Auf der zwischenmenschlichen und kollegialen Ebene ist auch hier das echte Interesse am anderen und seinem
Blickwinkel hilfreich. Offen für andere Arbeitsweisen, Ansätze und Ansprüche zu sein, kann auch sehr inspirierend für die eigene Art zu arbeiten und zu leben wirken.
Auf der inhaltlichen und strukturellen Ebene kann ich dann gemeinsam mit meinem Team oder mit der gesamten Organisation einen offenen Raum für Fragen und Ansätze etablieren: Wozu tun wir, was wir tun? Für wen oder was ist das hilfreich? Erschafft es einen echten Mehrwert für die Menschen, die Gesellschaft oder die Umwelt? Und ist das für alle Mitwirkenden klar oder braucht es hier weiteren Austausch? Erst wenn das »Was« für alle klar definiert ist, geht es um die Frage: Wie wollen wir das konkret umsetzen?
Häufig werden diese Bereiche unzureichend bis gar nicht erkundet oder nur auf der Führungsebene, wenn die alte Hierarchiestruktur noch festsitzt. Oft herrscht auch noch die Überzeugung, dass die Zeit oder Ressourcen besser für das Alltagsgeschäft verwendet werden sollten, um schnelle Ergebnisse zu erzielen, anstatt auf solche Sinn-Fragen oder verbindende Netzwerkräume. Doch genau auf diesen Ebenen liegen langfristig unschätzbare Möglichkeiten für jede Organisation und jeden Einzelnen. Und das bringt dann, quasi als Nebeneffekt, auch stärkere Ergebnisse auf der Ebene der Daten und Zahlen.
Für die angehenden Führungskräfte im Masterstudium Sozialmanagement an der Paritätischen Akademie gibt Martin Nevoigt Workshops zum Thema Networking. Bereits im März 2023 haben wir mit ihm über seine Kritik an veralteten Menschenbildern gesprochen, auf denen viele Unternehmensstrukturen immer noch fußen. Hier geht es zum Fachbeitrag.
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Das Interview mit Martin Nevoigt (Webseite) führte Julia Mann (Paritätische Akademie Berlin)
Titelbild: Martin Nevoigt (Foto: Sylvia John)
Hochsensibilität im beruflichen Kontext sozialer Arbeit
Seminar mit Martin Nevoigt
Pionierwerkstatt Agilität – nachhaltige Verankerung von agilen Methoden und agilem Mindset
Zertifikatskurs mit Björn Schmitz