Maga­zin

Mai 2024 | Stu­di­um

Quereinstieg durch das Studium in Sozialmanagement –  

im Gespräch mit Master-Absolventin Cora Döhn  

Cora Döhn war nach ihrem ers­ten Stu­di­um zunächst Deutsch als Fremd­spra­che Leh­re­rin und Online-Redak­teu­rin. Doch sie ent­schied sie sich für den Quer­ein­stieg in die Sozia­le Arbeit durch ein Stu­di­um in Sozi­al­ma­nage­ment und dem Antre­ten einer Stel­le bei der Ber­li­ner Aids-Hil­fe e.V.. In die­sem Inter­view spre­chen wir mit der Mas­ter-Absol­ven­tin, die heu­te die Koor­di­na­ti­on der Jugend­prä­ven­ti­on bei der Ber­li­ner Aids-Hil­fe aus­führt, über ihren heu­ti­gen Beruf und ihren Weg dort­hin. 

Was genau machst du als Youthwork-Koordinatorin bei der Berliner Aids-Hilfe und wie sieht dein Arbeitsalltag aus? 

Cora Döhn: Ich bin aktu­ell die Koor­di­na­ti­on des You­thwork-Teams der Ber­li­ner Aids-Hil­fe. Das bedeu­tet, ich gestal­te gemein­sam mit mei­nem Team die Jugend­prä­ven­ti­on bei uns im Haus. Mei­ne Haupt­auf­ga­ben sind ver­gleich­bar mit der einer Pro­jekt­ma­na­ge­rin. Bei mir liegt unse­re Ehren­amts­ko­or­di­na­ti­on für unser Team sowie die Koor­di­na­ti­on mit den Lehr­kräf­ten und den Schu­len, die zu uns kom­men. Ich orga­ni­sie­re unse­re Events und Pro­jek­te – wie z.B. eine Schüler:innenkonferenz, Pro­jekt­ta­ge und Events zu Anläs­sen wie dem Welt Aids Tag. Ich schrei­be den News­let­ter an die Schu­len, ich betreue unse­re Social Media-Accounts und tra­ge die päd­ago­gi­sche Ver­ant­wor­tung für unser Kon­zept und für die Work­shop-Inhal­te wie auch die Aus­bil­dung der Ehren­amt­li­chen, die bei uns ankom­men. Außer­dem küm­me­re ich mich um die Team­ent­wick­lung bei uns intern. 

 

Ein Teil mei­ner Stel­le in der Ber­li­ner Aids-Hil­fe wid­met sich dem Team des Ehren­amts­ma­nage­ments. Wir eta­blie­ren eine wert­schät­zen­de Aus­bil­dungs­kul­tur für Ehren­amt­li­che der gesam­ten Ber­li­ner Aids-Hil­fe und hal­ten die­se auf­recht. Wer bei uns neu ehren­amt­lich anfängt, absol­viert ver­schie­de­ne Kur­se. Das sind zum Bei­spiel Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­nings unter ande­rem mit Zuhör­tech­ni­ken – das bie­ten wir für unse­re Ehren­amt­li­che kos­ten­los an. Um unse­re Qua­li­täts­stan­dards ein­zu­hal­ten, sind die­se Kur­se bei uns auch ver­pflich­tend. Sie ler­nen auch die Ber­li­ner Aids-Hil­fe als Orga­ni­sa­ti­on samt ihrer Hal­tung ken­nen. So haben neue Ehren­amt­li­che hier auch noch­mal die Mög­lich­keit einen Abgleich zu machen, ob sie sich mit der poli­ti­schen Hal­tung der Ber­li­ner Aids-Hil­fe iden­ti­fi­zie­ren kön­nen und sich damit wohl­füh­len, die­se Hal­tung auch nach außen zu ver­tre­ten. 

 

Seit Neus­tem gehe ich auch mit in Test­be­ra­tun­gen. Das sind Bera­tun­gen bei uns im Haus, die vor einem Test auf HIV und ande­re sexu­ell über­trag­ba­re Infek­tio­nen ange­bo­ten wer­den. Da kön­nen Per­so­nen, die sich zum Bei­spiel auf HIV tes­ten las­sen möch­ten, erfah­ren, wie ein Test abläuft und wo sie sich hin­wen­den kön­nen, falls ein Test posi­tiv aus­fällt. 

Was motiviert dich, diesen Job auszuüben? 

 

Für mich ist die Ber­li­ner Aids-Hil­fe ein ganz ideell auf­ge­la­de­ner Arbeits­be­reich. Das fin­de ich wun­der­schön. Es ist eine Mischung aus Job und Lebens­ge­fühl. Die Arbeit ist sinn­voll und das ist sehr moti­vie­rend für mich. 

 

Das Team hält auch sehr zusam­men, was mich unge­mein moti­viert. Im Team gibt es fla­che Hier­ar­chien. Wir arbei­ten sehr gleich­be­rech­tigt und selbst­be­stimmt. 

 

Was hast du vor deinem Masterstudium gemacht? Und wie bist du dann dazu gekommen, dich neu zu orientieren? 

 

Ich war in einer Redak­ti­on in einem Online-Medi­um erst als Volon­tä­rin und dann als Redak­teu­rin tätig. Das hat mir zunächst viel Spaß gemacht. Mein Ste­cken­pferd-The­ma war die finan­zi­el­le Selbst­be­stim­mung von Frau­en in der Grün­dung und ihr Weg in die Selb­stän­dig­keit. Ich habe Infor­ma­tio­nen zusam­men­ge­tra­gen, von denen ande­re pro­fi­tie­ren kön­nen, die sich auch selbst­stän­dig machen wol­len. Mich hat also schon immer inter­es­siert, wel­che Infor­ma­tio­nen die Welt noch braucht. Auch hier woll­te ich unbe­dingt eine Art Bera­tungs­an­ge­bot schaf­fen. 

 

Nach mei­nem Quer­ein­stieg hat­te ich das Gefühl, kei­ne for­ma­le Qua­li­fi­ka­ti­on zu haben, um im Bereich sozia­le Arbeit anknüp­fen zu kön­nen. Für mich per­sön­lich war es also wich­tig, eine Zusatz­qua­li­fi­ka­ti­on zu erwer­ben, um mich hier wohl­zu­füh­len. Denn ich habe ein Selbst­ver­ständ­nis, dass ich mit hoher Pro­fes­sio­na­li­tät an neue Her­aus­for­de­run­gen her­an­ge­he. Den Mut und das Selbst­be­wusst­sein sowie das Know-How hät­te ich ohne das Stu­di­um lei­der nicht gehabt, mit dem ich jetzt mei­ne Arbeit aus­füh­ren kann. 

 

Das Errech­nen von Bilan­zen aus dem Stu­di­um bei­spiels­wei­se brau­che ich in mei­nem aktu­el­len Job zwar nicht mehr so im Detail, denn dafür haben wir hier im Haus die Buch­hal­tung und die Geschäfts­füh­rung. Aber trotz­dem gehe ich durch die­ses erwor­be­ne Wis­sen kom­pe­tent mit Bud­gets für mei­nen Arbeits­be­reich um. Das gibt natür­lich auch mei­nen Chef:innen Sicher­heit und Ver­trau­en.  

Den Mut und das Selbst­be­wusst­sein sowie das Know-How hät­te ich ohne das Stu­di­um lei­der nicht gehabt, mit dem ich jetzt mei­ne Arbeit aus­füh­ren kann. 

 

Konntest du Arbeit und Studium gut unter einen Hut bringen? Und hat das ausgereicht, um dein Leben und die Studienkosten zu finanzieren? 

 

Ich habe das Stu­di­um 2018 begon­nen und 2020 habe ich den Abschluss gemacht. Finan­ziert habe ich das Gan­ze dadurch, dass ich par­al­lel gear­bei­tet habe. Ich habe in der Zeit des Stu­di­ums ca. 10 Stun­den bei der Ber­li­ner Aids Hil­fe im Ehren­amts­ma­nage­ment gear­bei­tet und neben­bei selbst­stän­dig als Deutsch als Fremd­spra­che Leh­re­rin. 

 

Zuge­ge­be­ner­ma­ßen war damals der Mie­ten­wahn­sinn auch noch nicht so extrem wie jetzt. Es war also für mich stemm­bar. In der Steu­er­erklä­rung kam mir das Stu­di­um spä­ter auch zugu­te. Ich war zu dem Zeit­punkt bereits ver­hei­ra­tet. Das Stu­di­um habe ich abset­zen kön­nen, was finan­zi­ell eine gro­ße Erleich­te­rung war.  

 

Nach einem vol­len Prä­senz­tag an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie hat­te man auch das Gefühl, ganz viel mit­ge­nom­men zu haben. Und natür­lich habe ich mich dann auch am Wochen­en­de noch ein­mal hin­ge­setzt und bin alles durch­ge­gan­gen und habe ich eben Mathe gepaukt oder nach­ge­holt, wie ich Social Media Inhal­te gut gestal­ten kann. Ich habe mich dann auch mit mei­nen Kommiliton:innen in Lern­grup­pen getrof­fen. Wir haben das Stu­di­um schon sehr ernst genom­men. 

Es wird sehr gut dar­auf ein­ge­gan­gen, dass Men­schen in dem Stu­di­um meist Vollzeit-Arbeitnehmer:innen sind.

 

Es kommt wirk­lich auch dar­auf an, wie man Prio­ri­tä­ten gut setzt. Das Stu­di­um an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie in Sozi­al­ma­nage­ment ist her­aus­for­dernd, aber nicht über­for­dernd. Denn es wird sehr gut dar­auf ein­ge­gan­gen, dass Men­schen in dem Stu­di­um meist Vollzeit-Arbeitnehmer:innen sind. Außer­dem wuss­ten wir auch alle Ter­mi­ne vor­her. So konn­te ich im Vor­hin­ein immer sehr gut mit mei­nem Arbeit­ge­ber abspre­chen, wann ich arbei­ten kann und wann nicht. 

Das Stu­di­um habe ich abset­zen kön­nen, was finan­zi­ell eine gro­ße Erleich­te­rung war. 

 

Wie waren der Austausch und Kontakt unter den Studierenden? 

 

Sehr gut. Aller­dings kam dann die Coro­na-Pan­de­mie 2020. Das hat lei­der dazu geführt, dass unser letz­tes Semes­ter und auch unse­re Abschluss­fei­er nur über Zoom statt­fin­den konn­te. Vie­le Leu­te, mit denen ich im Stu­di­um sehr eng war, habe ich dann andert­halb Jah­re nicht mehr zu Gesicht bekom­men.  

Eine Freund­schaft hat sich pri­vat gehal­ten. Aber auch, wenn ich mit allen ande­ren nicht jeden Tag im Kon­takt ste­he, weiß ich mit Sicher­heit, dass ich auf sie heu­te immer noch zuge­hen und wir uns beruf­lich aus­tau­schen könn­ten. 

 

Welche Inhalte des Studiums konntest du im Berufsleben unmittelbar anwenden? 

 

Die Social Media-Inhal­te haben mir sehr viel Sicher­heit gege­ben. Da ging es dar­um, wie ich zum Bei­spiel reagie­ren kann, wenn ein Shit­s­torm kommt oder wie schnell man auf sol­che Inhal­te reagie­ren soll­te. Aber auch das recht­li­che Wis­sen in die­sem Zusam­men­hang war sehr wich­tig für mei­ne Arbeit heu­te. Social Media ist schließ­lich nicht nur ein Fun-Fak­tor mei­nes Arbeits­be­reichs, son­dern ein inte­gra­ler Bestand­teil.  

 

Ganz wich­tig war auch das The­ma Diver­si­tät und Diver­si­täts­ori­en­tie­rung. Wie schafft man es, den Arbeits­be­reich divers zu gestal­ten? Es ist sehr span­nend, wie kom­plex und schwie­rig das eigent­lich ist. Das spielt auch in unse­rem Arbeits­all­tag heu­te eine gro­ße Rol­le.  

Ich habe ein Ver­ständ­nis dafür bekom­men, wie wirt­schaft­lich eine sozia­le Orga­ni­sa­ti­on eigent­lich arbei­ten muss und was alles dahin­ter­steckt. 

Außer­dem konn­te ich im Stu­di­um ein grund­sätz­li­ches Ver­ständ­nis davon erwer­ben, wie die Sozi­al­wirt­schaft funk­tio­niert. Finan­zie­rungs­fra­gen spie­len im sozia­len Bereich immer eine ganz gro­ße Rol­le. Denn Res­sour­cen sind chro­nisch knapp und müs­sen des­halb immer ziel­ge­rich­tet und effi­zi­ent ein­ge­setzt wer­den. Dar­um ist man ange­hal­ten, sehr exakt zu sein und sehr gut zu pla­nen. Dahin­ge­hend hat das Stu­di­um mei­nen Hori­zont sehr erwei­tert. Ich habe ein Ver­ständ­nis dafür bekom­men, wie wirt­schaft­lich eine sozia­le Orga­ni­sa­ti­on eigent­lich arbei­ten muss und was alles dahin­ter­steckt. So habe ich das Selbst­be­wusst­sein erlangt, mich im sozia­len Bereich fle­xi­bel zu bewe­gen und mit­re­den zu kön­nen. Das hat mir per­sön­lich am aller­meis­ten gebracht. 

 

Haben sich deine Erwartungen an das Studium erfüllt? 

 

Am Anfang hat­te ich die Vor­stel­lung, dass ich schon viel wis­sen wer­de und die Stu­di­en­in­hal­te mich eher dar­in bestär­ken wer­den, dass ich im rich­ti­gen Arbeits­feld ange­kom­men bin. Ich habe mich also ehr­li­cher­wei­se zunächst gefragt, ob mir das Stu­di­um was bringt oder ob ich es als per­sön­li­chen Selbst­be­wusst­seins-Boost benö­ti­ge. Ich war jedoch spä­tes­tens nach dem ers­ten Semes­ter davon über­zeugt, wie qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig und wie divers die Inhal­te des Stu­di­ums sind. Es hat mir rück­bli­ckend sehr viel gehol­fen, mich im Arbeits­feld der Sozi­al­wirt­schaft gut bewe­gen zu kön­nen.   

Ich war (…) nach dem ers­ten Semes­ter davon über­zeugt, wie qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig und wie divers die Inhal­te des Stu­di­ums sind.

 

Was hat dir im Studium gefehlt? 

 

Wäh­rend mei­nes Stu­di­ums war ich noch eine rela­tiv neue Mit­ar­bei­te­rin mit wenig Stun­den. So hat­te ich noch nicht so kom­ple­xe Arbeits­be­rei­che und auch nicht so viel Ver­ant­wor­tung wie heu­te. Die Manage­ment-Inhal­te im Stu­di­um waren des­halb zwar sehr prak­tisch und für mich total span­nend, aber die Inhal­te pas­sier­ten für mich noch im luft­lee­ren Raum. In mei­ner Arbeits­pra­xis wur­den die Inhal­te erst spä­ter rele­vant. Glück­li­cher­wei­se konn­te ich vie­les Wis­sen wie­der abru­fen als ich es brauch­te.  

 

Den­noch wür­de ich manch­mal ger­ne noch mal die Zeit zurück­dre­hen und einen Kurs dar­in bele­gen, um mein Wis­sen auf­zu­fri­schen. Dann könn­te ich par­al­lel zu dem, was ich theo­re­tisch gelernt habe, jetzt die Mög­lich­keit nut­zen, das prak­tisch anzu­wen­den. Auch das Coa­ching, das im Stu­di­um ange­bo­ten wur­de, konn­te ich dahin­ge­hend noch nicht gut in Anspruch neh­men.  

Vie­len Dank für das Inter­view.

 

An der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie bie­ten wir im Berufs­feld Ehren­amts­ma­nage­ment einen Zer­ti­fi­kats­kurs an. Dazu haben wir mit Cora Döhn, die auf die­sem Gebiet heu­te Exper­tin ist, gespro­chen. Der Bei­trag dazu wird bald im Online-Maga­zin erschei­nen.

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Redak­ti­on: Julia Mann (Pari­tä­ti­sche Aka­de­mie Ber­lin)

Foto im Titel­bild: Cora Döhn in ihrem Büro der Ber­li­ner Aids-Hil­fe e.V. (Foto: Ele­na Gav­risch)

Sozi­al­ma­nage­ment, Mas­ter of Arts

Berufs­be­glei­ten­der Stu­di­en­gang

Start: Okto­ber 2024

Ehrenamtsmanagement

Zertifikatskurs

Start: 13. Novem­ber 2024

Sozia­le Arbeit, Bache­lor of Arts

Berufs­be­glei­ten­der Stu­di­en­gang

Start: Okto­ber 2024

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Maga­zin

Juni 2022 | Manage­ment

Ist eine psy­chi­sche Stö­rung (auch) eine Bezie­hungs­stö­rung?

Die Fra­ge lässt sich mehr­fach mit Ja beant­wor­ten. Ja, weil in der psy­chi­schen Ent­wick­lung (ver­mut­lich ver­stö­ren­de) Bezie­hungs­er­fah­run­gen auf eine Art und Wei­se von den Betrof­fe­nen ver­ar­bei­tet wur­den, dass die­se ihre Psy­che nur ein­ge­schränkt ent­wi­ckeln konn­ten. Ja, weil Betrof­fe­ne des­halb in ihrer eige­nen intra­psy­chi­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on ein­ge­schränkt sind. Ja, weil Betrof­fe­ne in ihrer Bezie­hungs- und Inter­ak­ti­ons­fä­hig­keit gestört sind. Ja, weil auch Hel­fer in der Inter­ak­ti­on mit Betrof­fe­nen in sol­che gestör­ten Bezie­hungs­mus­ter hin­ein­ge­ra­ten. Die Fra­ge mit so vie­len Jas zu beant­wor­ten, ermög­licht ein ver­tief­tes Ver­ständ­nis von dem, was in Men­schen mit psy­chi­scher Beein­träch­ti­gung inner­lich abläuft. Ein sol­ches Ver­ständ­nis erlaubt, den Kli­en­ten gegen­über gelas­sen und somit hilf­reich zu sein.

Neben dem psy­cho­ana­ly­ti­schen Ver­ständ­nis gibt vor allem die Bin­dungs­theo­rie nach John Bowl­by und Mary Ains­worth ver­ständ­li­che Kon­zep­te an die Hand, um den Zusam­men­hang von psy­chi­scher Stö­rung und gestör­ter Bezie­hungs­er­fah­rung zu begrei­fen. Ein Kind wird mit der Fähig­keit, sich zu bin­den, gebo­ren. Wie die­se Fähig­keit im Ein­zel­nen aus­ge­prägt wird, hängt von indi­vi­du­el­len Bin­dungs- und Bezie­hungs­er­fah­run­gen ab. Das indungs­sys­tem regt einer­seits die Suche nach Gebor­gen­heit, Sicher­heit und das Bedürf­nis, Teil der Grup­pe zu sein, sowie ande­rer­seits den For­scher­drang, das Neu­gier­de- und Risi­ko­ver­hal­ten an. Bezie­hungs­er­fah­run­gen wer­den ver­in­ner­licht. Hier­bei ent­steht eine inne­re Büh­ne mit ver­schie­de­nen Dar­stel­lern, die sowohl das „Ich“ reprä­sen­tie­ren als auch Vor­stel­lun­gen von „dem/den Ande­ren“.

Hat man unter­stüt­zen­de, wich­ti­ge Bezugs­per­so­nen erlebt, kann man z. B. in eine Prü­fungs­si­tua­ti­on mit fol­gen­der

intra­psy­chi­scher Büh­ne gehen: ein „Ich“ mit einem guten Selbst­wert­ge­fühl, einem ver­mu­te­ten Bild des Prü­fers, das ange­mes­sen rea­li­täts­nah ist, einem Selbst­ver­trau­en, das einem sagt: „Du schaffst das!“, einer Kom­mu­ni­ka­ti­ons-fähig­keit, die in der Lage ist, auch bei Auf­re­gung nach­zu­fra­gen und rich­tig zuzu­hö­ren, einer Hand­lungs­fä­hig­keit nach innen, wel­che es ermög­licht, die gelern­ten Inhal­te abru­fen zu kön­nen und einer Hand­lungs­fä­hig­keit nach außen, um die­se Inhal­te aus­zu­spre­chen und zu prä­sen­tie­ren. Hin­zu kom­men intra­psy­chi­sche Hel­fer­in­stan­zen, wel­che intra­psy­chi­sche Befürch­tun­gen und Erre­gungs­zu­stän­de beru­hi­gen kön­nen und somit hel­fen, den Blick nach vor­ne zu rich­ten.

Hat jemand eher abwer­ten­de und ungu­te Bezie­hungs­er­fah­run­gen gemacht, kann die Büh­ne wie folgt aus­se­hen: ein klei­nes Kin­der-Ich, etwas ver­ängs­tigt, steht gegen­über einer oder meh­re­ren gro­ßen Auto­ri­tä­ten, die mit stren­gem Blick alles schnell abwer­ten. Als Hel­fer­in­stan­zen in der Situa­ti­on gibt es Angst­ver­stär­ker, die sagen; „Auf­pas­sen!“, da ansons­ten noch mehr Gefahr droht. Das Adre­na­lin­sys­tem wird auf Hoch­tou­ren gepusht, weil viel Gefahr ver­or­tet wird. Die Hand­lungs­sys­te­me sind dar­auf aus­ge­rich­tet, psy­chi­sche Ernied­ri­gung zu ver­mei­den oder mit die­ser klar­zu­kom­men.

Sicher­lich sind die­se bei­den Bil­der extrem, aber sie ver­deut­li­chen, wie bio­gra­fi­sche Bezie­hungs­er­fah­run­gen und psy­chi­sche Stö­rung bzw. aktu­el­les Ver­hal­ten mit­ein­an­der zusam­men­hän­gen kön­nen. Sie bie­ten auch Erklä­rungs­mus­ter, wie psy­chi­sche Stö­rungs­mus­ter auf der inne­ren Büh­ne auf­recht­erhal­ten wer­den. Und es

wird auch ver­ständ­lich, war­um man als Hel­fer sei­tens des Kli­en­ten mal in die eine oder ande­re Rol­le gedrängt wird, obwohl man sich fach­lich gleich ver­hält.

Betrach­tet man psy­chi­sche Stö­run­gen unter dem Aspekt einer Fol­ge nach innen ver­la­ger­ter dys­funk­tio­na­ler Bezie­hungs­mus­ter, ermög­licht das Fol­gen­des: als Hel­fer gewinnt man ein dif­fe­ren­zier­te­res Bild, was in den Kli­en­ten vor sich geht und wel­che Aus­wir­kung das auch auf das Bezie­hungs­ver­hal­ten zum Hel­fer und zu sei­ner Umwelt

hat. Das ist natür­lich ein weit­aus tie­fe­res Ver­ständ­nis einer psy­chi­schen Stö­rung als das Erler­nen von Sym­pto­men und von Regeln des Umgangs. Man kann also dif­fe­ren­zier­ter, situa­tiv ange­pass­ter und indi­vi­du­ell effi­zi­en­ter mit dem Kli­en­ten umge­hen. Gleich­zei­tig wird das eige­ne Krän­kungs­po­ten­ti­al bzw. die Ten­denz, sich im Hil­fe­ge­sche­hen zu ver­aus­ga­ben, redu­ziert.

Zu guter Letzt: Bezie­hungs­ar­beit schafft nicht nur Ver­trau­en, son­dern, wenn man sich als Hel­fer die eige­nen inne­ren Wahr­neh­mun­gen und Reak­tio­nen auf den Kli­en­ten bewusst macht, gewinnt man vie­le Infor­ma­tio­nen über ihn. Die­se kann man ent­we­der als eine empa­thi­sche Spie­ge­lung zurück­ge­ben oder sie ermög­li­chen es einem, bes­ser zu

ver­ste­hen, war­um bestimm­te Ver­wick­lun­gen ent­ste­hen kön­nen und wie man sich davor schützt. Das betrifft den Bereich der Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung.

Unter der Über­tra­gung ver­steht man die unbe­wuss­te Dyna­mik, dass der Kli­ent im Hel­fer nicht mehr das rea­le Gegen­über sieht, son­dern in ihn (meist) eine bekann­te Bezie­hungs­per­son pro­ji­ziert. Bei die­sem Vor­gang, der unbe­wusst abläuft, bleibt auch der Kli­ent selbst nicht mehr auf Augen­hö­he, son­dern fällt z.B. in die „Kin­der­rol­le“. Obwohl plötz­lich ein Rück­fall in den Ver­gan­gen­heits­film statt­fin­det, wird es meist vom Kli­en­ten als sehr aktu­ell und

mit star­ken Gefüh­len erlebt. Das Erle­ben des Hel­fers wird als Gegen­über­tra­gung defi­niert. Das kann unter­schied­lichs­te Aspek­te auf­wei­sen: Fühlt sich der Hel­fer bei einem Kli­en­ten mit Angst­stö­rung z.B. auch stark ver­un­si­chert, gestresst, hilf­los, so kann das die Gefüh­le des Kli­en­ten spie­geln. Man ver­steht mehr, wie es in dem Kli­en­ten aus­sieht, kann empha­tisch spie­gelnd reagie­ren. Wird der Hel­fer unge­dul­dig, ärger­lich etc. so kann dies die Reak­ti­on bekann­ter Bezie­hungs­per­so­nen oder das eige­ne Über-Ich des Kli­en­ten spie­geln. Wenn ein Kli­ent sei­ne Angst sehr ver­steckt und statt­des­sen aggres­siv nach Außen auf­tritt, kön­nen die Ver­un­si­che­rungs- und

Befürch­tungs­ge­füh­le des Hel­fers nicht unbe­dingt sei­ne eige­ne rea­le Ein­schät­zung der Situa­ti­on spie­geln, son­dern viel­mehr gewinnt er so ein Bild, was im Kli­en­ten hin­ter der Fas­sa­de pas­siert. Kurz­um: Wenn man als Hel­fer sei­ne eige­nen Reak­tio­nen in der Bezie­hung mit dem Kli­en­ten nicht nur der rea­len Situa­ti­on zuord­net, son­dern auch erkennt, dass man Infor­ma­tio­nen über Innen­le­ben und Bezie­hungs­struk­tu­ren des Kli­en­ten erhält, muss man nicht in jede Bezie­hungs­fal­le tap­pen.

Fazit: Bezie­hungs­er­fah­run­gen wer­den intra­psy­chisch ver­ar­bei­tet und bil­den eine Art Pro­gram­mie­rung, die zur Selbst­re­gu­la­ti­on, Kom­mu­ni­ka­ti­on und Hand­lungs­fä­hig­keit die­nen. Nega­ti­ve Bezie­hungs­er­fah­rung wir­ken sich destruk­tiv auf die­ses Sys­tem und die Vor­stel­lung von einem selbst und sei­ner Umwelt aus. Gute Bezie­hungs­er­fah­run­gen jedoch stär­ken das Ich und damit auch die Selbst­wirk­sam­keit im Außen. In der Inter­ak­ti­on mit dem Kli­en­ten tre­ten dem Hel­fer gegen­über Phä­no­me­ne auf, die als Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung bezeich­net wer­den.

Das Wis­sen um die Bedeu­tung von Bin­dung? Bezie­hungs­er­fah­run­gen? in der Arbeit mit Men­schen mit psy­chi­scher Beein­träch­ti­gung ermög­licht ein tie­fe­res Ver­ständ­nis wovon? Dies unter­stützt eine kla­re, für den Kli­en­ten hilf­rei­che

Bezie­hungs­ge­stal­tung. Der Hel­fer gewinnt Infor­ma­tio­nen über das Innen­le­ben der Kli­en­ten sowie deren Bezie­hungs­struk­tu­ren. All dies sind Fak­to­ren, die für ein aktu­el­les, meist dys­funk­tio­na­les Ver­hal­ten bedeut­sam sind.

Foto: Ilka Perc

Bezie­hungs­dy­na­mik bei psy­chi­schen Stö­run­gen

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28.–30. Sep­tem­ber 2022

Psy­chisch belas­te­te Eltern und ihre Kin­der

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Juni 2022 | Manage­ment

Im Gespräch mit unse­rer Dozen­tin Sina Roh­ner

 

Neben Pro­fes­so­rin­nen und Pro­fes­so­ren sowie wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­ten­den unse­rer koope­rie­ren­den Hoch­schu­le dozie­ren auch Praktiker:innen im Stu­di­en­gang Sozia­le Arbeit. Sina Roh­ner unter­stützt im Modul „Arbeits­fel­der und Ziel­grup­pen“ unse­re Stu­die­ren­den beim Theo­rie Pra­xis­trans­fer.

1. Frau Roh­ner, neben Ihrer Tätig­keit als Dozen­tin bei uns im Stu­di­en­gangs- und Semi­nar­be­reich arbei­ten Sie für die INDE­PEN­DENT LIVING Stif­tung. Wel­che Auf­ga­ben haben Sie dort?

Ich bin seit 2009 für die INDE­PEN­DENT LIVING Stif­tung als Sozi­al­päd­ago­gin tätig. Vie­le Jah­re arbei­te­te ich als BEW-Bera­te­rin mit jun­gen Men­schen. Ich absol­vier­te eine Aus­bil­dung zur „inso­fern erfah­re­nen Fach­kraft nach § 8a SGB VIII“ und somit auch eine Auf­ga­be als Kin­der­schutz­fach­kraft inne. Seit eini­gen Jah­ren arbei­te­te ich als Qua­li­täts­be­auf­trag­te für die Stif­tung und lei­te das Pro­jekt „Betreu­tes Ein­zel­woh­nen für Mäd­chen* und jun­ge Frau­en*“.

2. Was ist Ihre Moti­va­ti­on, zusätz­lich als Dozen­tin zu unter­rich­ten – sowohl im Stu­di­en­gang Sozia­le Arbeit als auch in unse­rem neu­en Kom­pakt­kurs Jugend­hil­fe für Quereinsteiger:innen und sozi­al­päd­ago­gi­sche

Fach­kräf­te?

Mir ist es wich­tig Theo­rie und Pra­xis in Ver­bin­dung zu brin­gen. Durch mei­ne all­täg­li­che prak­ti­sche Arbeit ist es mir mög­lich auf aktu­el­le The­men, Schwer­punk­te und Metho­den der Sozia­len Arbeit ein­zu­ge­hen. Dies hat in der Leh­re den Vor­teil, dass Erfah­run­gen geteilt wer­den und im bes­ten Fal­le Syn­er­gien ent­ste­hen kön­nen.

3.

Was sind inhalt­li­chen Schwer­punk­te Ihrer Ver­an­stal­tun­gen? Wel­che The­men, Theo­rien bzw. Metho­den leh­ren Sie bei uns?

Aktu­ell unter­rich­te ich im Bache­lor-Stu­di­en­gang das Modul „Arbeits­fel­der und Ziel­grup­pen“. Ich stel­le den Stu­die­ren­den ver­schie­de­ne Arbeits­be­rei­che der Sozia­len Arbeit vor und las­se hier Expert*innen eben­so zu Wort kom­men, wie auch Theo­rien und Metho­den ihre Anwen­dung fin­den.

Schwer­punk­te in die­sem Semes­ter sind der HzE-Bereich mit den beglei­ten­den The­men Kin­der­schutz, Par­ti­zi­pa­ti­on, Metho­den zur kol­le­gia­len Fall­be­ra­tung und wei­te­res. Ich ach­te sehr dar­auf die The­men inter­sek­tio­nal zu

betrach­ten und lade hier zum Aus­tausch und zur Dis­kus­si­on ein.

4. Die Ziel­grup­pe im Bache­lor­stu­di­en­gang Sozia­le Arbeit umfasst ja gera­de auch die Qua­li­fi­zie­rung von Neu- bzw. Quereinsteiger*innen im Sozia­len Bereich. War­um ist die­se Qua­li­fi­zie­rung wich­tig und wel­chen Bei­trag leis­tet das Stu­di­um an der Aka­de­mie dabei?

Sozia­le Arbeit ist eine sehr anspruchs­vol­le Tätig­keit und soll­te des­we­gen auch wis­sen­schafts­ba­siert sein.

Will die Sozia­le Arbeit den Anspruch einer Pro­fes­si­on ein­lö­sen, muss sozi­al­ar­bei­te­ri­sches Han­deln auf Metho­den und Theo­rien begrün­det sein.

5. Haben Sie bei Ihren Vor­le­sun­gen bestimm­te Lern- oder Qua­li­fi­ka­ti­ons­zie­le vor Augen?

 

Mir ist es beson­ders wich­tig, dass die Stu­die­ren­den (Quereinsteiger*innen) den Raum bekom­men, ihre eige­ne Fach­lich­keit und ihre bis­he­ri­gen Erfah­run­gen in der Sozia­len Arbeit zu benen­nen, ihren Kommiliton*innen zur Ver­fü­gung zu stel­len und zu dis­ku­tie­ren. Des Wei­te­ren sol­len sie in mei­nen Semi­na­ren die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen im Bereich der Sozia­len Arbeit ver­mit­telt bekom­men, um die­se in der eige­nen Pra­xis anzu­wen­den.

6. Wel­che Erkennt­nis­se wün­schen Sie sich für die Stu­die­ren­den im Rah­men Ihres Stu­di­ums? Gibt es irgend­et­was, das Ihnen da beson­ders am Her­zen liegt?

In mei­nen Semi­na­ren haben die Stu­die­ren­den die Gele­gen­heit die diver­sen und mit­un­ter auch sehr kom­ple­xen Arbeits­ge­bie­te der Sozia­len Arbeit ken­nen­zu­ler­nen. Die Viel­fäl­tig­keit und auch die Fle­xi­bi­li­tät, mit wel­cher Sozi­al­ar­bei­ten­de im Arbeits­all­tag umge­hen müs­sen über­rascht die Teil­neh­men­den immer wie­der. 

7. Was neh­men Sie als Dozen­tin auch von unse­ren Teil­neh­men­den und Stu­die­ren­den mit für Ihre Pra­xis?

Ich erle­be die Zusam­men­ar­beit mit den Stu­die­ren­den als sehr leben­dig und berei­chernd. Die Semi­na­re füh­ren dazu, dass wir uns aus den ver­schie­de­nen Arbeits­be­rei­chen ken­nen­ler­nen und sich dadurch pro­duk­ti­ve Netz­wer­ke bil­den.

Vie­len Dank für das Gespräch!

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Das Inter­view führ­te Chris­tin Fritz­sche, Bil­dungs­re­fe­ren­tin und Bereichs­lei­tung Stu­di­en­gän­ge an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen

zu unse­rem Stu­di­en­an­ge­bot

Sozia­le Arbeit, Bache­lor of Arts

fin­den Sie hier

Start: 1. Okto­ber 2022

Wir haben noch wei­te­re Ange­bo­te rund um das The­ma Agi­li­tät und Neu­es Arbei­ten im Pro­gramm

Eine Über­sicht fin­den Sie hier:

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Maga­zin

Mai 2022 | Manage­ment

ein Gast­bei­trag von Anna Zag­idul­lin (M.A.), Refe­ren­tin Hil­fen zur Erzie­hung und Jugend­ar­beit

Pari­tä­ti­scher LV Ber­lin e.V.

Die Jugend­hil­fe gehört zu den Arbeits­fel­dern, die signi­fi­kant von gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen beein­flusst

wer­den. Dies lässt sich an der kon­ti­nu­ier­lich stei­gen­den Fall­zah­len­ent­wick­lung in der letz­ten zehn Jah­ren able­sen, die ins­be­son­de­re auf wei­ter stei­gen­de und ver­dich­ten­de Armuts­ri­si­ken, den Zuwachs an allein­er­zie­hen­den Haus­hal­ten, das erhöh­te Migra­ti­ons­ge­sche­hen und die Fol­gen der Flucht, die Zunah­me an psy­chi­schen und

see­li­schen Erkran­kun­gen, den Anstieg der Kin­des­wohl­ge­fähr­dung, den Bevöl­ke­rungs­zu­wachs in Groß­städ­ten usw. zurück­zu­füh­ren ist.

 

Die­se gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen sind bun­des­weit zu ver­zeich­nen und erhö­hen die Nach­fra­ge nach sozi­al­päd­ago­gi­schen Fach­kräf­ten in der Jugend­hil­fe deut­lich. Der Anstieg der Beschäf­tig­ten­zah­len in der Jugend­hil­fe gibt die­se Ent­wick­lung gut wie­der. Laut Bun­des­amt für Sta­tis­tik ist die Zahl der Beschäf­tig­ten in der Kin­der- und Jugend­hil­fe (ohne Kin­der­ta­ges­be­treu­ung) im Jahr 2020 bun­des­weit erneut ange­stie­gen, näm­lich um 4,2 % gegen­über dem Jahr 2018. Fast jede drit­te Per­son des päd­ago­gi­schen und Ver­wal­tungs­per­so­nals war im Jahr 2020 in der Heim­erzie­hung tätig, gefolgt von der öffent­li­chen Jugend­hil­fe (zum Bei­spiel Ver­wal­tung und Jugend­äm­ter) und der offe­nen Jugend­ar­beit.

 

Des Wei­te­ren ver­schär­fen die fach­li­chen und struk­tu­rel­len Anpas­sungs­an­for­de­run­gen unter ande­rem im Zusam­men­hang mit der jüngs­ten Reform des Kin­der- und Jugend­hil­fe­ge­set­zes den Bedarf an sozi­al­päd­ago­gi­schen Fach­kräf­ten, zum Bei­spiel durch die hohe Bedeu­tung des Kin­der­schut­zes und den Schutz­auf­trag bei Kin­des­wohl­ge­fähr­dung, durch die wei­te­re Stär­kung von Kin­der­rech­ten und den Aus­bau von Par­ti­zi­pa­ti­on, Selbst­ver­tre­tung und Betei­li­gung jun­ger Men­schen, durch die inklu­si­ve Aus­ge­stal­tung der Kin­der- und Jugend­hil­fe usw.

 

Zudem befin­den sich die frei­en Trä­ger der Jugend­hil­fe in einem star­ken Wett­be­werb um die sozi­al­päd­ago­gi­schen Fach­kräf­te mit den Kin­der­ta­ges­stät­ten, der außer­schu­li­schen Kin­der­be­treu­ung, der Ein­glie­de­rungs­hil­fe usw. Die­se Arbeits­fel­der wach­sen aktu­ell eben­falls rasant und haben einen hohen Bedarf am Per­so­nal. 

 

Wir haben uns im Lan­des­ver­band in Gre­mi­en mit zahl­rei­chen Geschäfts­füh­run­gen der frei­en Trä­ger der Jugend­hil­fe gefragt, wie die Jugend­hil­fe in Ber­lin im Fort- und Wei­ter­bil­dungs­be­reich so gestärkt wer­den kann, dass sie den wach­sen­den fach­li­chen Anfor­de­run­gen stand­hal­ten und durch attrak­ti­ve Fort- und Wei­ter­bil­dungs­an­ge­bo­te im Wett­be­werb mit ande­ren sozi­al­päd­ago­gi­schen Arbeits­fel­dern mög­li­cher­wei­se gestärkt wer­den kann.

 

Wir wis­sen, dass die Haupt­al­ters­grup­pe der Beschäf­tig­ten in der Ber­li­ner Jugend­hil­fe bei­spiels­wei­se in den sta­tio­nä­ren Ein­rich­tun­gen eine eher jün­ge­re Per­so­nen­grup­pe mit mehr­jäh­ri­ger Berufs­er­fah­rung ist. Laut Amt für Sta­tis­tik Ber­lin-Bran­den­burg sind es im Jahr 2020 die 20–30-Jährigen (29,35 %), gefolgt von 30–40-Jährigen (27,74 %), 50–60-Jährigen (18,38 %) und 40–50-Jährigen (17,48 %).

Kom­pakt­kurs Jugend­hil­fe für Quereinsteiger:innen und sozi­al­päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te

Zer­ti­fi­kats­kurs

Wir möch­ten die­se Per­so­nen­grup­pe mit attrak­ti­ven, fami­li­en­freund­li­chen und berufs­be­glei­ten­den

Fort- und Wei­ter­bil­dungs­mo­del­len anspre­chen, um sie vom Arbeits­feld Jugend­hil­fe zu über­zeu­gen, beruf­li­che Ent­wick­lungs­we­ge auf­zu­zei­gen und mög­li­cher­wei­se auch einen beruf­li­chen Wech­sel inner­halb der unter­schied­li­chen sozi­al­päd­ago­gi­schen Arbeits­fel­der zu ermög­li­chen.

 

Dabei haben wir fest­ge­stellt, dass wir auf die­sem Gebiet aus unter­schied­li­chen Grün­den einen Nach­hol­be­darf haben. Es müs­sen mehr fle­xi­ble und berufs­be­glei­ten­de Wei­ter­bil­dungs­mo­del­le ent­wi­ckelt wer­den, die die gesetz­li­chen und fach­li­chen Inhal­te breit auf­stel­len und nicht nur theo­re­tisch, son­dern auch mit einem hohen Pra­xis­be­zug ver­mit­teln. Eine ziel­grup­pen­ad­äqua­te und lebens­welt­be­zo­ge­ne Orga­ni­sa­ti­on von Wei­ter­bil­dungs­for­ma­ten ist dabei ent­schei­dend. Auch die stär­ke­re Ein­be­zie­hung und Anspra­che von Quer­ein­stei­gen­den wird uns künf­tig immer mehr beschäf­ti­gen. 

 

In die­sem Jahr erprobt die Pari­tä­ti­sche Aka­de­mie Ber­lin ein inno­va­ti­ves, modu­lar auf­ge­bau­tes Wei­ter­bil­dungs­an­ge­bot, wel­ches den aktu­el­len Anpas­sungs­an­for­de­run­gen in der Jugend­hil­fe weit­rei­chend Rech­nung trägt. Die­ses Ange­bot wur­de in Zusam­men­ar­beit mit dem Pari­tä­ti­schen LV Ber­lin, der Ein­rich­tungs­auf­sicht der Senats­ver­wal­tung, Bil­dung, Jugend und Fami­lie sowie der Uni­ver­si­tät für Wei­ter­bil­dung Krems ent­wi­ckelt.

 

Der neue Kom­pakt- und Zer­ti­fi­kats­kurs Jugend­hil­fe erhöht die Mobi­li­tät der sozi­al­päd­ago­gi­schen Fach­kräf­te in der Jugend­hil­fe, indem er breit ange­leg­te Fel­der abdeckt, wie zum Bei­spiel Hil­fen zur Erzie­hung, Jugend­so­zi­al­ar­beit, Fami­li­en­för­de­rung, Jugend­be­rufs­hil­fe. Nach Vor­ab­spra­che mit der Ein­rich­tungs­auf­sicht kann bei Quer­ein­stei­gen­den aus Ber­lin der erfolg­rei­che Kurs­ab­schluss und/oder je nach indi­vi­du­el­lem Qua­li­fi­ka­ti­ons­be­darf die erfolg­rei­che Teil­nah­me an aus­ge­wähl­ten Kurs­mo­du­len auf den Fach­kräf­te­schlüs­sel ange­rech­net wer­den.

 

Das Allein­stel­lungs­merk­mal die­ses Ange­bo­tes ist der hohe Pra­xis­trans­fer. Der Kom­pakt- und Zer­ti­fi­kats­kurs wird von vie­len erfah­re­nen Füh­rungs- und Lei­tungs­kräf­ten aus den pari­tä­ti­schen Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen und

Dozie­ren­den mit lang­jäh­ri­ger Exper­ti­se und ent­spre­chen­dem Renom­mee im SGB VIII-Feld aktiv mit­ge­stal­tet. Damit möch­ten wir sicher­stel­len, dass die Inhal­te die­ses Zer­ti­fi­kats­kur­ses stets aktu­ell blei­ben.

 

Die Ent­wick­lung die­ses neu­en Wei­ter­bil­dungs­an­ge­bo­tes geht auf die her­aus­ra­gen­de Zusam­men­ar­beit aller Betei­lig­ten zurück, die sich in den Inhal­ten deut­lich erken­nen lässt. Wir sind sehr gespannt auf die Rück­mel­dun­gen aus dem ers­ten Durch­gang und sind bei der Imple­men­tie­rung und Erwei­te­rung der Grup­pe von Fort­bil­dungs­in­ter­es­sier­ten offen. Denk­bar sind zum Bei­spiel Anpas­sungs­wei­ter­bil­dun­gen für (sozial-)pädagogisch qua­li­fi­zier­te Geflüch­te­te.

 

Wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen über den Kom­pakt- und Zer­ti­fi­kats­kurs Jugend­hil­fe fin­den Sie auf der Inter­net­sei­te des Pari­tä­ti­schen Jugend­hil­fe­fo­rums: www.paritaetisches-jugendhilfeforum.de

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Maga­zin

Mai 2022 | Manage­ment

Jut­ta Over­mann und Chris­ta Jan­ßen unter­rich­ten mit Schwer­punkt Entre­pre­neur­ship im Mas­ter Sozi­al­ma­nage­ment an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin. Im Inter­view spre­chen sie über die stei­gen­de

Rele­vanz des The­mas und den Weg von der ers­ten Grün­dungs­idee bis zur Umset­zung.

Wo und in wel­cher Posi­ti­on arbei­ten Sie der­zeit, wenn Sie nicht gera­de bei uns an der Aka­de­mie unter­rich­ten?

Jan­ßen: Ich bin als Gast­do­zen­tin im Bereich Grün­der­leh­re an der Ber­li­ner Hoch­schu­le für Tech­nik (BHT) tätig.

Over­mann: So wie mei­ne Kol­le­gin bin auch ich der­zeit an einer Hoch­schu­le aktiv. Aktu­ell bin ich wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin im Pro­jekt ASHEXIST an der Ali­ce-Salo­mon-Hoch­schu­le, bei dem wir den Gründer:innengeist wecken und stär­ken wol­len. Zudem arbei­te ich als Bera­te­rin im Grün­dungs­be­reich.

Was ist Ihre Moti­va­ti­on zusätz­lich als Dozen­tin­nen im Stu­di­en­gang Sozi­al­ma­nage­ment tätig zu sein?

Jan­ßen: Social Entre­pre­neur­ship war mir schon immer ein beson­de­res Anlie­gen. Der Aus­tausch und die kri­ti­schen Fra­gen und Anmer­kung der Stu­die­ren­den sind mir sehr wich­tig.

Over­mann: Ich glau­be auch hier haben wir bei­de etwas gemein­sam: sozia­le Ver­ant­wor­tung mit unter­neh­me­ri­schem Den­ken zu ver­bin­den, hat mich schon lan­ge sehr inter­es­siert. Sol­che The­men las­sen sich in die­sem Stu­di­en­gang wun­der­bar auf­grei­fen und mit den Stu­die­ren­den dis­ku­tie­ren.

Unser Mas­ter Sozi­al­ma­nage­ment rich­tet sich an Men­schen mit Berufs­er­fah­rung, die sich noch wei­ter­ent­wi­ckeln und per­spek­ti­visch auch Füh­rungs­ver­ant­wor­tung über­neh­men möch­ten. Wel­chen Ein­fluss hat das Stu­di­um auf die beruf­li­che Ent­wick­lung der Stu­die­ren­den?

Over­mann: Aus den Gesprä­chen mit den Stu­die­ren­den habe ich mit­ge­nom­men, dass es bei vie­len eine Moti­va­ti­on war, neue beruf­li­che Her­aus­for­de­run­gen zu suchen und auch Füh­rungs­ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Da bie­ten die Manage­ment­the­men in die­sem Stu­di­en­gang vie­le wich­ti­ge Aspek­te und Inhal­te, die sie dann für den nächs­ten beruf­li­chen Ent­wick­lungs­schritt direkt nut­zen kön­nen. Zudem berich­ten die Stu­die­ren­den aus ihrer Berufs­pra­xis, dass die Anfor­de­run­gen und Auf­ga­ben immer kom­ple­xer wer­den und BWL-Wis­sen, Kos­ten­rech­nung, Finan­zen aber auch Füh­rungs­the­men immer mehr an Bedeu­tung gewin­nen.

Jan­ßen: Nach mei­nen Beob­ach­tun­gen kann ich das nur bestä­ti­gen. Nicht sel­ten wird der nächs­te Kar­rie­re­schritt schon wäh­rend des Stu­di­ums gemacht. Die ein­zel­nen Modu­le des Stu­di­en­gangs sind eine sehr gute und

umfas­sen­de Vor­be­rei­tung auf anspruchs­vol­le Fach- und Füh­rungs­auf­ga­ben.

Der Stu­di­en­gang ist bei uns als Fern­stu­di­um mit Prä­senz­wo­chen in Ber­lin auf­ge­baut. Wel­che Vor­tei­le sehen Sie in die­sem Modell und viel­leicht im berufs­be­glei­ten­den Stu­die­ren all­ge­mein?

Over­mann: Ich bin immer wie­der beein­druckt, wie Stu­die­ren­de beruf­li­che Anfor­de­run­gen, fami­liä­re Auf­ga­ben und das Stu­di­um mit­ein­an­der ver­ein­ba­ren. Aller­dings schaf­fen sie das oft nur, da sie durch die­ses Modell eine zeit­li­che Fle­xi­bi­li­tät haben und die Prä­senz­wo­chen als Block statt­fin­den. Von Teil­neh­men­den, die nicht aus Ber­lin kom­men, hören wir oft, wie toll die Zeit in Ber­lin ist. Hier ler­nen sich die Grup­pen noch bes­ser ken­nen und nut­zen natür­lich auch gern die Ange­bo­te der Stadt.

Jan­ßen: Ler­nen soll neue Per­spek­ti­ven eröff­nen. In einer inspi­rie­ren­den Stadt wie Ber­lin lässt sich das beruf­li­che Netz­werk in den Prä­senz­zei­ten gut erwei­tern. Auch der Erfah­rungs­aus­tausch ist leich­ter mög­lich als bei einem rei­nen Fern­stu­di­um.

Sozi­al­ma­nage­ment, Mas­ter of Arts

Berufs­be­glei­ten­der Stu­di­en­gang in Koope­ra­ti­on mit der Ali­ce Salo­mon Hoch­schu­le Ber­lin

Start: 16. Okto­ber 2023

Sie sind bei­de Teil eines grö­ße­ren Teams von Dozie­ren­den. Wel­chen The­men­schwer­punkt leh­ren Sie bei uns?

Jan­ßen: Mein Her­zens­the­ma ist Entre­pre­neur­ship – und das auch schon, als die­se The­ma­tik in der Sozi­al­wirt­schaft eher ver­pönt war. In den letz­ten Semes­tern ist dann das wis­sen­schaft­li­che Arbei­ten dazu­ge­kom­men.

Over­mann: Mein Fokus liegt auf dem The­ma „Grün­den im sozia­len Bereich“ und das ver­ste­he ich tat­säch­lich sehr umfas­send. Da kön­nen Social Start-Ups dabei sein, aber auch klas­si­sche Grün­dun­gen wie die Arbeit als Berufsbetreuer:in oder eine Selb­stän­dig­keit im päd­ago­gi­schen Bereich. Dabei schaue ich mir den Markt für sol­che

Ange­bo­te gern genau­er an und wie sich aus einer ers­ten Idee, dann tat­säch­lich eine Geschäfts­idee ent­wi­ckelt.

Ist das The­ma Entre­pre­neur­ship aktu­ell für die Sozi­al­wirt­schaft beson­ders rele­vant? Wenn ja, war­um?

Jan­ßen: Auf Tagun­gen und Kon­fe­ren­zen bemer­ke ich ein gro­ßes Inter­es­se von Sei­ten der gro­ßen Play­er im Markt und zugleich beob­ach­te ich vie­le Grün­dungs­ab­sich­ten von neu­en Markt­teil­neh­mern.

Over­mann: Das The­ma gewinnt auf jeden Fall an Bedeu­tung. Das erle­be ich auch in mei­ner Tätig­keit als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin. Wir haben an einem Bar­camp zum The­ma „Social Entre­pre­neur­ship macht Hoch­schu­le“ aktiv teil­ge­nom­men, bei dem vie­le Hoch­schu­len und Orga­ni­sa­tio­nen betei­ligt waren. In Ber­lin gibt es aktu­ell das Pro­jekt Social Eco­no­my Ber­lin, bei dem Initia­ti­ven und sozia­le Unter­neh­men kos­ten­freie Bera­tun­gen in Anspruch neh­men kön­nen.

Haben Sie bereits Erfah­run­gen mit Unter­neh­mens­grün­dun­gen durch Absolvent:innen gemacht?

Over­mann: Tat­säch­lich hat­te ich schon eini­ge Mas­ter­ar­bei­ten zu betreu­en, in denen Busi­ness­plä­ne erstellt wur­den. Dabei waren oft­mals die Grün­dun­gen für einen spä­te­ren Zeit­punkt geplant. Als Bera­te­rin war ich dann in die Umset­zungs­pha­se nicht mehr invol­viert. Das kann jetzt anders sein, da wir wei­ter­füh­ren­de Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te im Rah­men des ASHEXIST-Pro­jek­tes anbie­ten. Ins­be­son­de­re für grün­dungs­in­ter­es­sier­te Stu­die­ren­de aus Ber­lin kann das inter­es­sant sein, da wir im Juni 2022 unser Gründer*innenzentrum eröff­nen. Ergän­zend bie­ten wir aber auch vie­le inter­es­san­te Ver­an­stal­tun­gen online an. (Mehr dazu fin­det man hier.)

Gibt es dabei beson­de­re Kom­pe­ten­zen, die beson­ders wich­tig sind?

Jan­ßen: Jede Grün­dung ist anders, aber Ent­schlos­sen­heit Ent­schei­dungs­stär­ke und Freu­de am Netz­wer­ken sind ein guter Aus­gangs­punkt. Bei grö­ße­ren, kom­ple­xen Vor­ha­ben soll­te auf eine gute Team­zu­sam­men­stel­lung geach­tet wer­den, bei der unter­schied­li­che Kennt­nis­se und Stär­ken kom­bi­niert wer­den.

Over­mann: Gera­de der Team­ge­dan­ke spielt eine wich­ti­ge Rol­le. Die Her­aus­for­de­run­gen bei Grün­dungs­vor­ha­ben sind oft­mals so kom­plex, dass eine Per­son allein das gar nicht bewäl­ti­gen kann. Daher ist es sehr hilf­reich, wenn man sei­ne eige­nen Stär­ken kennt und bereit ist, sich Unter­stüt­zung zu holen, wenn die­se benö­tigt wird.

Eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung ist sicher­lich der Weg von der ers­ten Grün­dungs­idee zur tat­säch­li­chen Umset­zung. Wie kann die­ser wich­ti­ge ers­te Schritt gelin­gen?

Jan­ßen: Es emp­fiehlt sich nach Grün­dungs­un­ter­stüt­zung Aus­schau zu hal­ten. Es gibt tat­säch­lich viel­fäl­ti­gen Rat und Coa­ching für Grün­dung all­ge­mein aber auch spe­zi­ell für Grün­dun­gen im sozia­len Bereich.

Over­mann: Bevor man sich nach der För­de­rung umschaut, macht es sicher Sinn, sich den Markt und die Akteur:innen anzu­schau­en. Wer bie­tet schon etwas Ver­gleich­ba­res an?

Sie bei­de betreu­en oft­mals Mas­ter­ar­bei­ten – Wie beur­tei­len Sie die Mög­lich­keit, die Mas­ter­ar­beit als Vor­ar­beit für eine Grün­dung zum Bei­spiel als Busi­ness­plan zu nut­zen?

Jan­ßen: Das ist in der Tat eine gute Mög­lich­keit, sich auf eine Grün­dung vor­zu­be­rei­ten, indem man aus­ge­wähl­te Aspek­te im Rah­men einer Mas­ter­the­sis ver­tie­fend bear­bei­tet.

 

Over­mann: Aus mei­ner Sicht lässt sich in einer Mas­ter­ar­beit ein The­ma inten­siv bear­bei­ten, dabei wer­den theo­re­ti­sche Hin­ter­grün­de aus­ge­führt und die Rele­vanz für die Pra­xis wird erläu­tert. Ein Grün­dungs­vor­ha­ben

kann als prak­ti­sches Umset­zungs­bei­spiel in Form eines Busi­ness­plans beschrie­ben wer­den. So konn­te ich als Teil einer Mas­ter­ar­beit bei­spiels­wei­se die Grün­dung einer Pfle­ge­ein­rich­tung oder die eines Trä­gers begut­ach­ten.

Wel­che Rol­le spielt Nach­hal­tig­keit bei einer Neu­grün­dung in der Sozi­al­wirt­schaft heut­zu­ta­ge?

Over­mann: Aus der Per­spek­ti­ve von Stu­die­ren­den höre ich ver­stärkt, dass ihnen Nach­hal­tig­keit und sinn­stif­ten­des Arbei­ten wich­tig sind. Bei Grün­dungs- und Pro­jekt­ideen sol­len dann auch ent­spre­chen­de Kri­te­ri­en berück­sich­tigt wer­den und res­sour­cen­scho­nen­de Ange­bo­te, wie­der­ver­wend­ba­re Arbeits­ma­te­ria­li­en oder der Ein­satz von Recy­cling­ma­te­ri­al rea­li­siert wer­den.

Vie­len Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch führ­te Johan­na Brö­mer, Bil­dungs­re­fe­ren­tin an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin

AUCH INTERESSANT

Maga­zin

Mai 2022 | Manage­ment

Absol­ven­tin Julia Güns­ter über das Mas­ter­stu­di­um Sozi­al­ma­nage­ment an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin und ihren Weg von der Pri­vat­wirt­schaft über die Jugend­hil­fe zum eige­nen Sozi­al­un­ter­neh­men

Frau Güns­ter, mit ihrem Sozi­al­un­ter­neh­men Thumbs and Hearts för­dern Sie die digi­ta­le Medi­en­kom­pe­tenz Jugend­li­cher. Was genau bie­ten Sie an?

Wir bie­ten The­men-Work­shops rund um digi­ta­le Medi­en­kom­pe­tenz für Jugend­li­che und für päd­ago­gi­sche Fach­kräf­te an. Dar­in geht es um Wer­bung und Influencer:innen, um Fake News und Recher­che, um Selbst­dar­stel­lung und Selbst­wahr­neh­mung und um Tole­ranz und Viel­falt in Social Media. Unser Ziel ist, Jugend­li­che zu befä­hi­gen, ein Bewusst­sein für die kon­su­mier­ten Inhal­te zu ent­wi­ckeln, sie ein­zu­ord­nen und zu hin­ter­fra­gen.

Wie kamen Sie auf die Idee?

Mit Thumbs and Hearts möch­te ich das Wis­sen aus meh­re­ren Bran­chen ver­bin­den. Ich bin ursprüng­lich PR-Bera­te­rin und habe selbst Social Media Kam­pa­gnen für Unter­neh­men geplant und umge­setzt. Die Idee zu Thumbs and Hearts ent­stand gemein­sam mit einer ehe­ma­li­gen Kol­le­gin. Jugend­li­che sind meh­re­re Stun­den täg­lich in Social-Media-Netz­wer­ken unter­wegs, die in ers­ter Linie wirt­schaft­li­che Inter­es­sen ver­fol­gen. Hin­zu kommt die wach­sen­de Bedeu­tung der Crea­tor Eco­no­my. Die Wer­be­bot­schaf­ten der Influencer:innen sind zum Teil geschickt ver­packt, die Kenn­zeich­nungs­pflicht nicht ein­deu­tig gere­gelt. Uns ist es ein Anlie­gen, die digi­ta­le Medi­en­kom­pe­tenz der Jugend­li­chen so zu stär­ken, dass sie sou­ve­rän Influen­cer-Con­tent, Wer­bung, PR und Mei­nun­gen ein­ord­nen kön­nen, Fak­ten von Fake News unter­schei­den, und ein Bewusst­sein ent­wi­ckeln für den Ein­fluss vom Algo­rith­mus der Netz­wer­ke und ihrer Fil­ter-Bubble.

Ihr beruf­li­cher Weg führt von der Pri­vat­wirt­schaft über die Jugend­hil­fe zum eige­nen Sozi­al­un­ter­neh­men. Inwie­fern hat das Mas­ter­stu­di­um Sozi­al­wirt­schaft Ihre Berufs­lauf­bahn beein­flusst?

Als Quer­ein­stei­ge­rin in der Sozi­al­wirt­schaft woll­te ich das Stu­di­um nut­zen, um mich in der Bran­che zu pro­fes­sio­na­li­sie­ren. Neben dem Beruf zu stu­die­ren ist her­aus­for­dernd, für mich war es aber auch unglaub­lich

empowernd und hat mich moti­viert, mich in der Sozi­al­wirt­schaft wei­ter­zu­ent­wi­ckeln.

Wie konn­ten Sie die Inhal­te des Stu­di­ums in Ihre Berufs­pra­xis ein­brin­gen?

Ich habe damals als New­bie in der Bran­che bei einem Jugend­hil­fe­trä­ger mit vie­len unter­schied­li­chen Ange­bo­ten und Ein­rich­tun­gen gear­bei­tet. Das Stu­di­um hat mir viel Hin­ter­grund­wis­sen ver­mit­telt, um die wirt­schaft­li­chen Zusam­men­hän­ge bes­ser zu ver­ste­hen: wie sieht die­ser Markt in Deutsch­land eigent­lich aus, wie funk­tio­niert er und wel­che unter­schied­li­chen Finan­zie­rungs­mo­del­le gibt es? In mei­nem Job danach als Pro­jekt­ma­na­ge­rin für ein

För­der­pro­gramm des Bun­des war das Wis­sen um Zusam­men­hän­ge neben der Kennt­nis der Pra­xis eben­falls ent­schei­dend, um unter­schied­li­che För­der­vor­ha­ben gezielt zu bera­ten. Bei der Grün­dung mei­nes eige­nen Sozi­al­un­ter­neh­mens hat mir vor allem das Vor­wis­sen zu recht­li­chen und steu­er­li­chen Aspek­ten enorm gehol­fen. Und vie­le ganz kon­kre­te Stu­di­en­in­hal­te von Rech­nungs­we­sen bis Unter­neh­mens­stra­te­gie spie­len aktu­ell eine gro­ße Rol­le in mei­nem Arbeits­all­tag.

Gibt es für Sie ein per­sön­li­ches High­light aus Ihrer Stu­di­en­zeit?

Das High­light des Stu­di­ums war für mich unse­re tol­le Stu­di­en­grup­pe! Wir sind sehr zusam­men­ge­wach­sen, vor allem durch die Prä­senz­wo­chen. Durch mei­ne Kommiliton:innen habe ich vie­le Insights aus unter­schied­lichs­ten Bran­chen der Sozi­al­wirt­schaft erhal­ten. Das war unglaub­lich berei­chernd. 

Von den Ver­an­stal­tun­gen beson­ders in Erin­ne­rung geblie­ben ist mir das Rhe­to­rik­se­mi­nar bei Pater Tho­mas. Ich hat­te im Lau­fe mei­ner Berufs­lauf­bahn schon meh­re­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Work­shops besucht, aber so inten­siv, so ehr­lich, so cha­ris­ma­tisch wur­de mir das The­ma davor nie ver­mit­telt.

Haben Sie noch Kon­takt zu Ihren Kommiliton:innen?

Ja, wir sind noch in Kon­takt. Ich hof­fe, dass wir es schaf­fen, bald wie­der ein Reuni­on-Grup­pen­tref­fen zu machen, das war seit Pan­de­mie­be­ginn etwas schwie­rig. Ich habe mich wäh­rend mei­ner Grün­dung mit einem Kom­mi­li­to­nen aus­ge­tauscht, der Erfah­rung mit der Aus­grün­dung einer gemein­nüt­zi­gen GmbH hat und mir wert­vol­le Tipps geben konn­te.

Vie­len Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch führ­te Johan­na Brö­mer, Bil­dungs­re­fe­ren­tin an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin

Mehr Infos zur Thumbs and Hearts gGmbH fin­den sie unter www.thumbsandhearts.com

Sozi­al­ma­nage­ment, Mas­ter of Arts

Berufs­be­glei­ten­der Stu­di­en­gang in Koope­ra­ti­on mit der Ali­ce Salo­mon Hoch­schu­le Ber­lin

Start: 10. Okto­ber 2022

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Maga­zin

Mai 2022 | Manage­ment

Ein Inter­view mit unse­ren Dozie­ren­den Dr. Ute Schü­rings und Ele­na Schmitz

Im letz­ten Jahr haben wir gemein­sam mit Ele­na Schmitz und Dr. Ute Schü­rings den Zer­ti­fi­kats­kurs Par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung: 4 Kern­kom­pe­ten­zen, um Ver­än­de­rungs­fä­hig­keit in Teams zu ver­an­kern ent­wi­ckelt und sehr erfolg­reich mit den ers­ten bei­den Grup­pen durch­ge­führt. Trotz COVID-19 und sehr viel Belas­tung in allen Berei­chen der Sozia­len Arbeit kamen Lei­tungs- und Füh­rungs­kräf­te gera­de auch aus KiTa- oder HzE-Ein­rich­tun­gen, um ihre

Füh­rungs­kom­pe­ten­zen zu reflek­tie­ren und wei­ter zu ent­wi­ckeln. Wir haben uns mit den bei­den dar­über unter­hal­ten, was Par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung kann – oder auch nicht kann, und war­um es sinn­voll ist, sich damit zu beschäf­ti­gen.

Frau Schmitz und Frau Schü­rings, wie wür­den Sie in Ihren eige­nen Wor­ten Ihre Schwer­punk­te in Ihrer Tätig­keit beschrei­ben?

Schmitz: Ich arbei­te seit eini­gen Jah­ren viel mit Design Thin­king und mit Grup­pen im Trai­nings- und Coa­ching­be­reich. Mei­ne Leit­fra­ge dabei ist, wie man gemein­sam neue Din­ge auf den Weg brin­gen kann, Raum für

Krea­ti­vi­tät zu geben, sie sicht­bar und frucht­bar zu machen, gera­de auch mit dem Schwer­punkt auf co-krea­ti­vem Arbei­ten. Über die­sen Weg bin ich dann letz­ten Endes auch zu Team­ent­wick­lung und zur par­ti­zi­pa­ti­ven Füh­rung gekom­men. Denn es hat sich immer mehr her­aus­kris­tal­li­siert, dass die Teams nicht nur mit der Metho­de arbei­ten wol­len, son­dern das auch als Arbeits­kul­tur ver­an­kern wol­len und sich die Fra­ge stel­len, wie sie mit vie­len Per­spek­ti­ven co-krea­tiv auf Augen­hö­he arbei­ten kön­nen und wel­che Ansät­ze es dafür gibt. So haben wir uns dann ange­se­hen, wel­che Fähig­kei­ten es dafür braucht und wel­cher Pro­zess für ein Team ent­steht, um an die­ses Ziel zu gelan­gen. So bin ich zusam­men mit Frau Schü­rings in eine sehr gute co-krea­ti­ve Zusam­men­ar­beit gekom­men, um neue For­ma­te zu ent­wi­ckeln.

Schü­rings: Ich bin vor 12 Jah­ren als Trai­ne­rin mit Schwer­punkt inter­kul­tu­rel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on gestar­tet. Hier lag mein Schwer­punkt dar­auf, mit unter­schied­li­chen Wer­ten gut zurecht­zu­kom­men und eine Akzep­tanz für die­se Diver­si­tät zu ent­wi­ckeln. So bin ich immer mehr mit den damit ver­bun­de­nen Füh­rungs­the­men in Kon­takt gekom­men. Im Grun­de macht es kei­nen so gro­ßen Unter­schied, ob es ver­schie­de­ne Wer­te gibt, oder ob die Per­so­nen in ver­schie­de­nen Kul­tu­ren oder Län­dern leben. In jedem Team herrscht eine Diver­si­tät vor. Es geht nicht immer z.B. um Spra­chen und Kul­tu­ren, son­dern gene­rell dar­um, wie ande­re ticken und wie man die­se Diver­si­tät nutz­bar machen kann – und auch als etwas Berei­chern­des und Gutes emp­fin­den kann. So bin ich zum The­ma par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung gekom­men und habe zusam­men mit Frau Schmitz inzwi­schen meh­re­re For­ma­te ent­wi­ckelt.

Was sind so ihre Aha-Momen­te in der Arbeit mit Grup­pen?

Schü­rings: Was mich immer sehr begeis­tert ist, wenn ich ein­la­den kann zu mehr Ver­ste­hen und dadurch zu mehr Freu­de. In dem Moment, in dem man die Wer­te des ande­ren ver­steht, kann man schau­en, wel­che Hand­lung damit

ver­bun­den ist und auch bei Pro­ble­men neue Wege fin­den. Man merkt, vor­her eckt das ein biss­chen an, und dann kann man sich ent­span­nen, weil man ein­an­der bes­ser begreift und neue Lösun­gen und neue Wege fin­det.

Schmitz: Wir arbei­ten in Trai­nings viel mit dem Thin­king Envi­ron­ment von Nan­cy Klein. Wir nut­zen das sehr ger­ne, um neue Mee­ting­for­ma­te und krea­ti­ve For­ma­te in Teams zu schaf­fen. Da geht es dar­um, dass jeder etwas bei­tra­gen kann. Mit die­ser Hal­tung zu arbei­ten und dafür ein kon­kre­tes For­mat zu haben, mit dem man das aus­pro­bie­ren kann, ist sehr hilf­reich. Natür­lich stel­len sich die Teilnehmer:innen oft die Fra­ge: „Wie kann ich es denn gestal­ten, dass alle bei­tra­gen kön­nen? Die einen reden zu viel, die ande­ren reden zu wenig. Wir krie­gen gar nicht alle rich­tig gut ein­ge­bun­den.“ Wenn wir dann das Thin­king Envi­ron­ment erklä­ren, kommt ganz oft der Aha-Effekt: „Wir haben das aus­pro­biert und es hat total toll funk­tio­niert, es war eine ganz ande­re Stim­mung, es ist ganz viel raus­ge­kom­men am Ende von die­sem Mee­ting und alle waren dabei.“

War­um haben Sie das The­ma par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung auf­ge­grif­fen?

Schmitz: Ein­mal glau­be ich, weil es ein­fach wahn­sin­nig in der Luft liegt. Wir mer­ken, dass es ein ganz gro­ßes Bedürf­nis danach gibt, Arbeit anders zu orga­ni­sie­ren. Wir bekom­men oft gespie­gelt, dass man weg­kom­men muss davon, dass die Füh­rungs­kraft die gan­ze Ver­ant­wor­tung über­nimmt und dadurch auch alles regeln und über­prü­fen muss. Da ist ein gro­ßer Wunsch, Auf­ga­ben anders zu ver­tei­len, und zu über­le­gen, wie sich Leu­te bes­ser ein­brin­gen kön­nen. Wie kann es mehr Teil­ha­be geben, wie kann es auch gelin­gen, dass Mit­ar­bei­ten­de im Team selbst mehr die Ver­ant­wor­tung für sich über­neh­men? Also sich zum Bei­spiel selbst Regeln geben, dann aber auch dar­auf ach­ten, dass die­se Regeln wirk­lich gelebt wer­den, und dass nicht wie­der alles bei der Füh­rungs­kraft hängt. Gleich­zei­tig ist heut­zu­ta­ge eine ganz ande­re Schnel­lig­keit da, eine ande­re Fle­xi­bi­li­tät ist gefor­dert, das geht mit hier­ar­chi­schen oder star­ren Füh­rungs­sti­len nicht mehr so gut.

Schü­rings: Dahin­zu­ge­lan­gen und die­sen Ver­än­de­rungs­weg zu gehen, ist natür­lich auch immer ein Pro­zess. Aber wenn es gelingt, und nach und nach solch eine par­ti­zi­pa­ti­ve Kul­tur ent­steht, ist es zum einen ein viel ziel­füh­ren­de­res und freu­di­ge­res Arbei­ten. Damit ein­her geht aber auch, dass eine ande­re Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kul­tur ein­ge­führt wird, in der anders über Bedürf­nis­se und über Pro­ble­me gespro­chen wer­den kann. Damit man gut mit­ein­an­der im Gespräch ist, üben wir zum Bei­spiel im Kurs, wie man die eige­nen Bedürf­nis­se, Ideen, Ansät­ze äußert, und auch Kri­tik kom­mu­ni­ziert. Wenn sich alle ein­brin­gen, und wenn man ein­an­der regel­mä­ßig Feed­back gibt, muss man ler­nen, auch schwie­ri­ge Din­ge besprech­bar zu machen. Es ist gar nicht so leicht, sich das zu trau­en, und dafür einen guten Ton zu fin­den.

Zudem glau­be ich, dass es auch gesamt­ge­sell­schaft­lich hilf­reich sein wird, wenn wir einen sol­chen Umgang mehr in der Arbeits­welt eta­blie­ren. Uns ist es wich­tig, eine grö­ße­re Sen­si­bi­li­tät zu ver­mit­teln, die letzt­lich die Zusam­men­ar­beit erleich­tert und ange­neh­mer macht. Im Grun­de muss der gan­ze Mensch am Arbeits­platz will­kom­men sein. Dann kann es gelin­gen, ein viel grö­ße­res Poten­zi­al anzu­boh­ren. Wenn jeder erst­mal so okay ist, wie er oder sie ist, kann man in einem nächs­ten Schritt gemein­sam dar­über spre­chen, wo viel­leicht noch Lern­be­darf ist oder etwas ver­bes­sert wer­den könn­te.

Par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung: 4 Kern­kom­pe­ten­zen, um Ver­än­de­rungs­fä­hig­keit in Teams zu ver­an­kern

Zer­ti­fi­kats­kurs mit Ele­na Schmitz und Dr. Ute Schü­rings

Start: 21. März 2024

Wir haben noch wei­te­re Ange­bo­te rund um das The­ma Agi­li­tät und Neu­es Arbei­ten im Pro­gramm

Eine Über­sicht fin­den Sie hier:

War­um ist es in Ihren Augen jetzt beson­ders wich­tig, sich mit par­ti­zi­pa­ti­ver Füh­rung, also mit einer Füh­rung, die die Mit­ar­bei­ten­den auf Augen­hö­he ein­bin­det, aus­ein­an­der­zu­setz­ten? Was sehen Sie in der Ent­wick­lung der Arbeits­welt am Hori­zont?

Schü­rings: Durch par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung kön­nen belast­ba­re und sta­bi­le Bezie­hun­gen in der Arbeits­welt ent­ste­hen. Denn gera­de für Teams ist es ja ein gro­ßes Pro­blem, wenn sehr häu­fi­ge Wech­sel bei den Kolleg:innen statt­fin­den. Außer­dem wird das Leben immer schnel­ler. Daher ist es wich­tig, die Arbeits­welt so zu gestal­ten, dass Ver­trau­en und Bezie­hun­gen ent­ste­hen kön­nen, die ein gutes Zusam­men­ar­bei­ten erlau­ben, so dass in der Zusam­men­ar­beit genau

die Sta­bi­li­tät ent­steht, die in den Anfor­de­run­gen der Außen­welt oft fehlt. 

Schmitz: Unse­re Gesell­schaft wird immer hete­ro­ge­ner. Wir haben ganz unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven auf Din­ge, auch teil­wei­se kon­trä­re Per­spek­ti­ven. Es liegt eine gro­ße Chan­ce dar­in, die­se ein­zu­bin­den und Sachen anders zu machen, als wir sie die letz­ten 20 Jah­re gemacht haben. Gera­de auch in einer sehr „deut­schen Kul­tur“ oder einer sehr ein­sei­ti­gen Kul­tur, in einer sehr männ­li­chen Kul­tur, je nach­dem wie man hin­guckt. Der Ansatz der par­ti­zi­pa­ti­ven Füh­rung bie­tet viel mehr Schnitt­stel­len, die­se Diver­si­tät und Hete­ro­ge­ni­tät ein­zu­bin­den und nutz­bar zu machen, und dadurch neue Lösungs­mög­lich­kei­ten zu fin­den, Men­schen mit­ein­an­der in Kon­takt zu brin­gen. Dar­in liegt ein rie­si­ges Poten­zi­al. Aber es ist auch eine Hal­tung, die erst­mal gelernt wer­den muss, damit nicht gleich Angst ent­steht oder sich Men­schen ange­grif­fen füh­len. Ein par­ti­zi­pa­ti­ver Füh­rungs­stil ist ein guter Weg, das in der Arbeits­welt zu gestal­ten.

War­um soll­ten aus Ihrer Sicht Lei­tungs- und Füh­rungs­kräf­te die­sen Kurs besu­chen? Und wel­che Kom­pe­ten­zen ler­nen sie dann?

Schmitz: Wir beschäf­ti­gen uns im Kurs mit Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen und schau­en: Was pas­siert eigent­lich in Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen? Was blo­ckiert, was för­dert Ver­än­de­rung? Wie kann man alle gut mit­neh­men? Ob man will oder nicht, das ist ein The­ma, das stän­dig da ist. Das ver­mit­telt unser Kurs sehr deut­lich auf ver­schie­de­nen Ebe­nen und schafft dabei gleich­zei­tig einen Raum, sich selbst zu reflek­tie­ren als Füh­rungs­kraft. In unse­rer Fort­bil­dung kön­nen wir über einen län­ge­ren Zeit­raum schau­en, wo die eige­nen Knack­punk­te sind, was gut funk­tio­niert und was der eige­ne Weg ist, Ver­än­de­rung zu gestal­ten. Es gibt nicht die­sen einen Stan­dard­weg mit einem Metho­den­kof­fer, par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung ein­zu­füh­ren. Der Weg ist abhän­gig von der Orga­ni­sa­ti­on und vom Team, und auch von der Füh­rungs­kraft.

Schü­rings: Was wir auch immer fest­stel­len ist, dass der Aus­tausch unter­ein­an­der sehr geschätzt wird. Der Kurs ist eine Mischung aus Input, den wir geben, und aus kon­kre­ten Übun­gen und Metho­den, die man sofort anwen­den kann. Es ent­steht ein Raum, den man mit ande­ren teilt, die ganz ähn­li­che Pro­ble­ma­ti­ken und Fra­gen haben.

Wür­den Sie einen Zeit­punkt emp­feh­len, zu wann eine Füh­rungs­kraft oder Lei­tungs­kraft die­sen Kurs besu­chen soll­te? Ist es egal, ob die Per­son nur von sich aus dran Inter­es­se hät­te, und sich die Orga­ni­sa­ti­on noch gar nicht so rich­tig damit aus­ein­an­der­ge­setzt hat, ob Agi­li­tät, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on oder Par­ti­zi­pa­ti­on inter­es­sant wäre? Oder wür­den Sie emp­feh­len, es ist immer bes­ser, wenn schon gesamt­or­ga­ni­sa­tio­nal oder

struk­tu­rell Ent­schei­dun­gen in die­se Rich­tung getrof­fen wur­den?

Schü­rings: Bei­des ist gut. Zu jedem Zeit­punkt kön­nen Teil­neh­men­de etwas mit­neh­men oder auch selbst eige­ne Ideen und Gedan­ken ent­wi­ckeln, die sie wie­der in ihre Orga­ni­sa­ti­on tra­gen. Der Moment, wo ich als Füh­rungs­kraft den­ke, da wür­de ich aber ger­ne mal mehr drü­ber wis­sen, ist ein guter Moment. Wir pro­bie­ren zudem immer, die­se Tage auch für aktu­ell bren­nen­de The­men frucht­bar zu machen, so dass ein Work­shop­tag auch der eige­nen Reflek­ti­on dient. Oft sagen die Teil­neh­men­den, sie hät­ten gera­de ziem­li­chen Stress, aber es hät­te ihnen genau das gut getan – sich frei­zu­ma­chen, einen Schritt zurück­zu­tre­ten und anders auf die Din­ge zu schau­en.

Schmitz: Par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung ist ja ein ska­lier­ba­res Model. Die Füh­rungs­kräf­te, die jetzt bei uns sind, die fan­gen auf jeden Fall erst­mal mit ihrem eige­nen Team an. Im Semi­nar ist immer der Raum da, aus­zu­pro­bie­ren und in der Grup­pe zu reflek­tie­ren, was läuft und was nicht läuft. Natür­lich ist es eine Fra­ge, wie offen ist die Orga­ni­sa­ti­on an sich? Ob man es dann auch in die Brei­te oder nach oben ska­liert bekommt, ist oft ein The­ma bei den Teil­neh­men­den.

Sie arbei­ten ja mit ganz unter­schied­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen aus der Ver­wal­tung, grö­ße­ren Kon­zer­nen oder der sog. „frei­en Wirt­schaft“ zusam­men, bei uns ja haupt­säch­lich mit Füh­rungs­kräf­ten aus dem Sozi­al­be­reich.

Wie schät­zen Sie das Poten­ti­al für neu­es Arbei­ten, Agi­li­tät und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in der Sozi­al­wirt­schaft ein?

Schü­rings: Ja, sehr gut (lacht). Es macht uns gro­ße Freu­de, weil bereits eine hohe Sen­si­bi­li­tät und ein star­ker Wunsch für die­ses The­ma da sind. Wir fin­den, es gibt eine brei­te Grund­la­ge im Ver­ständ­nis von Füh­rung. Die Ange­bo­te, die wir machen, wer­den mit gro­ßem Inter­es­se auf­ge­nom­men und auch umge­setzt. Es gibt ein gro­ßes Bedürf­nis, sowohl von den Füh­rungs­kräf­ten als auch von den Mit­ar­bei­ten­den, betei­ligt zu wer­den, mit­zu­den­ken, sich zu enga­gie­ren. Das Ver­bin­den­de ist der Blick auf den Men­schen, weil in der Sozi­al­wirt­schaft ja mit Men­schen gear­bei­tet wird, und es in die­ser Hin­sicht eine ganz gro­ße Fähig­keit und Wert­schät­zung gibt.

Schmitz: Zudem fin­den wir, dass sich Füh­rungs­kräf­te im Sozi­al­be­reich vie­le Gedan­ken dar­über machen, wie sie gut füh­ren kön­nen. Ein­mal, um gute Leu­te hal­ten zu kön­nen, aber eben auch um eine gute Atmo­sphä­re zu schaf­fen. Außer­dem ent­steht in den Grup­pen schnell eine wert­schät­zen­de Atmo­sphä­re, mit der man sehr gut arbei­ten kann.

Wel­che Fall­stri­cke gibt es mit dem Kon­zept par­ti­zi­pa­ti­ve Füh­rung?

Schü­rings: Wir stel­len häu­fi­ger fest, dass es eine Tren­nung zwi­schen mitt­le­rem Manage­ment und „obe­ren“ Ebe­nen gibt. Je näher man qua­si an den Klient:innen bzw. den Men­schen dran ist, des­to grö­ßer ist das Inter­es­se an Aus­tausch und einem guten Gelin­gen und Mit­ein­an­der. Oft ist das in den höhe­ren Struk­tu­ren schwie­rig, und da ent­steht Frus­tra­ti­on.

Schmitz: Und es gibt tat­säch­lich eine hohe Fluk­tua­ti­on unter Mit­ar­bei­ten­den – dass Teams häu­fig wech­seln und es dadurch erschwert wird, ein star­kes Team auf­zu­bau­en. Da ent­steht das Gefühl, man fängt immer wie­der von vor­ne an. Dann kann es einer­seits ein Weg sein, Zusam­men­ar­beit so zu struk­tu­rie­ren, dass Men­schen ger­ne blei­ben, und ande­rer­seits einen Grund­stock im Team auf­zu­bau­en, um neue Men­schen schnel­ler gut ein­zu­bin­den. Wir schau­en, wie ein kul­tu­rel­les Level gehal­ten wer­den kann, trotz hoher Fluk­tua­ti­on.

Vie­len Dank für das Gespräch!

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Das Inter­view führ­te Annet­te Loy, Bil­dungs­re­fe­ren­tin und Bereichs­lei­tung Semi­na­re an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin

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Maga­zin

März 2022 | Manage­ment

ein Gast­bei­trag von Dr. Hol­ger Well­mann

Das Betrieb­li­che Gesund­heits­ma­nage­ment (BGM) hat in den letz­ten Jah­ren in vie­len Bran­chen und Betrie­ben zuneh­mend an Akzep­tanz gewon­nen. Mehr noch: Es ist Aus­druck einer geleb­ten Unter­neh­mens­kul­tur und

wirkt sich nicht nur posi­tiv auf die Gesund­heit und Leis­tungs­fä­hig­keit der Beschäf­tig­ten aus, son­dern ist auch ein „Aus­hän­ge­schild“ für vie­le Betrie­be. Sie wer­ben z.B. mit ihrem BGM, wenn es um die Gewin­nung und Bin­dung von

Fach­kräf­ten geht.

Aller­dings ist BGM bei wei­tem noch kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Unwis­sen­heit über die Inhal­te, die kon­kre­te Umset­zung und die viel­fäl­ti­gen Wir­kun­gen des BGM spie­len dabei häu­fig eine Rol­le. Hin­zu kom­men oft feh­len­de zeit­li­che Res­sour­cen – aber auch die Fra­ge der Hal­tung, wenn es um das The­ma Gesund­heit geht: Ist sie „Pri­vat­sa­che“ – oder inwie­weit sehen es die Ent­schei­dungs­trä­ge­rIn­nen von Orga­ni­sa­tio­nen als gewinn­brin­gend an,

über den Arbeits- und Gesund­heits­schutz hin­aus in die Gesund­heits­för­de­rung der Mit­ar­bei­ten­den zu inves­tie­ren? Schließ­lich exis­tie­ren noch immer fal­sche Vor­stel­lun­gen über das BGM: Es gin­ge ins­be­son­de­re um die Umset­zung von Maß­nah­men, die um das ope­ra­ti­ve Tages­ge­schäft her­um orga­ni­siert wer­den müss­ten. Und gera­de hier liegt häu­fig ein Denk­feh­ler, denn der Kern eines qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen BGM soll­te das Her­bei­füh­ren von gesun­den Arbeits­be­din­gun­gen und die Stär­kung von Res­sour­cen bei den Beschäf­tig­ten sein.

Die her­aus­for­dern­de Arbeits­si­tua­ti­on in der Pfle­ge­bran­che ist seit lan­gem bekannt. Sie ist geprägt von hohen kör­per­li­chen und psy­chi­schen Belas­tun­gen. Die Arbeits­ver­dich­tung hat gera­de in den letz­ten zwei Jah­ren durch die Coro­na-Situa­ti­on wei­ter zuge­nom­men. Oft­mals ist die Belas­tungs­gren­ze bereits über­schrit­ten, wozu u.a. die zeit­glei­che Erle­di­gung meh­re­rer Auf­ga­ben (Mul­ti­tas­king), der Schicht­dienst und immer wie­der auch aggres­si­ve Patient:innen sowie das per­ma­nen­te Erfor­der­nis von Emo­ti­ons­ar­beit bei­tra­gen. Dies schlägt sich einer­seits nie­der in einem Krank­heits­ge­sche­hen, das vor allem durch Mus­kel- und Ske­lett­er­kran­kun­gen, aber auch durch depres­si­ve Epi­so­den und das Burn­out-Syn­drom geprägt ist. Ande­rer­seits gehen Pfle­ge­kräf­te trotz Krank­heit über­durch­schnitt­lich häu­fig trotz­dem zur Arbeit. Zudem sind die Rah­men­beding­ungen in der Pfle­ge ungüns­tig. Die Ver­ein­ba­rung der Arbeits­zei­ten mit den per­sön­li­chen Bedürf­nis­sen ist häu­fig müh­sam, die Ent­loh­nung im

Pfle­ge­be­ruf eher gering und die Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten für die per­sön­li­che Lauf­bahn­ge­stal­tung ein­ge­schränkt. Hin­zu kommt – und dies dürf­te für das Sin­nerle­ben vie­ler Pfle­ge­kräf­te neben den Arbeits­be­din­gun­gen ein ent­schei­den­der Punkt sein – die gerin­ge gesell­schaft­li­che Wert­schät­zung bzw. das Image­pro­blem des Pfle­ge­be­rufs. Es kann bei all die­sen Fak­to­ren dem­nach nicht ver­wun­dern, dass die Ver­weil­dau­er gera­de in der Alten­pfle­ge kür­zer als in vie­len ande­ren Beru­fen ist.

Und jetzt noch Coro­na! Ist die Pan­de­mie das Damo­kles­schwert für das BGM in der Pfle­ge? Sie darf es nicht sein! Als

Begrün­dung darf die Geschich­te des Holz­fäl­lers her­an­ge­zo­gen wer­den, der den Auf­trag bekommt Bäu­me zu fäl­len. Anfangs gelingt ihm dies, aber mit der Zeit wird die Säge immer stump­fer und die Arbeit daher immer beschwer­li­cher. Er schafft irgend­wann die gefor­der­te Men­ge nicht mehr – Frust und Über­stun­den häu­fen sich an. Da geben ihm vor­bei­zie­hen­de Wan­ders­leu­te einen „hei­ßen Tipp“: „Sie müs­sen mal wie­der Ihre Säge schär­fen!“ Aber der Holz­fäl­ler schüt­telt den Kopf und ant­wor­tet: „Ich habe kei­ne Zeit die Säge zu schär­fen. Ich muss doch den gan­zen Tag Bäu­me fäl­len!“

Die Ana­lo­gie ist offen­sicht­lich. Wo im Pfle­ge­all­tag bei ohne­hin schon begrenz­ten Per­so­nal­ka­pa­zi­tä­ten Zeit für

Maß­nah­men des BGM her­neh­men? Dafür ist es wich­tig zu wis­sen, dass der Aus­gangs­punkt für sol­che Maß­nah­me natür­lich eine Bedarfs­ana­ly­se ist, um ziel­ge­rich­tet vor­zu­ge­hen. Und sicher­lich müs­sen zu Beginn auch Struk­tu­ren und Pro­zes­se des BGM in die Orga­ni­sa­ti­ons­ab­läu­fe inte­griert wer­den. Dann jedoch gilt es mög­lichst nied­rig­schwel­lig die Akti­vi­tä­ten in den Arbeits­all­tag der Beschäf­tig­ten zu inte­grie­ren. Was das hei­ßen kann, soll mit ein paar Bei­spie­len ver­deut­licht wer­den. Dabei wird eine Ori­en­tie­rung an dem soge­nann­ten „bio­psy­cho­so­zia­len

Modell von Gesund­heit und Krank­heit“ vor­ge­nom­men. Die­ses geht davon aus, dass Krank­heit als Stö­rung der Inter­ak­ti­on von kör­per­li­chen, psy­chi­schen und sozia­len Fak­to­ren ver­stan­den wer­den kann. Folg­lich wer­den bei allen gesund­heits­för­der­li­chen Maß­nah­men nicht nur bio­lo­gi­sche Fak­to­ren berück­sich­tigt, son­dern auch psy­cho­lo­gi­sche und sozio­kul­tu­rel­le Aspek­te ein­be­zo­gen.

SEMINARE MIT DR. HOLGER WELLMANN

Betrieb­li­ches Gesund­heits-manage­ment (BGM) – auf den Weg gebracht

Semi­nar

19.+ 20. Mai 2022

Gesund­heits­ori­en­tier­tes Füh­ren in der Sozi­al­wirt­schaft

Semi­nar

24. Mai 2022

Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung psy­chi­scher Belas­tung am Arbeits­platz

Semi­nar

12. Sep­tem­ber 2022

Hin­sicht­lich der kör­per­li­chen Anstren­gun­gen kann z.B. das Augen­merk dar­auf gelegt wer­den, dass die Belas­tung indi­vi­du­ell als ange­mes­sen emp­fun­den wird, ohne dass dabei immer die glei­chen Mit­ar­bei­ten­den die „schwe­ren Auf­ga­ben“ erhal­ten. Kol­le­gia­le Hin­wei­se auf ungüns­ti­ge Kör­per­hal­tun­gen sen­si­bi­li­sie­ren und ergän­zen die grund­le­gen­den Unter­wei­sun­gen, wie man mit der rich­ti­gen Hal­tung und pas­sen­den Bewe­gungs­ab­läu­fen den Kör­per scho­nen kann. Arbeits­or­ga­ni­sa­to­risch erscheint es güns­tig, dass Pau­sen auch nach dem indi­vi­du­el­len Bedarf genom­men wer­den kön­nen und tat­säch­lich im Sin­ne der Erho­lung gestal­tet wer­den. Die „Rau­cher­pau­se“ mag zwar kurz­fris­tig zum „Durch­pus­ten“ geeig­net sein, wird sich aber mit­tel- bis lang­fris­tig sicher­lich nicht auf die kör­per­li­che Fit­ness posi­tiv aus­wir­ken. Und natür­lich soll­te auch der Zeit­druck nicht der Nut­zung von Hilfs­mit­teln und Hebe­hil­fen ent­ge­gen­ste­hen.

Für das psy­chi­sche Wohl­be­fin­den ist es wich­tig, dass der ein­zel­nen Pfle­ge­kraft immer wie­der ihr Bei­trag zum gro­ßen Gan­zen bewusst (gemacht) wird. Damit ver­bun­den ist die Wert­schät­zung der Per­son durch die Kol­le­gin­nen und Vor­ge­setz­ten oder ein kon­kre­tes Lob. Ein kur­zes und ehr­lich gemein­tes „Ich dan­ke dir, dass du bei uns auf Sta­ti­on so spon­tan aus­ge­hol­fen hast!“ kann schon viel bewir­ken und zeigt, dass eine sol­che Unter­stüt­zung kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Unter­schied­lich aus­ge­prägt ist der Wunsch, immer wie­der Neu­es bei der Arbeit hin­zu­ler­nen zu kön­nen und sich ein­zel­ne Arbeits­ab­läu­fe mög­lichst selbst struk­tu­rie­ren zu kön­nen. Hier ist das Anmel­den von Wün­schen sei­tens der Pfle­ge­kräf­te und das Fin­ger­spit­zen­ge­fühl der Vor­ge­setz­ten gefragt sowie ihr Inter­es­se, sich mit den ein­zel­nen Bedürf­nis­sen und Stär­ken in ihrem Team aus­ein­an­der­zu­set­zen. Die Team­mit­glie­der wer­den es ihnen dan­ken, wenn sie sich den Anfor­de­run­gen ihrer Arbeit gewach­sen füh­len.

Es ist aber nicht nur die Arbeit als sol­che, die für Moti­va­ti­on und Sinn­stif­tung sor­gen kann. Im hek­ti­schen Pfle­ge­all­tag kommt es immer wie­der zu Kon­flik­ten. Das muss nicht wei­ter schlimm sein, wenn sie unter den Kol­le­gin­nen respekt­voll und mög­lichst eigen­stän­dig oder auch mit Unter­stüt­zung ande­rer gelöst wer­den. Und natür­lich kommt es dem Betriebs­kli­ma zugu­te, wenn gegen­sei­ti­ge Hil­fe und Unter­stüt­zung stark aus­ge­prägt sind und die Bereit­schaft vor­han­den ist, Wis­sen zu tei­len. Dabei soll­te nicht ver­nach­läs­sigt wer­den, bei Pro­ble­men zuerst selbst nach Lösun­gen zu suchen, bevor ande­re um Hil­fe gebe­ten wer­den. Es gilt also bei­des mit­ein­an­der zu ver­bin­den: Das eige­ne Enga­ge­ment bei Her­aus­for­de­run­gen, aber auch die Gewiss­heit, sich auf die Kol­le­gIn­nen

ver­las­sen zu kön­nen. So wach­sen Teams zusam­men – Koope­ra­ti­on und Ver­trau­en wer­den gelebt.

Die sinn­vol­le Kom­bi­na­ti­on die­ser Aspek­te zeigt, dass BGM kein „add on“ ist – also kein Hin­zu­fü­gen von Maß­nah­men in den stres­si­gen Pfle­ge­all­tag. Viel­mehr spielt es eine gewich­ti­ge Rol­le, um den Her­aus­for­de­run­gen in der Pfle­ge zu begeg­nen und die Kran­ken­stän­de und die Fluk­tua­ti­on so gering wie mög­lich zu hal­ten. Über­le­gen Sie doch selbst ein­mal als Ver­ant­wort­li­che, wenn Sie die Wahl zwi­schen zwei grund­sätz­lich ver­gleich­ba­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen

hät­ten – eine davon jedoch ein gutes BGM lebt: Für wel­che Ein­rich­tung wür­den Sie sich ent­schei­den?

Auf dem Weg zum BGM wer­den Sie nicht allein gelas­sen. So ste­hen Ihnen z.B. die Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger mit Rat und Tat zu Sei­te. Nut­zen Sie aber auch die neu­en Ange­bo­te der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin.

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Inter­view mit Mela­nie Rubach

Mela­nie Rubach stu­dier­te Kri­mi­no­lo­gie und Poli­zei­wis­sen­schaf­ten und arbei­tet der­zeit als Amts­lei­te­rin des Sozi­al­am­tes Mar­zahn-Hel­lers­dorf sowie als Dozen­tin an der HWR Lich­ten­berg. Bei uns an der Aka­de­mie lei­tet sie das Semi­nar Poli­zei­ein­sät­ze in der Jugend­hil­fe ­– wie ver­hal­te ich mich kor­rekt?.

Frau Rubach, in Ihrem Semi­nar geht es um das Auf­ein­an­der­tref­fen von Sozia­ler Arbeit und Poli­zei. Sie konn­ten pro­fes­sio­nel­le Erfah­run­gen auf bei­den Sei­ten sam­meln. Inwie­fern haben die­se Sie geprägt? Gibt es Erleb­nis­se, die Ihre Arbeit nach­hal­tig beein­flusst haben? 

Ich konn­te Erfah­run­gen als Poli­zis­tin, Sozi­al­ar­bei­te­rin und als Lei­tungs­kraft in einer sozia­len Ein­rich­tung sam­meln. Die Sozia­le Arbeit und Poli­zei­li­che Arbeit haben grund­sätz­lich die Gemein­sam­keit Men­schen zu hel­fen, vie­le per­sön­li­che Erleb­nis­se zeig­ten aber, dass dies mit unter­schied­li­chen gesetz­li­chen Auf­trä­gen, Selbst­ver­ständ­nis und unter­schied­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on erfolgt und dadurch Kon­flik­te unter den Pro­fes­sio­nen ent­ste­hen.

Wel­che Kon­flik­te sind das genau? Und ste­hen sich die Pro­fes­sio­nen wirk­lich so kon­trär gegen­über, wie vie­le den­ken?

Die Kon­flik­te ent­ste­hen aus mei­ner Sicht auf­grund der feh­len­den Trans­pa­renz und Kom­mu­ni­ka­ti­on zu den unter­schied­li­chen gesetz­li­chen Grund­la­gen, Metho­den und Anspra­chen der bei­den Pro­fes­sio­nen. Der Kern der

poli­zei­li­chen Arbeit liegt in der Gefah­ren­ab­wehr und Straf­ver­fol­gung, in der Sozia­len Arbeit hin­ge­gen, zielt die Tätig­keit auf den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt und ins­be­son­de­re auf die indi­vi­du­el­le Stär­kung des /der Ein­zel­nen ab. Im Hin­blick auf die Tätig­keits­aus­rich­tung und dem gesetz­li­chen Auf­trag ste­hen sich bei­de Pro­fes­sio­nen meist kon­trär gegen­über, auch wenn es gro­ße Über­schnei­dun­gen zu den Hand­lungs­fel­dern gibt und es sich allein des­halb lohnt, die Zusam­men­ar­beit zu ver­bes­sern und ein gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis zu ent­wi­ckeln.

Wel­che Rol­le spie­len in Ihren Augen dabei Vor­ur­tei­le gegen­über der jeweils ande­ren Pro­fes­si­on? Wie kön­nen sich dich die­se aus­räu­men las­sen?

In einer umfas­sen­den Unter­su­chung zum The­ma Selbst- und Fremd­bil­der von Sozialarbeiter:innen und Polizist:innen von Schmitt-Zim­mer­mann von 1997, nach mei­ner Mei­nung aktu­ell immer noch anwend­bar, ist fest­zu­stel­len, dass hier eine gro­ße Dis­kre­panz und Unwis­sen­heit herrscht. Durch Trans­pa­renz, gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis und die Aner­ken­nung der jewei­li­gen Pro­fes­si­on, ver­stärk­te gemein­sa­me Kom­mu­ni­ka­ti­on und abge­stimm­te Hand­lungs­leit­fä­den könn­ten Dif­fe­ren­zen und Vor­ur­tei­le abge­baut wer­den. Eine neu­tra­le Grund­hal­tung ist dabei essen­zi­ell.

Für Sozialarbeiter:innen kann der Schutz des engen Ver­trau­ens­ver­hält­nis­ses zum/zur Klient:in auf der einen Sei­te und gesetz­li­chen Ver­pflich­tun­gen auf der ande­ren zu inne­ren Kon­flik­ten füh­ren? Was wür­den Sie

Betrof­fe­nen in einem sol­chen Fall raten?

In mei­nem Semi­nar bespre­chen wir die­se The­ma­tik sehr inten­siv, um den recht­li­chen Hand­lungs­rah­men genau zu ken­nen und wägen auch die Argu­men­te anhand ver­schie­de­ner Fall­kon­stel­la­tio­nen ab, weil die Situa­tio­nen häu­fig sehr indi­vi­du­ell zu bewer­ten sind. Das bringt im Han­deln mit der Kli­en­tel und mit der Poli­zei mehr Sicher­heit und lässt Kon­flik­te redu­zie­ren, weil gewis­se Hand­lungs­wei­sen von Beginn an trans­pa­rent gemacht wer­den kön­nen bzw. sind.

Was ist in Ihren Augen nötig, um eine gute, ver­trau­ens­vol­le Zusam­men­ar­beit zwi­schen Sozia­ler Arbeit, Sozi­al­be­hör­den und Poli­zei zu ermög­li­chen?

Kom­mu­ni­ka­ti­on, Ver­ständ­nis für die jewei­li­ge Pro­fes­si­on und das Wis­sen und Akzep­tie­ren über die jewei­li­gen Unter­schie­de und Gemein­sam­kei­ten, Trans­pa­ren­tes Han­deln, kla­re Anspra­chen, gemein­sa­me Bera­tun­gen, ohne die eige­ne Auf­ga­be aus den Augen zu ver­lie­ren, neu­tra­le Grund­hal­tung und Hand­lungs­leit­fä­den in den Trä­gern.

Könn­te in der Zusam­men­ar­beit der unter­schied­li­chen Pro­fes­sio­nen auch Chan­cen lie­gen? Kön­nen bei­de Sei­ten viel­leicht etwas von­ein­an­der ler­nen?

Auf jeden Fall, ins­be­son­de­re weil Poli­zei und Sozia­le Arbeit häu­fig eine gemein­sa­me Kli­en­tel haben, die Metho­den und gesetz­li­chen Grundlagen/Aufgaben aller­dings unter­schied­lich sind. Der mensch­li­che Aspekt soll­te dabei aber an kei­ner Stel­le ver­lo­ren gehen.

Wie der Titel ver­rät, geht es in Ihrem Semi­nar um das kor­rek­te Ver­hal­ten päd­ago­gi­scher Fach­kräf­te in der Jugend­hil­fe bei Poli­zei­ein­sät­zen. Mit wel­chen Inhal­ten und Metho­den ver­mit­teln Sie dies?

Ich gehe zunächst auf die unter­schied­li­chen Pro­fes­sio­nen ein und wir arbei­ten zusam­men aus, wel­che Unter­schie­de und Gemein­sam­kei­ten, aber auch wel­che Chan­cen sich dar­aus erge­ben. Wir schau­en uns gemein­sam in Grup­pen­ar­bei­ten aus Berich­ten zu Fäl­len Kon­flikt­her­de an und ana­ly­sie­ren die­se.

Da Sozia­le Arbeit häu­fig poli­zei­li­ches Vor­ge­hen nicht ver­steht und dadurch auch Kon­flik­te und Unsi­cher­hei­ten ent­ste­hen, ler­nen die Seminarteilnehmer:innen die Befug­nis­se der Poli­zei ken­nen und kön­nen dar­aus ablei­ten, wel­che Rech­te und Pflich­ten sie haben. Ins­be­son­de­re die daten­schutz­re­le­van­ten Befug­nis­se Sozia­ler Arbeit und Poli­zei­li­cher Arbeit neh­men hier einen gro­ßen Anteil ein.

Am zwei­ten Tag sam­meln wir alle Erkennt­nis­se, glei­chen die­se mit mit­ge­brach­ten Fall­kon­stel­la­tio­nen ab und ent­wi­ckeln einen mus­ter­haf­ten Leit­fa­den, wel­cher in dem jewei­li­gen sozia­len Trä­ger wei­ter­ge­führt und ange­passt wer­den kann.

Ich freue mich immer am Ende über die vie­len AHA-Effek­te und erle­be häu­fig durch spä­te­re Kon­takt­auf­nah­me, dass die Trä­ger mit den ent­stan­de­nen Kon­zep­ten gut arbei­ten kön­nen.

Vie­len Dank für das Gespräch!

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Das Gespräch führ­te Sol­vejg Hes­se, Bil­dungs­re­fe­ren­tin an der Pari­tä­ti­schen Aka­de­mie Ber­lin

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Maga­zin

Febru­ar 2022 | Manage­ment

Ein Gast­bei­trag von Mari­on Schenk und Moritz Ave­na­ri­us

„Wan­del und Inno­va­ti­on kön­nen wir nur „in den Ket­ten des Alten“ her­vor­brin­gen.“

Gün­ther Ort­mann (2016)

Wann set­zen sich Inno­va­tio­nen in Orga­ni­sa­tio­nen durch? Was för­dert den Pro­zess des Inno­vie­rens? Und ist

Inno­va­ti­on eigent­lich immer nötig und sinn­voll? Eine wich­ti­ge Leit­plan­ke ­­- neben dem Wis­sen über Inno­va­ti­ons­tech­ni­ken und ‑metho­den – sind bei der Beant­wor­tung die­ser Fra­gen die Beob­ach­tungs­fo­li­en, die uns die Sys­tem­theo­rie und ein sys­tem­theo­re­ti­sches Ver­ständ­nis von Orga­ni­sa­tio­nen lie­fern.

Es scheint, als wür­den fast alle Orga­ni­sa­tio­nen sich um Inno­va­ti­on bemü­hen. Inno­va­ti­ve Pro­duk­te müs­sen her,

inno­va­ti­ve neue Arbeits­wei­sen wer­den gesucht. Mit­hil­fe von Krea­ti­vi­täts­work­shops, Inno­va­ti­ons­be­ra­tung, Design Thin­king und ande­ren Metho­den, sowie neu­en agi­len Ein­hei­ten, die sich ganz dem The­ma wid­men, soll dem „gött­li­chen Zufall“ auf die Sprün­ge gehol­fen wer­den. Die Unver­füg­bar­keit von ech­ter Inno­va­ti­on macht sie so begeh­rens­wert.

Die Pra­xis ist oft ent­täu­schend. Ver­meint­lich Neu­es zeigt nicht immer die gewünsch­te Strahl­kraft und häu­fig ver­pufft die Auf­bruchs­dy­na­mik in nutz­lo­ser Spie­le­rei. Dann kom­men Fra­gen auf: Was ist mit „nor­ma­ler“ Wei­ter­ent­wick­lung, Anpas­sung und Adap­ti­on? Und wie gehen wir mit mög­li­chen nega­ti­ven Aspek­ten von Inno­va­tio­nen um?

 

Inno­va­tio­nen sind stets von Para­do­xien beglei­tet. Da ist der Ver­such, Neu­es aus den Ele­men­ten des Bekann­ten

her­zu­stel­len, oder das „Tan­zen in Ket­ten“ wie es Ort­mann beschreibt. Die Pro­blem­lö­sun­gen von heu­te wer­den mög­li­cher­wei­se die Pro­ble­me von mor­gen wer­den. Wie soll man aktiv den Zufall und Krea­ti­vi­tät – die ja auch unver­füg­bar ist – beschleu­ni­gen und befeu­ern?

1.   Was ist eigent­lich das Neue und wie ent­steht es?

Neu­es ent­steht aus Abwei­chun­gen. Um es prä­zi­ser in Begrif­fe zu fas­sen, hilft es den aus der Evo­lu­ti­ons­theo­rie

ent­lehn­ten Pro­zess von Varia­ti­on – Selek­ti­on – Re-Sta­bi­li­sie­rung zu nut­zen.

 

Varia­tio­nen (Abwei­chun­gen) tre­ten stän­dig auf und ver­schwin­den auch schnell wie­der, ohne dass sie zur Inno­va­ti­on wer­den. Sie sind für sich nichts Außer­ge­wöhn­li­ches. Span­nend wird es erst, wenn eine Varia­ti­on bleibt und über ihre wei­te­re Ver­wen­dung ent­schie­den wer­den muss. Nun heißt es „Top oder hopp“, denn in der Selek­ti­on kann das Neue ent­we­der gefes­tigt oder aber abge­lehnt wer­den. Bei­des hat Fol­gen für eine Orga­ni­sa­ti­on. Die­se

zei­gen sich dann in der drit­ten Pro­zess­pha­se, der sog. Re-Sta­bi­li­sie­rung. Erst hier wird eine „aus­er­wähl­te“ Varia­ti­on zum „Bewähr­ten“ – und kann doch immer noch in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Und auch eine nega­ti­ve Selek­ti­on, das

Aus­sor­tie­ren, hat mög­li­cher­wei­se uner­wünsch­te Aus­wir­kun­gen, wenn spä­ter erkannt wird, wel­che Chan­cen ver­passt wur­den. Wie auch immer: ohne Aus­dau­er kommt das Neue nicht dau­er­haft in die Welt.

Mög­li­che Fra­gen für Füh­rung, die sich hier­aus erge­ben, sind etwa:

  • Wie muss die Orga­ni­sa­ti­on auf­ge­stellt sein, um Varia­tio­nen zu erken­nen, zu för­dern und wirk­sam wer­den zu las­sen? Kann Varia­ti­on sti­mu­liert wer­den? Wel­che Metho­den sind hier­für sinn­voll?
  • Wann macht es Sinn ande­re, uner­war­te­te Selek­tio­nen zu tref­fen? Wie kann Offen­heit und Sen­si­bi­li­tät dafür geschaf­fen wer­den? Wer hat den Mut zur Abwei­chung in wert­ori­en­tier­ten Sys­te­men?
  • Wer sorgt dafür, dass sich das Neue schließ­lich dau­er­haft eta­bliert und bleibt? Und wie gehen wir mit nega­ti­ver Selek­ti­on um?

2. War­um Orga­ni­sa­tio­nen sta­bil blei­ben wol­len und was das mit Macht zu tun hat.

Jedes Unter­neh­men möch­te über­le­ben und sich selbst erhal­ten. Das ist die Grund­la­ge von Sys­te­men. Eine Fir­ma, eine sozia­le Ein­rich­tung will wach­sen und wei­ter bestehen. Alle in der Orga­ni­sa­ti­on gehen ihren Auf­ga­ben nach, bie­ten best­mög­li­che Ange­bo­te für Klient:innen an, wol­len dabei mit der Zeit gehen und sich an gesell­schaft­li­che Rah­men­beding­ungen anpas­sen. Es wer­den Ent­schei­dun­gen getrof­fen und Rou­ti­ne ent­wi­ckelt. Mus­ter eta­blie­ren sich, damit das Gan­ze sta­bil bleibt und wir auch mor­gen die Orga­ni­sa­ti­on von heu­te wie­der­erken­nen. Feh­ler sol­len

ver­mie­den wer­den, Abwei­chun­gen sind etwas nega­ti­ves und das Ein­hal­ten von Ver­ein­ba­run­gen und Vor­ge­hens­wei­sen wird posi­tiv bewer­tet.

 

Gleich­zei­tig sucht man nach Infor­ma­tio­nen in der Umwelt, um sich für die (unbe­kann­te) Zukunft zu rüs­ten. Neu­es ent­steht durch Abwei­chung, die posi­tiv bewer­tet wird. Dazu braucht es Mut und Risi­ko­freu­de. Jemand muss die­se auf­brin­gen, wenn man sich für Inno­va­ti­on ent­schei­det. Aber wer will den „schwar­zen Peter“ haben, wenn es doch nichts wird? Wer trägt das Risi­ko und ver­liert dann gege­be­nen­falls an Macht und Ein­fluss? Neu­es ver­än­dert bestehen­de Macht­ver­hält­nis­se: die Einen gewin­nen an Bedeu­tung, die Ande­re ver­lie­ren.

3. Was Orga­ni­sa­tio­nen wis­sen soll­ten, wenn sie ler­nen wol­len

Ein zen­tra­ler Start­punkt ist die Para­do­xie der Selbst­re­fe­renz. Kon­kre­ter stellt sich hier die Fra­ge, wie Ent­schei­dungs­prä­mis­sen in Orga­ni­sa­tio­nen so gestal­tet und ver­än­dert wer­den kön­nen, dass sie Inno­va­ti­on ermög­li­chen? Inno­va­ti­on tritt immer strin­gent hand­lungs­ori­en­tiert auf. Span­nend ist es dann, drauf zu ach­ten, wie

der Pro­zess des Inno­vie­rens gestal­tet wird.

 

Ent­schei­dend ist, was Tag für Tag gemacht wird, denn „Machen ist kras­ser als Wol­len“. Alle rele­van­ten Zuta­ten, also die Metho­den, Best Prac­ti­ces, Theo­rien, etc. sind hier­für bekannt, d.h. Inno­va­ti­on selbst (sowohl als ein­zel­ne Akti­vi­tät, als auch als Programm/Prozess) muss nicht neu erfun­den wer­den. Aber an wel­chen Stel­len der Orga­ni­sa­ti­on wird von wem ent­schie­den, was davon umge­setzt wird und was nicht?

 

Vor­aus­set­zung für Ler­nen in Orga­ni­sa­tio­nen ist die Fähig­keit sich selbst zu beob­ach­ten. 

  • Was tun wir eigent­lich und mit wel­chem Ergeb­nis (und wel­chen Neben­wir­kun­gen)?
  • Wo ver­stri­cken wir uns in „fal­sche Kau­sa­li­tä­ten“?
  • Was wird bei­be­hal­ten, was ver­än­dert und wo?

Bekann­te Fall­stri­cke, die auf­tre­ten kön­nen: die Orga­ni­sa­ti­on ver­hed­dert sich in der Para­do­xie von Sta­bi­li­tät und Ver­än­de­rung oder stellt Inno­va­ti­on ins Schau­fens­ter, lebt die­se aber nicht intern.

4. Aus­blick

Was hilft ist die kon­se­quen­te Beob­ach­tung und Ord­nung – auch um auf ste­ti­ge (himm­li­sche) Zufalls­er­eig­nis­se vor­be­rei­tet zu sein und die­se klug in der Struk­tur zu nut­zen. 

 

Niklas Luh­mann sagt über Inno­va­ti­on dies sei „[] eine durch­aus ent­mys­ti­fi­zier­ba­re Ange­le­gen­heit, näm­lich []die Fähig­keit zum Aus­nut­zen von Gele­gen­hei­ten; oder in ande­rer For­mu­lie­rung: []die Ver­wen­dung von Zufäl­len zum Auf­bau von Struk­tu­ren.“ Und wei­ter: „Jemand, der es wis­sen muß­te, ich glau­be es war Lou­is Pas­teur, hat gesagt: Der

Zufall begünstigt nur den vor­be­rei­te­ten Geis

t.“

 

Und es braucht Macht und Mut, um das „Etwas zu machen“ (Appell) und dies gegen Wider­stän­de und die Träg­heit in der Orga­ni­sa­ti­on durch­zu­set­zen.

 

Was das für die Pra­xis bedeu­tet, wie Orga­ni­sa­tio­nen der ver­meint­li­chen Not­wen­dig­keit von Inno­va­ti­on ganz prak­tisch begeg­nen kön­nen, dazu ler­nen Sie mehr in unse­rem Semi­nar: Inno­va­ti­on in Orga­ni­sa­tio­nen – Sys­te­mi­sches Den­ken trifft Design Thin­king am 31. März und 1. April 2022.

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