Haltung als Leitung im Studium entwickeln
Oliver Heymann hat an der Paritätischen Akademie Berlin den Master Sozialmanagement studiert. Wir sprechen mit ihm über seine Rolle als Leitungskraft einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung und darüber, wie das M.A. Studium seine berufliche Laufbahn beeinflusst hat.
Herr Heymann, wann haben Sie an der Paritätischen Akademie studiert? Mit welchem Abschluss und Arbeitserfahrung haben Sie sich an der Paritätischen Akademie damals beworben?
Oliver Heymann: Ich habe 2017 bis 2020 an der Paritätischen Akademie Berlin studiert. Davor habe ich einen Bachelor in Allgemeinpädagogik Bildungswissenschaften mit Nebenfach Psychologie an der LMU in München absolviert. Im Zusammenhang mit Arbeitserfahrung und dem Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung, habe ich mich für den M.A. Sozialmanagement an der Paritätischen Akademie beworben und wurde angenommen.
Wo haben Sie neben dem Studium gearbeitet?
Oliver Heymann: Ich habe in der Eingliederungshilfe bei einem nicht allzu großen Träger im Norden von Berlin gearbeitet. Das war vergleichbar und relativ nahe an der pädagogischen Arbeit, die hier bei uns in den Wohngruppen erfolgt. Es war hauptsächlich die Tagesbetreuung in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung.
Und wie ließ sich das Studium mit dem Arbeitsalltag verbinden? Wie haben Sie das damals erlebt?
Oliver Heymann: Ich konnte unter Heranziehung des eigenen Urlaubs, des Bildungsurlaubs sowie über den Abbau von Überstunden die
Präsenzwochen gut abdecken. Ich habe damals in einem Schichtdienstsystem gearbeitet. Hier wurde der Dienstplan monatlich und nicht wöchentlich strukturiert. So war es möglich sich die Präsenzzeiten freizuhalten und einfach in den anderen Wochen mehr Dienste zu übernehmen. Die Mitarbeitenden in unseren Wohngruppen arbeiten hier ähnlich. Zudem ließ die Gestaltung der Arbeitsinhalte außerhalb der Präsenzzeiten* in Form von Forenbeiträgen im Masterstudium eine große zeitliche Flexibilität zu.
*Anmerkung Paritätische Akademie Berlin: Die Struktur der Lerneinheiten werden laufend den Bedürfnissen der berufsbegleitend Studierenden angepasst. Die Terminübersicht für den Studiendurchgang ab WiSe 2024/25 werden wir zeitnah auf unserer Webseite veröffentlichen.
Haben Sie das Studium selbst finanziert? Die Studiengebühren können mittlerweile in 30 Monatsraten entrichtet werden. Eine anteilige oder vollständige Übernahme der Studiengebühren durch den Arbeitgeber ist möglich.
Oliver Heymann: Ich habe keine finanzielle Unterstützung bekommen. Aber dank Ratenaushandlung* ging das ganz gut.
In welcher Einrichtung arbeiten Sie heute und was ist Ihre Rolle in der Organisation?
Oliver Heymann: Ich bin Bereichsleiter im Kinder- und Jugendhilfe Zentrum Neukölln des Evangelischen Jugend und Fürsorgewerks. Wir sind der größte Anbieter von stationärer Kinder- und Jugendhilfe in Berlin Neukölln. Insgesamt umfasst die Abteilung Jugendhilfe im EJF (Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk) ungefähr 1800 Mitarbeitende. Hier an unserem Standort im Verbund sind wir etwa 150 Menschen, davon 120 Kolleg:innen mit pädagogischen Berufen in verschiedenen Wohngruppen. Wir haben bei uns Kinder und Jugendliche in allen Altersgruppen in verschiedenen Schwerpunkten in den eigenen Bedarfen wohnen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben.
Und wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
Oliver Heymann: Insgesamt bin ich als Bereichsleitung für sechs Wohngruppen zuständig. Das bedeutet, dass ich für etwa 35 Mitarbeitende in der Personalverantwortung bin und etwas über 40 Kinder und Jugendliche in meinem Bereich leben. Gleich zu Tagesbeginn trete ich mit den pädagogischen Fachkräften der jeweiligen Gruppen in Kontakt, um zu gucken, ob bei ihnen alles in Ordnung ist. Ich bin wöchentlich in relativ vielen Teamsitzungen, höre intern und extern viel zu, steuere an den notwendigen Punkten und mache Controlling. Entwickelt sich die jeweilige Gruppe in die richtige Richtung? Gibt es da Unterstützungsbedarf meinerseits? Bestehen aktuell irgendwelche Krisen oder Entwicklungen, die meiner Person bedürfen? Es kann ab und zu Vorfälle geben. Das können persönliche Krisen eines jungen Menschen sein. Oder wir hatten letzte Woche die Situation, dass es einen kleinen Brand in einer Gruppe gab. Der hat mich diese Woche sehr intensiv beschäftigt. Es musste nachgeforscht werden, wie es dazu kam und wie das vermieden werden kann. Solche Situationen müssen gründlich geklärt werden und das gehört auch zu meiner leitenden Tätigkeit.
Was haben Sie vor der Arbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Berlin Neukölln gemacht?
Oliver Heymann: Als ich mein Masterstudium in Sozialmanagement angefangen habe, war ich in der Eingliederungshilfe tätig und musste später aus familiären Gründen in eine andere Stadt ziehen. Durch den Master und die flexible Struktur des berufsbegleitenden Studiengangs gelang mir am neuen Ort der Wechsel in die Altenhilfe. Ich hatte einen spannenden Job als Einrichtungsleitung für offene Altenhilfe gefunden, die für einen ganzen Stadtteil und mehrere Tausend ältere Menschen zuständig war. Aber nach einer Weile stand der Beschluss, dass wir zurück nach Berlin möchten, und ich musste mich erneut auf die Suche nach einer passenden Stelle umschauen. Hier in der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Berlin Neukölln fand ich das ansprechendste Angebot. Schon im Rahmen der Bewerbungsgespräche merkte ich, dass es hier von den Arbeitsstrukturen und Klima angenehm war. Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren hier und bereue diese Entscheidung nicht. Ich gehe jeden Tag gerne in die Arbeit.
„Durch den Master und die flexible Struktur des berufsbegleitenden Studiengangs gelang mir am neuen Ort der Wechsel in die Altenhilfe. Ich hatte einen spannenden Job als Einrichtungsleitung für offene Altenhilfe gefunden, die für einen ganzen Stadtteil und mehrere Tausend ältere Menschen zuständig war.“
Welchen Unterschied macht Ihre Arbeit im Leben der Kinder und jungen Erwachsenen?
Oliver Heymann: Es gibt viele junge Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr bei den Eltern wohnen können. Oft sind
hier Schicksalsschläge und das Zusammenkommen von vielen hinderlichen Faktoren ausschlaggebend. Zum Beispiel weil die Eltern in die Obdachlosigkeit gerutscht sind, oder unter schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen leiden. In manchen Situationen gibt es keine Eltern mehr oder zu Hause entsteht eine so große Krise, dass es zumindest für eine gewisse Zeit nicht möglich oder nicht mehr sicher ist, die Kinder bei den Eltern leben zu lassen. Und dann greift die Kinder- und Jugendhilfe. In starker Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und in den meisten Fällen der Zustimmung der Sorgeberechtigten, finden diese Kinder bei uns Platz und werden in ihren individuellen Situationen betreut und begleitet. Die Wiederzusammenführung mit den Eltern wird natürlich, mit aller gebotener Vorsicht, in den Vordergrund gestellt. Denn keine Betreuungsperson kann die Eltern ersetzen. In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt arbeiten wir daran, die Eltern zu befähigen ein gutes elterliches Verhältnis mit dem Kind aufzubauen und ihnen ein stabiles Umfeld zu bieten. Auf der anderen Seite arbeiten wir mit vielen Kooperationspartnern aus dem unmittelbaren Umfeld der Kinder, mit den jeweiligen Vormundschaften, mit den Schulen, Großfamilien und Freundeskreisen, die eine Rolle im Leben des Kindes haben und neben dem Erziehungsberechtigten für eine gelungene Rückführung in die elterliche Familie wichtig sind. Das ist eine sehr komplexe Arbeit, die hier von unseren Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen durchgeführt wird.
Meine Rolle dabei ist unter anderem, die Metaebene einzunehmen und ihre pädagogische Arbeit zu unterstützen in dem ich schaue: Wie müssen wir unsere Gruppen so ausrichten, dass sie dem Bedarf und den multiplen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen gerecht werden und auch die sich immer wieder verändernden gesamtgesellschaftlichen Bedarfe und Zielgruppen berücksichtigen. Welche fachlichen Standards setzen wir uns, wie halten wir diese ein? Wie findet Wissens- und Informationsweitergabe statt? Nach welchen pädagogischen Richtlinien handeln wir? Wie gehen wir vor im Krisenfall? Ich bin die Person, die praktisch etwas abseits der Gruppe steht, aber jederzeit reinkommt und da unterstützt, wo Not an der Person ist.
Was passiert, wenn junge Erwachsene die Wohngruppen verlassen müssen, gelingt ihnen ein guter Übergang in das erwachsene Leben?
Oliver Heymann: Je nach Ausrichtung der Wohngruppe und nach dem individuellen Verlauf der einzelnen Kindessituation, ob es wieder zu den Eltern geht oder praktisch in eine eigene Wohnung, begleiten wir unterschiedlich. Nach dem Auszug aus unserer Einrichtung endet unsere Arbeit meist nicht. In vielen Fällen begleiten wir unsere Careleaver mehrere Monate ambulant nach, je nach Bedarfslage. Mit vielen halten wir auch noch einen losen Kontakt, wenn die Kinder bei den Eltern wieder eingezogen sind. Außerdem haben wir viele Eltern, die sich noch Jahre später immer wieder Rat suchend an uns wenden.
Wir hatten letztes Jahr eine größere Feier, weil ein langjähriger Mitarbeiter in Rente gegangen ist. Er hat ein Leben lang in der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet. Und bei dieser Verabschiedungsfeier waren tatsächlich damalige Jugendlichen aus seiner ersten Wohngruppe, die der Kollege begleitet hat, anwesend. Sie waren alle Anfang Fünfzig, inzwischen mitten im Leben stehend mit ihren eigenen Familien und Kindern da und haben ganz rührend über den Kollegen gesprochen. Das war sehr schön auf der Feier mitzubekommen, wie dieser Mensch ihr Leben beeinflusst hat und dass es ihnen jetzt gut geht, und dass die Unterstützung, die sie damals erhalten haben, nach eigenen Aussagen, eine große Hilfe war. Und in das Erbe treten wir natürlich weiterhin.
Welche Aspekte oder Inhalte des Masterstudiums in Sozialmanagement sind in Ihrem Berufsalltag noch heute relevant?
Oliver Heymann: Es gibt Vieles. Ich denke mitunter das Wichtigste war einen Habitus und Haltung als Leitung zu entwickeln. Dabei wurden wir auf allen Ebenen unterstützt, mit der Wissens- und der Kompetenzvermittlung, um diese Rolle ausfüllen zu können. Wir haben sehr viele Bereiche abgedeckt und Methoden kennengelernt, die ich jetzt noch in meiner Arbeit anwende. Im Studium habe ich die Möglichkeiten kennengelernt und kann sie mir nach Bedarf heranziehen, Kenntnisse auffrischen und anwenden. Und was im sozialen Bereich oft in der Ausbildung zu kurz kommt und im Studium gut abgedeckt war, sind die BWL-Lernanteile, die für mich in der Leitungsfunktion sehr wertvoll sind. Mir hilft es tatsächlich sehr, dass ich sagen kann – hier ist eine Bilanz und ich kann sie analysieren und Probleme anhand der Zahlen erkennen.
Arbeitsrecht ist auch ein wertvoller Teil des Studiums gewesen. Viele studieren Soziale Arbeit oder Ähnliches, sie sind gute Fachkräfte, sehr gute Teamleiter:innen und haben sehr gute soziale Kompetenzen in der Zusammenwirkung mit den Kolleg:innen. Oft rutschen sie jedoch, praktisch unvorbereitet, in die Leitungsrollen in ihren Organisationen. In diesen Rollen fehlen ihnen die fachliche Qualifikation als Leitung, die wirtschaftlichen und technischen Kenntnisse, so gehen diese Aspekte auch in ihrem Berufsalltag en bisschen unter. Mit dem wirtschaftlichen Verständnis und mit der Stärke in diesen Bereichen der Geschäftsführung macht man sich im sozialen Bereich durchaus manchmal Freunde.
„Ich denke mitunter das Wichtigste war, einen Habitus und Haltung als Leitung zu entwickeln. Dabei wurden wir auf allen Ebenen unterstützt, mit der Wissens- und der Kompetenzvermittlung, um diese Rolle ausfüllen zu können. Wir haben sehr viele Bereiche abgedeckt und Methoden kennengelernt, die ich jetzt noch in meiner Arbeit anwende.“
Welche Kenntnisse oder welches Know-How fehlt Ihnen jetzt, das im Job gewachsen ist und im Studium nicht behandelt wurde?
Oliver Heymann: Ich weiß nicht, ob der Studiengang tatsächlich die großen Problemfelder, die meine Arbeit jetzt betreffen, abdecken könnte. Das sind hauptsächlich gesamtgesellschaftliche Phänomene wie der Fachkräftemangel, der einfach sehr gravierend zu Tage tritt. Und jetzt gerade in Berlin ist es der Wohnungsmangel, der unsere Arbeit erschwert. Vielleicht könnte man im Studiengang darauf vorbereitet werden, stärker in diese politische Arbeit reinzugehen und sozialpolitisch den Fachkräftemangel anzugehen, der uns die nächsten Jahrzehnte begleiten wird. Oder eben innovativ an diesen Problemlösungen zu arbeiten und schauen welche Rolle neue Technologien wie KI bei der Arbeitsentlastung spielen könnten. Vielleich könnte KI nicht gerade die Wohngruppen unterstützen, aber vielleicht bei anderen Arbeitsprozessen entlastende Funktion einnehmen?
Digitalisierung ist mittlerweile Teil des Studiengangprogramms. Als Akademie wollen wir auf dem letzten Stand der technischen Möglichkeiten sein und auf deren Potenzial für Soziale Organisationen durch unsere Studierende verweisen.
Oliver Heymann: Insgesamt kann ich sagen, dass der Masterstudiengang meine weitere berufliche Entwicklung, aber auch mich als Mensch, maßgeblich beeinflusst hat. Wenn ich mit Menschen spreche die sich als Führungskraft entwickeln wollen, empfehle ich diesen Master.
Das Interview mit Oliver Heymann führte Elena Gavrisch (Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, Paritätische Akademie Berlin)
Titelbild: Oliver Heymann
Fotos: Elena Gavrisch
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Zukunftswerkstatt Klima
„Wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, wo wir den Klimawandel nicht mehr verhindern, sondern nur noch abschwächen können.“
Cathrin Hirsch, Dozentin und Leiterin der Initiative KIJUNA, ist die treibende Kraft hinter unseren Bildungsreihe Zukunftswerkstatt Klima – Anpassung and die Folgen des Klimawandels im Gespräch:
Frau Hirsch, Sie leiten die Initiative KIJUNA, die sich zum Ziel setzt die gesellschaftlichen Entwicklungen in Bezug auf Klimaschutz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit auch in der stationären Kinder‑, Jugend- und Eingliederungshilfe sowie Kitas zu etablieren und den Menschen, die hier gefördert und auf die Zukunft vorbereitet werden, eine Chance auf Teilhabe an diesen gesellschaftlich relevanten Themen zu geben.
Wie haben Sie das Thema Nachhaltigkeit für sich entdeckt?
Cathrin Hirsch: Ich habe die Initiative gegründet, da ich festgestellt habe, dass in diesem ganzen Bereich der Nachhaltigkeit, der Bildung für nachhaltige Entwicklung und Anpassungsbemühungen der soziale Bereich nicht berücksichtigt wird, sondern eigentlich lediglich Schulen angesprochen werden. Und es ist tatsächlich so, dass die Klientel der Sozialen Arbeit, also gerade Jugendhilfe oder auch Eingliederungshilfe nicht den besten Zugang zur Bildung über das öffentliche Schulsystem hat. Deshalb habe ich die Initiative KIJUNA gegründet, um eben diese Thematik auch in die Kinder- und Jugendhilfe, sowie Eingliederungshilfe und Kitas reinzubringen und dort die Bildungsarbeit zum Klimaschutz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sozusagen zu „revolutionieren“.
Frau Hirsch, in unserem Vorgespräch haben Sie erwähnt, dass das Thema Klima und Umweltveränderungen im Rahmen der aktuellen Ausbildungs- und Studiengänge im sozialen Bereich nicht behandelt wird. Beispielsweise in der Kindheitspädagogik gibt es dieses Fach nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass Erzieher:innen in ihrem Berufsalltag oft mit Fragen rund um Klima und Umwelt konfrontiert werden. Und natürlich gibt es auch Eltern, die dem menschengemachten Klimawandel sehr skeptisch gegenüberstehen und gar leugnen. Wie man damit umgehen kann, ist nicht immer klar. Ich kann mir gut vorstellen, dass Erzieher:innen und Betreuungspersonen mit vielen Fragen überfordert werden, wenn sie kein fundiertes Wissen zu diesem Thema in ihrer Ausbildung vermittelt bekommen haben. Für mich wäre es auch nicht leicht meinem 8‑jährigen Sohn altersgerecht zu erklären, was CO2 ist.
Was können Erzieher:innen sowie die Leitung von Kitas und Kinder- und Jugendeinrichtungen in dem Zertifikatskurs Zukunftswerkstatt Klima – Anpassungen an die Folgen des Klimawandels lernen, um mit solchen Fragen besser umgehen zu können?
Cathrin Hirsch: Es ist auf jeden Fall Inhalt der Fortbildung, dass auch immer praktische Tipps mit an die Hand gegeben werden, was tatsächlich umgesetzt werden kann. Und ich vertraue auch viel auf die pädagogischen Fähigkeiten der Kolleg:innen, dass sie das Erwachsenenwissen, das sie bei uns in der Zukunftswerkstatt Klima vermittelt bekommen, auch in altersgerechte Häppchen teilen können. Es gibt auf jeden Fall Praxistipps und Methoden, wie mit den Kindern und den Jugendlichen gearbeitet werden kann. Außerdem bestärken wir die Kolleg:innen in ihrer Rolle als Pädagog:innen. Sie sind keine Klimawissenschaftler:innen und es ist nicht immer nötig, dass sie alles aus diesem Bereich wissen. Es kann auch ein sehr erfolgreicher pädagogischen Prozess sein, wenn die Kolleg:innen gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen Wissen erwerben und dann danach handeln.
Gibt es Richtlinien oder Empfehlungen seitens der Politik, bezüglich Bildungsprogrammen zum Thema Klima- und Umweltveränderungen in Kitas und oder in der Kinder- und Jugendarbeit?
Cathrin Hirsch: Es gibt den Ansatz der Bildung für nachhaltige Entwicklung und in diesem Bereich wird deutlich, dass es vor allem um die Stärkung von Gestaltungskompetenzen geht. Dies wurden für alle Länder, die die Agenda 2030 ratifiziert haben, entwickelt und damit benannt, welche Kompetenzen jede:r einzelne:r braucht, um eine nachhaltige Welt zu entwickeln. Die Förderung der Gestaltungskompetenzen ist der Kern der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Methodik läuft über die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), die der Hauptteil der Agenda 2030 sind, die wir gemeinschaftlich als Weltgemeinschaft erreichen müssen, damit sich die Entwicklung vom Klimawandel und die damit verbundenen sozialen Spannungen abschwächt und unsere Welt als nachhaltig bezeichnet werden kann.
Es ist eine sehr gute Investition in die nachhaltige Zukunft, wenn die neue Generation richtig gut zu diesem Thema ausgebildet wird und ihren Lebensstil den neun Umständen entsprechend anpasst.
Cathrin Hirsch: Die Bildungsfragen sind nur ein Teil der Fortbildung. Es geht viel um konkrete Anpassungsmaßnahmen: Wenn die Sommer immer heißer werden, müssen wir unsere Tagesabläufe verändern, dass wir überhaupt noch draußen sein können. Müssen wir dann eher morgens arbeiten und mittags eine Siesta machen und abends wieder aktiv werden? Es sind Fragen, die ganz konkret auf die absehbaren Folgen des Klimawandels abzielen. Wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, wo wir den Klimawandel nicht mehr verhindern, sondern nur noch abschwächen können. Es wird Klimaveränderungen geben, die konkrete Folgen und Herausforderungen mit sich bringen werden! Und da müssen wir einfach gucken, wie wir uns darauf vorbereiten. Also auch die Flut in Essen und in Niedersachsen über Weihnachten ist eine sehr deutlich spürbare Folge des Klimawandels. Die Luft wird immer wärmer, was zu heftigen Gewittern führt. Es fallen riesige Regenmengen binnen kürzester Zeit. Unsere städtische Abflusssysteme und Kanalnetze sind schnell überlastet. Immer wieder kommt es zu flächendeckenden Überschwemmungen und entsprechend schweren finanziellen Folgen und auch weiteren Umweltfolgen. Kann man sich auf solche Ereignisse vorbereiten? Können wir uns als Gesellschaft vorbereiten? Kann sich jeder Einzelne in seinem kleinen Umfeld vorbereiten? Darum geht es in unseren Bildungsreihe, also nicht nur um die Frage, wie bilden wir die nächste Generation zu diesem Thema aus, sondern auch darum, welche Maßnahmen wir als soziale Unternehmen und Einrichtungen jetzt ergreifen können, damit wir mit den Folgen des Klimawandels weiterleben und in unserer Alltagsorganisation nicht unbedingt komplett eingeschränkt sind.
Im Grunde ist Klimaschutzbeauftragte:r ein Beruf der Zukunft für Sozialunternehmen. In der nahen Zukunft wird es möglicherweise zur Pflicht in jedem Unternehmen eine solche Rolle auszufüllen, im globalen Sinne eine sehr verantwortungsvolle Rolle!
Cathrin Hirsch: In der Industrie und der Wirtschaft gibt es diese Stelle eigentlich fast überall.
In der freien Wirtschaft gibt es andere Finanzierungsmöglichkeiten als in der Sozialwirtschaft. Wenn die sozialen Unternehmen andererseits beginnen, das Thema auf ihrer Prioritätsliste weiter oben zu platzieren, sich zu den Folgen des Klimawandels weiterbilden und die Verantwortung hinsichtlich Folgenabwendung und Nachhaltigkeit übernehmen, würden sich möglicherweise Räume für staatliche Subventionen öffnen und die Refinanzierung ihrer Aktivitäten zu mehr Nachhaltigkeit ermöglichen.
Cathrin Hirsch: Aktuell sind mir keine politischen Initiativen zum Thema Anpassungsgesetze im sozialen Bereich bekannt. Aber wenn wir auf die Politik warten, die momentan mit ganz vielen anderen Problemen beschäftigt ist, dann ist es eigentlich schon zu spät. Meine Empfehlung wäre, so bald wie möglich mit den notwendigsten Anpassungsmaßnahmen anzufangen. Die baulichen Maßnahmen lassen sich gut über einen längeren Zeitraum finanzieren. Wenn wir jetzt starten und nicht warten bis das Gebäude der Einrichtung weggeschwemmt ist oder im Sommer so überhitzt ist, dass es für Mitarbeitende und Klient:innen gesundheitliche Folgen hat, dann sind wir schon recht vorne mit dabei. Jede Veränderung und damit auch diese Anpassungsprozesse brauchen Zeit.
Wie diese Veränderungen umgesetzt werden und was genau beachtet werden muss, erklären wir in der Bildungsreihe Zukunftswerkstatt Klima.
Wir freuen uns darauf, mit Ihnen gemeinsam am 23.04.2024 die Bildungsreihe Zukunftswerkstatt Klima – Anpassung an die Folgen des Klimawandels mit Cathrin Hirsch, Nicole Gifhorn, Prof. Dr. Jana Sillmann und anderen Expert:innen aus den genannten Bereichen und mit diesen Themen zu starten:
- Wasserknappheit
- Hitze
- Ernährung
- Extremes Wetter
- Veränderungen gestalten
- Klimapsychologie
- Whole Institution Approach
- Die besondere Verantwortlichkeit sozialer Organisationen
Nicole Gifhorn – Bildungsreferentin für Globales Lernen bei der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen
Prof. Dr. Jana Sillmann studierte Geoökologie und promovierte 2029 an der Universität Hamburg und dem Max-Plank-Institut für Meteorologie, wo sie sich mit der Analyse von Datensätzen zu Extremwetterlagen beschäftigte.
Zukunftswerkstatt Klima – Anpassungen an die Folgen des Klimawandels
Zertifikatskurs
Gesundheitskompetenzen und Salutogenese – eine Einladung zur Schatzsuche
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Die Psychoneuroimmunologie und ihre Auswirkung auf das soziale Leben
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Soziale Gerechtigkeit und soziale Arbeit machen gesund!
Unter sozialer Gerechtigkeit verstehen Menschen meistens gute Lebens- und Arbeitsbedingungen. Diese sind mit vielen Faktoren verbunden wie Bezahlung und Absicherung, aber auch der Zugang zu Bildung und die gerechte Verteilung von Lasten in der Gesellschaft, zum Beispiel zwischen den Geschlechtern und Generationen. So entsteht schließlich das Gefühl an einer Gemeinschaft teilzuhaben, in diese eingebunden zu sein und an ihr mitwirken zu können.
In diesem Beitrag behandeln wir die Frage, warum soziale Gerechtigkeit wichtig für unsere Gesundheit ist, und welchen Beitrag soziale Arbeit dazu leisten kann.
Die Wissenschaft der Psycho-Neuro-Immunologie (PNI) belegt eindrücklich: Seele und Geist, Gehirn, Nerven‑, Hormon- und Immunsystem beeinflussen wechselseitig Gesundheit und Krankheit. Das individuelle und soziale Befinden des einzelnen Menschen wird durch das soziale Umfeld beeinflusst. So fördern Teilhabe und soziale Gerechtigkeit die individuelle wie auch gesellschaftliche Gesundheit.
Wie genau hängen soziale Gerechtigkeit und soziale Arbeit mit Gesundheit zusammen?
Armut und soziale Ausgrenzung machen krank. Wenn Beziehungen, soziale Ausgrenzung oder der Job chronisch stressen, macht das anfälliger für Infektionen: Chronischer Stress verkürzt unser Leben erheblich und führt langfristig zu schweren Leiden und kann den Ausbruch von Krebs und Autoimmunkrankheiten fördern, so Ellis Huber (Vorstandsvorsitzender des Berufsverbandes der Präventologen e.V.). Umgekehrt mobilisieren soziale
Einbindung, positive Gedanken oder seelische Ausgeglichenheit und inneres Wohlbefinden unsere Selbstheilungskräfte und unser Gesundheitspotential.
Das Ziel der Medizin und der sozialen Arbeit sollte sein: Gesunde Menschen in gesunden Lebenswelten. Dafür müssen beide ihren Teil zur Gesundheitsförderung beitragen. Die Medizin muss lernen, sich sozialer zu orientieren und mit den Trägern der sozialen Arbeit kooperieren. Denn um die Krankheiten unserer Zeit zu bewältigen, brauchen wir die Pflege sowie sozialpädagogische, psychosoziale und soziokulturelle Dienste. Deshalb sind Gemeinwesenarbeit, die zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation, psychosoziale und sozialpflegerische Versorgungsdienste oder die Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche so wichtige Pfeiler einer gesunden Zukunft.
Sind Organisationen, die ein effektives Gesundheitsmanagement umsetzen, erfolgreicher?
Eine Gesellschaft ist umso sozial gerechter, je mehr Menschen an ihr teilhaben, sie mitbestimmen und aktiv eingebunden sind. Diese Faktoren haben eine ebenso heilsame Wirkung, wie Medikamente oder medizinische
Interventionen. Herzinfarkte sind zum Beispiel häufiger, wenn Menschen sozial entwurzelt sind und unter ständigem Existenzdruck stehen. Das gilt auch für die Verhältnisse innerhalb eines Betriebs, die sich auf die Mitarbeitenden und Klient:innen auswirken.
Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit in Arbeitsprozessen, Kooperationsgeist im gemeinsamen Wirken oder einer wertschätzender Führungskultur beflügeln Produktivität und Ergebnisse der Arbeit in Organisationen und autonomen Teams. Sind die Arbeitsverhältnisse hingegen mit einem hohen Maß an Kontrolle und Autorität verbunden, gehen damit erhöhte Krankenstände und mangelndes Engagement für die gemeinsame Sache einher.
In betrieblichen, sozialen oder kommunalen Settings kann das Gesundheitsmanagement die Produktivität und Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden ebenso verbessern wie die Arbeitsergebnisse und die Zufriedenheit von Klient:innen, Patient:innen oder Hilfsbedürftigen. Gesundheit kann als Maßstab für gelingende soziale Dienstleistung gesehen und eingesetzt werden.
Wie können Organisationen Gesundheitskompetenz und ‑förderung angehen?
Macht und Geld als Anreiz und Ziel machen kein gesundes Arbeiten möglich. Gesunde Organisationen setzen auf:
1. Freie Selbstorganisation
Um eigenverantwortlich zu agieren, müssen Teams ihre Verantwortungsbereiche kennen und Methoden erwerben,
mit denen sie gute Entscheidungen treffen können. Das bedeutet auch ein neues Führungsverständnis. Auch für Führungskräfte, die dabei „loslassen“ lernen müssen.
Das viertägige Seminar „Agile Führung“ hilft Ihnen dabei, mit dieser Umstellung reflektiert und bewusst umzugehen.
2. Selbstwirksamkeit
Wie gehe ich beispielsweise konstruktiv mit Konflikten und herausfordernden Lebenssituationen um? Salutogenese, also die Entstehung von Gesundheit durch eine gute Stressbewältigung und Selbstwirksamkeit, zählt zu einem der Grundkonzepte des gesundheitsförderlichen Handelns. Diese Kompetenz können Mitarbeitende der Organisation erlernen oder als zertifizierte Trainer:innen in Kursen weitergeben.
3. Interdisziplinäre Teamkulturen
Oft hapert es schon am gegenseitigen Verständnis unterschiedlicher Abteilungen füreinander. Interdisziplinäre Teams arbeiten von Beginn an fachübergreifend eng miteinander zusammen. So wird eine ganzheitliche Perspektive geschaffen. Komplexe Probleme werden eher erkannt und Lösungen gemeinsam erarbeitet.
4. Eine Orientierung an Sinn und Wirkung
Wozu gibt es uns? Ein Sinn in der Arbeit gibt Orientierung und motiviert Mitarbeitende, sich in die Organisation einzubringen. Es braucht aber auch das Gefühl der Wirkung. Führen die Kraft und Energie, die wir täglich aufbringen, zu einem guten Ergebnis? Hier hilft es, gemeinsam klare, wirkungsorientierte Ziele aufzustellen und die eigene Praxis regelmäßig zu reflektieren.
Der Zertifikatskurs Wirkungsmanagement führt Sie in die Denkweisen der Wirkungsorientierung ein und befähigt Sie dazu, Prozesse in Ihrer Organisation auf eine wirkungsorientierte Arbeitsweise umzustellen.
Gesundheitsförderliche Führungskulturen und lebendige Teams entwickeln ihre eigene Gesundheitskompetenz stetig weiter und achten auf ein gesundheitsdienliches Arbeitsklima. Das macht Organisationen krisenfest und
resilient. Es macht auch soziale, pflegerische und pädagogische Arbeit leistungsstark.
Mit diesem Ziel und in diesem Sinne hat die Paritätische Akademie in enger Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Präventologen eine breite Palette unterschiedlicher und innovativer Qualifizierungsangebote
entwickelt. Sie können die damit verbundenen Chancen zur persönlichen Entwicklung und zur Organisations- und Trägerentwicklung nutzen. Wenn Sie für sich selbst, für ihre Klient:innen und Patient:innen oder ihre Organisation
mehr Gesundheitskompetenz und Gesundheitsnutzen anstreben, finden Sie hier bei der Paritätischen Akademie das passende Angebot unter der Kategorie Betriebliches Gesundheitsmanagement.
Wir bilden sozialpädagogische Fachkräfte auch als Gesundheits- und Lebenskompetenz Trainer:innen (GLK) aus, wodurch eine selbstständige Durchführung von Gesundheitskursen ermöglicht wird.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Ellis Huber entstanden. Er ist Vorstandsvorsitzender des Berufsverbandes der Präventologen e.V. und seit 30 Jahren Mitglied im Vorstand des Paritätischen Landesverbands Berlin. Sein Ziel ist es, das Thema Gesundheit in der sozialen Arbeit stärker zu verankern.
Qualifizierung zur/m GLK-Gesundheits- und Lebenskompetenz TrainerIn
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