Zukunftswerkstatt Klima
„Wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, wo wir den Klimawandel nicht mehr verhindern, sondern nur noch abschwächen können.“
Cathrin Hirsch, Dozentin und Leiterin der Initiative KIJUNA, ist die treibende Kraft hinter unseren Bildungsreihe Zukunftswerkstatt Klima – Anpassung and die Folgen des Klimawandels im Gespräch:
Frau Hirsch, Sie leiten die Initiative KIJUNA, die sich zum Ziel setzt die gesellschaftlichen Entwicklungen in Bezug auf Klimaschutz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit auch in der stationären Kinder‑, Jugend- und Eingliederungshilfe sowie Kitas zu etablieren und den Menschen, die hier gefördert und auf die Zukunft vorbereitet werden, eine Chance auf Teilhabe an diesen gesellschaftlich relevanten Themen zu geben.
Wie haben Sie das Thema Nachhaltigkeit für sich entdeckt?
Cathrin Hirsch: Ich habe die Initiative gegründet, da ich festgestellt habe, dass in diesem ganzen Bereich der Nachhaltigkeit, der Bildung für nachhaltige Entwicklung und Anpassungsbemühungen der soziale Bereich nicht berücksichtigt wird, sondern eigentlich lediglich Schulen angesprochen werden. Und es ist tatsächlich so, dass die Klientel der Sozialen Arbeit, also gerade Jugendhilfe oder auch Eingliederungshilfe nicht den besten Zugang zur Bildung über das öffentliche Schulsystem hat. Deshalb habe ich die Initiative KIJUNA gegründet, um eben diese Thematik auch in die Kinder- und Jugendhilfe, sowie Eingliederungshilfe und Kitas reinzubringen und dort die Bildungsarbeit zum Klimaschutz, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sozusagen zu „revolutionieren“.
Frau Hirsch, in unserem Vorgespräch haben Sie erwähnt, dass das Thema Klima und Umweltveränderungen im Rahmen der aktuellen Ausbildungs- und Studiengänge im sozialen Bereich nicht behandelt wird. Beispielsweise in der Kindheitspädagogik gibt es dieses Fach nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass Erzieher:innen in ihrem Berufsalltag oft mit Fragen rund um Klima und Umwelt konfrontiert werden. Und natürlich gibt es auch Eltern, die dem menschengemachten Klimawandel sehr skeptisch gegenüberstehen und gar leugnen. Wie man damit umgehen kann, ist nicht immer klar. Ich kann mir gut vorstellen, dass Erzieher:innen und Betreuungspersonen mit vielen Fragen überfordert werden, wenn sie kein fundiertes Wissen zu diesem Thema in ihrer Ausbildung vermittelt bekommen haben. Für mich wäre es auch nicht leicht meinem 8‑jährigen Sohn altersgerecht zu erklären, was CO2 ist.
Was können Erzieher:innen sowie die Leitung von Kitas und Kinder- und Jugendeinrichtungen in dem Zertifikatskurs Zukunftswerkstatt Klima – Anpassungen an die Folgen des Klimawandels lernen, um mit solchen Fragen besser umgehen zu können?
Cathrin Hirsch: Es ist auf jeden Fall Inhalt der Fortbildung, dass auch immer praktische Tipps mit an die Hand gegeben werden, was tatsächlich umgesetzt werden kann. Und ich vertraue auch viel auf die pädagogischen Fähigkeiten der Kolleg:innen, dass sie das Erwachsenenwissen, das sie bei uns in der Zukunftswerkstatt Klima vermittelt bekommen, auch in altersgerechte Häppchen teilen können. Es gibt auf jeden Fall Praxistipps und Methoden, wie mit den Kindern und den Jugendlichen gearbeitet werden kann. Außerdem bestärken wir die Kolleg:innen in ihrer Rolle als Pädagog:innen. Sie sind keine Klimawissenschaftler:innen und es ist nicht immer nötig, dass sie alles aus diesem Bereich wissen. Es kann auch ein sehr erfolgreicher pädagogischen Prozess sein, wenn die Kolleg:innen gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen Wissen erwerben und dann danach handeln.
Gibt es Richtlinien oder Empfehlungen seitens der Politik, bezüglich Bildungsprogrammen zum Thema Klima- und Umweltveränderungen in Kitas und oder in der Kinder- und Jugendarbeit?
Cathrin Hirsch: Es gibt den Ansatz der Bildung für nachhaltige Entwicklung und in diesem Bereich wird deutlich, dass es vor allem um die Stärkung von Gestaltungskompetenzen geht. Dies wurden für alle Länder, die die Agenda 2030 ratifiziert haben, entwickelt und damit benannt, welche Kompetenzen jede:r einzelne:r braucht, um eine nachhaltige Welt zu entwickeln. Die Förderung der Gestaltungskompetenzen ist der Kern der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Methodik läuft über die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), die der Hauptteil der Agenda 2030 sind, die wir gemeinschaftlich als Weltgemeinschaft erreichen müssen, damit sich die Entwicklung vom Klimawandel und die damit verbundenen sozialen Spannungen abschwächt und unsere Welt als nachhaltig bezeichnet werden kann.
Es ist eine sehr gute Investition in die nachhaltige Zukunft, wenn die neue Generation richtig gut zu diesem Thema ausgebildet wird und ihren Lebensstil den neun Umständen entsprechend anpasst.
Cathrin Hirsch: Die Bildungsfragen sind nur ein Teil der Fortbildung. Es geht viel um konkrete Anpassungsmaßnahmen: Wenn die Sommer immer heißer werden, müssen wir unsere Tagesabläufe verändern, dass wir überhaupt noch draußen sein können. Müssen wir dann eher morgens arbeiten und mittags eine Siesta machen und abends wieder aktiv werden? Es sind Fragen, die ganz konkret auf die absehbaren Folgen des Klimawandels abzielen. Wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, wo wir den Klimawandel nicht mehr verhindern, sondern nur noch abschwächen können. Es wird Klimaveränderungen geben, die konkrete Folgen und Herausforderungen mit sich bringen werden! Und da müssen wir einfach gucken, wie wir uns darauf vorbereiten. Also auch die Flut in Essen und in Niedersachsen über Weihnachten ist eine sehr deutlich spürbare Folge des Klimawandels. Die Luft wird immer wärmer, was zu heftigen Gewittern führt. Es fallen riesige Regenmengen binnen kürzester Zeit. Unsere städtische Abflusssysteme und Kanalnetze sind schnell überlastet. Immer wieder kommt es zu flächendeckenden Überschwemmungen und entsprechend schweren finanziellen Folgen und auch weiteren Umweltfolgen. Kann man sich auf solche Ereignisse vorbereiten? Können wir uns als Gesellschaft vorbereiten? Kann sich jeder Einzelne in seinem kleinen Umfeld vorbereiten? Darum geht es in unseren Bildungsreihe, also nicht nur um die Frage, wie bilden wir die nächste Generation zu diesem Thema aus, sondern auch darum, welche Maßnahmen wir als soziale Unternehmen und Einrichtungen jetzt ergreifen können, damit wir mit den Folgen des Klimawandels weiterleben und in unserer Alltagsorganisation nicht unbedingt komplett eingeschränkt sind.
Im Grunde ist Klimaschutzbeauftragte:r ein Beruf der Zukunft für Sozialunternehmen. In der nahen Zukunft wird es möglicherweise zur Pflicht in jedem Unternehmen eine solche Rolle auszufüllen, im globalen Sinne eine sehr verantwortungsvolle Rolle!
Cathrin Hirsch: In der Industrie und der Wirtschaft gibt es diese Stelle eigentlich fast überall.
In der freien Wirtschaft gibt es andere Finanzierungsmöglichkeiten als in der Sozialwirtschaft. Wenn die sozialen Unternehmen andererseits beginnen, das Thema auf ihrer Prioritätsliste weiter oben zu platzieren, sich zu den Folgen des Klimawandels weiterbilden und die Verantwortung hinsichtlich Folgenabwendung und Nachhaltigkeit übernehmen, würden sich möglicherweise Räume für staatliche Subventionen öffnen und die Refinanzierung ihrer Aktivitäten zu mehr Nachhaltigkeit ermöglichen.
Cathrin Hirsch: Aktuell sind mir keine politischen Initiativen zum Thema Anpassungsgesetze im sozialen Bereich bekannt. Aber wenn wir auf die Politik warten, die momentan mit ganz vielen anderen Problemen beschäftigt ist, dann ist es eigentlich schon zu spät. Meine Empfehlung wäre, so bald wie möglich mit den notwendigsten Anpassungsmaßnahmen anzufangen. Die baulichen Maßnahmen lassen sich gut über einen längeren Zeitraum finanzieren. Wenn wir jetzt starten und nicht warten bis das Gebäude der Einrichtung weggeschwemmt ist oder im Sommer so überhitzt ist, dass es für Mitarbeitende und Klient:innen gesundheitliche Folgen hat, dann sind wir schon recht vorne mit dabei. Jede Veränderung und damit auch diese Anpassungsprozesse brauchen Zeit.
Wie diese Veränderungen umgesetzt werden und was genau beachtet werden muss, erklären wir in der Bildungsreihe Zukunftswerkstatt Klima.
Wir freuen uns darauf, mit Ihnen gemeinsam am 23.04.2024 die Bildungsreihe Zukunftswerkstatt Klima – Anpassung an die Folgen des Klimawandels mit Cathrin Hirsch, Nicole Gifhorn, Prof. Dr. Jana Sillmann und anderen Expert:innen aus den genannten Bereichen und mit diesen Themen zu starten:
- Wasserknappheit
- Hitze
- Ernährung
- Extremes Wetter
- Veränderungen gestalten
- Klimapsychologie
- Whole Institution Approach
- Die besondere Verantwortlichkeit sozialer Organisationen
Nicole Gifhorn – Bildungsreferentin für Globales Lernen bei der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen
Prof. Dr. Jana Sillmann studierte Geoökologie und promovierte 2029 an der Universität Hamburg und dem Max-Plank-Institut für Meteorologie, wo sie sich mit der Analyse von Datensätzen zu Extremwetterlagen beschäftigte.
Zukunftswerkstatt Klima – Anpassungen an die Folgen des Klimawandels
Zertifikatskurs
Gesundheitskompetenzen und Salutogenese – eine Einladung zur Schatzsuche
Seminar
Die Psychoneuroimmunologie und ihre Auswirkung auf das soziale Leben
Seminar
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Rolle und Berufsprofil der kITA-FACHBERATUNG
Ein Beitrag zum Zertifikatskurs „Fachberatungen in Kindertagesstätten für pädagogische Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe“ von Angelika Monath und Christine Bühler, Dozentinnen und fachliche Leitung im Zertifikatskurs.
Mit großer Freude und Motivation leiten wir gemeinsam diesen Zertifikatskurs, getragen von einem gemeinsamen Verständnis von Erwachsenenbildung und einer systemischen Grundhaltung. Über mehrere Jahre waren wir gemeinsam als Fachberaterinnen bei einem großen Berliner Träger beschäftigt und sind auch heute noch im Praxisfeld von Kindertageseinrichtungen unterwegs. Somit sind wir am Puls der Zeit und greifen aktuelle Themen und Entwicklungen kontinuierlich auf.
Mit dem kommenden Kurs startet der 4. Durchgang des Zertifikatslehrgangs, der im stetigen Qualitätsprozess weiterentwickelt wurde. Mit diesem Zertifikatskurs sprechen wir gezielt pädagogische Fachkräfte und Leitungen aus Kindertageseinrichtungen an, die sich zur Kita-Fachberater:in weiterbilden wollen. Ebenso nehmen auch Fachberater:innen, die bereits in diesem Feld tätig sind an der Qualifizierung teil, um ihre Arbeit methodisch und inhaltlich zu bereichern.
Uns ist es wichtig, den Teilnehmenden die Möglichkeit einer bewusste Rollenschärfung zu geben, womit die Entwicklung eines individuellen, klareren Berufsprofils erreicht wird. Der Zertifikatskurs vermittelt Fachwissen, Beratungskompetenzen, Methoden und Techniken zur konkreten Anwendung in Ihrer individuellen beruflichen Alltagspraxis. Die einzelnen Module setzen sich hierfür aus einer Mischung von praxisbezogenen Übungen, Reflexion und theoretischen Einheiten und zusammen, angeknüpft an der jeweiligen beruflichen Alltagskontext der Gruppe. Schließlich ist es Ziel des Lehrgangs, die in den Modulen erworbenen Kenntnisse, Erlebnisse, Fähigkeiten, Methoden mit einer professionellen Haltung im beruflichen Alltag praxisnah umsetzen zu können.
Die inhaltlichen Schwerpunkte sind:
- Kita als Organisation
- Prozessbegleitung
- Beratungskompetenzen
- Auftragsklärung
- Kommunikation
- Teamentwicklung
- Konfliktmanagement
- Lösungsstrategien sowie
- rechtliche Rahmenbedingungen
Für einzelne Module werden Gastdozent:innen eingeladen, um den Teilnehmenden ein vielseitiges Lernerlebnis
zu ermöglichen.
In diesem Kurs wird ein umfangreiches Spektrum angeboten, um sich über eigene Erfahrungen auszutauschen, gemeinsam und voneinander zu lernen. Mit den unterschiedlichen Kompetenzen und Ressourcen aller Beteiligten ergibt sich immer wieder ein bereichernder und wertvoller Synergieeffekt.
„Durch die Fortbildung schaue ich nun noch genauer hin und höre noch besser zu und habe mir das Thema der Reflexion sehr zu Herzen genommen und werde nun viel bewusster und vorbereiteter damit arbeiten.“
Pia Blättermann, Teilnehmerin der Qualifizierung
Zwischen den Modulen begleiten wir die Teilnehmenden supervisorisch an mehreren Reflexionstagen. In diesem Rahmen werden gemeinsam praxisrelevante Themen reflektiert und Fragestellungen zum eigenen Denken, Fühlen und Handeln entwickelt und bewegt. Darüber hinaus bilden sich Peer-Gruppen zur kollegialen Fallberatung in einem kleineren, vertrauensvollen Rahmen.
Der Abschluss findet mit einem besonderen feierlichen Kolloquium statt, an dem alle Teilnehmenden einen
fachberatungsrelevanten Prozess aus ihrer Arbeit präsentieren.
Wir freuen uns auf den Start des nächsten Kurses am 24. November 2022 und endet voraussichtlich am 19. April 2023. Es handelt sich insgesamt dabei 25 Fortbildungstage in Präsenz. Der Starttermin für den darauffolgenden Kurs ist der 5.–6. Oktober 2023.
Angelika Monath ist Expertin auf dem Gebiet der Organisationsentwicklung von Kitas und Schulen und seit vielen
Jahren im Bildungsmanagement tätig. Christine Bühler ist seit langer Zeit als Weiterbildnerin in Seminaren, als Supervisorin, Coach und als Prozessbegleiterin in Kitas unterwegs.
Fachberatung in Kindertagesstätten – Für pädagogische Fachkräfte
Zertifikatskurs
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Gemeinnützigkeit im kiez
Sie sind auch in ihrer Nachbarschaft, aber vielleicht wurden sie bisher kaum wahrgenommen: Unscheinbare Häuser in Wohngegenden, die als Zentren für Bürger*innen Freizeitgestaltung und konkrete Hilfe anbieten. Wir haben zwei Paritätische Einrichtungen in Berlin besucht.
Das Rollbergviertel in Norden von Neukölln. Prägend sind die sogenannten Mäanderbauten, ein Ensemble verschiedener relativ flacher Wohngebäude aus den 60er Jahren, an denen zuerst ihre achteckige Form auffällt. Gebaut als klassischer sozialer Wohnungsbau. Auch wenn sich hier vieles seit Jahrzehnten optisch kaum verändert hat, haben sich in der Rollbergstraße die Angebotsmieten zwischen 2009 und 2015 verdoppelt. Der Kiez ist beliebt, viele wollen zwischen dem Tempelhofer Feld und der Kneipenmeile Weserstraße wohnen. Und der Kiez wird damit immer teurer für die Alteingesessenen.
Mittendrin steht das Bürgerzentrum Neukölln, eine Paritätische Einrichtung, die sich vorwiegend, aber nicht nur an ältere Menschen richtet. Cengizhan Yüksel ist 29 Jahre alt und hier seit 2020 Geschäftsführer. In dieser Funktion ist er auch an der Paritätischen Akademie Berlin. Insgesamt ist der studierte Verwaltungswissenschaftler seit 2011 im Paritätischen Umfeld aktiv. Das Bürgerzentrum selbst ist deutlich älter als ihr Geschäftsführer. Bereits 1983 eröffnete die Einrichtung, die damals noch „Haus des älteren Bürgers“ hieß. Dr. Gabriele Schlimper, heute Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Berlin, war hier auch einmal Geschäftsführerin.
Mit der Entscheidung, dass Angebot auf breitere Schichten auszuweiten, wurde es vor einigen Jahren zum Bürgerzentrum, auch um den sich seit einigen Jahren stark verjüngenden Kiez Neuköllns abzubilden. „Der Schwerpunkt bleibt aber weiterhin die offene Senior*innenenarbeit“, erklärt Yüskel.
30.000 bis 40.000 Besucher*innen hat das Bürgerzentrum im Jahr, zumindest wenn kein Corona herrscht. Die Bandbreite geht von Senior*innen in Grundsicherung bis zu sehr vermögenden älteren Menschen. Hier ist weniger wichtig, wie hoch die Rente oder der Kontostand ist, sondern dass sich jeder die Freizeit im Bürgerzentrum leisten und die gleichen Angebote wahrnehmen kann. Das Angebot reicht von Gärtnern über Kegeln bis hin zum Tanztee, den vor Corona schonmal 200 Leute besuchten. Auch viele kreative Angebote bietet das Bürgerzentrum – alles selbstverwaltet. Das Bürgerzentrum stellt in erster Linie die Infrastruktur. Wichtig ist, dass die Besucher*innen ihre eigenen Ideen von Freizeitgestaltung entwickeln und umsetzen anstatt etwas vorgesetzt zu bekommen. Cengizhan Yüksel: „Es ist uns wichtig, dass sie Senior*innen selbstorganisiert sind und dadurch ihre Idee von Gemeinnützigkeit in die Welt tragen.“
Von Senior*innen für Senior*innen
Eine davon ist Inge Schwarzer, Jahrgang 1950. Sie ist mit 58 Jahren in Altersteilzeit gegangen und mit viel Zeit, wie sie sagt. Zunächst fing Frau Schwarzer als Lesepatin im damals noch „Haus des älteren Bürgers“ genannten Bürgerzentrum an, heute leitet sie die 14-köpfige Handarbeitsgruppe mit Damen im Alter von 54 bis 90 Jahren . „Aber ich muss ehrlich sagen, dass ich die wenigste Geschicklichkeit habe“, sagt die Seniorin und lacht. Sie selbst organisiert Buchhaltung und Verkauf. Denn was in dieser Gruppe und anderen gefertigt wird, wird für den guten Zweck verkauft. Und da kommt einiges zusammen: „Wir haben am Schluss weit über 1000 Euro gespendet“, freut sich die Berlinerin. Das hat unter anderem die Automatiktüren des Bürgerzentrums mitfinanziert oder wurde für Bedarfsgegenstände für obdachlose Menschen ausgegeben.
Ortswechsel. Berlin Wedding. Hier steht die Fabrik Osloer Straße. Die Einrichtung residiert in einer der klassischen Berliner Hinterhof-Fabriken, wie man sie früher auch in Wohnvierteln gebaut hat. Der Fabrikant Albert Roller ließ hier ab 1855 Maschinen und später Zündhölzer herstellen. Als die Firma in den siebziger Jahren insolvent ging, entdeckten verschiedenste Initiativen das große und zentrale Hinterhof-Gelände, um fortan soziokulturelle Arbeit zu fabrizieren. Wären die attraktiven Fabrikgebäude nicht früh einer gemeinnützigen Kiezarbeit gewidmet worden, würden hier vielleicht wie anderorts Start Ups jetzt Apps programmieren.
Es ist bereits viel los an diesem verregneten Mittwochmorgen in der Fabrik. Freiwillige Helfer*innen bereiten ein kleines Kiezfrühstück im Eingangsbereich vor. Unzählige Vereine, Verbände und Initiativen finden seit Jahrzehnten in der Fabrik Osloer Straße ihr Zuhause. 20 davon listet die Homepage auf. Von der Schreibabyambulanz über die Druckwerkstatt bis hin zur Gewaltprävention findet sich hier fast die gesamte Bandbreite der gemeinnützigen Arbeit.
Lieber Soziale Arbeit als Wirtschaft
Ein paar Meter weiter treffe ich bereits meine Interviewpartnerin Aliye Stracke-Gönül. Die quirlige Frau ist seit Ende 2020 Geschäftsführerin der Fabrik und war zuvor bei der AWO in der Migrationsberatung. Zuvor hatte sie eine Banklehre gemacht, ein Studium im Bereich Politik und Verwaltung absolviert und einige Jahre im Ausland gearbeitet. Irgendwann, so entschied sie, wollte sie aber nicht mehr in der Wirtschaft arbeiten und wechselte in den sozialen Bereich. Damit ist Frau Stracke-Gönül auch geographisch zurück zu ihren Wurzeln gekehrt, denn zwei Straßen weiter von der Osloer Straße ist sie aufgewachsen und ihre Eltern wohnen bis heute dort. Schon früh ist sie in die Putte in der Osloer Straße gegangen, eine der wenigen Einrichtungen und Treffpunkte für Migrant*innen im Kiez. Frau Stracke-Gönül weiß also ganz genau, worauf es ankommt: „Wir wollen, dass die Menschen im Kiez wissen: Wenn ich etwas brauche, dann gehe ich in die Fabrik Osloer Straße.“
Zunächst gibt mir die Geschäftsführerin eine Führung durch den großen Gebäudekomplex der Fabrik. Halt machen wir bei Durchbruch e.V. Jugendliche, die Probleme haben und woanders keine Ausbildung absolvieren können, werden hier zu Installateuren ausgebildet. Thomas Knaak ist hier Ausbildungsleiter und erzählt, wer alles bei ihm eine Ausbildung macht: „Im Moment haben wir eine große Menge an Flüchtlingen. Ansonsten haben wir Jugendliche mit verschiedenen Problemlagen wie Alkoholkonsum, Drogen, Gewalt, psychische und schulische Probleme. Halt alles, was die Großstadt zu bieten hat.“ Durchbruch ist dabei erfolgreich. 90 Prozent der Jugendlichen schaffen hier ihren Berufsabschluss. Auch das ist Gemeinnützigkeit: Da wo der freie (Ausbildungs-)Markt nicht weiterhilft, springen gemeinnützige Vereine ein.
Wenn die Quadratmeterpreise steigen
Gentrifizierung ist die wohl derzeit größte Bedrohung für die Gemeinnützigkeit. Cengizhan Yüksel aus dem Bürgerzentrum Neukölln weiß: „Gerade in dem sich verändernden Kiez, in dem sich viel auf schön verkleidete Profitmaximierung ausrichtet, wird bezahlbarer Raum knapp. Egal wie viele Akteure unterwegs sind: Es stellt sich immer auch die Frage, wem die Liegenschaften gehören und was die Eigentümer damit machen.“ Man könne inzwischen für über 30 Euro pro Quadratmeter für ein Ladenlokal in Neukölln nehmen. Soziale Träger könnten das nicht stemmen.
Aliye Stracke-Gönül verbindet damit auch eine persönliche Geschichte: „Ich habe Berlin vor 20 Jahre verlassen und erst da ist mir das Thema aufgefallen.“ Dass der Wedding im Kommen ist, ist ein Running Gag in der Berliner Bubble. So schlimm wie in Neukölln ist es noch nicht, aber auch hier werden steigende Mieten und Verdrängung ein zunehmendes Problem. „Wir sind vergleichsweise noch gut dran“, meint Stracke-Gönül über ihren Kiez. Bezahlbare Wohnungen oder Einrichtungen sind auch hier zunehmend Mangelware, besonders für Familien, die immer öfter in der Fabrik Beratung suchen.
Die Fabrik und das Bürgerzentrum sind in ihrer Struktur unterschiedlich aufgestellt. Das Bürgerzentrum ist auch ein sogenanntes „Haus der Parität.“ Das Logo steht unübersehbar am Eingang. Und es bedeutet Sicherheit, da diese Häuser, die man in ganz Berlin findet, Liegenschaften des Landesverbandes, der Mitgliedsorganisationen oder der Stiftung sind. „Räume die wir anbieten, würde jeder Unternehmer anders verwerten. Wenn man es anders gewinnbringend vermarkten könnte, wäre hier kein Platz für Gemeinnützigkeit“, ist sich Yüksel sicher. „Damit werden wir zu einem Hafen für Ehrenamt und Gemeinnützigkeit in diesem sehr gefragten Szeneviertel.“
Nicht auf Profit aus
Etwas anders ist es im Wedding. Das Gebäude der Fabrik Osloer Straße gehört der GSE, einer gemeinnützigen GmbH, die sich der dauerhaften Sicherung von sozialen Einrichtungen verschrieben hat und Treuhänderin des Landes Berlin ist. Die Initiativen sind hier Mieter*innen und Frau Stracke-Gönül quasi ihre Vermieterin. Hier kommen ihr auch ihre Erfahrungen in der Wirtschaft zugute: „Als Verein sind wir darauf angewiesen, unsere Arbeit nicht im wirtschaftlichen Sinne zu sehen. Auch die Vermietung und Weitervermietung von Räumlichkeiten müssen sich die Organisationen leisten können.“ Denn die steigenden Gewerbemieten sind auch im Wedding ein Problem: „Wir wollen nichts verdienen, sondern den Organisationen, die sich die steigenden Mietpreise nicht mehr leisten können, einen Ort zu schaffen.“ Das zeigt sich auch in der Mitarbeiter*innen-Struktur, denn hier hat niemand eine volle Stelle. „Wir würden uns eine festere und langfristigere Finanzierung wünschen. Wir sind von Fremdfinanzierungen abhängig“, so Stracke-Gönül.
Dafür muss man aber gewisse Abstriche machen, auch an den Örtlichkeiten. Das alte Gebäude in der Osloer Straße kann nicht umfassend isoliert werden, so dass es im Sommer oft zu warm und im Winter zu kalt ist. Immerhin die Fenster entsprechen inzwischen den neuesten energetischen Standards. Auch in Neukölln könnte das ein oder andere mal erneuert werden. Der Aufzug, immens wichtig für die älteren Damen und Herren, stammt noch aus den achtziger Jahren. Seine Technik hat im Keller die Größe von zwei Schränken und sieht aus wie ein antiker Supercomputer. Hinzu kommen noch zwei beeindruckende, raumnehmende Ölwannen, die für den Betrieb des Aufzugs unerlässlich sind.
Gemeinnützige Einrichtungen wie das Bürgerzentrum Neukölln und die Fabrik Osloer Straße übernehmen fundamentale Aufgaben vor Ort, aus denen sich der Staat teilweise zurückgezogen hat. Eigentlich sollte man ihnen den roten Teppich ausrollen, aber oftmals ist das Gegenteil der Fall. Aliye Stracke-Gönül beklagt beispielsweise eine gewisse Skepsis von Seiten einiger Behörden, wenn es ums Geld geht. „Ich kann aber alle beruhigen: Wir haben jedes Jahr eine Steuerprüfung, einen Jahresabschluss, müssen Verwendungsnachweise erbringen und sind sehr offen und transparent“ sagt sie. Große Sprünge könnte man sowieso nicht machen. Hier arbeitet niemand, der oder die reich werden will. Hier geht es um die Menschen vor Ort.
Autor: Philipp Meinert
Artikel aus dem Verbandsmagazin DER PARITÄTISCHE Ausgabe 02 | 2022: Vorfahrt für Gemeinnützigkeit
Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen
Zertifikatskurs
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In 100 Stunden zum/zur Ehrenamtsmanager:in
Wer sich für Menschen mit Beeinträchtigung ehrenamtlich engagieren will, ist bei der Lebenshilfe Berlin an
der richtigen Adresse. Die Möglichkeiten reichen von Einzelbetreuung, Patenschaften in Wohngruppen und Wohngemeinschaften über die Unterstützung von Leseklubs oder Eltern-Kind-Gruppen bis zu Sportpatenschaften. Hilfe und Unterstützung werden auch bei Veranstaltungen gebraucht. Grundsätzlich ist die Lebenshilfe in allen
Bereichen offen für Ideen und Vorschläge für freiwilliges Engagement. Mehr als 100 ehrenamtlich Engagierte zählt die Lebenshilfe Berlin. Die erfolgreiche Bilanz kommt nicht von ungefähr. Vor über 20 Jahren wurde das Freiwilligenmanagement in der Lebenshilfe Berlin eingeführt und von Tanja Weißlein aufgebaut. Seitdem
engagieren sich Menschen für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung und Lernschwierigkeiten.
Kornelia Goldbach leitet seit 2021 das Freiwilligenmanagement in der Lebenshilfe Berlin. Obwohl sie seit
vielen Jahren in der Einrichtung arbeitet, war die Leitung des Freiwilligenmanagements für sie neu. Darum nahm sie von Oktober 2021 bis Mai 2022 am Zertifikatskurs Ehrenamtsmanagement intensiv an der Paritätischen Akademie Berlin teil.
In 100 Stunden qualifizieren sich die Teilnehmer:innen zum/zur Ehrenamtsmanager:in. In dem Kurs erwerben die
Teilnehmer*innen die notwendigen Fachkenntnisse und Methoden für die strategische Entwicklung, Gestaltung, Begleitung und Koordination von ehrenamtlich Engagierten sowie für die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen in Einrichtungen der Sozialwirtschaft. Schon nach den ersten Seminartagen war für Kornelia Goldbach klar: „Die Fortbildung ist eine ganz tolle Veranstaltung und ich freue mich sehr, daran teilnehmen zu können.“
Die Lebenshilfe Berlin ist eine von vielen Organisationen und Einrichtungen im Paritätischen Landesverband, dieWert auf ein professionelles Ehrenamts- bzw. Freiwilligenmanagement legen. Denn ehrenamtliches und freiwilliges Engagement ist keine Randerscheinung. Im Berliner Landesverband kommen zu rund 55.000 Mitarbeitenden etwa 30.000 Ehrenamtliche hinzu. Ehrenamtlich Engagierte zu gewinnen und zu halten, ist allerdings kein Selbstläufer. Der aktuelle Deutsche Freiwilligensurvey und weitere Studien verweisen auf die Aufgaben, die in der Praxis herausfordernd sind, wie beispielsweise die Abnahme zeitintensiver ehrenamtlicher Tätigkeiten, die Gewinnung junger Engagierter sowie die zeitliche und fachliche Überforderung von ehrenamtlich
Engagierten. Ehrenamtsmanagement ist eine anerkannte hauptamtliche Leitungs- und Führungsaufgabe in der Sozialwirtschaft.
Vor über 20 Jahren wurde der Kurs „Ehrenamtsmanagement intensiv“ durch Prof. Dr. Stephan Wagner an
der Paritätische Akademie Berlin ins Leben gerufen. Seitdem haben zahlreiche Verantwortliche für Engagement, Ehrenamtsmanager:innen und Freiwilligenkoordinator:innen aus den Mitgliedsorganisationen den Zertifikatskurs durchlaufen.
Im Fokus stehen drei Schwerpunkte des Ehrenamtsmanagementes: Die Ehrenamtlichen/Freiwilligen, Anforderun-gen an die Organisationsentwicklung und an die Ehrenamtsmanager:innen. Der Kurs wurde über die Jahre modifiziert und weiterentwickelt. Aktuell wird der Kurs als Blended Learning angeboten, sprich Präsenz- und Online-Seminare wechseln sich ab. So lässt sich der Kurs auch noch besser in den Arbeitsalltag integrieren. Die Teilnehmer:innen bauen sich in Peer-Group-Meetings ihr Netzwerk auf. In Praxis-Talks lernen sie andere Ehrenamtsmanager:innen und ihre Arbeit kennen. Die Dozierenden Christiane Biedermann und Beate Häring bringen ihr langjähriges Knowhow als Trainerinnen im Freiwilligenmanagement ein, der Jurist Erik Judis die rechtlichen Grundlagen im Ehrenamt.
Kornelia Goldbach, ehemalige Teilnehmerin: Was hat der Kurs konkret gebracht?
„Neben der kompetenten fachlichen Anleitung der Referentinnen, sich das Thema „Ehrenamt“ im
gesellschaftlichen Kontext zu erschließen, erlebte ich den Kurs als sehr hilfreich, um den
Managementprozess in der Freiwilligenarbeit in seiner vollkommenen Gänze zu erfassen
und in meiner praktischen Arbeit in der eigenen Organisation umzusetzen.“
Ein Familienzentrum innovativ und nachhaltig führen
Zertifikatskurs
AUCH INTERESSANT
Interview mit Benjamin Schorn
Benjamin Schorn ist Forensic Investigation Spezialist und besitzt mehrjährige Erfahrung in der Durchführung forensischer Sonderuntersuchungen in Kriminalverdachtsfällen, zuletzt bei der KPMG AG in München, wo er unter anderem an der Aufklärung des Wirecard-Skandals mitgewirkt hat. Im Rahmen seiner Tätigkeit beschäftigt er sich intensiv mit psychologischen Befragungstechniken mit Tätern, Opfern und Zeugen sowie den Motivatoren, Stressoren und der Verhaltensantizipation von unterschiedlichen Persönlichkeitsprofilen. Er ist Träger des einzigen weltweit anerkannten Titels im Bereich Forensik und Wirtschaftskriminalität und wurde 2021 als akkreditierter Experte in die Experten-Datenbank der europäischen Strafverfolgungsbehörde EUROPOL aufgenommen. Seine wissenschaftlichen Beiträge über sozial- und persönlichkeitspsychologische Erkenntnisse im Bereich Wirtschafts- kriminalität werden regelmäßig im ACFE Fraud Magazin veröffentlicht.
Im Jahr 2021 hat er das Institut für Governance & Psychologie gegründet und leitet dort ein Team aus Kriminal-psychologen und Psychotherapeuten.
Was verstehen wir unter Forensic Leadership – Persönlichkeitsprofiling als Führungsinstrument bzw. Forensic Negotiation-Persönlichkeitsprofiling als Verhandlungsinstrument?
Im Seminar Forensic Leadership werden die Erkenntnisse aus der kriminalpsychologischen Arbeit in die tägliche
Führungspraxis übertragen. Dazu gehören sowohl Gesprächstechniken, die bei Vernehmungen von Zeugen, Opfern und Beschuldigten herangezogen werden, als auch professionelle Einschätzungen unterschiedlicher Verhaltensweisen. Im Seminar Forensic Negotiation nutzen Sie dieses Wissen, um psychologisch wirkungsvoll
mit verschiedenen Persönlichkeitsstilen Ihrer Geschäftspartner:innen zu verhandeln.
Was ist besonders relevant, welche aktuellen Bezüge gibt es zu den angebotenen Inhalten?
Die Aufgabe eines Forensikers und Wirtschaftskriminologen besteht zu einem wesentlichen Teil daraus, die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge für (teilweise schädliches) Verhalten zu begreifen. Für dieses Verstehen ziehen wir wissenschaftliche Modelle aus der (Sozial-)psychologie und Kriminologie heran, deren Kenntnisse sich ebenfalls in die Führungspraxis ableiten lassen. Denn die Herausforderung einer heutigen Führungskraft besteht zunehmend darin, den Anforderungen und Ansprüchen nach einer individuellen Behandlung und Berücksichtigung der einzelnen Mitarbeiter gerecht zu werden.
Welche Vorteile bietet Persönlichkeitsprofiling, aber auch welche Schwierigkeiten/Hemmnisse? Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen?
Persönlichkeitsprofiling bietet zunächst einmal die Chance, anhand von wissenschaftlichen Parametern eine gute Einschätzung unseres Gegenübers zu erzielen. In der forensischen Arbeit hilft uns eine solche Diagnostik auf der einen Seite dabei, ein besseres Verständnis für die Motive von Straftätern zu erlangen. Auf der anderen Seite verlangt auch eine professionelle Befragung eine entsprechende Antizipation unterschiedlicher Gefühlswelten und Verhaltensweisen des Gesprächspartners. Eine professionelle Einschätzung der inneren Dynamiken von Zeugen, Opfern und Beschuldigten, verhilft uns in der Vernehmung also an aufrichtige und ehrliche Informationen
zu gelangen, die für die Fallaufklärung bedeutsam sind. Gleichzeitig besteht in der Einordnung von Verhaltensweisen die Gefahr einer vorschnellen Stigmatisierung im Sinne von „Der ist so und so eine Person.“ Hier gilt es, die eigene Hypothese hinsichtlich der Hineinkategorisierung von Persönlichkeitseigenschaften auch immer wieder reflexiv zu hinterfragen.
Wie läuft Kurs ab? Was ist konkreter Inhalt des Kurses? Wie gelingt eine Verbindung von Theorie und Selbstreflexion?
Der Kurs beschäftigt sich im Wesentlichen mit dem Begreifen von unterschiedlichen (teilweise schwierigen) Verhaltensweisen von Mitarbeiter:innen und Führungskräften sowie der dazugehörigen Verhaltensantizipation, die stets – analog zu forensischen Vernehmungen – auf Beziehungsförderung ausgerichtet ist.
Das Besondere an diesem Kurs ist, dass neben profunden Modellen aus der Wissenschaft und spannenden Praxisbeispielen aus dem forensischen Alltag, ein Schauspieler zur Verfügung steht, mit dem herausfordernde Situationen realgetreu geübt werden können.
Gibt es Voraussetzungen, die die Teilnehmenden des Seminares erfüllen müssen? Für wen ist die Veranstaltung besonders empfehlenswert?
Die Teilnehmer:innen benötigen keine Vorkenntnisse. Die Veranstaltung ist sowohl für Fachkräfte relevant, die regelmäßig in Teams zusammenarbeiten und gruppendynamischen Phänomenen ausgesetzt sind, als auch für Führungskräfte, die eigene Mitarbeiter:innen anleiten sollen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Das Gespräch führte Solvejg Hesse, Bildungsreferentin an der Paritätischen Akademie Berlin
Forensic Leadership – Persönlichkeitsprofiling als Führungsinstrument
Seminar
Forensic Negotiation – Persönlichkeitsprofiling für die Verhandlungsführung
Seminar
AUCH INTERESSANT
ein Gastbeitrag von Regina Schödl und Anika Göbel (Der Artikel ist ursprünglich im Paritätischen Rundbrief 2/2022 erschienen.)
Die Diskussion zum Thema Wirkung und Wirksamkeit der Eingliederungshilfe wurde durch gesetzliche Vorgaben seit dem stufenweisen Inkrafttreten des BTHG im Jahre 2017 verstärkt. Mit der durch das Bundesteilhabegesetz in Gang gesetzten Reform wird sowohl der Begriff der Wirksamkeit der Leistungserbringung (§ 128 SGB IX), als auch der Wirkungskontrolle im Einzelfall (§ 121 Abs. 2 SGB IX) explizit eingeführt. Damit gibt es zwei Instrumente, die eine Steuerung der Leistungserbringung an verschiedenen Punkten gewährleisten soll. Eine konkrete Definition der Begriffe Wirkung und Wirksamkeit sowie deren Nachweis erfolgte dabei nicht.
Die Debatte um die Wirkung und die Wirksamkeit der erbrachten Eingliederungshilfeleistung ist jedoch dringend notwendig und wird durchaus kontrovers diskutiert. Zum einen besteht die Sorge, dass die Definition von Wirkung und Wirksamkeit mit einer Ökonomisierung und Kontrolle der Leistungserbringung einhergeht, zum anderen zeigen jedoch bereits seit Längerem durchgeführte Wirkungsprojekte sehr wohl die Möglichkeit auf, Wirkungen der Sozialen Arbeit nachweisen und darstellen zu können.
Selbstbestimmung und Teilhabe sind Leitziele der Eingliederungshilfe
Vor der Einführung des BTHG betrachtete die Eingliederungshilfe anspruchsberechtigte Menschen mit Behinderung als hilfebedürftig, deren Leben in der Gemeinschaft durch entsprechende Fürsorge und Pädagogik zu
fördern sei. Mit dem Bundesteilhabegesetz strebt der Gesetzgeber einen weitreichenden Haltungswandel gegenüber Menschen mit Behinderung an. Leistungsberechtigte Menschen mit Behinderung sollen Leistungen
erhalten, die eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen.
Benachteiligungen sollen vermieden bzw. wirkungsvoll reduziert werden. Nicht mehr der Mensch mit Behinderung muss lernen, sich seiner Umwelt anzupassen. Barrieren, die Menschen an der vollen und gleichberechtigten Teilhabe hindern und beeinträchtigen, sollen abgebaut werden. Selbstbestimmung und Teilhabe sind die Leitziele der Eingliederungshilfe und bilden damit die Grundlage für die Entwicklung von Kriterien der Wirkung und zum
Wirkungsnachweis.
Und wie soll die Wirksamkeit erfasst werden?
Die Leistungen der EGH erzeugen im besten Fall positive Veränderungen für Menschen mit Behinderung. Dies sind Wirkungen auf Ebene des Einzelfalles. Werden die Leistungen der Träger in den Blick genommen und evaluiert, gibt dies Hinweise zu deren Wirksamkeit. Diese Leistungen könne zum einen quantitativ erfasst werden, müssen aber auch einer qualitativen Betrachtung standhalten. Im Zusammenhang mit der Wirkung und der Wirksamkeit in der Eingliederungshilfe sind noch viele Fragen ungeklärt. Daher wird das Thema Wirkung und Wirksamkeit
in der Eingliederungshilfe in einem Seminar an der Paritätischen Akademie am 26. August 2022 thematisiert. Das halbtägige Seminar gibt einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der fachlichen Diskussion rund um das Thema Wirkung und Wirksamkeit. Es zeigt auf, wie Wirkungsorientierung sowie Evaluation in der praktischen Arbeit gefasst werden können und hilft bei der Einordnung des Konzeptes in der Eingliederungshilfe.
Das Paritätische Eingliederungshilfeforum
Ein interdisziplinäres Fachinformations- und Weiterbildungsangebot des Paritätischen Wohlfahrtsverbands LV Berlin e.V. und der Paritätischen Akademie
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